Bahaitum
Als Baha'i bezeichnet man die jüngste Weltreligion, die in der Tradition der abrahamitischen Religionen steht. Weiterhin gilt Baha'i als Bezeichnung ihrer Religionsanhänger.
Geschichte
In der Ursprungsgeschichte der Baha'i-Religion stehen zwei Hauptfiguren im Vordergrund: Mirza Ali-Muhammad (1819-1850), genannt „Bab“ (arab. „das Tor“), und Mirza Husayn Ali (1817-1892), genannt „Baha'u'llah“ (arab. „Herrlichkeit Gottes“).
Der Bab (*20. Oktober 1819 in Shiraz/Iran; †9. Juli 1850 in Täbriz/Iran) erhob 1844 im südpersischen Shiraz den Anspruch, ein Gesandter Gottes zu sein mit dem Auftrag, als Vorläufer und Herold auf das baldige Erscheinen eines weiteren Offenbarer Gottes hinzuweisen, der die Erfüllung der Verheißungen aller Religionen - die Erscheinung eines endzeitlichen Welterneuerers - erfüllen würde. Dieser Anspruch einer nachislamischen Gottesoffenbarung erregte die Gemüter der islamischen Orthodoxie im damaligen Persien und führte zur öffentlichen Hinrichtung des Bab im Jahre 1850 und zu grausamen Verfolgungen und Hinrichtungen der Anhänger der Babi-Religion im Zuge des Attentats (1852) auf den Schah.
Baha'u'llah (*12. November 1817 in Teheran/Iran; 29. Mai 1892 in Akka/Israel), einer der führenden Anhänger des Bab, wurde gefangen genommen und lebte die letzten 40 Jahre seines Lebens in Verbannung. 1863 erklärte Baha'u'llah in Bagdad, seinem ersten Verbannungsort, dass er der von Bab verheißene Offenbarer sei und stiftete eine neue Religion, die als Baha'i-Religion bekannt wurde. Die alte Gemeinschaft der Babi-Religion ging weitgehend in der neuen Religion von Baha'u'llah auf. Seine Verbannung aus Persien führte ihn weiter über Edirne und Istanbul zur letzten Station seines langen Exils nach Akka im heutigen Israel. In der Nähe von Akka verstarb Baha'u'llah und wurde dort begraben, weswegen es heute das geistige Zentrum der Baha'i-Gemeinde darstellt.
Seine Nachfolge ging auf dessen ältesten Sohn Abdu'l Baha (arab. „Diener der Herrlichkeit“; * 23. Mai 1844 in Teheran/Iran; † 28. November 1921 in Haifa/Israel), über. Diesem folgte 1921 sein Enkel Shoghi Effendi (arab./türk. "Herr der Freude" * 1. März 1897 in Akka/Israel; † 4. November 1957 in London/England), der als „Hüter der Sache Gottes“ die Geschicke der rasch anwachsenden Gemeinschaft leitete. Seit 1963 hat die Führung der internationalen Baha'i-Gemeinde eine kollektive Körperschaft inne, wie sie in den Schriften Baha'u'llah verordnet wurde. Dieses neunköpfige Gremium, genannt das Universale Haus der Gerechtigkeit, hat seinen Sitz in Haifa (Israel). Hier befindet sich daher auch das administrative Weltzentrum der Baha'i-Gemeinde. Im heutigen Iran, in weniger schwerer Form auch in anderen islamischen Ländern, sind Anhänger der Baha'i-Religion starker Verfolgung ausgesetzt. Sie werden oft unter Todesdrohung dazu gezwungen, ihrem Glauben abzuschwören.
Lehre
Zentrales Thema der Botschaft Baha'u'llahs ist der Gedanke der Einheit, der sich auf drei Ebenen manifestiert: in der Einheit Gottes, in der mystischen Einheit der Religionen und in der Einheit des Menschengeschlechtes. Theologischer Angelpunkt der Baha'i-Lehre ist das neue heilsgeschichtliche Paradigma der „fortschreitenden Gottesoffenbarung“: Gott offenbart sich der Menschheit nicht einmalig, sondern progressiv, zyklisch wiederkehrend. Da die Menschheit sich ständig fortentwickelt und sich demnach zwangsläufig die Umstände und die Fassungskraft der Menschen ändern, muss die Religion eine Erneuerung erfahren, um der Situation entsprechend göttliche Führung leisten zu können. Dies geschieht, indem Gott der Menschheit in bestimmten Zeiträumen göttliche Erzieher schickt. Folglich sind die großen Religionen (wie Judentum, Christentum, Islam u. a.) nicht bloße Wahrheitsteilhaben, sondern göttliche Stiftungen. Ihre heiligen Bücher sind Zeugnisse der Wahrheit, sie stammen letztlich alle aus derselben Quelle. Dem Glauben der Baha'i nach ist Baha'u'llah der Jüngste dieser göttlichen Erzieher, aber nicht der Letzte.
