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Babylonisches Exil

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Babylonisches Exil (fälschlicherweise auch Babylonische Gefangenschaft.[1]) ist die Bezeichnung einer Epoche der Geschichte Israels. Sie beginnt 598 v. Chr. mit der Eroberung Jerusalems durch den babylonischen König Nebukadnezar II. und dauert bis zur Eroberung Babylons, die 539 v. Chr. durch den Perserkönig Kyros II. erfolgte.

Das babylonische Zeitalter

Beginn des Exils

Ein Großteil der Bevölkerung, vor allem die Oberschicht, wurde - wie es babylonische Praxis war - nach Babylon exiliert und dort angesiedelt.[2] Ob 586 v. Chr. eine zweite Exilierung erfolgte, bleibt bisher unklar, da keine historischen Quellen hierzu vorliegen. Sicher belegt ist nur der Umstand, dass nach 598 v. Chr. hebräische Namen der privilegierten Oberschicht in babylonischen Urkunden auftauchen.

Formen des Exils

Durch Fehlinterpretationen des Alten Testaments und religionsspezifischen Interessen wird bis heute ein falsches Bild der exilierten Bevölkerung gezeichnet. So sieht man die gefangene Bevölkerung zur Sklavenarbeit gezwungen, am Ende des Tages an den Flüssen Babylons in Ketten sitzend und weinend an Zion denkend.[1] Treffender ist der Umstand, dass das Exil als religiöse Strafe empfunden wurde, obwohl äußerlich in Babylon selbst komfortable Lebensumstände herrschten. Andere exilierte Bevölkerungsteile wurden in verschiedenen Kolonien angesiedelt. Dort konnte ohne Zwang Handel, Landwirtschaft und Häuserbau betrieben werden. Selbst Sklavenhaltung war erlaubt. Die Verwaltung oblag den Exulanten selbst. Belege über Fronarbeit fehlen völlig. Das Fehlen der Belege für Fronarbeit ist darin begründet, dass auch die baylonische Bevölkerung in bestimmten Fällen zur kurzfristigen Fronarbeit gezwungen wurde (königliche Bauvorhaben). Im babylonischen Exil konnten die Juden ihre Traditionen und ihre religiöse Identität bewahren. Die in und um Babylon angesiedelten Juden assimilierten sich recht schnell in die babylonische Gesellschaft. So tauchen bald jüdische Namen auf Inschriften auf, die belegen, dass Juden im Hofstaat und im Militär von Nebukadnezar II. Karriere machen konnten. Auch gibt es Berichte über jüdische Bankiersdynastien. Diese schnelle Assimiliation, damit verbunden die Annahme einer fremden Religion, war wohl auch der Grund, warum im Alten Testament ein recht düsteres Bild des babylonischen Exils gezeichnet wird.[3]

Um zu verhindern, dass die Eigenart der Juden komplett im Vielvölkergemisch Babylons verschwand, betonten die jüdischen Theologen und Gelehrten die Besonderheit des Judentums und vor allem des jüdischen Glaubens. Mittelpunkt des Lebens wurden die Tora und die Gelehrsamkeit. So wurde das babylonische Exil ironischerweise zu einer der fruchtbarsten Zeiten der jüdischen Theologie. Mit dem Fehlen des heimatlichen Tempels endete die Fixierung der Juden auf den Tempel als alleinigen Ort des Gebets, und es entstanden die ersten Synagogen.[4]

Ende des Exils

Nach der Eroberung des babylonischen Reiches erlaubte der Perserkönig Kyros II. ab 539 v. Chr. die Rückkehr einzelner Personengruppen in ihre Heimat jenseits des Tigris. Eine namentliche Nennung der Juden ist ebensowenig Bestandteil des Kyrosedikts wie die Beauftragung zum Aufbau des Jerusalemer Tempel, der im März des Jahres 515 v. Chr. soweit fertig gestellt wurde, dass die Juden ihren Kultus in Jerusalem wieder aufnehmen konnten.[5]

Das Kyrosedikt wird nach Darstellung der Bibel jedoch als Erlaubnis für den Aufbau des Jerusalemer Tempel und nur für den Kreis der Heimkehrer gewertet, was deren Integration in die Landbevölkerung behinderte. In der weiteren biblischen Überlieferung wurde schon während des Tempelbaus unter Berufung auf das Kyrosedikt die Landbevölkerung vom Bau und vom Kultus ausgeschlossen. Bis in die Zeiten Esras galten nur die „Erben“ des Kyrosediktes als Juden.

