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Leopold Berchtold

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Philip Alexius de László: Graf Leopold Berchtold, Öl auf Leinwand, 1906

Leopold Graf Berchtold (vollständiger Name: Graf Leopold Anton Johann Sigismund Josef Korsinus Ferdinand Berchtold von und zu Ungarschütz, Frättling, und Püllütz; ungarisch: Gróf Berchtold Lipót; *18. April 1863 in Wien; † 21. November 1942 in Peresznye bei Ödenburg), war ein österreichisch-ungarischer Politiker und einer der Hauptverantwortlichen am Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Leben

Berchtold war von 1906 bis 1911 österreichischer Botschafter in Sankt Petersburg und von 1912 bis 1915 k.u.k. Minister des Äußeren. Er trat sein Amt an, nachdem die Politik seines Vorgängers Alois Lexa von Ährenthal Österreich in internationale Isolation geführt und vor allem das Verhältnis zu Russland verschlechtert hatte. Berchtold verfolgte diesen Kurs weiter. Er war Vertreter einer anti-serbischen Politik und initiierte deshalb - um Serbien vom Mittelmeer fernzuhalten - die Gründung von Albanien. Nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 (Attentat von Sarajevo) formulierte und vertrat er am 23. Juli 1914 das Ultimatum an Serbien, dessen Ablehnung letztlich den Ersten Weltkrieg einleitete.

Nach seiner Entlassung als Außenminister 1915 war Berchtold bis 1918 Obersthofmeister und Berater des Thronfolgers und späteren Kaisers Karl I..

Berchtold starb zurückgezogen am 21. November 1942 auf seinem Gut im ungarischen Peresznye.

Balkankriege 1912/1913

Während des Ersten Balkankrieges, im Oktober 1912, strebte Berchtold, neben minimalen Grenzberichtigungen, einen engen wirtschaftlichen Anschluss Serbiens an die Monarchie an. Einen serbischen Adriazugang lehnte der Außenminister ab. Daher erschuf er ein autonomes Albanien und wollte die wirtschaftlichen Interessen der Monarchie auf dem Balkan, durch den Bau einer Bahn nach dem in einen Freihafen ungewandelten Saloniki, sichern. Seine Zollunionspläne mit Serbien und Montenegro verfolgten den Zweck, diese Staaten durch eine wirtschaftliche Angliederung politisch auszuschalten.[1]

Bereits in der Bosnischen Annexionskrise, noch stärker aber während der Balkankriege, tauchten Pläne auf, die südslawische Frage durch Annexion Serbiens zu lösen. Auch Berchtold war schon beim Gemeinsamen Ministerrat am 2. Mai 1913, während der Skutari-Krise, für die Angliederung Serbiens als gleichberechtigter Teil der Monarchie.[2]

Berchtold enthüllte das politische Programm der Monarchie nach den Balkankriegen in einer noch vor dem Attentat von Sarajevo konzipierten Denkschrift vom 1. Juli 1914:

„Das durch die Expansion Serbiens und die hegemoniale Stellung Rumäniens gestörte Gleichgewicht der Balkanstaaten und der tief herabgesunkene Einfluss Österreich-Ungarns sollten durch eine neue politische Offensive wiederhergestellt und damit die gefährlichen Umtriebe der großserbischen und großrumänischen Irredenta, die einen so mächtigen Antrieb empfangen hatte, zurückgedrängt werden.[3]

Julikrise 1914

Leopold Graf Berchtold

Nach dem Attentat von Sarajevo übernahm der vorher ablehnende Berchtold selbst die Führung der Kriegspartei. Franz Conrad von Hötzendorf wollte auf die Nachricht vom Attentat sofort mit dem Angriff auf Serbien beginnen, aber Berchtold und Kaiser Franz Joseph hielten eine Untersuchung und eine diplomatische Vorbereitung für notwendig.[4] Am Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten vom 7. Juli 1914 forderte Berchtold, Serbien durch eine Kraftäußerung für immer unschädlich zu machen.[5]

Es war Berchtolds Taktik in der Julikrise, so zu tun, als hätte man kein Interesse an der Annexion Serbiens. Österreichisch-ungarische Diplomaten in Sankt Petersburg und London betonten wiederholt, die Monarchie hätte keine Eroberungsabsichten in Serbien. Berchtold ließ dem russischen Außenminister Sasonow mitteilen:

„dass wir bei unserer Aktion gegen Serbien keinerlei territorialen Erwerb beabsichtigen und auch die selbständige Existenz des Königreiches ganz und gar nicht vernichten wollen. ... Die Monarchie ist territorial saturiert und trägt nach serbischem Besitz kein Verlangen. Wenn der Kampf mit Serbien uns aufgezwungen wird, so wird dies für uns kein Kampf um territorialen Gewinn, sondern lediglich ein Mittel der Selbstverteidigung und Selbsterhaltung sein.“

Am 29. Juli hingegen wurde diese Botschaft vermieden: eine Regierung könnte nicht voraussehen, ließ man in London wissen, was sie nach einem siegreichen Krieg tun würde. Es wäre aber natürlich, dass alle auf unser Desinteressement bezüglichen Erklärungen nur für den Fall gelten, dass der Krieg zwischen uns und Serbien lokalisiert bleibe. [6]