Seine schon Mitte des 19. Jahrhunderts offenbarten Gebote und Gesetze, wie beispielsweise die Abschaffung aller Vorurteile, die Harmonie zwischen Religion und Wissenschaft, das Recht jedes Einzelnen auf Bildung, die Gleichberechtigung von Frau und Mann oder das tugendhafte Leben der Menschen, sollen die Grundlage für eine funktionierende Gesellschaft bilden und dazu führen, „dass dem Körper dieser Welt eine lebendige Seele geschenkt wird und dieses zarte Kind, die Menschheit, zur Stufe der Reife gelangt.“
Die Baha'i besitzen in den zahllosen Originalschriften Baha'u'llah eine eigene zentrale Offenbarungsquelle. Dabei nimmt der Kitab-i-Aqdas, das „Heiligste Buch“, eine herausragende Stellung ein. Es stellt für die Baha'i die Charta einer künftigen Weltkultur dar, die zu errichten Baha'u'llah gekommen ist. Neben Richtlinien, die das tägliche Leben betreffen, werden in ihm auch die einzurichtenden administrativen Institutionen der Baha'i-Religion formuliert, was ein religionsgeschichtliches Novum darstellt. Verordnungen früherer Offenbarer werden zum Teil ausdrücklich aufgehoben.
Im Zusammenhang mit dem im Schrifttum häufig betonten Einheitsgedanken wird auch von einer Baha'i-Weltordnung gesprochen. Die Baha'i-Religion kennt keine Geistlichen bzw. Priester und ihre administrativen Organe werden demokratisch gewählt. Darüber hinaus sind die Gläubigen zu Gehorsam gegenüber der Regierung ihres Landes verpflichtet, die Anwendung von Gewalt ist untersagt, die Teilnahme von Baha'i an parteipolitischen Aktivitäten wird mißbilligt, religiöser Fanatismus wird geächtet.

Der Einheitsbegriff der Baha'i ist daher eher im Sinne von Solidarität, Gerechtigkeit und dem Überwinden von kulturellen und territorialen Grenzen zu interpretieren. In diesem Sinne wird von Baha'u'llah die Bildung einer globalen Staaten-Föderation mit unabhängigen, geistigen und moralischen Grundsätzen verpflichteten Institutionen zum Überwinden der globalen Probleme als unverzichtbar angesehen. ("In dem Wunsche, die Voraussetzungen für Frieden und Ruhe in der Welt und für den Fortschritt ihrer Völker zu offenbaren, hat das Erhabenste Wesen geschrieben: Die Zeit muß kommen, da die gebieterische Notwendigkeit für die Abhaltung einer ausgedehnten, allumfassenden Versammlung der Menschen weltweit erkannt wird. Die Herrscher und Könige der Erde müssen ihr unbedingt beiwohnen, an ihren Beratungen teilnehmen und solche Mittel und Wege erörtern, die den Grund zum Größten Weltfrieden unter den Menschen legen. Ein solcher Friede erfordert es, daß die Großmächte sich um der Ruhe der Völker der Erde willen zu völliger Aussöhnung untereinander entschließen. ..." [Baha'u'llah, Botschaften aus Akka, 11:8]).

