Himmelsscheibe von Nebra
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Die Himmelsscheibe von Nebra ist eine Metallplatte aus der Bronzezeit mit Goldapplikationen, die offenbar astronomische Phänomene darstellt. Sie gilt als die weltweit älteste konkrete Himmelsdarstellung und als einer der wichtigsten archäologischen Funde aus dieser Epoche. Gefunden wurde sie im Sommer 1999 von Raubgräbern in einer Steinkammer auf dem Mittelberg nahe der heutigen Kleinstadt Nebra (Unstrut) in Sachsen-Anhalt. Seit 2002 gehört sie zum Bestand des Landesmuseums für Vorgeschichte Sachsen-Anhalt in Halle.
Beschreibung
Die annähernd runde Platte mit einem Durchmesser von etwa 32 Zentimetern, einer Stärke von 4,5 Milimetern in der Mitte, 1,7 Milimetern am Rand und einem Gewicht von 2 Kilogramm besteht aus Bronze, einer Legierung aus Kupfer und Zinn, deren Kupferanteil vom Mitterberg bei Bischofshofen in den Ostalpen stammt. Neben einem geringen Zinnanteil von 2,5 Prozent weist sie einen für die Bronzezeit typisch hohen Gehalt von 0,2 Prozent Arsen auf. Sie wurde offenbar aus einem Bronzefladen getrieben und dabei wiederholt erhitzt, um Spannungsrisse zu vermeiden bzw. zu beseitigen. Dabei verfärbte sie sich tiefbraun bis schwarz. Die heutige von einer Korrosionsschicht aus Malachit verursachte Grünfärbung ist erst durch die lange Lagerung in der Erde entstanden.
Die Applikationen aus unlegiertem Goldblech sind in Einlegetechnik gearbeitet und wurden mehrfach ergänzt und verändert. Aufgrund der Beifunde (Bronzeschwerter, zwei Beile, ein Meißel und Bruchstücke spiralförmiger Armreife) ist zu vermuten, dass sie etwa um 1600 v. Chr. vergraben wurde, ihr Herstellungsdatum wird auf 1700 bis 2100 v. Chr. geschätzt.
Anfänglich bestanden die Goldapplikationen aus 32 runden Plättchen, einer größeren, runden Platte sowie einer sichelförmigen. Sieben der kleinen Plättchen sind etwas oberhalb zwischen der runden und der sichelförmigen Platte eng gruppiert.
Später wurden am linken und rechten Rand die so genannten Horizontbögen angebracht, die aus Gold anderer Herkunft bestehen, wie dessen chemischen Verunreinigungen zeigen. Um Platz für die Horizontbögen zu schaffen, wurde ein Goldplättchen auf der linken Seite etwas zur Mitte versetzt, zwei auf der rechten Seite wurden überdeckt, so dass jetzt noch 30 Plättchen zu sehen sind.
Die letzte Ergänzung ist ein weiterer Bogen am unteren Rand, wiederum aus Gold anderer Herkunft. Diese so genannte Sonnenbarke ist durch zwei annähernd parallele Linien strukturiert, an ihren Außenkanten wurden feine Schraffuren in die Bronzeplatte gekerbt.
Als die Scheibe vergraben wurde, fehlte bereits der linke Horizontbogen und die Scheibe war am Rand mit 40 sehr regelmäßig ausgestanzten, etwa 3 Millimeter großen Löchern versehen.
Interpretation
Die Himmelscheibe von Nebra wurde hauptsächlich von dem Archäologen Harald Meller (Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Halle), dem Astronomen Wolfhard Schlosser (Ruhr-Universität Bochum), den Archäochemikern Ernst Pernicka (Archäometallurgie) und Heinrich Wunderlich (Herstellungstechnik, Herstellungsabfolge) untersucht.
