Vipassana
Vipassanā bezeichnet eine Meditationstechnik, die einen Geisteszustand kultiviert, der eine besondere Einsicht in innere mentale Phänomene (Pali: dhammas) erlaubt.
Der Begriff Vipassanā wird auch für eine religiöse Bewegung verwendet, die sich am Theravada Buddhismus orientiert und die Meditationstechniken Vipassanā und Ānāpāna als Haupttechniken lehrt. Als zentraler buddhistischer Text muss in diesem Zusammenhang die Satipatthana Sutta genannt werden.
Etymologie
Vipassanā ist ein Pali-Wort, das sich aus dem Sanskrit-Präfix "vi-" und dem Wortstamm √dr herleitet. Es wird oft mit "Einsicht" oder "Klarsicht" übersetzt, obwohl das Präfix "ein-" auf eine Fehldeutung hinführen könnte; "vi" ist in den indogermanischen Sprachen zu unserem "ent-" verwandt. Das "vi" in vipassanā kann daher in Richtung auf "Entscheiden" oder "Entdecken" interpretiert werden. Alternativ kann das "vi" auch als eine Intensivierung verstanden werden und daher im Sinne von "Tief-Blicken" oder "Tief-Sehen" verstanden werden. Für alle Fälle gilt: der Begriff wird metaphorisch für eine besonders wirkungsvolle mentale Selbstwahrnehmung verwendet.
Technik
Die Vipassana-Technik wurde in Indien um ca. 500 v.Chr. von Gautama, dem Buddha, "wiederentdeckt". Vipassana gehört zum zentralen Bestandteil buddhistischer Meditationspraxis. Neben der Geistesruhe-Meditation samatha, ist es vor allem die Erkenntnis-Meditation (vipassana), die zur Erreichung Nirvanas führt. Die Meditationstechnik ist unabhängig von Glauben und Weltanschauung und hat als Ziel, die Identifikation mit der Welt zu überwinden und eine tiefgreifende letztendliche "Befreiung" (Nibbana) herbeizuführen. Dabei geht es um die Auflösung von geistigen Konditionierungen und Illusionen. Die Meditation besteht im aufmerksamen Beobachten aller Daseinsphänomene. Dazu zählen sowohl physische Objekte (v.a. des eigenen Körpers), geistige Objekte (Emotionen, Wahrnehmungen, etc.) und Empfindungen am Körper, als geistig-physische Objekte (z.B. Kribbeln, Druck, Schmerz, etc.). In der Lehre Buddhas wird die gesamte Welt als nama und rupa erfahren, d.h. "Geist und Körper" bzw. "Begriffe und Formen".
Ethisches Verhalten - sila - ist die Voraussetzung für einen erfolgreichen Fortschritt in der Vipassana-Meditation. Sila definiert sich aus mindestens 5 Verhaltensrichtlinien:
1. kein Lebewesen zu töten 2. nicht zu stehlen 3. keine sexuellen Verfehlungen zu begehen (z.B. Ehebruch) 4. nicht zu lügen 5. keine Rauschmittel zu sich zu nehmen (z.B. Alkohol, Drogen, etc.)
Durch das Einhalten dieser Regeln wird zum einen vermieden, dass anderen Schaden zugefügt wird. Zum anderen ist es ein Selbstschutz, um den spirituellen Fortschritt nicht zu gefährden. Eine geistige Läuterung ist nur möglich, wenn auf der Ebene der Handlungen ethisches Verhalten praktiziert wird. Ansonsten ist der Geist zu erregt, zu unruhig und grob, um für die tiefgreifende Arbeit Fortschritte zu machen.
Stufen
Als Ergebnis der kontinuierlichen neutralen Beobachtung aller geistigen und körperlichen "Erscheinungen" durchläuft der Meditierende je nach Ausdauer und Fortschritt verschiedene "Stadien" (Vipassanâ-ñâna). Anhand dieser sieben Erkenntnisstufen kann der geistige Fortschritt des Übenden von erfahrenen Lehrern festgemacht werden.
Ziel
Das Ziel der Vipassana-Meditation ist das Erleben Nirvanas, des "Verlöschens" (maggaphala). Durch die intensive Betrachtung aller geistigen und körperlichen Vorgänge erlebt der Meditierende eine allmähliche Loslösung ("De-Identifikation") mit allen zuvor als "Ich" und "Mein" betrachteten Vorgängen. Gipfelpunkt dieser Erfahrung ist das im Regelfall nur Momente dauernde "Wegspringen", "Verlöschen", das gemäß buddhistischer Lehre zu einer völligen Befreiung vom Kreislauf der Geburten führt und als "Nibbana" (Nirvana) bezeichnet wird.