Ein Teil der Juden blieb in Babylon zurück und bildete dort ein kulturelles jüdisches Zentrum. Aus der dortigen jüdischen Gemeinde und den dort geführten Diskussionen der Schriftgelehrten entstand im 6. Jh. n. Chr. der babylonische Talmud.

Biblische Überlieferung

Nach der biblischen Erzählung im Buch Daniel des Alten Testaments gehörten unter anderen Daniel, Schadrach, Meschach und Abed-Nego zu den auserwählten Exulanten, die dort eine Ausbildung für den babylonischen Staatsdienst erhielten.

Theologische Deutungen

Wie die Juden ihre Lage während des Exils empfanden, kommt sehr gut im Psalm 137 zum Ausdruck:

An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Unsere Harfen hängten wir an die Weiden dort im Lande. Denn die uns gefangenhielten, hießen uns dort singen und in unserm Heulen fröhlich sein: „Singet uns ein Lied von Zion!“ Wie könnten wir des HERRN Lied singen in fremdem Lande? Vergesse ich dich, Jerusalem, so verdorre meine Rechte. Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht gedenke, wenn ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein. HERR, vergiß den Söhnen Edom nicht, was sie sagten am Tage Jerusalems: „Reißt nieder, reißt nieder bis auf den Grund!“ Tochter Babel, du Verwüsterin, wohl dem, der dir vergilt, was du uns angetan hast! Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und sie am Felsen zerschmettert! (Lutherbibel revidierte Fassung von 1984)

Anders als häufig angenommen dauerte das babylonische Exil nicht 70 Jahre. Die Angabe "70 Jahre" entstammt Jer 29,10, gemeint sind allerdings 70 Jahre „für“ (nicht „in“) Babylon und beziehen sich auf die Herrschaft des neubabylonischen Reiches (609 v.Chr. bis 539 v.Chr.).

Wirkungsgeschichte

Die frühen Christen benutzten den Begriff Babylon als geheimes Synonym für das Römische Reich. So konnten sie -- versteckt in Texten über das babylonische Exil der Juden -- Kritik an den Machthabern üben.

Martin Luther verwendet den Begriff im übertragenen Sinne und spricht von der „Babylonischen Gefangenschaft der Kirche“, um Missstände in der damaligen katholischen Kirche aufzuzeigen, die er in Irrtümern und falschen Abhängigkeiten quasi gefangen und entführt sah.

Vor dem Hintergrund des babylonischen Exils spielt die Oper Nabucco von Giuseppe Verdi, die ebenfalls die religionsspezifischen Darstellungen einer Gefangenschaft zum Inhalt hat. Auch der Hit Rivers of Babylon von The_Melodians beschreibt dieses Ereignis in Form einer Vertonung des 137. Psalms.

Die Anhänger der Rastafari-Religion sprechen ebenfalls von Babylon bzw. dem „Babylon-System“ und meinen damit in Anlehnung an das Exil der Juden im Altertum die Situation der Verschleppung und Versklavung ihrer afrikanischen Vorfahren, unter deren Folgen sie bis in der Gegenwart leiden. Die Metapher hat inzwischen einen festen Platz in den Texten (auch europäischer) Reggae- und Hip-Hop-Musiker eingenommen und bezeichnet das herrschende politische und wirtschaftliche System, das als korrupt, ungerecht und unterdrückend wahrgenommen wird.

Siehe auch

Literatur

  • Herbert Donner: Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen 2, ATD.Erg 4/2, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1986. ISBN 3-525-51666-5
  • Ernst Axel Knauf: Die Umwelt des Alten Testaments, NSK.AT 29, Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 1994. ISBN 3-460-07291-1

Anmerkungen und Belege

  1. a b Vgl. Donner Geschichte, S. 416
  2. Vgl. Donner, Geschichte, 370-381.
  3. Vgl. Donner, Geschichte, 381-387.
  4. Vgl. Donner, Geschichte, 381-387.
  5. Vgl. Knauf, Umwelt, 157-163.