Indogermanische Ursprache
Die indogermanische Ursprache (Protoindoeuropäisch, *PIE), auch Indoeuropäisch oder Urindogermanisch (UIG), ist der hypothetische gemeinsame Vorfahre der indogermanischen Sprachen.
Da die Ursprache nicht direkt überliefert ist, wurden alle Laute und Wörter durch die Komparativmethode erschlossen. August Schleicher folgend, markiert man rekonstruierte Formen mit einem Sternchen: *wódr̥ (Wasser), *k̑wō (Hund), *tréyes (drei)“. Viele Wörter in den modernen indogermanischen Sprachen stammen durch regelmäßigen Lautwandel von diesen Urwörtern ab.
Zur Illustration die folgende Tabelle, die die Zahlen von 1 bis 10 sowie 20 und 100 in verschiedenen Folgesprachen und in der indogermanischen Rekonstruktion zeigt.
Griechisch | Vedisch | Latein | Walisisch | Gotisch | Litauisch | Indogermanisch | |
---|---|---|---|---|---|---|---|
1 | heīs (< sems) | eka | ūnus (vgl.a. semel) | un | ains | mi | *oyno-, oyko-, sem- |
2 | duō | dvā | dúō | dau | twai | dù | *duwóh₁ |
3 | treīs | trayas | trēs | tri | þreis | trȳ | *tréyes |
4 | téttares | catvāras | quattuor | pedwar | fidwor | keturi | *kʷetwóres |
5 | pénte | pañca | quinque | pump | fimf | penki | *pénkʷe |
6 | héks | ṣāt | sex | chwech | saihs | šeší | *swék̑s |
7 | heptá | sapta | septem | saith | sibun | septyní | *septḿ̥ |
8 | oktō | aṣṭā | octo | wyth | ahtau | aštuoní | *ok̑tō |
9 | ennéa | nava | novem | naw | niun | devyní | *néwn |
10 | déka | daśa | decem | deg | taihun | dešimt | *dék̑m̥ |
20 | wikati (dorisch) | vimśati | viginti | ugeint (Mittelwalisisch) | dvidešimt | *wīk̑mtī | |
100 | hekatón | śatam | centum | cant | hund | šimtas | *k̑m̥tóm |
Nicht nur Wortgleichungen, sondern auch grammatische Strukturen zeigen in den indogermanischen Sprachen derartig große Gemeinsamkeiten, dass man von einem gemeinsamen Ursprung dieser Sprachen ausgehen kann. Das Gegenmodell eines Sprachbundes, also einer Gruppe voneinander unabhängiger Sprachen, die sich durch gegenseitige Beeinflussung aneinander angenähert haben, wird angesichts der Art der beobachten Phänomene von der weitaus überwiegenden Mehrheit der Forschung ausgeschlossen.
Gleichwohl wäre es verfehlt, sich das Urindogermanische als eine einzelne, so von einer Gruppe von Menschen gesprochene Sprache vorzustellen. Einmal ist natürlich von Sprachelementen auszugehen, die sich in keiner der Folgesprachen erhalten haben und daher nicht rekonstruiert werden können. Dann ist zu beachten, dass die Rekonstruktion ein räumlich ausgedehntes Dialektkontinuum und einen Zeitraum von vielen Jahrhunderten umfasst.
Entwicklung
Aus dem Kontinuum der indogermanischen Ursprache gliederten sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten einzelne Dialektfamilien aus. Die sprachliche Isolierung lässt sich an Eigenheiten im Lexikon und der Morphologie sowie an spezifischen Lautgesetzen ablesen. Dazu gehören unter anderem das Grimmsche und Vernersche Gesetz im Urgermanischen, der Verlust von *p- vor Vokalen im Urkeltischen, der Verlust von *s- vor Vokalen im Urgriechischen und das Brugmannsche Gesetz im Urindoiranischen.
Die Sprachgruppen und ihre ältesten Überlieferungen
- Anatolische Sprachen: Die ältesten Überlieferungen anatolischer Sprachen stammen aus dem 16. Jahrhundert v. Chr.. Das reichhaltigste Material bilden hethitische Keilschrifttexte. Aus anderen anatolischen Sprachen sind Dokumente in weit geringerem Umfang , teils auch in anderen Schriften überliefert. Anatolische Sprachen wurden auf dem Gebiet der heutigen Türkei gesprochen.
- Griechische Sprache: Die ältesten Sprachdokumente sind die Linear-B-Tontafeln aus dem 2. Jahrtausend v. Chr., die das mykenische Griechisch in kurzen listenartigen Verwaltungstexten dokumentieren. Nach der Lücke der dunklen Jahrhunderte finden sich im 8. Jahrhundert v. Chr. die im griechischen Alphabet verfassten Epen Homers und etwas später Hesiods. Daran schließt sich das reichhaltige Korpus der klassischen Griechischen Literatur an.
- Indoarische Sprachen: Die Entstehung der Rigveda in Indien wird in das spätere 2. Jahrtausend v. Chr. angesetzt. Die Überlieferung der vedischen Texte erfolgte zwar bis ins zweite nachchristliche Jahrtausend hinein rein mündlich. Da die vedischen Texte metrisch waren, und eine unverfälschte Bewahrung des Wortlautes dieser Texte hohe religiöse Priorität besitzt, kann von einer sehr guten Erhaltung des Sprachstandes ausgegangen werden. Die daraus entstandene Sanskrit-Sprache wurde von Panini im 5. oder 4. Jahrhundert v. Chr. grammatisch fixiert, aber noch nicht aufgeschrieben. Die ältesten schriftlichen Überlieferungen sind die mittelindischen Inschriften des Maurya-Kaisers Ashoka der Große aus dem 3. Jahrhundert v. Chr.. Sanskrit lebt in der indischen Tradition in der von Panini festgelegten Form bis heute als Bildungs- und Literatursprache fort.
- Iranische Sprachen: Das Avestische, die Sprache der religiösen Texte des Zarathustra wird mit diesen in das 10. Jahrhundert v. Chr. datiert. Auch diese Texte wurden mündlich überliefert und erst Mitte des ersten nachchristlichen Jahrtausends schriftlich festgehalten. Das jüngere Altpersisch wurde unter Darius I. Mitte des 5. Jahrhundert v. Chr. und seinen Nachfolgern in einer eigens dafür entwickelten (aber dennoch zur Wiedergabe der Sprache wenig geeigneten) Keilschrift in einigen wenigen Inschriften festgehalten.
- Italische Sprachen: Die ältesten italischen Sprachdenkmäler stammen aus dem 6. Jahrhundert v. Chr.. Die Masse der Überlieferung bildet natürlich das Korpus der lateinischen Literatur.
- Keltische Sprachen: Kurze Texte sind aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. überliefert. Die meisten Dokumente sind aber viele Jahrhunderte jünger.
- Germanische Sprachen: Nach Namen und kurzen Runentexten ab dem 1. Jahrhundert v. Chr. ist Wulfilas Bibelübersetzung ins Gotische das älteste größere germanische Dokument.
- Armenische Sprache: Die ältesten Überlieferungen Beginnen mit der Schaffung der armenischen Schrift im Jahr 406
- Tocharische Sprachen: In den beiden tocharischen Sprachen sind vor allem buddhistische Texte in einer Form der Brahmi-Schrift vom 6. Jahrhundert bis zum 8. Jahrhundert überliefert. Sie wurden im heutigen Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang im äußersten Nordwesten Chinas gesprochen.