Zwölf ethische Grundsätze der Baha'i
1. Die ganze Menschheit ist als Einheit zu betrachten
2. Alle Menschen müssen die Wahrheit selbständig erforschen
3. Alle Religionen haben eine gemeinsame Grundlage
4. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein
5. Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen
6. Mann und Frau haben gleiche Rechte
7. Vorurteile jeglicher Art müssen abgelegt werden
8. Der Weltfriede muss verwirklicht werden
9. Beide Geschlechter müssen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung erfahren
10. Die sozialen Fragen müssen gelöst werden
11. Es muss eine Welthilfssprache und eine Einheitsschrift eingeführt werden
12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof eingesetzt werden
== Verbreitung ==
2003 lebten mehr als 7,5 Millionen Baha'i in 218 Ländern, somit ist die Baha'i Religion nach dem Christentum die geografisch am weitesten verbreitete Religion. Nach Informationen des Baha'i Office of Public Information aus dem Jahr 2004 stammen die Baha'i aus mehr als 2100 ethnischen Gruppen und leben - vom Ursprungsland Iran abgesehen - vor allem in der Dritten Welt: Indien, Afrika, Südamerika. Die größten Baha'i-Gemeinden der westlichen Welt sind die der USA und Kanadas. In Deutschland leben seit 1905 Baha'i. Momentan sind es rund fünftausend. Ihr nationales Verwaltungszentrum mit dem ersten „Europäischen Baha'i Haus der Andacht“ befindet sich in Hofheim am Taunus. Dort werden auch im Baha'i-Verlag die deutschen Übersetzungen der Baha'i-Schriften herausgegeben. Insgesamt wurden sie in mehr als 800 Sprachen übersetzt.
Zitate
- Wir verbringen unser Leben mit dem Versuch, das Geheimnis des Universums zu erschließen. Da war ein [...] Gefangener, Baha'u'llah, der hatte den Schlüssel. Baha'u'llahs Lehren beschenken uns mit der höchsten und reinsten Form religiöser Lehre. (Leo Tolstoi)
- Sollte jemals eure Aufmerksamkeit auf die Namen Baha'u'llah oder Abdu'l Baha gelenkt werden, so legt ihre Schriften nicht zur Seite! Forscht in ihren Büchern und laßt ihre herrlichen friedebringenden, liebeverbreitenden Worte und Lehren so in eure Herzen eindringen, wie sie in meines drangen. (Königin Maria von Rumänien)
- Die religiöse Gemeinschaft der Baha'i verdient unsere besondere Hochachtung. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Persien gegründet, ist sie heute dort die größte religiöse Minderheit. In der übrigen Welt hat sie heute mehrere Millionen Anhänger. Sie lehrt nicht nur, wie manche Religionen, den Frieden zwischen den Menschen und fordert die Überwindung des Kampfs zwischen den Mächtigen, sondern sie lehrt und praktiziert auch den Frieden zwischen den Religionen. (Prof. Dr. Carl Friedrich v. Weizsäcker)
- Der Baha'ismus ist einzuordnen in die Hochreligionen der Erde. Er ist die im Lichte der Geschichte entstandene jüngste Offenbarungsreligion. Angesichts der Tatsache, daß der Baha'ismus sich an die gesamte Menschheit wendet und bereits in den meisten Ländern der Erde Fuß gefaßt hat, kann er schon heute den Weltreligionen zugerechnet werden. (Theologische Realenzyklopädie)
Literatur
- Baha'u'llah: Kitab-i-Aqdas, Das Heiligste Buch. Hofheim 2000, Baha'i Verlag.
- Baha'u'llah: Kitab-i-Iqan, Das Buch der Gewißheit. Hofheim 1997, Baha'i Verlag.
- Baha'u'llah: Ährenlese - Eine Auswahl aus den Schriften Baha'u'llahs. Hofheim 1980, Baha'i Verlag.
- Baha'u'llah: Botschaften aus Akka. Hofheim 1982, Baha'i Verlag.
- Baha'u'llah: Die Verborgenen Worte. Hofheim 1997, Baha'i Verlag.
- Baha'u'llah: Brief an den Sohn des Wolfes. Hofheim 1966, Baha'i Verlag
- Esslemont, J. E.: Baha'u'llah und das Neue Zeitalter. Hofheim 1986, Baha'i Verlag.
Bildlink
Weblinks
- Offizielle Website der Baha'i-Weltgemeinde
- Offizielle Website der deutschen Baha'i-Gemeinde
- Offizielle Website der Baha'i-Gemeinde in der Schweiz
- Offizielle Website der Baha'i-Gemeinde in Österreich
- Eine leicht verständliche Einführung in die Baha'i-Religion
- Deutscher Baha'i Verlag
- Presseinformationen, Statements und Veröffentlichungen
- Fotos von den Heiligen Stätten in Israel
Hinweis zu allen Baha'i Themen: Die korrekten Rechtschreibformen sind "Bahá'í", "Bahá'ís", "Báb" und "Bahá'u'lláh". Aufgrund der technischen Begrenzungen werden die Formen "Baha'i", "Baha'is", "Bab", und "Baha'u'llah" häufig verwendet, die auch eine Erleichterung für den Leser darstellen.