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Der Verschollene

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Amerika ist ein unvollendeter Roman von Franz Kafka. Der Titel geht auf seinen Freund und Herausgeber Max Brod zurück. Nach Kafkas Tagebüchern und Briefen lautet der Titel richtig „Der Verschollene“.

Inhalt

Der 17-jährige Karl Rossmann wird von seinen Eltern in die USA geschickt, da er von einem Dienstmädchen „verführt“ wurde und dieses nun ein Kind von ihm erwartet. Im Hafen von New York angekommen, trifft er wunderbarerweise noch auf dem Schiff einen reichen Onkel, der ihn zu sich nimmt. Dem gesellschaftlichen Aufstieg Karls in der neuen Welt scheint nichts im Wege zu stehen. Doch bald verstößt der Onkel den Jungen, als Karl die Einladung eines Geschäftsfreundes des Onkels zu einem Landhausbesuch eigenmächtig annimmt. Auch bei dieser Verstoßung spielt ein erotisches Element eine Rolle: die Tochter des Geschäftsfreundes wird bei ihren Annäherungsversuchen im Landhaus Karl gegenüber regelrecht handgreiflich. Der ohne Aussprache vom Onkel auf die Straße geschickte Karl lernt zwei Landstreicher kennen, einen Franzosen und einen Iren, die sich seiner annehmen, freilich immer zum Nachteil von Karl. Wegen des Iren verliert er eine niedrige Anstellung als Liftjunge in einem riesigen Hotel mit grotesker Arbeitswelt. Anschließend wird er in einer Wohnung, die die beiden Landstreicher mit einer fetten älteren Sängerin teilen, gegen seinen Willen als Diener angestellt und ausgenutzt.

Ein kurzes Textfragment suggeriert, dass Karl später für ein Vorstadtbordell arbeitet. In einem weiteren Fragment entdeckt Karl durch Zufall ein Plakat für ein Theater in Oklahoma (Kafka schrieb durchgehend „Oklahama“), das allen Menschen Beschäftigung verspricht, die Künstler werden wollen. Karl wird nach einer peinlichen Befragung von den Werbern des Theaters aufgenommen, freilich nur „für niedrige technische Arbeiten“. Das Romanfragment endet mit der langen Zugfahrt nach Oklahoma, wo Karl zum ersten Mal die „Größe Amerikas begreift“.

Ende laut Brod

Kafka soll laut Brod geplant haben, dass Karl im Theater nicht nur Rückhalt und Beruf, sondern sogar die Eltern und die Heimat wieder findet. Dem widerspricht eine Tagebuchnotiz Kafkas vom 30. September 1915, nach dem Roßmann ein ähnlicher Tod droht, wie Josef K., dem Helden aus Der Process. "Roßmann und K., der Schuldlose und der Schuldige, schließlich beide unterschiedslos strafweise umgebracht, der Schuldlose mit leichterer Hand, mehr zur Seite geschoben als niedergeschlagen.", heißt es da.

Entstehung

„Der Verschollene“ ist der erste von Kafka begonnene Roman. Von Ende 1911 arbeitete er mit großen zeitlichen Unterbrechungen bis 1914 an dem Roman ohne ihn zu vollenden. Zu Lebzeiten Kafkas erschien nur das erste, eigenständige Kapitel „Der Heizer“ im Jahr 1913 im Verlag Kurt Wolff. Zusammen mit den ebenfalls 1912 entstandenen Erzählungen „Das Urteil“ und „Die Verwandlung“ wollte Kafka den „Heizer“ zu einer Trilogie „Die Söhne“ zusammengefasst wissen.

Von Kafka verwendete Literatur

Anregungen zu seinem Werk erhielt Kafka aus dem Reisebuch „Amerika Heute und Morgen“ von Arthur Holitscher aus dem Jahre 1912 (außer wichtigen Motivübernahmen geht die Schreibung „Oklahama“ auf einen Druckfehler bei Holitscher zurück). Auch lassen sich Parallelen zu Charles Dickens Roman „David Copperfield“ nachweisen, was sich Kafka im Jahr 1917 in seinem Tagebuch selbst eingestand. Ein weiterer Fehler unterläuft Kafka als er behaupte das Landhaus sei im Osten New York´s was aber wegen der Lage an der Ostküste schlecht sein kann. Kafka irrt sich hier obwohl er über ausgezeichnete Geographische Fähigkeiten verfügt haben soll.

Brods Edition

Im Jahre 1927, also nach Kafkas Tod, veröffentlichte Max Brod das Romanfragment unter dem Titel „Amerika“. Für die Überschriften und Einteilungen der ersten sechs Kapitel gibt es ein authentisches Verzeichnis des Autors, die übrige Anordnung der Textfragmente erfolgte durch Brod recht willkürlich. Das gilt auch für den von Brod gewählten Titel „Das Naturtheater von Oklahoma“ für den chronologisch letzten Textteil. Der Herausgeber rechtfertigte sein Vorgehen mit angeblichen Aussagen Kafkas, den Roman versöhnlich enden lassen zu wollen.

Deutung

Eine Position lautet: Im Gegensatz zu dem gängigen Amerikaklischee der erfolgreichen Karriere des tüchtigen Einwanderers zeige der erste Roman Kafkas einen erschütternden, permanenten sozialen Abstieg eines gutwilligen und naiven Jungen. Der heimatlose Karl, den großer Gerechtigkeitssinn auszeichnet, finde in der Fremde, in einer unpersönlichen Welt kalter Autoritäten und Hierarchien keinen Platz. Die Vorstellung vom Welttheater von Oklahoma, in dem Engel und Teufel dargestellt werden und das jeden aufnimmt, kann man auch als Metapher für das Reich des Todes sehen, das für jeden bestimmt ist. Des Weiteren zeigt der Roman eindrucksvoll auf, dass im amerikanischen Traum nicht nur Fleiß und Tugend etwas zählen, sondern vor allem die Beziehungen zu mächtigen Menschen einem Individuum den gesellschaftlichen Aufstieg ermöglichen.

Literatur

Ausgaben

  • Amerika. München: K. Wolff, 1927. (Die Erstausgabe wurde postum herausgegeben von Max Brod.)
  • Franz Kafka. Sämtliche Erzählungen. Paul Raabe (Hrsg.). Frankfurt am Main und Hamburg: Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1970. ISBN 3-596-21078-X.

Sekundärliteratur

  • Chrimmann, Ralph P. Franz Kafka Versuch einer Kulturphilosophischen Interprestation Hamburg 2004 Verlag Dr. Kovac ISBN 3-8300-1275-6
  • Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.). Franz Kafka. Text und Kritik Sonderband. Berlin: 1994.
  • Jahn, Wolfgang. Kafkas Roman ‚Der Verschollene’. Stuttgart: 1965.
  • Susemann, Margarete. Das Hiob-Problem bei Franz Kafka. in: Franz Kafka. Heinz Politzer (Hrsg.). Darmstadt: 1973.
  • Wendelin Schmidt-Dengler, Norbert Winkler (Hrsg): Die Vielfalt in Kafkas Leben und Werk Vitalis-Verlag 2005 ISBN 3-89919-066-1

Film

Klassenverhältnisse, Film BRD/F 1984, Regie: Jean-Marie Straub, Danièle Huillet.