Der Gefahr, die durch ein Eingreifen Russlands drohte, war man sich bei den Entscheidungsträgern sehr wohl bewusst, aber man konnte und wollte den dringenden Wunsch, gegen Serbien loszuschlagen, offenbar nicht mehr unterdrücken. Berchtold schrieb noch während der Julikrise, am 25. Juli:

„In dem Augenblicke, wo wir uns zu einem ernsten Vorgehen gegen Serbien entschlossen haben, sind wir uns natürlich auch der Möglichkeit eines sich aus der serbischen Differenz entwickelnden Zusammenstoßes mit Russland bewusst gewesen. ... Wir konnten uns aber durch diese Eventualität nicht in unserer Stellungnahme gegenüber Serbien beirren lassen, weil grundlegende staatspolitische Considerationen uns vor die Notwendigkeit stellten, der Situation ein Ende zu machen, dass ein russischer Freibrief Serbien die dauernde, ungestrafte Bedrohung der Monarchie ermögliche.[7]

Die Verantwortung für diese fatalen Entscheidungen Österreich-Ungarns lag bei Kaiser und König Franz Joseph und seinen Ratgebern: Berchtold, den beiden Ministerpräsidenten Karl Stürgkh und Stephan Tisza sowie Generalstabschef Conrad. Das österreichische Parlament war im März 1914 vom Kaiser und Stürgkh vertagt worden und wurde nicht gefragt.

Italienische Forderungen

Berchtold unterließ es absichtlich, die (offiziell) Verbündeten Italien und Rumänien von der beabsichtigten Aktion gegen Serbien zu unterrichten, da er voraussah, dass diese ihre Zustimmung nur gegen Kompensationen geben würden.[8]

Der italienische Botschafter in Wien erklärte Berchtold am 19. Dezember 1914, Italien verlange Kompensationen auch bei partialer, permanenter oder temporärer ... territorialer Besetzung, aber auch wenn die Monarchie Vorteile nicht territorialer Natur, ja selbst bloß politische Einflussnahme oder wirtschaftliche Privilegien erlange.[9] Durch die deutsche Diplomatie gedrängt, gab Berchtold nach und schlug am 9. Januar 1915 Franz Joseph vor, das Trentino abzutreten. Der Kaiser und der ungarische Ministerpräsident Stephan Tisza wollten aber davon nichts wissen; auf Betreiben des mächtigen Tisza wurde Berchtold am 13. Januar 1915 vom Kaiser als Außenminister enthoben und durch den Ungarn Stephan Burián ersetzt.[10]

Einzelnachweise

  1. Dörte Löding: Deutschlands und Österreich-Ungarns Balkanpolitik von 1912-1914 unter besonderer Berücksichtigung ihrer Wirtschaftsinteressen. Hamburg 1969. S. 38-41
  2. Ludwig Bittner, Hans Uebersberger (Hrsg.): Österreich-Ungarns Außenpolitik von der bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914. Diplomatische Aktenstücke des österreichisch-ungarischen Ministeriums des Äußeren. Wien/Leipzig 1930. Band 6: 324-326 (Nr. 6870) und Band 7 397-399 (Nr.8779)
  3. Hugo Hantsch: Leopold Graf Berchtold. Grandseigneur und Staatsmann. Verlag Styria, Graz/Wien/Köln 1963. Band 1: S. 549
  4. William Jannen, Jr: The Austro-Hungarian Decision For War in July 1914. In: Samuel R. Williamson, Jr, Peter Pastor (Hrsg.): Essays On World War I: Origins and Prisoners of War. New York 1983. S. 55-81. Hier: S. 72 und József Galántai: István Tisza und der Erste Weltkrieg. In: Österreich in Geschichte und Literatur 8 (1964). S. 465-477. Hier: 477
  5. Miklós Komjáthy (Hrsg.): Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918). Budapest 1966. S. 104-105
  6. Imanuel Geiss (Hrsg.): Julikrise und Kriegsausbruch. Eine Dokumentensammlung. Hannover 1963/64. Band . Ab S. 345 und 408 und 448-449
  7. Ludwig Bittner, Hans Uebersberger (Hrsg.): Österreich-Ungarns Außenpolitik von der bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914. Diplomatische Aktenstücke des österreichisch-ungarischen Ministeriums des Äußeren. Wien/Leipzig 1930. Band 8: 721 (Nr. 10685)
  8. Hugo Hantsch: Leopold Graf Berchtold. Grandseigneur und Staatsmann. Verlag Styria, Graz/Wien/Köln 1963. Band 1: S. 567
  9. Hugo Hantsch: Leopold Graf Berchtold. Grandseigneur und Staatsmann. Verlag Styria, Graz/Wien/Köln 1963. Band 2: S. 696
  10. Hugo Hantsch: Leopold Graf Berchtold. Grandseigneur und Staatsmann. Verlag Styria, Graz/Wien/Köln 1963. Band 2: S. 705-717 und Leo Valiani: Verhandlungen zwischen Italien und Österreich-Ungarn 1914-1915. In: Wolfgang Schieder (Hrsg.): Erster Weltkrieg. Ursachen, Entstehung und Kriegsziele. Köln/Berlin 1969. S. 317-346; Hier: S. 326-327

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