- Slawische Sprachen: Die älterste überlieferte slawische Sprache ist das Altkirchenslawische aus der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts. Sie werden mit den ab dem 14. Jahrhundert überlieferten baltischen Sprachen in die große Gruppe der baltoslawischen Sprachen zusammengefasst. Diese Sprachen zeichnen sich durch eine besonders konservative Morphologie aus,
- Albanische Sprache: Die ältesten albanischen Texte stammen aus dem 15. Jahrhundert.
Daneben gibt es noch einige alte, nur in geringem Umfang überlieferte Einzelsprachen, zum Beispiel die in der Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. gesprochene, in Inschriften in griechischer Schrift überlieferten Phrygische Sprache.
Phonologie
Es wird angenommen, dass die indogermanische Ursprache folgende Phoneme verwendete:
Konsonanten
labial | koronal | palatovelar | velar | labiovelar | laryngal | |
---|---|---|---|---|---|---|
Stimmlose Plosive | p | t | k̑ | k | kʷ | |
Stimmhafte Plosive | b | d | g̑ | g | gʷ | |
Aspirierte Plosive | bʰ | dʰ | g̑ʰ | gʰ | gʷʰ | |
Nasale | m | n | ||||
Frikative | s | h₁, h₂, h₃, | ||||
Approximanten | w | r, l | y |
Nasale, Frikative und Approximanten werden als Resonanten bezeichnet.
Die Bezeichnung „laryngal“ wurde historisch eher willkürlich gewählt. Es handelt sich um drei unbekannte Laute (manche Forscher schlagen auch andere Anzahlen vor). Ein verbreitetes Modell (das auch gern als „Arbeitsaussprache“ gewählt wird, schlägt /h/ für h1, /x/ (den ach-Laut) für h2 und die labialisierte Form davon als h3 vor.
Die so genannte Glottaltheorie revidiert dieses klassische Rekonstruktionssystem in Hinblick auf die Verschlusslaute in großem Ausmaß. Diese Revision bezieht sich wesentlich auf die Phonetik, also die vermutete Aussprache der Laute; das phonologische System (die Bezüge der Laute zueinander) als ganzes wird von ihr kaum verändert.[1] Anlass für die Glottaltheorie lieferten das seltene Auftreten des Lautes b sowie die ungewöhnliche Konstellation aspirierter stimmhafter Plosive bei Abwesenheit aspirierter stimmloser Plosive. Diese Theorie wird heute noch diskutiert, ist aber nicht die Mehrheitsmeinung der Experten.
Auftreten der Konsonanten
labial | koronal | palatovelar | velar | labiovelar | laryngal | |
---|---|---|---|---|---|---|
Stimmlose Plosive | ped-, pod- (Fuß) | ters- (trocknen) | k̑erd (Herz) | lewk (leuchten) | kʷi-, kʷo- (wer?, was?) | |
Stimmhafte Plosive | bel- (Kraft, debil = „geistig kraftlos“) | dek̑m̥ (zehn) | g̑onu, g̑enu (Knie) | gras- (essen, grasen) | negʷ-, nogʷ- (nackt) | |
Aspirierte Plosive | bʰer- (tragen, vgl. Bahre) | medʰyo- (mittel) | h₂eng̑ʰ- (einengen) | gʰladʰ- (glatt) | gʷʰermo- (warm) | |
Nasale | men (denken, vgl. „meinen“) | nas- (Nase) | ||||
Frikative | sed- (sitzen) | h₂weh₁ (wehen), deh₃ (geben, lat. „dare“), | ||||
Approximanten | newo- (neu) | pro (vorwärts), lewk- (leuchten) | h₂ayes- (Metall, vgl „Eisen“) |
Entwicklung der Konsonanten in den Folgesprachen
In fast allen Folgesprachen sind die drei Velargruppen zu zwei zusammengefallen. Dabei heißen die Sprachen, bei denen die Palatovelare sich mit den einfachen Velaren mischten, Kentumsprachen (nach der Aussprache des lateinischen Wortes für hundert), und diejenigen, bei denen die Labiovelare sich mit den einfachen Velaren mischten, Satemsprachen (nach dem avestischen-Wort für hundert). Vor der Entdeckung der tocharische Sprachen sah man hier die Nachwirkung zweier indogermanischer Dialektgruppen, Kentum im Westen und Satem im Osten. Da die weit östlich lokalisierten tocharischen Sprachen aber Kentumsprachen sind, geht man heute von unabhängigen Entwicklungen in den einzelnen Sprachgruppen aus.
In den Kentumsprachen haben sich die Labiovelare oft zu Labialen weiterentwickelt (z.B. im Keltischen und teilweise im Griechischen.) In den Satemsprachen wiederum entwickelte sich aus dem Palatovelar oft ein Frikativ (slawische Sprachen, Sanskrit).
Die stimmlosen Plosive blieben in den Folgesprachen ansonsten weitgehend unverändert, außer im Germanischen und Armenischen, wo Lautverschiebungen hin zu Frikativen und Aspiraten stattfanden. Auch die stimmhaften Plosive erfuhren nur im Germanischen und im Tocharischen Änderungen (sie wurden stimmlos).
Die stimmhaften aspirierten Plosive blieben nur in den indoarischen Sprachen erhalten (meist bis in die Gegenwart) und verloren in den anderen Sprachen meist ihre Aspriation oder ihre Stimmhaftigkeit (so im Griechischen).
Die Laryngale sind nur im Hethitischen direkt erhalten (dort findet man ein h und ein hh). Es finden sich aber Reflexe in benachbarten Vokalen; am deutlichsten im Griechischen, wo h₁ ein e, h₂ ein a, und h₃ ein o bewirkt hat.
Vokale, Diphtonge syllabische Resonanten und Laryngale
Die fünf Vokale a, e, i, o, u kamen in kurzer und in langer Form im Indogermanischen vor. (Das lange ī und das lange ū werden von manchen nicht anerkannt, sondern auf Kombinationen der entsprechenden Kurzvokale mit Laryngalen zurückgeführt.) Die Vokale e und o in kurzer und langer Form nehmen hier den weitaus größten Raum ein. Auch die Resonanten m, n, r, l, und die Laryngale kamen in vokalischer Verwendung vor. Die entsprechenden Resonanten werden dann oft mit einem kleinen Kreis unter dem Vokal markiert. Beziehungen zwischen kurz- und Langvokalen, konsonantischen und syllabischen Resonanten und Laryngalen ergeben sich morphophonologisch aus Ablautphänomenen.
Die Diphtonge waren ey, oy, ay, ew, ow, aw, und seltener mit Langvokal ēy, ōy, āy, ēw, ōw, āw.
Beispiele
*g̑áns (Gans), *māter (Mutter) *nébʰeleh₂ (Wolke), *ph₂tḗr (Vater), *nisdó (Nest), *vīs- (Gift, lat. virus), *gʰosti (Gast), *wédōr (Wasser), *h₁rudhró (rot), *nūn (jetzt); *deyk- (zeigen) *óyno-(eins) *kayko- (blind, einäugig, lat. caecus), *téwteh₂ (Volk, vgl. deutsch), *lowkó (Lichtung, lat. lucus), *tawro (Stier, lat. taurus), Dativendung *-ōy (vgl altgriechisch -ῳ), *dyḗws (Himmelsgott, vgl. lat deus, gr. Zeus); *km̥tóm (hundert), Vorsilbe *n̥ (Vorsilbe un-) , mr̥tó (tot), ml̥dú (weich),.
