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Reinhart Koselleck

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Reinhart Koselleck (* 23. April 1923 in Görlitz; † 3. Februar 2006 in Bad Oeynhausen) war einer der bekanntesten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts. Seine Forschungsschwerpunkte lagen in den Bereichen Historik (Theorie der Geschichte), Begriffs- und Sprachgeschichte, anthropologische Grundlagen der Geschichte sowie Sozial-, Rechts- und Verwaltungsgeschichte.

Bekannt wurde er mit seiner Dissertation "Kritik und Krise", die von Carl Schmitt maßgeblich beeinflusst war. Der Historiker gilt als einer der originellsten "Außenseiter" des Fachs, da er keiner historischen "Schule" zugerechnet werden kann.

Leben

Koselleck, der sich 1941 freiwillig zur Wehrmacht gemeldet hatte, war bis zum Oktober 1945 in Kriegsgefangenschaft in Karaganda im zentralasiatischen Kasachstan. Nach der Rückkehr nach Deutschland studierte er von 1947 bis 1953 Geschichte, Philosophie, Staatsrecht und Soziologie an der Universität Heidelberg und der University of Bristol in England. Zu seinen akademischen Lehrern zählten zahlreiche herausragende Persönlichkeiten wie Martin Heidegger, Carl Schmitt, Karl Löwith, Hans-Georg Gadamer, Werner Conze, Alfred Weber, Ernst Forsthoff und Viktor Freiherr von Weizsäcker. Allein die Namen seiner Lehrer deuten auf eine enorme wissenschaftliche Vielfalt.

1954 wurde Reinhart Koselleck in Heidelberg mit der Studie "Kritik und Krise. Pathogenese der Bürgerlichen Welt" bei Johannes Kühn promoviert. Diese Doktorarbeit verschaffte ihm ein glänzendes Entree in den Wissenschaftsbetrieb. 1954-1956 war er zunächst Lecturer an der Universität in Bristol, England, bevor er für ein Jahr Assistent am Historischen Seminar der Universität Heidelberg wurde. Von 1960-1965 war Koselleck Mitarbeiter im "Arbeitskreis für Moderne Sozialgeschichte" in Heidelberg, dessen Vorsitzender er später wurde (1986). 1965 habilitierte er sich mit einer Arbeit über "Preußen zwischen Reform und Revolution".

1966 erhielt Koselleck einen Ruf an die Ruhr-Universität Bochum, wo er Professor für Politische Wissenschaft wurde. 1968 zog es den Ordinarius wieder an die Universität Heidelberg, wo er Neuere Geschichte unterrichtete. Seit 1965 war Koselleck Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der im Aufbau befindlichen Universität Bielefeld und 1968 ersetzte er Werner Conze im dortigen Gründungsausschuss. Gleichzeitig übernahm er den Vorsitz der Fachbereichskommission Geschichtswissenschaft, die er bis zur Gründung der Fakultät für Geschichtswissenschaft 1973 leitete. In diesem Jahr nahm er einen Ruf an die Universität Bielefeld auf den Lehrstuhl für Theorie der Geschichte an, den er bis zu seiner Emeritierung 1988 inne hatte. Der interdisziplinären Ausrichtung seiner Forschungstätigkeit entsprach, dass er sich in den Leitungsgremien des Zentrums für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld engagierte, 1974/75 als Geschäftsführender Direktor. Gastprofessuren führten ihn unter anderem nach Tokio, Paris, Chicago (University of Chicago) und New York (New School for Social Research, 1986, 1988; Columbia University, 1992). Außerdem war er Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Akademien und Kollegien, etwa dem Wissenschaftskolleg in Berlin (1987-1989) oder dem Collegium Budapest (1993). 1996/97 arbeitete er am Warburg Haus Hamburg und 1998 am Netherlands Institute for Advanced Study in the Humanities and Social Sciences.

Ab 1993 wirkte er als Beiratsmitglied konzeptionell am Aufbau der Stiftung Genshagen - Berlin-Brandenburgisches Institut für Deutsch-Französische Zusammenarbeit in Europa (BBI) im Schloss Genshagen mit und interessierte sich darüber hinaus auch für das regionale Umfeld des Instituts, da er sich sein Leben lang dem Osten Deutschlands verbunden gefühlt hatte. In seinen letzten Lebensmonaten setzte er sich für den Aufbau einer wissenschaftlichen Abteilung am BBI ein, die mit einem langfristigen Projekt zur Erforschung der "Europäischen Zugehörigkeiten in der Kontroverse" die historische Dimension der gegenwärtigen Entwicklungsprobleme Europas ins Auge fassen sollte.