Tradition
Seit der Wiederentdeckung Buddhas wurde Vipassana durch eine ununterbrochene Kette von Lehrern weitervermittelt. In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts gelangte die Vipassana-Meditation vor allem in Burma zu neuer Geltung und wurde von dort aus in den Ländern des Theravada-Buddhismus (Sri Lanka, Thailand, Laos, Kambodscha) wieder populär. Seit den 60er und 70er Jahren lehren auch einige anerkannte westliche Meditationslehrer diese Technik in Europa und Amerika. Dabei kann beobachtet werden, dass die Vipassana-Meditation im Westen immer häufiger abgelöst von ihrem buddhistischen Hintergrund gelehrt wird. Problematisch ist dies insofern, als dass diese Meditationstechnik eine intensive und umfassende mentale Schulung voraussetzt (Laut traditioneller Auffassung nie ohne sittliche und konzentrative Grundlagen praktiziert werden sollte).
Ein wichtiger Lehrer in Myanmar (von manchen als "der" Wiederentdecker in moderner Zeit verehrt) war der ehrwürdige Mahasi Sayadaw. Seine Methode der Vipassana-Meditation wird in Burma unter anderem von seinen Schülern Sayadaw U Pandita und U Janaka ( Chanmyay Sayadaw) gelehrt. Beide stehen dort riesigen Meditationszentren vor, die auch von vielen Westlern besucht werden. Einige der wichtigsten westlichen Vipassana Lehrer sind von Mahasi Sayadaw oder seinen Schülern (Sayadaw U Pandita, Sayadaw U Janaka) unterwiesen worden.
Ein weiterer wichtiger Vipassana-Lehrer in Myanmar (Burma) war Sayagyi U Ba Khin. Er war ein ranghoher Regierungsbeamter und leitete gleichzeitig das Interantional Meditation Center. U Ba Khin lernte Vipassana-Meditation von Saya Thetgyi und dieser wiederum von Ledi Sayadaw, einem Mönch, der Ende des 18. Jahrhunderts lebte. Einer der gegenwärtigen Lehrer dieser Kette ist Satya Narayan Goenka. Er ist indischer Herkunft und ist in Myanmar aufgewachsen. Nach vierzehn Jahren der Praxis und Unterrichtung unter der Aufsicht seines Lehrer, U Ba Khin, siedelte S.N. Goenka 1969 nach Indien über und begann dort, Kurse in Vipassana abzuhalten. Von dort breitete sich Vipassana über die gesamte Welt aus. Derzeit gibt es über 80 Meditationszentren in dieser Tradition und jedes Jahr nehmen ca. 100.000 Menschen an den dort angebotenen Kursen teil.
Kurse
Die Meditationstechnik wird in vielen buddhistischen Zentren weltweit gelehrt. Bei Vipassana-Meditation wird häufig darauf wert gelegt, dass der Übende längere Zeit (10-Tages Kurse bis zu mehreren Monaten) die neutrale Beobachtung aller im Geist aufsteigenden Objekte aufrecht erhält, um wesentliche Fortschritte zu erzielen.
Auf der ganzen Welt gibt es zahlreiche Meditationszentren, welche 10-Tage-Kurse in der Tradition von Sayagyi U Ba Khin und S. N. Goenka anbieten. Für die Kurse in dieser Tradition werden keine Gebühren erhoben, auch nicht für Unterkunft und Verpflegung. Alle entstehenden Kosten werden durch Spenden von Teilnehmer/innen früherer Kurse beglichen.
Literatur
- Hart, William: Die Kunst des Lebens - Vipassana-Meditation nach S.N. Goenka (ISBN 3-596-12991-5)
- von Allmen, Fred: Die Freiheit entdecken (ISBN 3924195552)
- Sayadaw U Pandita: Im Augenblick liegt alles Leben - Buddhas Weg der Befreiung (ISBN 350261024X)
- Buddhadasa Bikkhu: Anapanasati - Die sanfte Heilung der spirituellen Krankheit (ISBN 3831132712)
- Jack Kornfield: Frag den Buddha und geh den Weg des Herzens (ISBN 3453872819)
- Sayagyi U Ba Khin: Das ist Buddhismus (ISBN 3-85681-426-4)
- Joseph Goldstein: Ein Dharma (ISBN 3-442-21657-5)
Weblinks
- Internationale Homepage der Vipassana-Vereinigungen (nach S.N. Goenka)
- Homepage der deutschen Vipassana-Vereinigung (nach S.N. Goenka)
- www.vipassana.org (englischsprachig)
- Artikel zum Thema Vipassana/Vipashyana
- Die Ausübung der Vipassana Meditation Vom ehrw. Mahasi Sayadaw
- Retreat-Führer Burma
- 10-Tägige Meditations Kurse in Thailand
- Sayadaw U Pandita
- Insight Knowledges
- Die sieben Betrachtungen
- deutschsprachige Vipassana-Kurse