Religionswissenschaft
Definition und Gegenstand
Die Religionswissenschaft ist eine Wissenschaft, die sich mit allen konkreten Religionen und (religiösen) Weltanschauungen der Vergangenheit und Gegenwart befasst. Das Fach wird durch Attribute wie "allgemeine" oder "vergleichende" näher bestimmt und wird oft mit dem eigenständigen Fach Religionsgeschichte assoziiert. Als eine vergleichende und beschreibende Sozialwissenschaft klammert die Religionswissenschaft Glaubenszustimmung aus und untersucht alle Religionen "von außen". Sie sucht nicht nach transzendenter Wahrheit, sondern ordnet, klassifiziert und vergleicht die Erscheinungsformen und Elemente verschiedener Religionen im geschichtlichen Kontext.
Was genau eine Religion ist, wurde zwar bisher oft aber nie zufriedenstellend definiert. Der genaue Gegenstand der Religionswissenschaft ist daher bis heute nicht geklärt und wird somit nicht nur von den verschiedenen Schulen des Faches (Substantialismus, Funktionalismus) diskutiert. Ideologische Unterschiede hinsichtlich des Gegenstands spiegeln sich auch in der Bezeichnung des Faches wider, was innerhalb der Begriffserörterung genauer betrachtet werden kann.
Geschichte des Faches
Es handelt sich um eine junge Wissenschaft mit "Vorläufern" in aufklärerischen Krisenzeiten (Antike, Humanismus). Im strengen Sinne entstand sie während der neuzeitlichen Aufklärung, insbesondere in England, den Niederlanden, Deutschland und Skandinavien. Erst ab dem Anfang des 20. Jahrhunderts etablierte sie sich als eigenständiges Fach an den Universitäten, wobei sie zunächst an theologischen Fakultäten gelehrt und betrieben wurde. In den letzten Jahrzehnten aber entwickelte sich die Religionswissenschaft an den meisten Universitäten zu einer von den Theologien unabhängigen Wissenschaft, was einen Einzug in die philosophischen und kulturwissenschaftlichen Fakultäten zur Folge hatte. Hierbei ist und war vor allem die Diskussion der Methodik des Faches als eigentlicher Grund der Entwicklung zu einer eigenständigen Disziplin verantwortlich. Heute ist die Religionswissenschaft sehr interdisziplinär angelegt und bedient sich auch vieler Methoden aus anderen Wissenschaften (siehe auch Abschnitt Hilfwissenschaften).
Religionswissenschaft und Theologie
Oftmals ist nicht bekannt, dass ein Unterschied zwischen der Religionswissenschaft und den (christlichen) Theologien besteht. Grundsätzlich ist daher zu sagen, dass sich die Fächer nicht nur hinsichtlich ihrer Methodik unterscheiden; denn Theologien bilden religiöse Spezialisten (z.B. Priester, Pastoren) aus, welche wiederum Gegenstand der Religionswissenschaft sind. So nimmt z.B. das Christentum für Religionswissenschaftler die Rolle "einer Religion unter vielen" ein, während Theologen von der Warte aus "wir und die anderen" sprechen.
Verwendete Wissenschaften/ Teilwissenschaften / Hilfswissenschaften
Religionsgeschichte, Religionsphänomenologie, Religionspsychologie, Religionssoziologie und Religionsphilosophie bezeichnen bestimmte Ansätze, den Gegenstand der Religionswissenschaft zu fassen und zu behandeln.
Dagegen sind viele der Teil- oder Hilfswissenschaften der Religionswissenschaft eigenständige Fächer. Eine große Rolle spielen die Philologien von Sprachen, in denen Heilige Schriften abgefasst sind oder in denen religiöses Leben stattfindet; beispielsweise Arabistik, Sinologie, Keilschriftforschung, Indologie.
Außerdem sind Fächer von Bedeutung, die sich auf eine einzelne Religion oder einen bestimmten Kulturkreis spezialisieren (oft identisch mit den entsprechenden Philologien): Keltologie, Judaistik, Buddhismuskunde, Islamwissenschaft, Afrikanistik, Orientalistik, Tibetologie.
Wichtig sind ebenfalls die Theologien der einzelnen Religionen; also die Überlegungen zu religiösen Themen, die innerhalb der Traditionen angestellt wurden und werden (z.B. katholische, protestantische, islamische, buddhistische "Theologie") sowie ihre Teilwissenschaften (z.B. Textkritik, Kirchengeschichte, Exegese).
Weitere Fächer, die mit der Religionswissenschaft im interdisziplinären Austausch stehen, sind Geschichte, Archäologie, Volkskunde, Ethnologie/ Völkerkunde, Anthropologie und andere Kulturwissenschaften.
Studium der Religionswissenschaft
Ein deutschsprachiges Studium der Religionswissenschaft kann in Österreich, der Schweiz und Deutschland aufgenommen werden. In Deutschland gibt es folgende Abschlüsse des Faches:
- Magister/Magistra Artium (derzeitig üblichster Abschluss)
- Diplom (nur in Bremen)
- B.A. "Religionswissenschaft", B.A. "Kultur- und Religionswissenschaft" oder auch B.A "Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt Religion"
- M.A. "Religionswissenschaft" (setzt einen B.A.-Abschluss voraus)
- Dr. phil. (setzt einen Magister- bzw. M.A.-Abschluss oder ein Diplom voraus)
Religionswissenschaftler
- Friedrich Max Müller (1823-1900)
- Edward Burnett Tylor (1832-1917)
- James George Frazer (1854-1941)
- Nathan Söderblom (1866-1931)
- Wilhelm Schmidt (Religionswissenschaftler) (1868-1954)
- Rudolf Otto (1869-1937)
- Arnold van Gennep (1873-1957)
- Bronislaw Malinowski (1884-1942)
- Gerardus van der Leuuw (1890-1950)
- Friedrich Heiler (1892-1967)
- Joachim Wach (1898-1955)
- Edward Evan Evans-Pritchard (1902-1983)
- Mircea Eliade (1907-1986)
Literatur
- H.J. Greschat: Was ist Religionswissenschaft?, Stuttgart 1988.
- K. Hock: Einführung in die Religionswissenschaften, Darmstadt 2002.
- H.G. Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte. Religionswissenschaft und Moderne, München 1997.
- H.G. Kippenberg/ K. von Stuckrad: Einführung in die Religionswissenschaft, München 2003.
- A. Michaels (Hg.): Klassiker der Religionswissenschaft. Von Friedrich Schleiermacher bis Mircea Eliade, München 1997.
- F. Stolz: Grundzüge der Religionswissenschaft, Göttingen 2001.