Entwicklung in den Folgesprachen
Die Vokale blieben im Altgriechischen zunächst unverändert erhalten. Das u (das griechische Ypsilon) wurde allerdings zur Zeit des Homer oder kurz danach zu ü gerundet. Im Ionischen und Attischen Dialekt wurde das A zu einem Ä/E (griechisches Eta). In späteren Entwicklungen des Griechisch vereinfachte sich das Vokalsystem stark durch Zusammenfall vieler Vokale und Diphtonge, meist zu i, wobei auch die Unterscheidung zwischen langen und Kurzen Vokalen verlorenging. Auch die italischen Sprachen, darunter Latein erhielten die Vokale.
Im Indoiranischen fielen die Vokale e, o und a zu a zusammen (jeweils in der kurzen und der langen Form). Auch im Germanischen wurde das o zu a.
Die Kurzdiphtonge werden im Griechischen fortgesetzt, ow wurde dabei zu u (aber noch als Diphtong ου geschrieben), ey zu einem langen e (ebenfalls als Diphtong ει geschrieben). Die Langdiphtonge fielen mit ihren Anfangsvokalen zusammen (In der Schrift ist der ehemalige Diphtongcharakter noch erkennbar im Iota Subscriptum: ῳ ῃ) In der Entwicklung zum Neugriechischen hin wurden auch die restlichen Diphtonge monophtongisiert.
Im Vedischen Sanskrit wurden die Kurzdiphtonge oy, ay und ey zunächst zu ai, dann zu einem langen e, entsprechend entstand aus ow, aw, ew über au das lange o. (Kurze e und o kommen nicht vor). Aus den Langdiphtongen wurden dann die einfachen Diphtonge ai und au.
Die silbischen Resonanten haben in den meisten Folgesprachen die syllabische Eigenschaft verloren. Es entwickelten sich Sproßvokale, die mitunter auch den ursprünglichen Resonanten ganz verdrängten. So wurde die Vorsilbe n̥- im Lateinischen zu in-, im Germanischen zu un- im Griechischen und Indoiranischen zu a-. Das syllabische r̥ hat sich im Indoranischen und im Slawischen noch erhalten (im Sanskrit auch noch rudimentär das l̥). entwickelte aber später auch einen Sproßvokal i (Daher die Aussprache Sanskrit für saṃskṛtam).
Akzent
Der Wortakzent ist in den Veden und im Griechischen in der Schrift gekennzeichnet. In einigen anderen Sprachen (z.B. vielen slawischen und baltischen Sprachen) hat sich der indogermanische Akzent im Prinzip erhalten. Dennoch kann man nur teilweise Aussagen treffen. Ziemlich sicher ist, dass in der Spätphase des Indogermanischen vor der Trennung in die Folgesprachen der Akzent melodisch, nicht dynamisch war. Darüberhinaus war er beweglich, das heißt, dass die Akzentposition pro Wort frei war und nicht festen Regeln, (die sich z.B. wie später im Lateinischen aus der Silbenlänge ergaben), unterworfen war.
Viele Wörter (nach verbreiteter, aber nicht generell akzeptierter Auffassung in der Frühphase z.B. sämtliche Verben) waren enklitisch: sie trugen keinen eigenen Akzent sondern verschmolzen prosodisch mit den davor stehenden Worten.
Die Akzentposition hatte vor allem beim Substantiv auch morphologische Bedeutung und diente (neben anderen Mitteln wie Endungen und Ablaut) zur Kenzeichnung der Fälle.
Im Germanischen und im Italischen wurde der mobile Akzent bald durch eine feste Betonung der ersten Wortsilbe abgelöst. Damit verbundenen waren lautliche Veränderungen der unbetonten Vokale, aus denen man heute z.B. Rückschlüsse auf die ursprüngliche indogermanische Akzentposition ziehen kann (Vernersches Gesetz im Germanischen). Im Lateinischen wurde die Erstsilbenbetonung zum klassischen Latein hin noch einmal durch die heute bekannten Akzentregeln abgelöst; im Germanischen entwickelte sich die Erstsilbenbetonung zum heutigen Prinzip der Stammsilbenbetonung weiter.
Morphologie und Morphosyntax
Das Wort
Ein typisches indogermanisches Wort war aufgebaut aus Wurzel, Suffix und Endung; Wurzel und Suffix gemeinsam heißen Stamm. (Natürlich hatten nur flektierbare Wörter wie z. B. Substantive, Verben, Adjektive eine Endung).
Eine vergleichbare Bildung im Deutschen ist z.B. in les-bar-e (Texte) zu finden: Die Wurzel "les", die auch in Lesung, Lese, lesen, leserlich vorkommt, der Suffix "bar", der hier eine Möglichkeit bezeichnet, und die Endung "-e" die hier für den Plural steht. Anders als die Bezeichnung „Suffix“ erwarten lässt, steht das Suffix in der Mitte des Wortes, am Ende des Wortstammes.
- Die Wurzel eines Wortes beinhaltet die zentrale Bedeutungsaussage, (nicht aber die Wortart). Wurzeln sind fast immer einsilbig und besitzt den Aufbau Plosiv - (Resonant) - Vokal - (Resonant) - Plosiv. Die Resonanten dürfen dabei wegfallen.
Beispiele: sweh2d ‚süß‘. melh2 ‚mahlen‘, dhwer ‚Tür‘, ped ‚Fuß‘.
- Das Suffix spezifiziert die Bedeutung auf eine Weise, die den deutschen Vorsilben (be-arbeiten, ver-arbeiten) vergleichbar ist. Ihre semantische Funktion ist oft nicht mehr eindeutig zu fassen, und oft verschmilzt der Suffix mit Wurzel und Endung bis zur Unkenntlichkeit.
Beispiele: -lo- Verkleinerung (vergl. lateinisch -ul-) , -ko-, -iko-, -isko: Herkunft, Material (lat bellum Krieg, bellicus kriegerisch, Althochdeutsch diut-isc zum Volk gehörig > (Volkssprache ‚Deutsch‘ im Gegensatz zum Latein).
- Während die Suffixe eher als Elemente der Wortbildung angesehen werden, bilden die Endungen den Hauptträger des Flexionssystems.
Vorsilben (Präfixe) kamen in zunächst nur vereinzelt vor. Die wichtigsten Beispiele sind
- die Verneinungsvorsilbe *n̥-,
- die Reduplikation (die Voranstellung einer (meist verkürzten) Version der Wortwurzel, wie z.B. im Lateinischen: Präsens po-sc-o (ich fordere), Wurzel po- Perfekt po-po-sc-i, im Griechischen δί-δω-μι ich gebe. Die Reduplikation kommt in der Konjugation oft zur Kennzeichnung des Perfekts, aber auch des Präsens vor.
- das Augment, ein vorangestelltes *h₁e-, das in Verben die Vergangenheit bezeichnet. (Da es nur im Griechischen, Indoiranischen und Armenischen belegt ist, geht man beim Augment von einer regional begrenzten Erscheinung aus).
In späteren Sprachstufen kamen Vorsilben durch Komposition mit Präpositionen und Adverbien vermehrt auf; sie blieben meist auch in den Folgesprachen klar vom Wortstamm abgegrenzt, während die Suffixe meist bis zur Unkenntlichkeit mit dem Wortstamm oder der Wortendung verschmolzen sind.
Ablaut
Wurzel, Suffix und Endung des indogermanischen Wortes waren der Ablautbildung unterworfen. Das Ablautsystem unterschied fünf Stufen: Die vokallose Schwundstufe, die Grundstufen auf -e- und -o-, und die Dehnstufe auf -ē- und -ō-. Andere Vokale entstanden durch sekundäre Bildungen in Verbindung mit diesen fünf Vokalen und Laryngalen, sowie vor allem durch Längung von y und w zu i und u in der Schwundstufe. Auch l, m und n und Laryngale wurden in der Schwundstufe zu syllabischen Lauten mit vokalischer Rolle gelängt. Einige elementare a sind bekannt, es sind aber deutlich weniger als die e/o.
