Rheinromantik


Die Rheinromantik beschreibt eine Geisteshaltung, die in allen Kunstgattungen ihren Ausdruck fand. Sie entstand im Zeitalter der Romantik, das das Ende des 18. und das ganze 19. Jahrhundert umfasst. Der Anfang war vor allem von Literaten und Künstlern geprägt. Angesichts der beginnenden Industrialisierung mit all ihren negativen Begleiterscheinungen wandte man sich der Natur und der Vergangenheit zu. Friedrich Schlegel (1802 im Mittelrheintal) beschrieb gut, worum es ging:
...für mich sind nur die Gegenden schön, welche man gewöhnlich rauh und wild nennt; nur diese sind erhaben, nur erhabene Gegenden können schön sein, nur diese erregen den Gedanken der Natur.[...]Nichts aber vermag den Eindruck so zu verschönern und zu verstärken als die Spuren menschlicher Kühnheit an den Ruinen der Natur. Kühne Burgen auf wilden Felsen, Denkmale der menschlichen Heldenzeit, sich anschließend an jene höheren aus den Heldenzeiten der Natur.

Das Mittelrheintal wurde Ende des 18. Jahrhunderts von Reisenden wie dem Italiener Giorgio Bartoli (erste Reisebeschreibung im romantischen Stil) und dem Engländer John Gardnor (Radierungen) jeweils im Jahr 1787 bereist. 1802 bereisten Clemens Brentano und Achim von Arnim das Tal. Lord Byron (1812–1818) lieferte das Reisegedicht „Childe Harold's pilgrimage". William Turner sorgte durch seine auf mehreren Reisen entstandenen Bilder vor allem bei Engländern für Aufmerksamkeit. In der Folge entwickelte sich das Tal von der Durchreiseregion auf der klassischen Bildungsreise nach Italien zur touristischen Adresse ersten Ranges. Nach der Schweiz mit ihren rauen Alpentälern wurde das felsige Obere Mittelrheintal mit seinen vielen Burgruinen zum touristischen „Muss". Viele Fürsten und reiche Privatleute begannen mit dem Wiederaufbau der Burgen. Allen voran das preußische Königshaus, das gleich an mehreren Orten tätig war. Als herausragendstes Werk der Rheinromantik gilt das von König Friedrich Wilhelm IV. errichtete Schloss Stolzenfels bei Koblenz. Sogar bei absoluten Profanbauten wie Tunnelzugängen wurde im Zuge der Romantik neugotisch oder neuromanisch gebaut.

Interessanterweise wurde das populäre Bild vom romantischen Rhein in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht von der Malerei, sondern fast ausschließlich von der Druckgrafik geprägt. Aquatinten, Lithografien und Stiche illustrierten die Reisebeschreibungen oder wurden als Ansichtenfolgen herausgegeben. Zwischen 1820 und 1830 kamen mindestens 12 Veröffentlichungen mit eigenständigen neuen Ansichten heraus. Die Engländer waren führend auf dem Gebiet des 1826 in London patentierten Stahlstichverfahrens, das die Kupferstichtechnik ablöste und präzise Darstellungen und hohe Auflagen ermöglichte. Die besten Vorlagen lieferte zu der Zeit William Tombleson, und 50 Stecher setzten sie in den 1832 erstmals erschienenen "Views of the Rhine" in 68 Mittelrhein-Darstellungen um.
Ein Jahr darauf erschienen die "Traveling Sketches" von Clarkson Stanfield. Der Stahlstich mit dem Blick auf Bingen und das Rhein-Nahe-Eck von der anderen Seite des Rheins stammt aus dieser Publikation. Gekonnt verstärkt der englische Künstler mit Hilfe der im Gegenlicht erscheinenden Basilika sowie der spiegelnden Wasseroberfläche die Wirkung der Stadtansicht. Die geografische Wirklichkeit wurde dabei jedoch weitgehend auf dem Altar der Rheinromantik geopfert. Der Betrachter blickt nämlich genau nach Süden, und die tiefstehende Sonne bzw. einen Sonnenuntergang wird man in dieser Richtung wohl kaum erwarten dürfen. Trotzdem zählt diese reizvolle Ansicht zu den bekanntesten und meistkopierten Binger Veduten des gesamten 19. Jahrhunderts.
Literatur
- Keune, Karsten (Hrsg.): Sehnsucht Rhein: Rheinlandschaften in der Malerei. Mit Beiträgen von Irene Haberland und Elmar Scheuren. Bonn 2007, Bouvier Verlag Bonn. ISBN 3-416-03096-6.
- Schmitt, Michael: Die illustrierten Rhein-Beschreibungen: Dokumentation der Werke und Ansichten von der Romantik bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Köln, 1996 ISBN 3-412-15695-7
- Rheinromantik, Begleitpublikation zur Ausstellung im Historischen Museum am Strom - Hildegard von Bingen, Binger Museumshefte, Nr. 2, ISSN 1617-0415