Koselleck war ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften,

Arbeiten

Koselleck war ab den 1970er Jahren zusammen mit Werner Conze und Otto Brunner Mitherausgeber des achtbändigen Lexikons "Geschichtliche Grundbegriffe". Das inzwischen zum Standardwerk avancierte Opus behandelt die Begriffsgeschichte zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Doch einer Einordnung in eine bestimmte historische Zweigwissenschaft blieb Koselleck fern. Er kooperierte fächerübergreifend mit Persönlichkeiten wie Hans-Georg Gadamer, Paul Ricœur oder Hayden White und beschäftigte sich mit interdisziplinären Fragestellungen, wie der an die Kunstgeschichte angelehnten politischen Ikonografie (hier besonders des Totenkultes).

Kosellecks Ansatz zur Begriffsgeschichte hat den Bedeutungswandel von Ausdrücken zum Inhalt, damit soll die Wirklichkeitserfahrung vergangener Epochen herausgestellt werden. Da dieser Wandel um 1800 aufgrund politischer und industrieller Revolutionen besonders groß war, prägte Koselleck den Begriff der Sattelzeit für den Zeitraum von circa 1750 bis 1850. Alte Worte haben demnach neuen Sinngehalt gewonnen, so dass sie heute keiner Übersetzung mehr bedürfen. Synonym dazu wird der Begriff der Schwellenzeit verwendet.

Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen: 1974 den Reuchlin-Preis der Stadt Pforzheim, 1989 den Preis des Historischen Kollegs, 1989 die Ehrendoktorwürde der Universität von Amsterdam, 1993 die Ehrenmedaille der Ecole des Hautes Etudes en Science Sociales, Paris, 1998 die Ehrenmitgliedschaft in der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, 1999 den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa, 2003 den Historikerpreis der Stadt Münster.

Publikationen

Eigenständige Werke

Weitere Publikationen (als Herausgeber)

  • Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik, DTV, FaM 1977ff. Mitherausgeber von zwei Teilbänden: - Band 1 (1977), Objektivität und Parteilichkeit in der Geschichtswissenschaft, ISBN 3-423-04281-8, gemeinsam mit Wolfgang J. Mommsen und Jörn Rüsen; Band 4 (1982), Formen der Geschichtsschreibung, ISBN 3-423-04389-X, gemeinsam mit Jörn Rüsen und Heinrich Lutz.
  • Hayden White: Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses. Stuttgart 1991. ISBN 3-608-95806-1 (Einführung von Reinhart Koselleck)
  • Epochenschwelle und Epochenbewusstsein. Mü 1997. ISBN 3-7705-2390-3 (Hrsg.: Reinhart Herzog, Reinhart Koselleck)
  • Niedergang. Studien zu einem geschichtlichen Thema. Stuttgart 1999. ISBN 3-12-912440-3 (zusammen mit Paul Widmer)
  • Geschichtliche Grundbegriffe - Historisches Lexikon zur politisch sozialen Sprache 8 Bde. Stuttgart 2004. ISBN 3-608-91500-1 (zusammen mit Werner Conze und Otto Brunner)
  • Hermeneutik und Historik. o.J. o.O. ISBN 3-8253-3932-7 (zusammen mit Hans-Georg Gadamer)

Auszeichnungen (Auswahl)

Literatur

  • Manfred Hettling/Bernd Ulrich, Formen der Bürgerlichkeit. Ein Gespräch mit Reinhart Koselleck, in: Manfred Hettling (Hg.), Bürgertum nach 1945, Hamburg 2005, S. 40-60, ISBN 3-936096-50-3
  • Ute Daniel, Art. Reinhart Koselleck, in: Lutz Raphael (Hrsg.), Klassiker der Geschichtswissenschaft, Bd. 2: Von Fernand Braudel bis Natalie Z. Davis, München 2006, S. 166-194, ISBN 3-406-54104-6
  • Willibald Steinmetz: Nachruf auf Reinhart Koselleck (1923 - 2006). In: Geschichte und Gesellschaft Jg. 32/2006 S.412-432.
  • Stefan Weinfurter (Hg.): Reinhart Koselleck, 1923-2006: Reden zum 50. Jahrestag seiner Promotion in Heidelberg. Heidelberg: Winter, 2006. ISBN 3-825-35205-6