Der Ablaut war wichtiges Element der Wortbildung (griech. λέγω lego ich spreche, λόγος logos das Wort), aber auch der Flexion, wo er neben Akzentposition und Endung zur Unterscheidung von z.B. Person, Aspekt, Kasus diente.
Bei wenigen sind alle Ablautstufen belegt; ein solches Beispiel liefert das Verwandschaftssuffix „ter“ im griechischen Wort für „Vater“: πατήρ Nom. Sg. (e-Dehnstufe), πατέρα Akk. Sg. (e-Vollstufe), πατρός Gen Sg. (Schwundstufe). εὐπάτωρ gut als Vater, Beiname des Mithridates VI. (o-Dehnstufe), εὐπάτορα dass. im Akk. (o-Vollstufe).
In den Folgesprachen gab es unterschiedliche Entwicklungen. Im Altgriechischen findet man alle Stufen vor, im Sanskrit sind e und o zu a zusammengefallen, so dass nur noch drei quantitative Stufen übrig blieben (in der Sanskritgrammatik als Grundstufe, guṇa und vṛddhi bekannt), die aber noch zahlreicher auftreten als im Griechischen. In den Germanischen Sprachen hat sich der Ablaut in den Verben zu der bekannten bunten Vokalvielfalt mit zahlreichen und vor allem im Deutschen immer zahlreicher werdenden Ablautreihen.
Man vermutet, dass der Ursprung des Ablautes in phonetischen Effekten liegt, die phonologisiert und morphologisiert wurden, ähnlich wie es im Deutschen (und in geringerem Maß im Englischen) mit dem vom Ablaut unabhängigen Effekt des Umlautes geschehen ist, (man - men, Mann - Männer, ich laufe, du läufst), der aus einem Vokalharmonieeffekt entstanden ist und später zur Unterscheidung grammatischer Formen diente.
Themenvokal
Ein besonders wichtiges Suffix ist der Themenvokal e/o. Eine Bedeutung ist nicht fassbar, er tritt bei manchen Substantiven und Verben zwischen Stamm und Endung (Bei Substantiven meist als o, bei Verben variabel als e oder o). Die entsprechenden Flexionsparadigmen heißen thematisch bzw. athematisch. Die athematischen Flexionen sind vor allem wegen der lautlichen Effekte am Kontakt von Stamm und Endung komplizierter als die thematischen. Im Laufe der Zeit und in den Folgesprachen gingen immer mehr Wörter von den athematischen in die thematischen Klassen über. Beim Substantiv ist die thematische Klasse im Lateinischen und Griechischen die o-Deklination. Die athematischen Verben im Griechischen sind die „Verba auf -μι“, im Lateinischen einige wenige unregelmäßigen Verben wie esse, velle, ferre, ire. Die sogenannte Konsonantische Konjugation des Lateinischen (dicere) ist nicht athematisch, sondern eine e-Konjugation im Unterschied zur ē-Konjugation (monēre).
Substantive
Substantive wurden nach Numerus und Kasus flektiert und nach Genus klassifiziert.
Numerus
Es gab drei Numeri: Singular, Dual und Plural. Der Dual bezeichnet dabei eine Zweizahl von Objekten. Es wird (vor allem wegen der Abwesenheit des Dual im Hethitischen) angenommen[2], dass der Dual in früheren Sprachstadien noch nicht verhanden war, und dann über die Bezeichnung natürlicher Paare (z. B. Körperteile) und der an den zwei Personen ich und du orientierten Dialogsituation entstand. Im Vedischen sieht man den Dual als Numerus zur generellen Bezeichnung der Zweizahl, im Griechischen wurde er nur für natürliche Paare verwendet. In den Folgesprachen ist der Dual fast völlig ausgestorben; am längsten hat er sich naheliegenderweise in der Flexion von Wörtern wie „zwei“ oder „beide“ gehalten.
Es wird für das frühe Indogermanisch ein weiterer Numerus zur Bezeichnung von Kollektiven angenommen, also zur Bezeichnung einer Vielheit von Objekten als eine Einheit (etwa "Menschheit" im Unterschied zu "Menschen"). Als Relikt finden sich im Lateinischen die beiden Pluralformen „loci“ und „loca“ von locus (Ort), wobei „loca“ den Kollektiv bezeichnet.
Kasus
Ausgehend von den acht Kasus des Sanskrit geht man auch von acht Kasus im Indogermanischen aus. Diese sind der Nominativ (Satzsubjekt), Vokativ (Anrede), Akkusativ (direktes Objekt), Instrumental (Mittel, Werkzeug), Dativ (indirektes Objekt), Ablativ (Bewegung vom Gegenstand weg), Genitiv (nominales Attribut), Lokativ (Am Ort des Gegenstandes). Ein eventueller neunter Kasus Direktiv oder Allativ (Bewegung zum Gegenstand hin) wird angesichts einiger Spuren im Althethitischen diskutiert.
In den Folgesprachen ist die Anzahl der Kasus zurückgegangen, so fielen zum Beispiel im Latein der Instrumental, der Lokativ (bis auf ein paar Spuren) und der Ablativ zu einem einzigen Kasus „Ablativ“ zusammen. Im Slawischen findet man noch sieben Fälle, hier ist der Ablativ mit dem Genitiv verschmolzen.
Einen Sonderfall bilden die beiden tocharischen Sprachen, bei denen die Anzahl der Fälle sogar zugenommen hat. Allerdings gehen nur vier der Fälle auf das Indogermanische zurück; die anderen sind Innovationen, die von agglutinierenden Nachbarsprachen ausgelöst wurden.
Genus
Im Indogermanischen gab es drei Genera, Maskulinum, Femininum und Neutrum. Aufgrund des hethitischen Befundes nimmt man an, dass in der Frühphase die Einteilung in Maskulina und Feminina nicht existierte. Stattdessen gab es Animata und Inanimata, also belebte Subjekte und unbelebte Objekte. Aus den Inanimata wurden die Neutra, während sich die Einteilung zunächst der Animata in Maskulina und Feminina vermutlich in Verbindung mit einer Einteilung in männliches und weibliches Geschlecht mit der Zeit bildete.
Die Inanimata/Neutra konnten nicht Subjekt eines Satzes sein, folglich gab es für sie keinen Nominativ (wie es noch in den Folgesprachen zu beobachten ist, wo der Akkusativ (bzw. im Hethitischen ein auf den Instrumental zurückgehender Kasus) bei Neutra die Rolle des Nominativ übernimmt). Ebenso hatten sie keinen Vokativ.
Es wird angenommen, dass Inanimata nur den Kollektivplural hatten. Eine Spur hiervon wäre das Phänomen des Altgriechischen, dass bei einem Subjekt im Neutrum Plural das Verb im Singular steht.
Deklination
Endungsschemata
Die folgende Tabelle zeigt rekonstruierte Endungsschemata einschließlich der charakteristischen Suffixe.
