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Öffentliche Meinung

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Der Begriff öffentliche Meinung bezeichnet die in einer Gesellschaft vorherrschenden Urteile zu Sachverhalten von allgemeinem Interesse. Die öffentliche Meinung kann durch repräsentative Umfragen nachgewiesen werden und wird als veröffentlichte Meinung durch die Massenmedien oft entscheidend mitgeprägt. In Demokratien ist sie ein wesentliches Element des politischen Willensbildungsprozesses.

Die öffentliche Meinung ist der "geistige Marktplatz" (das kulturelle Forum) der


Voraussetzungen

Artikulierte öffentliche Meinung setzt die Existenz von rechtlich gesicherter Meinungsfreiheit und von wirtschaftlich überlebensfähigen Massenmedien voraus und kann daher auch als ein Teilaspekt von gesellschaftlicher Partizipation und Demokratie gesehen werden.

Zur Geschichte

Die öffentliche Meinung ist älter als der Begriff dafür. In den freien antiken Stadtstaaten Kleinasiens, Griechenlands und in Rom äußerten sich die Meinungen der Vollbürger öffentlich auf dem Marktplatz (griechisch: agorá, lateinisch: forum) in Volksversammlungen und Volksgerichten.

Im neuzeitlichen Europa verdichtete sich die öffentliche Meinung im heutigen Sinn im 18. Jahrhundert als Meinungsmarkt und dann als eine Waffe des aufsteigenden Bürgertums, somit als neue Form der politischen Autorität, die letztlich das Meinungsmonopol der absolutistisch regierten Staaten und des in einem Staat jeweils ein Religionsmonopol ausübenden Klerus' brach. Der erste Nachweis des Begriffs "öffentliche Meinung" in deutscher Sprache findet sich 1712 in der Übersetzung einer lateinischen Schrift von Christian Thomasius über die Hexenprozesse, worin der lateinische Begriff >Persuasio publico< mit >öffentlicher Meinung< übersetzt wird.

Frühe Massenmedien waren nach der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern bereits in der Reformation z. B. die Flugblätter. Im 18. und 19. Jahrhundert kamen zumal die Zeitungen ("Intelligenzblätter") und Theater auf, im 20. der Film, der Hörfunk, das Fernsehen und mit der "elektronischen Revolution" das Internet. Die ganze Zeit über bestand und wirkte auch der Buchmarkt.

Mit der "erweiterten Öffentlichkeit" durch die Arbeiterbewegung und der zunehmenden Demokratisierung nahm die öffentliche Meinung weiter an politischer Wichtigkeit zu. Von Anfang an vermochten dabei kirchlich oder staatlich unterdrückte Meinungsführer, sich bahnbrechende Teilöffentlichkeiten zu schaffen (z.B. in der Reformation durch Flugblätter, im 19. Jh. durch Broschüren oder heute im Internet).

Heute sind politische Entscheidungen fast immer an die öffentliche Meinung gekoppelt, selbst in stark meinungsbildenden Diktaturen.

Formen der öffentlichen Meinung

Zu ihren flüchtigsten Formen gehören die Moden und Hypes. Beispiel: "Liebesbriefe per Post sind mega-out."

Enger gefasst ist eine herrschende öffentliche Meinung allgemeiner Zustimmung sicher; wer von ihr abweicht, kann dies nicht öffentlich äußern, ohne sich sozialem Druck auszusetzen. Beispiel: "Korruption ist von Übel."

Da die öffentliche Meinung auch durch Meinungsforschung nicht in allen Aspekten zu erkunden ist, kann letztendlich jeder für sich in Anspruch nehmen, die öffentliche Meinung zu kennen und zu vertreten. Politiker und Massenmedien geben gerne vor, eine herrschende öffentliche Meinung zu artikulieren. Bei Beweisschwierigkeiten werden dabei z.B. die ab- oder aufwertenden Bilder vom Stammtisch oder von der "schweigenden Mehrheit" benutzt.

Unterschiedliche Wahrnehmungen der "öffentlichen Meinung"

Wie die öffentliche Meinung zu einer konkreten Problematik lautet, wird nicht immer in derselben Weise wahrgenommen. Während die einen beispielsweise empfinden, dass die israelische Politik in den deutschen Medien permanent kritisiert wird, stellen die anderen fest, dass es die Palästinenser sind, denen Unrecht geschieht, ohne dass ihnen mediale Unterstützung zuteil wird. [1], [2] Möglich ist, dass diese Differenz in der Wahrnehmung durch Nutzung unterschiedlicher Medien zustandekommt. Unterschiedliche emotionale Bindungen/Einstellungen können hierbei ebenfalls eine Rolle spielen.

