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Twistringen

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Vorlage:Infobox Ort in Deutschland

Twistringen (plattdeutsch Twustern) ist eine Stadt, 30 km südwestlich von Bremen im Landkreis Diepholz (Niedersachsen) und am Südostrand des Naherholungsgebietes Wildeshauser Geest gelegen. Twistringen ist der Quellort der Delme und hat rund 13.000 Einwohner.

Geografie

Twistringen liegt 30 km südwestlich von Bremen, 25 km nordöstlich von Diepholz und 40 km westlich von Nienburg. Durch das Stadtgebiet nach Norden fließt die Delme und in westlicher Richtung durch Heiligenloh fließt die in die Hunte mündende Heiligenloher Beeke.

Nachbargemeinden

Nachbargemeinden der gesamten Stadt Twistringen sind innerhalb des Landkreises Diepholz im Nordosten die Stadt Bassum, im Südosten die Samtgemeinde Schwaförden und im Süden die Samtgemeinde Barnstorf. Im Westen sind die Gemeinden Colnrade (Landkreis Oldenburg) und Goldenstedt (Landkreis Vechta) Nachbarn.


Geschichte

Entwicklung des Ortes

Twistringen wurde erstmals um 1250 als Thuisteringe in einer Urkunde erwähnt. In diesem Schriftstück sind alle Orte genannt, die jährliche Beiträge zum Unterhalt der Weserbrücke in Bremen leisten mussten.

Eine Pfarrei bestand in Twistringen bereits seit etwa 825. Nach der Reformation um 1525 wurde das Kirchspiel Twistringen ab 1618 rekatholisiert. In evangelisch geprägtem Umland war Twistringen längere Zeit eine katholische Enklave des Bistums Münster. Ab 1824 wurde die Gemeinde dem Bistum Osnabrück zugeordnet. Bis heute bleibt Twistringen als konfessionelle Insel überwiegend katholisch geprägt und ist Sitz eines Dekanates.

Unter französischer Herrschaft 1811-1813 erhielt der Ort mit der Napoleon-Straße (heute Bundesstraße 51) eine modernere Straßenanbindung. 1817 kam Twistringen zum Königreich Hannover.

Erst mit dem Bau der Eisenbahnlinie Bremen-Osnabrück (Eröffnung am 15. Mai 1873) siedelten sich wieder Lutheraner in Twistringen an. Diese gründeten 1891 eine evangelisch-lutherische Gemeinde und weihten 1894 ihre eigene Kirche ein.

In Twistringen gab es auch eine kleine jüdische Gemeinschaft und bis 1938 eine Synagoge, an die heute eine Gedenktafel erinnert. Außerhalb des Ortskerns gibt es noch einen jüdischen Friedhof.

Im Jahr 1964 erhielt die Gemeinde Twistringen die Stadtrechte. 1974 entstand die Einheitsgemeinde Stadt Twistringen mit den Ortschaften Abbenhausen, Altenmarhorst, Heiligenloh, Mörsen, Natenstedt, Rüssen, Scharrendorf, Stelle und Twistringen.

Bedeutung der Strohverarbeitung

Küche aus den 1950-er Jahren im Museum der Strohverarbeitung: Trinkhalmfertigung in Heimarbeit

Über Jahrhunderte spielte in Twistringen die Strohverarbeitung eine bedeutende Rolle. Zeitweise war ein Drittel der Einwohner (in Fabriken und in Heimarbeit) in diesem Industriezweig beschäftigt. Hergestellt wurden u. a. Strohhüte, Ummantelungen für Weinflaschen (so genannte Malotten) und Trinkhalme. Die Artikel wurden in zahlreiche Länder exportiert. Das Museum der Strohverarbeitung dokumentiert die Geschichte und Entwicklung dieser Industrie von ihren Anfängen bis in die Gegenwart.

  • Größter Strohhut der Welt

Zur Feier des 750-jährigen Jubiläums der Stadt Twistringen im Jahr 2000 wurde vor dem Rathaus ein riesiger Strohhut angefertigt, der einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde brachte. Mit einem Durchmesser von etwa 5,50 Metern stellt der Hut eine 20-fache Vergrößerung eines Kreissäge-Hutes aus den 1920er Jahren dar. Zur Feier kam auch der aus Twistringen stammende Fernsehmoderator Reinhold Beckmann. Der Hut ist heute im Museum der Strohverarbeitung zu sehen.

Frühgeschichtlicher Ringwall

Im Ortsteil Stöttinghausen befindet sich die so genannte Hünenburg. Zu sehen ist ein Ringwall mit einem Durchmesser von etwa 80 Metern. Es handelt sich hierbei um die Reste einer frühgeschichtlichen Wehranlage aus dem 5. bis 9. Jahrhundert. Eine Untersuchung des Wallinneren ergab 1932, dass sich einst mehrere Gebäude darin befanden. Im Jahr 2005 wurde das hölzerne Eingangstor zur Hünenburg rekonstruiert. Hierdurch erhielt die Ringwallanlage wieder einen annähernd burgähnlichen Charakter.