Singular | |||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Thematisch | Athematisch | ||||||||
o-Stämme | Kons. | eh₂-Stämme | i-Stämme | u-Stämme | |||||
m (f) | n | m/f | n | f | m/f | n | m/f | n | |
Nominativ | -o-s | = akk. | -s, -ø | = akk. | -eh₂-ø | -i-s | = akk. | -u-s | = akk. |
Vokativ | -e-ø | -ø | -eh₂-Ø' | -ey-ø | -ew-ø | ||||
Akkusativ | -o-m | -m̥ | -eh₂-m | -i-m | -u-m | ||||
Instrumental | -o-h₁, -e-h₁ | -(e)h₁ | -eh₂eh₁ | -i-h₁ | -u-h₁ | ||||
Dativ | -ōy (< -o-ey) | -ey | -eh₂-ey | -ey-ey | -ew-ey | ||||
Ablativ | -ōt | -s, -es, -os | -eh₂es, -eh₂os | -oy-s | -ow-s | ||||
Genitiv | -os(y)o | ||||||||
Lokativ | -o-y, -e-y | -i,-ø | -eh₂-i | -ēy-ø | -ēw-ø | ||||
Plural | |||||||||
Thematisch | Athematisch | ||||||||
o-Stämme | Kons. | eh2-Stämme | i-Stämme | u-Stämme | |||||
m (f) | m/f | n | f | n | m/f | n | m/f | n | |
Nominativ | -ōs (< -o-es) | -e-h₂ | -es | -h̥₂ | -eh₂-es | -ey-es | -i-h₂ | -ew-es | -u-h₂ |
Vokativ | |||||||||
Akkusativ | -o-ms | -m̥s | -eh₂-ms | -i-ms | -u-ms | ||||
Instrumental | -ōys, -o-mis | -bʰis, -mis | -eh₂-bʰis, -eh₂-mis | -i-bʰis, -i-mis | -u-bʰi, -u-mis | ||||
Dativ | -o-bʰos, -o-mos | -bʰos, -mos | -eh₂-bʰos, -eh₂-mos | -i-bʰos, -i-mos | -u-bʰos, -u-mos | ||||
Ablativ | |||||||||
Genitiv | -ōm | -om | -eh₂-om | -y-om | -w-om | ||||
Lokativ | -oysu | -su | -eh₂-su | -i-su | -u-su |
Über den Dual kann kaum eine Aussage gemacht werden, außer dass die Endung im Nominativ/Vokativ/Akkusativ -h₁ oder -e gewesen sein dürfte.
Die i- und u-Stämme verhalten sich wie andere athematische Substantive auch und bilden noch keine eigentlichen eigenen Deklinationsklassen. In vielenen Folgesprachen haben sie allerdings durch Lautverschmelzungen und Analogiebildungen ein Eigenleben entwickelt.
Bei der thematischen (-o)-Deklination haben sich die Endungssätze über die Zeit hin mehr und mehr von den athematischen Endungen entfernt. Auffällig ist das Genitiv-i im Lateinischen und Keltischen, das zu der (heute verworfenen) Annahme einer Italo-Keltischen Untergruppe der Indogermanischen Sprachen geführt hat.
Die (athematischen) eh₂-Feminina sind der Ursprung der a-Deklinationen der verschiedenen Folgesprachen (im Sanskrit die thematische o-Deklination zu der hiermit nicht zu verwechselnden a-Deklination geworden, die Feminina enden auf langem ā). Da diese Stämme oft die weiblichen Versionen männlicher Wörter der o-Stämme bilden, kam es zu Angleichungen der Endungsschemata in den Folgesprachen. Eine Variante der eh₂-Feminina sind die yeh₂-Feminina, die zu der großen Gruppe der ī-Feminina im Sanskrit geführt hat.
Im Lateinischen findet man eine Gruppe von maskulinen Berufsbezeichnungen auf -a (poeta, agricola), die dem femininen Deklinationsschema folgen.
Akzent- und Ablautklassen
Zusätzlich zu den Endungen werden die Kasus der Athematischen Substantive durch die Position des Akzents und die Ablautstufe der Elemente Wurzel, Suffix und Endung markiert. Dieses ältere System ist im Sanskrit und im Griechischen noch deutlich, im Lateinischen noch ansatzweise im Unterschied zwischen Nominativstamm und dem Stamm der anderen Kasus in der konsonantischen Konjugation (z.B. nomen, nominis) erkennbar.
Hierzu wird zwischen starken Kasus und schwachen Kasus unterschieden. Die starken Kasus sind Nominativ, Vokativ und Akkusativ im Singular und Dual, Nominativ und Vokativ im Plural; alle anderen Kasus sind schwach. Es gibt nun vier Deklinationsklassen (manche postulieren weitere Klassen oder benennen sie anders): akrostatische, proterokinetische, hysterokinetische und amphikinetische Substantive. Die folgende Tabelle zeigt die typischen Situationen.
Akrostatisch | Proterokinetisch | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
Wurzel | Suffix | Endung | Wurzel | Suffix | Endung | ||
Starke Kasus | Akzent o-Stufe nókʷ-t-s (Nacht) |
Akzent e-Stufe mén-ti-s (Gedanke) |
|||||
Schwache Kasus | Akzent e-Stufe nékʷ-t-s (Gen.) |
Akzent e-Stufe mn̥-téy-s (Gen.) |
|||||
Hysterokinetisch | Amphikinetisch | ||||||
Wurzel | Suffix | Endung | Wurzel | Suffix | Endung | ||
Starke Kasus | Akzent e-Stufe ph₂-tér-s (Vater) |
Akzent e-Stufe h₂éw-sō-s (Morgenröte) |
ō-Stufe (Nom) o-Stufe (Akk.Sg.) |
||||
Schwache Kasus | Akzent e-Stufe ph₂-tr-és (Gen.) |
Akzent e-Stufe h₂u-s-és (Gen.) |
Die leeren Felder bezeichnen die unbetonte Schwundstufe.
Bei den sogenannten Wurzelsubstantiven ist der Suffix leer. Sie kommen mit statischem und mobilem Akzent vor.
Der Wechsel von einer Akzent/Ablautklasse in eine andere war ein Mittel der Wortbildung. Ein Beispiel: Proterokinetisch bʰlég̑hmn̥ (heiliges Wort, vgl. skr. brahmaṇ), amphikinetisch bʰlég̑hmōn (Priester, skr. brāhmaṇa).
Adjektive
Adjektive wurden wie die Substantive nach Numerus und Kasus, aber anders als diese auch nach Genus dekliniert. Die Formen sind dabei dieselben wie die der Substantive (und ein Adjektiv konnte auch als Substantiv verwendet werden). Die Großzahl der Adjektive folgt im Maskulinum und Neutrum der o-Deklination, im Femininum der eh₂ oder yeh₂-Deklination. Auch i- und u- oder konsonantisch-stämmige Adjektive kamen vor; das Femininum wurde manchmal durch das yeh₂-Suffix, manchmal gar nicht gesondert bezeichnet.
Eine zusätzliche Flexion der Adjektive ist die Steigerung. Der Komparativ wird durch das aphikinetischen Suffix -yos (-yōs -is) (lateinisch maior größer) oder das thematische Suffix -tero- (griechisch σοφώτερος weiser) bezeichnet. Der Superlativ hat die Suffixe -m̥mo- (lat. minimus der kleinste) oder -isto- (griech. μέγιστος der größte). Die lateinische Superlativendung „issimus“ geht auf eine Kombination des Komparativsuffix -is- mit dem Superlativsuffix -m̥mo- zurück).
Pronomina
Die Rekonstruktion der verschiedenen Formen der Pronomina ist nur unvollständig möglich.
Personalpronomina
Die Personalpronomina der ersten und zweiten Person (für die dritte Person siehe unter Demonstrativpronomina) hatten keine Genusunterscheidung. Es gab Singular, Dual und Plural; dabei muss aber beachtet werden, dass „wir“ nicht im genau selben Sinne der Plural von „ich“ ist wie „Personen“ der Plural von „Person“, da die Rollen des Sprechers und des Angesprochenen sich nicht ohne weitere in diese Kategorien einbeziehen lassen. Entsprechend gibt es auch im Singular ganz andere Wortwurzeln als im Plural.