Nach der Interpretation von Meller und Schlosser stellen die Plättchen Sterne dar, die Gruppe der sieben kleinen Plättchen vermutlich den Sternhaufen der Plejaden, die zum Sternbild Stier gehören. Die anderen 25 sind astronomisch nicht zuzuordnen und werden als Verzierung gewertet. Die große Scheibe wird mittlerweile als Vollmond interpretiert, die Sichel als zunehmender Mond. Die abgebildete Konstellation zunehmender Mond und Plejaden markierte in der Bronzezeit den 10. März, die der Plejaden mit dem Vollmond den 17. Oktober, jeweils am Westhimmel kurz vor Untergang des Siebengestirns. Damit könnte die Himmelsscheibe als Erinnerungshilfe für die Bestimmung des bäuerlichen Jahrs von der Vorbereitung des Ackers bis zum Abschluss der Ernte gedient haben.
Die später hinzugefügten Horizontbögen überstreichen jeweils einen Winkel von 82 Grad, ebenso wie Sonnenauf- und untergang zwischen Winter- und Sommersonnenwende am Horizont auf dem Breitengrad des Fundorts. Wurde die Scheibe waagerecht so auf dem Mittelberg positioniert, dass die gedachte Linie vom oberen Ende des linken Bogens zum unteren Ende des rechten Bogens auf die Spitze des etwa 80 km entfernten Brocken zeigt, konnte die Scheibe als Kalender zur Verfolgung des Sonnenjahrs genutzt werden. Vom Mittelberg aus gesehen geht die Sonne zur Sommersonnenwende hinter dem Brocken unter.
Für die Vermutung, dass der rechte Bogen der westliche, den Sonnenuntergang markierende sei, spricht seine Nähe zur geneigten Mondsichel, die in der erwähnten Konstellation von der untergehenden Sonne erleuchtet ist.
Ob die Scheibe in diesem Zustand als Instrument zur Bestimmung der Sonnenwenden genutzt wurde oder ob sie das Wissen über diese Bestimmungsmöglichkeiten lediglich darstellt, ist ungewiss.
Als letzte Ergänzung kam ein weiterer goldener Bogen mit zwei annähernd parallelen Längsrillen hinzu, der als Sonnenbarke, wie man sie aus ägyptischen oder minoischen Abbildungen her kennt, interpretiert wird. Umgeben ist der Bogen an den Längsseiten von kurzen Einkerbungen in der Bronzeplatte, vergleichbar der Darstellung von Rudern auf anderen bronzezeitlichen Schiffsdarstellungen aus Griechenland und Skandinavien. Diese Ergänzung hat vermutlich keine kalendarische Funktion, sondern soll die allnächtliche Überfahrt der Sonne von West nach Ost darstellen. Inwieweit daraus auf einen bronzezeitlichen kulturellen Austausch zwischen Mitteleuropa und dem Nahen Osten geschlossen werden kann, lässt sich zur Zeit nicht beantworten.
Besonders diese letzte Ergänzung legt eine Verwendung der Scheibe auch für kultische Zwecke nahe.
Der Zweck der Löcher am Rand der Scheibe ist ungeklärt, mutmaßlich dienten sie zur Befestigung.
Durch die große Medienaufmerksamkeit, die der Fund von Nebra genießt, gibt es immer wieder Vorschläge zu anderen Interpretationen der Himmelsscheibe. So vertritt zum Beispiel der Wirtschaftswissenschaftler Siegfried Schoppe (der Atlantis im Schwarzen Meer vermutet) die Hypothese, es handele sich um den Schildbuckel einer Rüstung, die Horizontbögen stellten eigentlich Nord- und Ostsee sowie das Mittelmeer dar, der Vollmond die Region Halle/Saale, die Mondsichel die Alpen, die Barke den Westen, das Sternbild Siebenbürgen und die übrigen Sterne verschiedene Ortschaften. Von fachwissenschaftlicher Seite wurde der Interpretation von Meller und Schlosser bisher jedoch nicht widersprochen.