Geologie

Überregionale Bedeutung hat Twistringen in geologischer Hinsicht erlangt. Bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden am Ortsrand in den Gruben der Ziegelei Sunder Tonsteine abgebaut. Es handelt sich um Sedimente der Urnordsee, die im Miozän, einer Stufe des Tertiärzeitalters, zur Ablagerung kamen. Diese Fundstelle ist Typlokalität der Twistringer Schichten, einem Abschnitt der Reinbek-Dingdener-Stufe. Das Alter dieser Ablagerungen aus dem Mittel-Miozän beträgt in etwa 15 Millionen Jahre.

In den Tonsteinen fand sich eine sehr arten- und individuenreiche Fauna an Schnecken, Muscheln, Grabfüßern (Scaphopoden) und Korallen. Seltener kamen Seeigel, Wirbeltierknochen und -zähne sowie Cephalopodenreste vor. Die Fauna war insgesamt kleinwüchsig und wenig spektakulär. Aber aufgrund der Artenvielfalt (es sind alleine über 250 Schneckenarten aus den Twistringer Schichten bekannt und beschrieben) ergibt sich ein solch exaktes Bild der Tierwelt jener Epoche, dass Twistringen heute zu den klassischen Fundstellen der Paläontologie gezählt wird. Funde aus Twistringen befinden sich in zahlreichen Museen und Privatsammlungen.

Flugzeugunglück von 1973

Am 13. November 1973 stürzte ein belgischer Starfighter im Ortsteil Mörsen auf ein Wohnhaus. Der Pilot, ein Feuerwehrmann, der Vater, die Mutter und zwei Mädchen der Familie kamen ums Leben. Ein Junge der Familie konnte sich aus einer Luke heraus retten, bevor das Feuer auf das Wohnhaus übergriff. Das Unglück hinterließ drei junge Waisen.

Politik

Der Stadtrat von Twistringen hat 26 (2001: 30) Sitze zuzüglich des Bürgermeisters. Seit der Kommunalwahl vom 10. September 2006 besteht folgende Sitzverteilung:

  • CDU – 17 Sitze (2001: 22 Sitze)
  • SPD – 5 Sitze (2001: 6 Sitze)
  • FDP – 2 Sitze (2001: 0 Sitze)
  • Grüne – 2 Sitze (2001: 2 Sitze)

Partnerstadt

Seit 1977 hat Twistringen eine Partnerstadt in Frankreich, die Gemeinde Bonnétable (4.000 Einwohner) nordöstlich von Le Mans im Département Sarthe. In Bonnétable gibt es eine Straße mit dem Namen „Rue de Twistringen“.

Wappen

Das Twistringer Wappen wurde 1935/36 von Gustav Völker, einem Oberschullehrer aus Hannover, entworfen. Es zeigt im oberen Feld auf rotem Grund das weiße Niedersachsenross. Das untere Feld, bestehend aus einem breiten roten Balken auf goldenem Grund, zeigt das Wappen des Bistums Münster. Im roten Balken sind drei Zahnräder eingearbeitet worden. Im Wappen wird dargestellt und aus ihm läßt sich ablesen, dass Twistringen jahrhundertelang ein willkommenes Streitobjekt der Grafen und der Bischöfe war. Am häufigsten wechselte der Besitz Twistringens zwischen den Grafen von Hoya und den Bischöfen von Münster. In der Aufteilung in zwei Felder spiegelt sich diese Mehrherrigkeit wider: Im oberen Bereich ist das Niedersachsenross der Provinz Hannover zu sehen, während der untere Bereich das Wappen des Bistums Münster zeigt. Die Selbständigkeit Twistringens wird durch die drei Zahnräder - als Zeichen für die damals größte Industriegemeinde im damaligen Landkreis Grafschaft Hoya – dargestellt.

Wirtschaft und Infrastruktur

Verkehr

Twistringer Bahnhof

Die Stadt Twistringen liegt an der Eisenbahnlinie Bremen-Osnabrück. Die Verbindung nach Bremen ist halbstündlich (RegionalExpress und RegionalBahn, Fahrtzeit 29 bw. 46 Minuten). Osnabrück ist stündlich angebunden (RegionalExpress, Fahrtzeit 48 Minuten). Ab 2010 wird Twistringen an das Netz der projektierten S-Bahn Bremen angebunden.

Die B 51 durchschneidet das Stadtgebiet in Nordost-Südwest-Richtung und schafft Verbindung zum Norden nach Bremen und nach Süden zur Kreisstadt Diepholz und nach Osnabrück. Die nordöstlich in 18 km Entfernung verlaufende Autobahn A 1 schafft nach Norden hin Verbindung bis nach Hamburg und zum Süden hin bis nach Münster und ins Ruhrgebiet.

Der Flughafen Bremen ist 36 km von Twistringen entfernt.

Bildungseinrichtungen

In Twistringen gibt es drei Grundschulen und ein Schulzentrum. Im Schulzentrum sind Hauptschule und Realschule untergebracht. Auf demselben Gelände befindet sich auch die Stadtbücherei. Ein Gymnasium hat im August 2007 sein neues Gebäude an der Vechtaer Straße bezogen. Außerdem geben die Volkshochschule Diepholz und die Kreismusikschule des Landkreises Diepholz in Twistringen Unterricht. Twistringen verfügt zudem über mehrere Kindergärten.