Die Personalpronomina hatten jeweils eine betonte und eine enklitische Form. Im Griechischen und Indoiranischen hat sich diese Unterscheidung gehalten; in anderen Folgesprachen hat sich der Formenbestand der beiden Typen vermischt. Die enklitische Form kam nicht in allen Kasus vor.
ich | du | wir | ihr | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
betont | enkl. | betont | entkl. | betont | enkl. | betont | enkl. | |
Nominativ | eg̑óh₂, eg̑h₂óm | – | túh₂ | – | wéys | – | yúhs | – |
Akkusativ | mḗ | me | tḗ | te, twe | n̥smé | nos | usmé | wos |
Dativ | méne | moy | téwe | toy | n̥sméi | ? | usméi | ? |
Genitiv | meg̑ʰey, meg̑ʰyom | tebʰey tebʰyom | n̥sméi | usméi |
Reflexivpronomen
Vom Reflexivpronomen *swe/*se lassen sich die Dativform *soy und der enklitische Akkusativ *se rekonstruieren.
Demonstrativpronomina
Wie auch in den modernen Sprachen gab es verschiedene Demonstrativpronomina, die verschiedene Arten/Grade der Demonstrativität ausdrückten. (Vgl. er, dieser, jener, derselbe).
Das Pronomen *so/*seh₂/*to- (er/sie/es) wurde - in attributiver Verwendung - auch Ausgangspunkt des bestimmten Artikels (im Griechischen, in gewissem Sinne auch im Sanskrit; viel Später auch im Deutschen). Einige Formen: ? tóysu
Singular | Plural | |||
---|---|---|---|---|
mask. | neutr. | mask. | neutr. | |
Nom. | só | tód | tóy | téh₂ |
Akk. | tóm | tóns | ||
Instr. | tóh₁ | tōys | ||
Dat. | tósmōy | ? | ||
Gen. | tósyo | tóysom | ||
Lok. | ? | tóysu |
Dieses Pronomen findet man z.B. im deutschen „das“ und im griechischen Artikel ὁ, ἡ, το, im skr. tad.
Ein zweites Demonstrativpronomen *i- (Ablaut *ei-) entspricht dem Lateinischen is, ea, id, skr. ayam, iyam, idam
Interrogativ-,Indefinit- Relativpronomina
Als Fragepronomen wird substantivisch *kʷi-, adjektivisch *kʷo- rekonstruiert. Daraus, dass diese eine eigene Form für das Neutrum, aber keine Genusunterscheidung zwischen Maskulinum und Femininum kennen, schließt man auf das hohe Alter dieser Formen.
In enklitischer Form hatten die Fragepronomina indefinite Bedeutung („wer auch immer“).
Das Relativpronomen geht ebenfalls auf das Fragepronomen zurück und entwickelt z.T. eigene Formen. Ein weiterer Relativstam war *yo- eventuell mit einleitendem Laryngal; dieser ist im Sanskrit als Relativpronomen yad, im Griechischen als ὁ, im Keltischen als yo bekannt.
Einige rekonstruierte Formen des Interrogativpronomens:
Singular | Plural | |||
---|---|---|---|---|
mask., fem. | neutr. | mask., fem. | neutr. | |
Nom. | kʷis | kʷid | kʷéyes | kʷih₂ |
Akk. | kʷim | |||
Instr. | kʷih₁ | |||
Dat. | kʷósyo | kʷésyo | ||
Gen. | kʷósmōy | kʷésmōy |
Weitere pronomiale Bildungen
Es wurden dem Possesivpronomen entsprechende Adjektive rekonstruiert. Der Genitiv des personal/Demonstrativpronomens füllt aber meist diese Funkton. Weitere Wörter (ein anderer, keiner, die Zahlwörter etc.) passen von der Rolle wie der Flexion in das System der Pronomina.
Verben
Das indogermanische Verb wurde nach Numerus, Person, Aspekt (Linguistik), Tempus/Modus und Diathese (Linguistik) flektiert. Zusätzlich gab es mehr oder weniger produktive Verfahren, die (meist durch ein geeignetes Suffix) die Bildung neuer abgeleiteter Verben (z.B. Kausativ, Desiderativ) ermöglichten. Andere Suffixe erlaubten die Bildung von Verben aus Substantiven/Adjektiven (Denominativ) oder umgekehrt die Bildung von Adjektiven/Substantiven aus Verben (Partizip, Gerundivum, Gerundium usw.).
Es wird angenommen, dass in einer Vorform des Indogermanischen die Suffixe für Tempus, Aspekt, Aktionsart etc. freier miteinander kombinierbar waren, so das nicht zwischen Wortbildung und Flexion getrennt werden kann. Daraus entwickelte sich das „klassische“ indogermanische Verbalsystem, das in seiner vollen Ausprägung vor allem im Griechischen und im Indoiranischen feststellbar ist. In manchen Folgesprachen (z.B. Latein, entfernter schon Germanisch) kann man einen späteren Umbau dieses Systems feststellen, im Fall des Hethitischen geht man eher davon aus, dass sich das klassische System erst nach der Abspaltung der Sprache entwickelt hat.
Numerus und Person entsprechen dem, was aus modernen indogermanischen Sprachen bekannt ist, wobei natürlich der Numerus des Dual dazukommt.
Aspekt
Die wichtigste Kategorie des indogermanischen Verbs ist nicht etwa das Tempus (wie die Bezeichnung „Zeitwort“ für „Verb“ vermuten lassen könnte), sondern der Aspekt. Der Aspekt drückt die zeitliche Haltung des Sprechers zum berichteten Ablauf aus: der perfektive Aspekt sieht den gesamten Handlungsablauf in seiner Einordnung in den Berichtsablauf („abgeschlossene Handlung“), im imperfektiven Aspekt liegt der berichtete Zeitpunkt innerhalb des Handlungsablaufs, und im resultativen Aspekt ist der Bericht auf das Ergebnis des Ablaufs konzentriert.
Den drei Aspekten entsprechen die indogermanischen Formengruppen Präsens (imperfektiv), Aorist (perfektiv), und Perfekt (resultativ); (die Bezeichnung „Tempus“ sollte hier vermieden werden). Das Perfekt nimmt allerdings eine Sonderstellung ein:
Man vermutet, dass es in einer früheren Sprachstufe zwei Arten von Verben (bzw. eigentlich zwei verschiedene Wortarten) gab: die Aktionsverben und die Stativverben. Die Aktionsverben sind unsere Verben, und die Stativverben bezeichneten Zustände, nicht Handlungen. (Es gibt Spekulationen, die die Aktionsverben mit den animaten Substantiven, die Stativverben mit den inanimaten Substantiven in Verbindung bringen). Die Stativverben haben den reduzierten Formenbestand des späteren Perfekts, die Aktionsverben den von Präsens und Aorist.
Im Hethitischen hat sich diese Zweiteilung zu zwei Konjugationsklassen entwickelt (mi-Konjugation und ḫḫi-Konjugation, unter Aufgabe der semantischen Einteilung in Aktions- und Zustandsverben). Im Hauptstrom der indogermanischen Sprachentwicklung wurde die Stativkonjugation in das System aller Verben integriert, wobei der im Stativ beschriebene Zustand eben das Resultat der Handlung ist.
Morphologisch wird der Aspekt durch die Bildung separater Stämme für Präsens, Aorist und Perfekt aus der Wortwurzel ausgedrückt. Die Bildungsverfahren sind verschiedene Kombinationen von Ablautstufen, Reduplikation und speziellen Suffixen. Das Perfekt zeichnet sich darüberhinaus durch einen separaten Satz von Endungen aus.
