Stammlager X B
Das Stalag X-B (Abkürzung für Stammlager B des Wehrbezirks 10, d.h. das zweite Kriegsgefangenenlager) in der Nähe von Sandbostel nördlich von Bremen war während der Zeit des Nationalsozialismus ein Arbeits- und Kriegsgefangenenlager. Es ging aus einem Lager des FAD (Freiwilliger Arbeitsdienst Deutschland) hervor. Das Stalag XB Sandbostel war schon im 1. Weltkrieg Kriegsgefangenenlager.
Die Bezeichnung „Stammlager“ leitet sich von der Tatsache her, dass es eine große Anzahl von Arbeitsaußenkommandos gab, die sich im Außeneinsatz befanden, offiziell jedoch zum Lager gehörten. Im letzten Kriegsjahr 1945 wurde es von der Schutzstaffel der NSDAP (SS) als Durchgangslager für das Konzentrationslager Neuengamme und als Zwischenstation bei den später so genannten Todesmärschen verschiedener Konzentrationslager verwendet.
Ereignisse während des Krieges
Zwischen 1939 und 1945 waren über 1 Million Kriegsgefangene aus 46 Nationen im Lager Sandbostel inhaftiert. Ca. 50.000 Gefangene überlebten die Zeit ihrer Gefangenschaft nicht. Sie starben an Hunger, Seuchen oder wurden ermordet. Britische Befehlshaber verglichen das Lager nach der Befreiung mit dem KZ Bergen-Belsen; die Behandlung der Gefangenen war, wenn auch nicht durchgehend, überaus grausam.
Innerhalb des Lagers gab es eine nach Nationalitäten stark abweichende Behandlung der Kriegsgefangenen. Amerikaner und Briten wurden besser behandelt als Franzosen und Belgier; diese besser als Serben und Griechen. Am Ende dieser Hierarchie standen Polen, Italiener und sowjetische Gefangene. Insbesondere die letzteren wurden meist ohne Verpflegung zur Arbeit gezwungen bis sie verhungert waren.
Für die medizinische Versorgung galt das Gleiche; während englische Lagerinsassen die medizinische Versorgung sogar als gut bezeichneten, war eine solche für die Untersten der Hierarchie gar nicht vorhanden. Die Genfer Konventionen, welche die Behandlung von Kriegsgefangenen international regulieren, wurden in jeder Beziehung missachtet. - Kriegsgefangene berichteten, dass z.B. Experimente an lebenden Menschen durchgeführt wurden, dass Kriegsgefangene grundlos gefoltert und ermordet wurden oder ohne Not an Nahrungsmitteln verhungern mussten.
Unter den Gefangenen waren der Philosoph Louis Althusser, die Schriftsteller Gaston Aufrere, Leo Malet und Giovanni Guareschi. Auch der Olympiasieger Wiktor Tschukarin gehört zu den Überlebenden des Gefangenenlagers Sandbostel.
Arbeitseinsätze
Zum Stalag X B gehörten hunderte von Außenkommandos, d.h. Kriegsgefangenengruppen von 10 bis 40 Personen, die in bewachten Scheunen, Lagerhallen oder Sälen außerhalb des Lagers untergebracht wurden. Das Stalag X B beschäftigte u.a. Kriegsgefangene beim U-Boot-Bau in Bremen (siehe Artikel U-Bootbunker Valentin). Der größte Teil der Lagerinsassen wurde in der Landwirtschaft, in Handwerks- und Industriebetrieben eingesetzt. Auf dem Lagergelände selbst gab es verschiedene Werkstätten, z.B. eine Schuhmacherei.
Innerhalb des Lagers gab es ein Sonderlager für max. 80 Gefangene mit noch härteren Repressionen; diese wurden zur Kultivierung des Moores oder zum Torfstechen eingesetzt und mussten das Äußerste erdulden.
Das Reservelazarett
Außerhalb des StaLag gab es das Reservelazarett X B mit über 1.750 Betten. Dort wurden die kranken Kriegsgefangenen unter anderem auch von Ärzten versorgt, die zu den Kriegsgefangenen zählten. Die Kontrolle über das Reservelazarett und die Krankenreviere hatte aber ein deutscher Chefarzt inne. Das Reservelazarett war zuständig für alle bettlägerigen dienstuntauglichen Kriegsgefangenen des Wehrkreises X.
