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Privatsphäre

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Die Privatsphäre einer Person bezeichnet den Bereich, der nicht öffentlich ist, in dem nicht im Auftrag eines Unternehmens, Behörde oder ähnliches gehandelt wird, sondern der nur die eigene Person angeht.

Der Terminus Privacy wurde 1890 von dem späteren Richter Louis Brandeis und dem Schriftsteller und Rechtsanwalt Samuel Warren im Artikel The Right to Privacy im Harvard Law Review (Jahrgang 4, Nr. 5) als Individual’s right to be let alone definiert, also als das Recht, in Ruhe gelassen zu werden.

Diese Definition geht vielen aber nicht weit genug. Rainer Kuhlen sagt in seinem Buch Die Konsequenzen von Informationsassistenten" auf Seite 417:

„Privacy bedeutet […] mehr als ‚das Recht in Ruhe gelassen zu werden‘, sondern das aktive Recht, darüber zu bestimmen, welche Daten über sich […] von anderen gebraucht werden und welche Daten auf einen selbst einwirken dürfen.“

Die Big Brother Awards sind Negativ-Preise, mit denen öffentlich auf die Gefahren der Unversehrtheit unserer Daten-Integrität (Synonym: Privatsphäre) hingewiesen wird.

Der Schutz der Privatsphäre ist im deutschen Grundgesetz aus einer Untergruppe des allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1) abzuleiten. Das besondere Persönlichkeitsrecht dient dem Schutz eines abgeschirmten Bereichs persönlicher Entfaltung. Dem Menschen soll dadurch ein räumlicher Bereich verbleiben, in dem er sich frei und ungezwungen verhalten kann, ohne befürchten zu müssen, dass Dritte von seinem Verhalten Kenntnis erlangen oder ihn sogar beobachten bzw. abhören können. Durch die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) und durch das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) wird der Schutzbereich konkretisiert. Die Ausnahmen hiervon (Abhören von Telefongesprächen und Wohnungen) werden als Lauschangriff bezeichnet und sind ebenfalls gesetzlich geregelt.

Bereiche

Die Privatsphäre kann in vier Bereiche aufgeteilt werden:

  1. Informations-Privatsphäre: Schutz personenbezogener Daten (siehe auch Datenschutz)
  2. Privatsphäre des Körpers: zum Beispiel die Wahrung der körperlichen Unversehrtheit, der Intimsphäre, das Abgeben von Blutproben bzw. Verweigern von Drogentests
  3. Privatsphäre der Kommunikation: Das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), beinhaltet die Sicherheit der Kommunikationsmittel wie Post, Telefon, E-Mail oder andere (siehe auch Vorratsdatenspeicherung)
  4. Unverletzlichkeit des Territoriums: Das Recht auf Schutz der Wohnung, des Arbeitsplatzes, des Privatfahrzeugs usw. vor Eingriffen wie beispielsweise Hausdurchsuchungen oder Videoaufnahmen.

Eine Verletzung der Privatsphäre wird in einigen dieser Bereiche durch mangelnde Vertraulichkeit hergestellt (z.B. wenn Gespräche abgehört werden), in anderen Fällen durch das Verhindern von Anonymität (wenn z.B. die anonyme Nutzung von Verkehrsmitteln immer schwieriger wird). Dabei ist interessant, dass Vertraulichkeit immer eine genaue Kenntnis meines Kommunikationspartners voraussetzt, also in Verbindung mit Anonymität kaum möglich ist.

Geschichte der Privatsphäre

Antike

Die Idee einer privaten Sphäre des Individuums findet sich bereits in der griechischen und römischen Philosophie (Antike), das Verhältnis von individuellem Wohl und Gemeinwohl wurde diskutiert, in der Praxis allerdings konnte nur eine Elite dieses Recht einfordern. Die Götter jedoch waren an solche Einschränkungen nicht gebunden.

Für Sklaven galten solche Freiheiten nicht. Sie hatten weder Anrecht auf Individualität, noch auf ein eigenes Zimmer.