Tempus/Modus
Innerhalb einer Aspektgruppe (im Perfekt aber nicht voll ausgebildet) gibt es fünf Tempus/Modus-Kategorien: Die Gegenwart (fehlt in der, Aoristgruppe aus logischen Gründen, da ein gegenwärtiger Ablauf noch nicht vollständig ist), die Vergangenheit, den Konjunktiv (der die Zukunft oder die Absicht bezeichnete), der Optativ (Wunsch, Möglichkeit), den Imperativ (Befehl, nicht in der ersten Person). Zur Kennzeichnung dienten
- die Endungssätze:
- die sogenannten primären oder hic-et-nunc-Endungen für Gegenwart und Konjunktiv,
- die sekundären Endungen für Vergangenheit und Optativ,
- ein spezieller Endungssatz für den Imperativ;
- das Augment zur Kennzeichnung der Vergangenheit (wird als regionale Besonderheit angesehen);
- spezielle Suffixe:
- e/o (der Themenvokal) für den Konjunktiv,
- yeh₁/ih₁ für den Optativ.
Anstelle des nicht vorhandenen Aorist der Gegenwart gab es einen Injunktiv, das ist ein augmentloser Aorist, der wohl eine zeitlose Betrachtung der Handlung darstellte. Dieser hat allerdings die Sekundär- nicht die Primärendungen, passt also nicht an die freie Stelle des Aoristes der Gegenwart.
Diathese
Wir kennen aus den modernen indogermanischen Sprachen die Diathese Aktiv-Passiv, die sich in den einzelnen Sprachzweigen unabhängig gebildet hat. Ein Passiv war aber in der Ursprache nicht existent; stattdessen gab es ein Medium, das bezeichnete, dass das Subjekt des Satzes zusätzlich direktes oder indirektes Objekt ist. (Ich koche mich selbst bzw. ich koche mir selbst).
Endungsschemata
Präsens, Präteritum (mit imperfektiven Aspekt) und der Aorist (mit perfektivem Aspekt) benutzen zwei Sätze von Endungen, nämlich primäre und sekundäre. Die Primärendungen gelten für gegenwartsbezogene Konjugationsformen, namentlich also nur für das Präsens, während die Sekundärendungen für die vergangenheitsbezogenen Verbformen, für die imperfektive Präteritalform und die Aoristform, verwendet werden.
Man unterscheidet zwei grundsätzliche Typen von Stämmen, nämlich thematische und athematische. Bei ersteren endet der Stamm auf einen charakteristischen Vokal, den so genannten Themavokal, der bei letzteren fehlt. Der Themavokal ist entweder e oder o, und zwar nach folgender Verteilung: 1.Sg., 1. Du., 1.Pl. und 3.Pl. haben o, die anderen Personen e.
Aktiv | Medium | |||
---|---|---|---|---|
Person | Primär | Sekundär | Primär | Sekundär |
1.Sg. | -h₂ (them.), -mi (athem.) | -m | -h₂or (-ar) | -h₂o (-a) |
2.Sg. | -si | -s | -th₂o | -th₂or |
3.Sg. | -ti | -t | -(t)or | -(t)o |
1.Du. | -wos | -we | (-wosdʰh₂) | (-wedʰh₂) |
2.Du. | -th₁es | -tom | (-teh₁) | (-htoh₁) |
3.Du. | -tes | -tām | (-teh) | (-hteh) |
1.Pl. | -mos | -me | -mosdʰh₂ | -medʰh₂ |
2.Pl. | -te | -te | -dʰwo | -dʰwo |
3.Pl. | -nti | -nt, -(ē)r | -ntor, (-(ē)ror) | -nto, -(ē)ro |
Die eingeklammerten Endungen müssen als sehr spekulativ gelten.
Für den Imperativ lassen sich nur die Singularendungen im Aktiv rekonstruieren. Endung der zweiten Person Singular Imperativ ist -e für thematische, -dʰi für athematische Verben. In der dritten Person gibt es die Endung -tōd.
Die Perfektendungen gibt es nur im Aktiv. Sie lauten:
Person | Endung |
---|---|
1.Sg. | -h₂a |
2.Sg. | -th₂e |
3.Sg. | -e |
1.Pl. | -me |
2.Pl. | -e |
3.Pl. | -(ē)r |
Stammbildungen
Präsens
Die Bildungen für Präsensstämme im Indogermanischen sind mannigfaltig. Hier seien daher nur die wichtigsten genannt:
- -ye/yo-: Dieses Suffix, welches einen thematischen Stamm ergibt, kann wohl als das produktivste im Indogermanischen überhaupt gelten. Die Wurzel ist entweder in der Nullstufe, wenn die Verben meist Intransitiva sind, oder in der Vollstufe, was meist Transitiva ergibt. Weiters wird das Suffix häufig zur Bildung von Denominativa benutzt.
- -e(h₂)-ye/yo-: Diese beiden Suffixe dürfen Varianten des obigen sein. Die Wurzel pflegt in der o-Stufe zu stehen und die Bedeutung entweder kausativ oder iterativ zu sein.
- -ske/sko-: Dieses thematische Suffix wird an die Nullstufe der Wurzel gehängt und ergibt Stämme iterativer Bedeutung. Die Incohativa des Latein, die mit -sc aktionsartspezifiziert sind, gehen beispielsweise auf diese Bildung zurück sowie auch Iterativa mit -ske im Altgriechischen.
- -h₁s(y)e/h₁(y)o-: Dieses Suffix tritt entweder an die reduplizierte Wurzel (z.B. *dʰedʰh₁- von *dʰeh₁-) oder an die e-Stufe und hat desiderative Bedeutung. Es ist der Ursprung einiger indogermanischer Futurbildungen, so einer des Griechischen etwa.
- Nasalpräsens: In die Nullstufe der Wurzel wurde ein Infix -ne- vor dem letzten Konsonanten eingefügt. Der sich ergebende Stamm war ursprünglich athematisch, wurde aber in den Folgesprachen auf mannigfaltige Weise thematisiert. Das Nasalpräsens ist u.A. noch im Lateinischen vorhanden.
Aorist
Die Folgesprachen der Ursprache zeigen verschiedene Aoristbildungen, die einzige definitiv der Ursprache zugehörige ist eine Bildung mit -s- (vgl. z.B. den σ-Aorist im Griechischen oder das s-Perfekt im Lateinischen), welches direkt an die Wurzel tritt und auf welches ohne Themavokal die Sekundärendungen folgen. Die Wurzel steht dabei in der Dehnstufe. Aufgrund von Befunden aus dem Tocharischen und Hethitischen ist umstritten, ob das s-Suffix in allen Personen ursprünglich ist oder nur in der 3. Singular. Das Vorhandensein eines Augments ist auch hier fraglich.
Perfekt
Der Perfektstamm besteht meist nur aus der reduplizierten Wurzel. Als Vokal der Reduplikationssilbe tritt immer e auf, die Wurzel steht im Aktiv Singular in der o-Stufe, sonst in der Nullstufe. Eine Ausnahme durch das Fehlen der Reduplikation stellt die sehr alte Bildung *woyda „ich weiß“ von der Wurzel *weyd- dar.
Weiterführende Ansätze
Typologische Methode
Die Komparativmethode stößt vor allem im Bereich der Syntax schnell an ihre Grenzen. Winfried P. Lehmann hat auf der Basis der sprachtypologischen Ansätze von Theo Vennemann versucht, dennoch weitreichende Aussagen über die Syntax zu machen. Die Idee ist, dass Sprachen universell dazu neigen, gewisse morphologische und auch syntaktische Eigenschaften gemeinsam aufzuweisen, so dass eine Gruppierung entsteht. Kann man nun plausibel machen, dass das Indogermanische einer dieser Gruppen zugehörte (in diesem Fall ist es die der OV-Sprachen, bei denen das Objekt vor dem Prädikat steht), dann ist es ebenfalls plausibel, dass die anderen typischen Eigenschaften dieser Gruppe auch für das Indogermanische gegolten haben könnten. Dieser Ansatz ist durchaus nicht unumstritten [3].