KZ-Häftlinge aus Neuengamme
1945 erreichten ca. 8000 politische Häftlinge aus dem KZ Neuengamme das Lager Stalag X-B Sandbostel. Sie wurden auf einem lediglich mit Stacheldraht umzäunten Teil des Lagers eingesperrt. Die Tausenden von KZ-Häftlingen sollten auf Befehl des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, „evakuiert“ werden. Im Klartext war dieses der Befehl zu den Todesmärschen, damit die KZ-Häftlinge nicht als Belastungszeugen lebend in die Hände der Alliierten fallen.
Am 20. April 1945 verließen die SS und Teile der Wachmannschaften zusammen mit einigen hundert KZ-Häftlingen das Lager. Darauf hin brach im sowjetischen Teil des Lagers eine Hungerrevolte aus, bei der abermals hunderte Gefangene ums Leben kamen. Am 29. April wurde das Lager Sandbostel endgültig von den Engländern befreit.
Zeittafel
- 1932 Bau des Lagers durch den kirchlichen Freiwilligen Arbeitsdienst Deutschland ( FAD ),
- 1933 Übernahme durch den Reichsarbeitsdienst.
- 1939 Nach dem 1. September werden zunächst britische Zivilinternierte und polnische Gefangene in Großzelten untergebracht.
- 1940 Belgische und französische Gefangene kommen ins Lager.
- 1941 Ankunft serbischer und sowjetischer Gefangener.
- 1943 Eintreffen italienischer Militärinternierter.
- 1944 Ankunft polnischer Frauen. Es waren 552 Teilnehmerinnen vom Warschauer Aufstand 1944 - unter ihnen 84 im Offiziersrang, aber auch Mädchen von gerade einmal dreizehn Jahren.
- 1945 Ab dem 12. April erreichen 8.000 Häftlinge aus KZ Neuengamme bzw. dessen Außenlagern Sandbostel.
- 1945 Am 29.April befreien britische Truppen das Lager. Anfang Juni haben die letzten Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge das Lager verlassen.
- 1945 zweite Jahreshälfte: Die Briten richten daraufhin in Sandbostel ein Internierungslager für SS- und NS-Führer sowie für Mitglieder von KZ-Wachmannschaften ein.
- 1948 Einrichtung eines Straflagers als Nebenstelle des Zuchthauses Celle.
- 1952 Das Lager wird zum Durchgangslager für männliche DDR-Flüchtlinge im Alter von 14 bis 24 Jahren.
- 1960 Auflösung des Jugendlagers. Übergabe an den Bund.
- 1974 Privatisierung des Lagergeländes. Errichtung des Gewerbegebiets Immenhain.
- 1992 Die historischen Gebäude des ehemaligen Stalags und des Reservelazaretts X B werden unter Denkmalschutz gestellt.
Friedhof
Einige Kilometer vom Lager entfernt, im Dorf Sandbostel, befindet sich der Lagerfriedhof mit der angeschlossenen Gedenkstätte. Die sowjetischen Streitkräfte errichteten dort kurz nach dem Krieg ein Ehrenmal mit der Inschrift: „Hier ruhen 46.000 russische Soldaten und Offiziere, zu Tode gequält in der Nazigefangenschaft“. 1956 wurde das Mahnmal gesprengt, weil den deutschen Behörden die Zahl von 46.000 Toten zu hoch erschien. Ein ehemaliger Gefangener bemerkte dazu völlig zu Recht: „Wer Zahlen eine moralische Kraft zuspricht, insofern sie, je niedriger sie sind, den Täter desto mehr entlasten, die Schwere der Tat verringern, ermordet einen Teil der Opfer ein zweites Mal, indem er ihre Existenz ganz einfach bezweifelt, so als habe es sie nie gegeben“. Anstelle des sowjetischen Ehrenmals wurden drei Steinstelen errichtet. Deren Inschrift lautet: „Euer Opfer - Unsere Verpflichtung - Frieden“.
Anlässlich des Jahrestages der Befreiung der Kriegsgefangenen und der Kz-Häftlinge finden seit 2004 regelmäßig Veranstaltungen statt.[1]
Literatur
- Werner Borgsen, Klaus Volland: Stalag X B Sandbostel. Verlag Edition Temmen; 3 Auflagen, 286 Seiten, ISBN 9-7839-2695-865-5