Mittelalter

Im Mittelalter wurde das Privatleben, der Bereich des Einzelnen, zurückgedrängt. Nur wenige Adelige und reiche Bürger konnten sich ein privates Leben erlauben, in das niemand Einblick hatte (siehe auch Kemenate). Die meisten mussten sich ein Schlafzimmer, eine Küche und ein Wohnzimmer miteinander teilen (Badezimmer gab es noch kaum.) Teilweise schliefen sogar mehrere Leute zusammen in einem Bett. Das Gesinde schlief auf Bänken, Öfen oder auf einer Strohschütte, ohne jede Privatsphäre. In den Bauernhöfen lebten und schliefen die Leute manchmal mit dem Vieh unter einem Dach; es kam vor, dass die Knechte und Mägde im Stall schliefen.

Ein klein wenig Privatsphäre hatten die Mönche in ihren Klosterzellen, wenn sie sich in ihrer karg bemessenen Freizeit etwas zurückziehen konnten. Novizen hatten wenig Privatsphäre, denn sie befanden sich ja noch in der „Probezeit“.

Neuzeit

Die heutige Vorstellung einer Privatsphäre entstand mit dem Aufkommen des Bürgertums in der Neuzeit. Ansprüche von weltlicher (König, Adel) und religiöser Macht (Gott, Vatikan, Beichte, Inquisition), stets Einblick in das Leben, aber auch in die Gedankenwelt des Untertanen zu haben, wurden zunehmend zurückgewiesen.

Der Humanismus, Liberalismus, Anarchismus und die Idee der individuellen Menschenrechte stehen im Gegensatz zum Feudalismus, und später Kollektivismus, Faschismus und Realsozialismus, die häufig im Namen des Gemeinwohls individuelle Freiheitsrechte zurückstellen, und mit Geheimpolizeien vor allem abweichende Meinungen in der Bevölkerung erforschen und verfolgen.

Eine Hymne auf die letzten Rückzugsmöglichkeiten einer Privatsphäre stellt das Lied Die Gedanken sind frei dar.

Kalter Krieg

Im Zuge des Ost-West-Konflikts (Kalter Krieg) spielen Geheimdienste, Abhörmaßnahmen und Überwachungstechnologien eine große Rolle im Hintergrund, die der Öffentlichkeit oft erst nachträglich oder gar nicht bekannt wird. Heimliche Überwachung tritt an die Stelle des offenen, sichtbaren Konflikts (heißer Krieg).

Die – nach heutigen Maßstäben eher harmlose – Volkszählung von 1987 in Deutschland stößt auf großen Widerstand in der Bevölkerung, Boykott-Aktionen und Proteste werden initiiert.

Seit 2001

Im Zuge der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA und weiteren Anschlägen in der Folge sowie neuen Überwachungstechnologien werden, etwa von den Datenschutzbeauftragten, aber auch von Bürgerinitiativen, vermehrte Tendenzen des Eindringens in die Privatsphäre beklagt. RFID, Lauschangriff, Videoüberwachung, Gendatenbank oder Biometrie, wie sie etwa von Innenpolitikern der großen Parteien forciert werden, stellen für Befürworter Garanten der inneren Sicherheit und öffentlichen Ordnung dar, da sie Schutz gegen Terrorismus bieten würden. Für Gegner erinnern sie eher an Dystopien, also negative Utopien, wie sie in der Literatur etwa George Orwell oder Aldous Huxley, und später die Autoren des Cyberpunk-Genres, als Schreckensbilder entwarfen.

Aber auch Wirtschaft und Werbung stellen mit Scoring- (Schufa), Marktforschungs-Maßnahmen und Konsumenten-Profiling für Kritiker eine zunehmende Bedrohung von Privatsphäre dar, Adressenhandel, Spam oder Phishing konstituieren einen neuen Graubereich zwischen legalen Belästigungen und betrügerischer Kriminalität. Einige Cracker vermögen über das Internet in staatliche und Unternehmens-Datenbanken oder private Computer einzudringen und erhalten so teils Einblick in intimste Daten.