Kultur und Sehenswürdigkeiten

Kunst im öffentlichen Raum

In Twistringen (Innenstadt) und im Ortsteil Heiligenloh finden sich zwei sehr unterschiedliche Skulpturen von KünstlerInnen aus Syke. Diese Skulpturen sind aus Metall gestaltet – in Twistringen aus Bronze, in Heiligenloh aus Stahl:

  • an der St. Anna-Kirche in Twistringen die Bronzeskulptur Figur und Tafelrelief (2000) des Sykers Andreas Frömberg; diese beiden zusammengehörenden Objekte verweisen auf die über 200-jährige, in dieser Form im norddeutschen Raum einmalige Strohverarbeitung im Kirchspiel Twistringen
  • Ausschwärmende Wünsche von Elsa Töbelmann und Henning Greve (Stahl, 2002) in der Nähe der Schule in Heiligenloh
  • Im Eingangsbereich des St.-Annen-Stiftes hat der preisgekrönte Osnabrücker Bildhauer Dominikus Witte die Statue Aus der Enge befreit (Sandstein, 2004) errichtet. Es soll das Ziel der dort untergebrachten Psychiatrie verdeutlichen: Dass der Einzelne aus seinen Verstrickungen ans Licht treten kann.
  • Die St.-Anna-Kirche (neugotisch, 1870) ist mit ihrem mächtigen, 56 m hohen Turm Wahrzeichen der Stadt. In ihrem prachtvollen Inneren sind u. a. ein 800 Jahre alter Taufbrunnen und ein aus dem Spätbarock stammendes Ölbergbild zu sehen. Beachtenswert sind auch die Kirchenfenster (um 1900), der neue Tabernakel und die Apostelleuchter (Iserlohe, 1995). Eine der ausdrucksvollsten Orgeln der Neuzeit (Becker, 1996) ist im Silbermann-Stil intoniert.

Persönlichkeiten

Söhne und Töchter der Stadt

Persönlichkeiten, die vor Ort wirken

Sonstiges

Während des Zweiten Weltkrieges wurde in Twistringen in großem Ausmaß illegal Schnaps gebrannt und auch in umliegende Orte vertrieben. Die Schnapsbrennerei brachte Twistringen im Volksmund den Beinamen Brenndorf ein. Dieser Name ist in der näheren Umgebung Twistringens zum Teil heute noch gebräuchlich.

Literatur

  • Festschrift zur 700-Jahrfeier Twistringens. 1250 - 1950. (Hrsg.: Gemeinde Twistringen), Twistringen 1950, 54+31 S. m. zahlr. Abb.
  • Otto Bach, Friedrich Kratzsch u. a.: Twistringen – Eine Heimatkunde. 1986, 436 Seiten.
  • Otto Bach u. Friedrich Kratzsch: Twistringen in alten Ansichten. Zaltbommel (NL) 1984 (3. A.), 80 S. m. 76 Abb.
  • Stadtarchiv Twistringen (Hrsg.): 750 Jahre Twistringen – Beiträge zur Geschichte einer Kleinstadt zwischen Delme und Hunte. 2000, 304 Seiten.
  • Museum der Strohverarbeitung Twistringen (Hrsg.): Strohverarbeitung in Twistringen. 2005, 141 Seiten
  • Lydia Funke-Westermann u. Friedrich Kratzsch: Geachtet und Geächtet. Twistringen und seine Juden 1933–1943. Harpstedt 1985; 2., überarbeitete Auflage 1990, 62 Seiten
  • Twistringen. In: Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Bremen Niedersachsen. München / Berlin 1992, S. 1276 f.
  • Friedrich Kratzsch: Zwischen Kriegen, Kreuz und Hakenkreuz. Twistringen und sein Umland 1919–1939. Bassum-Ringmar 1997, 397 Seiten
  • Friedrich Kratzsch u. Ulrich Kathmann: Twistringen und seine Ortsteile vom 2. Weltkrieg bis zur Gegenwart. Ein Fotoband mit Archivbildern. Twistringen 2002, 147 Seiten
  • Heinz-Hermann Böttcher: Der Jüdische Friedhof in Twistringen – Dokumentation. (Typoskriptdruck im Eigenverlag), Syke 2003, 120 Seiten
  • Nancy Kratochwill-Gertich u. Antje C. Naujoks: Twistringen. In: Herbert Obenaus (Hrsg. in Zusammenarbeit mit David Bankier und Daniel Fraenkel): Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Band 1 und 2 (1668 S.), Göttingen 2005, Seite 1475–1482
  • [AutorInnenkollektiv:] Von Alwine bis Ziska. Frauenprofile aus Twistringen. (Hrsg.: LandFrauenverein Twistringen e.V. und Stadt Twistringen, Gleichstellungsbeauftragte), Twistringen 2007, 111 S. m. zahlr. Abb.