Fundort
Die Steinkammer liegt innerhalb einer älteren, ringförmigen Wallanlage auf dem Gipfel des 252 Meter hohen Mittelbergs. Ob es sich um einen Hort oder um ein Grab handelt, ist bisher ungeklärt. Der Ort auf dem damals vermutlich unbewaldeten Berg dürfte schon in der Jungsteinzeit genutzt worden sein, möglicherweise als Observatorium. Die Erforschung ist noch nicht abgeschlossen.
Etwa 20 Kilometer entfernt von der Fundstelle befindet sich das ebenfalls runde, auf etwa 5000 v. Chr. datierte Sonnenobservatorium von Goseck, das astronomische Kenntnisse schon aus weit älterer Zeit als der der Himmelsscheibe von Nebra belegt.
Fundgeschichte
Die Himmelsscheibe wurde von zwei Raubgräbern entdeckt, die sie zunächst für einen Eimerdeckel hielten.
Über Mittelsmänner sollte der Fund 1999 in Berlin, später auch in München verkauft werden, doch es sprach sich herum, dass er rechtmäßig dem Land Sachsen-Anhalt gehörte. Damit war er für den seriösen Kunsthandel wertlos. Bis 2001 wechselte er dennoch – beim Erstverkauf für 32.000 DM – mehrfach den Besitzer.
Auf Initiative des Kultus- und des Innenministeriums sowie des Landesamtes für Archäologie von Sachsen-Anhalt konnte Kontakt zu den Hehlern, die die Scheibe für 700.000 DM auf dem Schwarzmarkt angeboten hatten, aufgenommen werden, und der Landesarchäologe Meller traf sich als vermeintlicher Kaufinteressent mit ihnen in einem Basler Hotel. Dort konnten die Himmelsscheibe von der schweizerischen Polizei sichergestellt und die Hehler, eine Museumspädagogin und ein Lehrer, verhaftet werden. Auch die Beifunde wurden gesichert.
Die Raubgräber konnten später ebenfalls gefasst werden und machten Angaben zum Fundort, die sich durch kriminaltechnische Untersuchungen bestätigen ließen. Sie wurden im September 2003 in Naumburg vor Gericht gestellt und erhielten eine viermonatige Bewährungsstrafe bzw. eine zehnmonatige Freiheitsstrafe. Die Beklagten strengten daraufhin ein Berufungsverfahren an, welches zur Zeit noch nicht abgeschlossen ist.
Restaurierung
Durch die unsachgemäße Ausgrabung wurde die Himmelsscheibe teilweise beschädigt. Im oberen linken Bereich wurde eine Kerbe geschlagen, wodurch sich auch einer der Sterne ablöste, aus dem Vollmond wurde ein Teil des Goldes herausgerissen. Durch die lange Lagerung im Erdreich war die gesamte Scheibe stark korrodiert, auch auf den Goldblechen hafteten – vermutlich durch galvanische Effekte – Korrosionen, die sich mechanisch nicht gefahrlos entfernen ließen.
Der erste Hehler hatte bereits versucht, die Scheibe durch Einweichen in Seifenlauge und anschließenden Gebrauch von Zahnbürste und Stahlwolle zu reinigen, wodurch die Oberfläche der Goldapplikationen zerkratzt wurde.
Im ersten Schritt der Restaurierung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle wurden die Erdanhaftungen – nachdem Teile als Proben zur weiteren Untersuchung gesichert worden waren – mit einer Ethanol-Wasser-Mischung eingeweicht und mit einem harten Nylonpinsel abgenommen.
Im zweiten Schritt wurden die am Gold anhaftenden Korrosionsspuren durch eine spezielle, chemisch wirksame Paste gelöst und konnten dann mit Wattestäbchen entfernt werden. Die Korrosionsspuren an der Bronzeplatte selbst wurden belassen.
Schließlich wurden der bei der Ausgrabung abgeschlagene, aber nicht verlorengegangene Stern wieder angebracht und das herausgerissene, stark verformte Stück des Vollmonds durch ein neu angefertigtes Goldblech gleicher Zusammensetzung ersetzt.