Privatsphäre gefährdende Technologien

Neue Technologien haben dazu geführt, dass heute ein Verlust an Privatsphäre nur durch weitgehende Vermeidung vieler moderner „Errungenschaften″ wie z. B. Handys, Bankomatkarten und Kreditkarten zu vermeiden ist. Aber selbst dann ist es kaum möglich, vielen der nahezu omnipräsenten Überwachungstechnologien zu entgehen.

Zitat

  • „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten, sie fliegen vorbei, wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen. Es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei!“ – (unbekannter Verfasser, kompletter Liedtext und Hintergrund)
  • „Ich kann mit meiner Familie und Freunden über Gott und die Welt reden, aber nicht mit Gott und der Welt über meine engsten Verhältnisse.“ – Mathias Richling
  • „Privatsphäre ist wie Sauerstoff – man schätzt sie erst, wenn sie fehlt“ – John Emontspool

In Film und Literatur

Literatur

  • Helmut Bäumler (Hrsg.): E-Privacy. Datenschutz im Internet, Braunschweig und Wiesbaden: Vieweg, 2000.
  • David Brin: The Transparent Society. Will Technology Force Us to Choose Between Privacy and Freedom?, Reading, MA: Perseus Publishing, 1998, ISBN 0-738-20144-8.
  • Rafael Capurro: Ethik für Informationsanbieter und -nutzer, In: Kolg, Anton u.a.: Cyberethik. Verantwortung in der digital vernetzten Welt, Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer, 1998.
  • Diffie Whitfield; Landau, Susan: Privacy on the Line. The Politics of Wiretapping and Encryption, MIT Press, 1999.
  • Simson Garfinkel: Database Nation. The Death of Privacy in the 21st Century, Sebastopol, CA usw.: O'Reilly, 2000, ISBN 1-565-92653-6.
  • Sandro Gaycken/Constanze Kurz: „1984.exe - Gesellschaftliche, politische und juristische Aspekte moderner Überwachungstechnologien“, Bielefeld 2008.
  • John Gilliom: Overseers of the Poor. Surveillance, Resistance, and the Limits of Privacy, Chicago und London: Chicago University Press, 2001, ISBN 0-226-29361-0.
  • Ralf Grötker (Hrsg): Privat! Kontrollierte Freiheit in einer vernetzten Welt, Heise Zeitschriften Verlag, Hannover, 2003, ISBN 3-936-93101-1.
  • Frederick S. Lane, III: The Naked Employee. How Technology is Compromising Workplace Privacy, New York usw.: AMACOM, 2003, ISBN 0-814-47149-8.
  • Karden D. Loch; Conger, Sue; Oz, Effy: Ownership, Privacy and Monitoring in the Workplace: A Debate on Technology and Ethic, In: Journal of Business Ethics 17, 1998, S. 653-663.
  • Vance Packard: Die wehrlose Gesellschaft, Knaur, 1970
  • Beate Rössler: Der Wert des Privaten, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 2001, ISBN 3-518-29130-0.
  • Peter Schaar: Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaf. 1. Auflage. C. Bertelsmann, München 2007, ISBN 978-3-570-00993-2.
  • Herman T. Tavani: Ethics & Technology. Ethical Issues in an Age of Information and Communication Technology, o.A.: John Wiley & Sons, 2004, Kap. 5: Privacy and Cyberspace, ISBN 0-471-45250-5.
  • van den Hoven, M.J.: Privacy or Information Injustice?, In: Pourciau, Lester J. (Hrsg.): Ethics and Electronic Information in the Twenty-First Century, West Lafayette: Purdue University Press, 1999.
  • Whitaker, Reg: The End of Privacy. How Total Surveillance is becoming a Reality, New York: The New Press, 1999, ISBN 1-565-84569-2.

Siehe auch

Deutsche Quellen

Französische Quellen

Englische Quellen