Probleme durch öffentliche Meinung

Zentraler Kritikpunkt sind eine "Herrschaft des Pöbels" und die Macht der Medien (Agenda-Setting).

Auch wird die öffentliche gegen die veröffentlichte Meinung ausgespielt. Eine Kritik an der veröffentlichten Meinung kann fundiert sein, wenn die profitorientierte Kommerzialisierung der Massenmedien oder eine "professionelle Deformation" der dort publizierenden Berufe (Journalisten, Talkmaster usw., die nur noch einander zur Kenntnis nehmen) zur Abschottung gegen neue Meinungen geführt haben.

Die "Flatterhaftigkeit" der flüchtigen Formen der öffentlichen Meinung ist vielfach beobachtet worden und wird bei Ferdinand Tönnies, Arnold Gehlen u.a. als "Pleonexie" (griechisch pleonexía. soviel wie "vielfältige Hinneigung") behandelt.

Generell ist das Sprichwort einschlägig: Wer an der Straße baut, hat viele Meister.

Zur Problematik des Begriffs

Da häufig eine Diskrepanz zwischen theoretischer und praktischer öffentlicher Meinung zu beobachten ist, wird der Begriff zuweilen mit dem des Mythos in Verbindung gebracht: die öffentliche Meinung als rein glaubensmäßige Verbundenheit von Individuen, derer sich andere manipulativ (z.B. für politische Zwecke) bedienen können. Damit soll die öffentliche Meinung nicht als irrelevant qualifiziert oder in den Bereich des Spekulativen gerückt werden - ausgesagt wird nur, dass ihr ein Platz zuzukommen scheint, der jenseits der Rationalität liegt.

Dennoch kann sie als sozialer Mythos Handlungen und Verhaltensweisen Einzelner lenken, da sie auf normativen Vorstellungen moralischer und ethnischer Art beruht, von denen der Einzelne glaubt, sie vor der Gesellschaft vertreten zu müssen.

Wissenschaftliche Behandlung

Die Soziologie hat in Deutschland bedeutende Analysen vorgelegt, so 1922 (2002) bahnbrechend Ferdinand Tönnies (Kritik der öffentlichen Meinung - bei ihm erscheint bereits der analytische Unterschied zwischen der Öffentlichen Meinung und öffentlicher Meinung), 1962 (1990) Jürgen Habermas (Strukturwandel der Öffentlichkeit) und 1972 Oskar Negt/Alexander Kluge (Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit); dazu zahlreiche Einzelstudien im Rahmen der Kommunikationssoziologie, politischen Soziologie u. a. m.

Auch im Rahmen der Politologie und in der Absatzforschung (Werbeforschung) der Betriebswirtschaftslehre, dazu in der Literatur- und Medienwissenschaft finden sich einschlägige Forschungsergebnisse. Auch die Volkskunde erbringt Materialien, da sie sich mit dem verwandten Thema des Volksmundes und der Kolportage (Rudolf Schenda, Volk ohne Buch) befasst.

Literatur

Linkliste zum Thema "Öffentliche Meinung" der Universität zu Köln

Zitate

  • "Wer die öffentliche Meinung nicht zu verachten versteht, wird es nie zu Großem bringen". (Georg Wilhelm Friedrich Hegel)
  • "Mit Präzision über öffentliche Meinung zu sprechen, ist mit der Aufgabe vergleichbar, sich mit dem Heiligen Geist auseinanderzusetzen." (V.O. Key: Public Opinion and American Democracy, 1961)
  • "Es gibt keine allgemein akzeptierte Definition für öffentliche Meinung. Dennoch nimmt der Gebrauch dieses Begriffs immer mehr zu ... Versuche, den Begriff präzise zu definieren, haben zu solchen frustrierenden Feststellungen geführt wie: Öffentliche Meinung ist keine Bezeichnung für irgend etwas, sondern eine Klassifizierung für mehrere Irgend-etwas." (Walter Phillips Davison: „Public Opinion“, in: International Encyclopedia of the Social Sciences, 1968)
  • "Ferdinand Tönnies hat aufgedeckt, dass die öffentliche Meinung in gesellschaftlichen Strukturbeziehungen jener regulierenden Kraft entspricht, die in gemeinschaftlichen Lebenszusammenhängen die Religion wahrnimmt. ... Die Öffentliche Meinung ist die Religion der Neuzeit." Alexander Deichsel: Vorwort in: Ferdinand Tönnies, Kritik der öffentlichen Meinung, TG 14, Berlin/New York: de Gruyter 2002 [1922])

Anmerkungen

  1. Offener Brief von Giordano an die deutschen Medien wg. Israelberichterstattung
  2. Leserbrief von Melzer als Antwort

Siehe auch