Vorgeschichte
Auch ist versucht worden, aus dem rekonstruierten Indogermanisch noch weiter zurückzublicken (Sog. „Pre-PIE“). (So wird etwa angenommen, dass die drei Genera auf eine Belebt/unbelebt-Zweiteilung zurückgehen. Unbelebte Gegenstände wären nicht als Subjekt eines transitiven Satzes vorgekommen, hätten also keinen Nominativ gehabt. Und in der Tat ist ja heute noch in indogermanischen Sprachen bei Neutra der Nominativ gleich dem Akkusativ) Sowohl das Buch von Meier-Brügger als auch die Abhandlungen von Lehmann liefern einige Einblicke in diese Richtung.
Verwandtschaft zu anderen Sprachfamilien
Es sind in der Vergangenheit viele Möglichkeiten einer Verwandtschaft der Indogermanischen Ursprache zu anderen Sprachfamilien vorgeschlagen worden, insbesondere zu den uralischen und zu den altaischen Sprachen. Die überwiegende Mehrheit der Sprachwissenschaftler hält es für prinzipiell unmöglich, über so lange zurückliegende sprachliche Entwicklungen seriöse Aussagen zu machen.
Die Nostratische Hypothese, die die Urverwandschaft mit vielen anderen Sprachgruppen vorschlägt, geht auf Holger Pedersen (1903) zurück. Die Linguisten Wladislaw Markowitsch Illitsch-Switytsch und Aharon Dolgopolsky wandten in den 1960ern anerkannte Methoden der Sprachrekonstruktion auf einige der rekonstruierten Ursprachen an (Indogermanisch, Dravidisch usw.) und kamen tatsächlich zu Ergebnissen. Dem methodisch ernstzunehmenden Ansatz zum Trotz sind die meisten Linguisten nicht bereit, die Ergebnisse für mehr als zufällig Übereinstimmungen zu halten; eine abwartende Haltung ist unter denen, die die Hypothese nicht ganz ablehnen, vorherrschend.
Ein anderer Ansatz ist der von Joseph Greenberg, der seit den 1960ern versucht hat, durch Massenvergleiche zu riesigen Verwandschaftsgruppen zu kommen. Die Idee ist, dass selbst dann, wenn viele der gefundenen Parallelen Zufälle sind, durch die große Zahl immer noch genug übrig bleibt. Die indoeuropäischen Sprachen gehören demnach zu einer Eurasiatischen Supergruppe. Diese Ergebnisse werden, obwohl sie von einem anerkannten Linguisten kommen, von der Fachwelt noch weniger ernst genommen als der Nostratizismus. [4]
Allgemein Kritik an der Theorie der Ursprache wurde vor allem durch den russischstämmigen Linguisten Nikolai Sergejewitsch Trubetzkoy geübt. In einem am 14. Dezember 1936 im Cercle linguistique de Prague gehaltenen Vortrag[5] lehnte er die Notwendigkeit der Existenz einer solchen Grundsprache ab, seiner Ansicht nach könnten die strukturellen und lexikalen Ähnlichkeiten der idg. Sprachen auch auf das sogenannte "Sprachbundphänomen" zurückgehen. Demnach hätten sich ursprünglich verschiedene Sprachen durch intensiven Kontakt der Sprecher mit der Zeit aneinander angeglichen. Trubetzkoys These wurde später von Georg Solta aufgegriffen und ausgebaut; in der Indogermanistik wird die Sprachbundthese aber heute allgemein abgelehnt. (siehe auch Indogermanische Sprachen: Ursprung und Entwicklung)
Beispieltexte
Selbstverständlich sind von der indogermanischen Ursprache als einer Rekonstruktion keinerlei Texte überliefert. Und doch wurde versucht, Texte auf Urindogermanisch zu verfassen. Besonders prominent ist bis heute die erfundene Fabel von August Schleicher Das Schaf und die Pferde aus dem 19. Jahrhundert, der jeweilige Stand der Sprachwissenschaft hat die Fabel immer wieder angepasst. So wurde aus Schleichers „Avis akvasas ka“ in einer aktuelleren Version von 1979 „Owis ekwoskwe“. Es handelt sich dabei um bloße Spekulationen, denn die vergleichende Sprachwissenschaft kann in weiten Teilen keine Angaben dazu machen, welches aus einer Folgesprache rekonstruierte Wort für einen bestimmten Begriff zu verwenden sei, da die meisten Bildungen nicht in allen Folgesprachen gleichermaßen vorkommen. Es ergäbe sich daher für einen einzigen Text eine ungeheure Vielzahl von denkbaren Versionen. Die rekonstruierte Ursprache muss daher als Formalismus gelten, nicht als definitive Aussage über einen vorhistorischen Sprachgebrauch.
Veröffentlichte urindogermanische Beispieltexte:
- Die indogermanische Fabel (Vorlage:Unicode) von August Schleicher (1868)
- Der König und der Gott (Vorlage:Unicode) von S. K. Sen, E. P. Hamp u. a. (1994)
Weblinks
- Das Vaterunser auf IDG
- Indo-European and the Indo-Europeans - Essay aus dem American Heritage Dictionary
- Winfred P. Lehmann: Indogermanische Grammatik (Englisch)
- The Proto-Indo-European Sound System (Englisch) Piotr Gąsiorowskis sonderzeichenfreie ASCII-Schreibung für die indogermanischen Laute
- Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch von Julius Pokorny (Englisch)
- Indogermanisches Wörterbuch von Gerhard Köbler (Indogermanische Grammatik ist im Vorwort)
Siehe auch
Literatur
- Eva Tichy: Indogermanistisches Grundwissen. Hempen Verlag, Bremen 2000, ISBN 3-934106-14-5.
- Michael Meier-Brügger: Indogermanische Sprachwissenschaft. de Gruyter, Berlin 2002, ISBN 3-11-017243-7.
- Benjamin W. Fortson: Indo-European Language and Culture: An Introduction Blackwell Publishing 2004 (Englisch), ISBN 978-1405103169
- Winfried P. Lehmann: Theoretical Bases of Indo-European Linguistics, Taylor & Francis Ltd.; Neuauflage 1996 (Englisch), ISBN 978-0415138505
- Andrew L. Sihler: New Comparative Grammar of Greek and Latin. Oxford University Press, Oxford - New York 1995
- Martin Kuckenburg: Auf den Spuren der Indoeuropäer. in: Abenteuer Archäologie. Spektrum der Wissenschaft Verl.-Ges., Heidelberg 2006, 2, 48ff. ISSN 1612-9954
- Harald Wiese: Eine Zeitreise zu den Ursprüngen unserer Sprache. Wie die Indogermanistik unsere Wörter erklärt, Logos Verlag Berlin, 2007, ISBN 978-3832516017.
Quellen
- ↑ Lehmann 1966, 5.2.2 letzter Absatz
- ↑ Meier Brügger F 304 (7. Aufl)
- ↑ Bernard C. Comrie: Language Universals and Linguistic Typology: Syntax and Morphology University of Chicago Press 1989 (Englisch), ISBN 978-0-226-11433-0
- ↑ Trask: Historical Linguistics, London 1996
- ↑ veröffentlicht in Acta Linguistica I, 1939