Ausstellung
Die Himmelsscheibe von Nebra ist vom 15. Oktober 2004 bis zum 24. April (verlängert bis Mai) 2005 in der Ausstellung Der geschmiedete Himmel mit rund 1600 weiteren bronzezeitlichen Fundstücken aus 18 Ländern, darunter dem Sonnenwagen von Trundholm, im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle zu besichtigen. Die Ausstellung findet in Kooperation mit dem Nationalmuseum Kopenhagen statt, das den Sonnenwagen nur ausnahmsweise – wegen der besonderen Bedeutung der Himmelsscheibe – noch einmal aus dem Haus gibt. Im Gegenzug wird die Ausstellung nach Halle auch in Kopenhagen (1. Juli bis 22. Oktober 2005) gezeigt. Zuletzt ist sie vom 4. März bis 9. Juli 2006 in Mannheim zu sehen.
Forschungsprojekt
Ausgelöst durch den Fund der Himmelscheibe wird die Deutsche Forschungsgemeinschaft in einem groß angelegten Forschungsprojekt 3,3 Millionen Euro in die weitere Untersuchung der Hintergründe der Bronzezeit investieren.
Ab September 2004 werden sechs Jahre lang 24 frühbronzezeitliche Bauten untersucht. Dazu gehören zwölf sogenannte Kreisgrabenanlagen in Sachsen-Anhalt, unter anderem in Egeln, Belleben und Bad Dürrenberg. Zudem werden zwölf Höhensiedlungen untersucht, zentrale befestigte Orte, die vor 4.000 bis 3.500 Jahren auf Anhöhen errichtet wurden. Dazu gehört auch der Fundort der Himmelsscheibe auf dem Mittelberg.
Weitere Schwerpunkte sind die Grundlagen der frühbronzezeitlichen Metallverarbeitung, die Herkunft der Rohstoffe und die damit verbundenen weiträumigen Kultur- und Handelsbeziehungen.
Literaturhinweise
- Harald Meller: Die Himmelsscheibe von Nebra. Ein frühbronzezeitlicher Fund von außergewöhnlicher Bedeutung. In: Archäologie in Sachsen-Anhalt, Neue Folge 1, 2002, S. 7–20
- Wolfhard Schlosser: Zur astronomischen Deutung der Himmelsscheibe von Nebra. ebd. S. 21–23
- Ernst Pernicka, Christian Heinrich Wunderlich: Naturwissenschaftliche Untersuchungen an den Funden von Nebra. ebd. S. 24–31.
- National Geographic Deutschland, Januar 2004, S. 38–61
- Harald Meller (Hg.): Der geschmiedete Himmel. Die weite Welt im Herzen Europas vor 3600 Jahren (Ausstellungskatalog). Stuttgart 2004, Theiss-Verlag, ISBN 3-8062-1907-9
- Ute Kaufholz: Sonne, Mond und Sterne. Das Geheimnis der Himmelsscheibe. Anderbeck 2004, Anderbeck Verlag, ISBN 3-937751-05-X
- Uwe Reichert: Der geschmiedete Himmel. Spektrum der Wissenschaft, November 2004, S. 52–59
- Katja Näther, Sven Näther: Akte Nebra - Keine Sonne auf der Himmelsscheibe?, Naether-Verlag 2004, ISBN: 3934858023
Siehe auch: Goldener Hut von Schifferstadt.
Weblinks
- Ausführliche Darstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte Sachsen-Anhalt
- Detaillierte Abbildung der Himmelsscheibe vor der Restaurierung und nach der Restaurierung
- Der Himmel ist eine Scheibe in Die Zeit Nr. 43, 14. Oktober 2004
- Psychologische Deutung: Wandlung, Mondtäuschung, Mondhöchststand, magisches Denken
- DFG-Forschergruppe 550: "Der Aufbruch zu neuen Horizonten. Die Funde von Nebra, Sachsen-Anhalt, und ihre Bedeutung für die Bronzezeit Europas"