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Homosexualität in der Zeit des Nationalsozialismus

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Vor dem "Dritten Reich" galt Berlin als eine liberale Stadt mit vielen lesbisch-schwulen Kneipen, Nachtklubs und Cabarets. Es gab sogar eine Reihe von Travestie-Bars, in denen sich heterosexuelle wie schwule Touristen durch Darbietungen von Frauendarstellern unterhalten ließen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts existierte auch eine relativ bedeutsame Homosexuellenbewegung. Doch die Fortschritte in der Emanzipation der Freunde, wie sich Lesben und Schwule damals häufig nannten, wurden bald durch den Aufstieg der NSDAP zunichte gemacht.

Die Partei-Ideologen vertraten die Ansicht, dass Homosexualität inkompatibel mit dem Nationalsozialismus sei, weil Lesben und Schwule sich nicht fortpflanzten und an der Reproduktion der "Herrenrasse" teilhatten.

Unterdessen führte Ernst Röhm, der mit der SA die erste paramilitärische Institution der Nazis aufgebaut hatte, diskret ein schwules Privatleben. Ähnlich taten es einige andere hohe Führer seiner Organisation, wie zum Beispiel Edmund Heines.

Hitler schützte Röhm anfangs vor anderen Teilen der NSDAP, die seine Homosexualität als Verletzung der vehement antihomosexuellen Politik ihrer Partei betrachteten. Doch als er in Röhm eine Gefahr für seine Macht zu sehen begann, vollzog Hitler einen abrubten Kurswechsel. Während der "Nacht der langen Messer", einer Säuberungsaktion gegen alle, die Hitler als potentielle Bedrohung empfand, ließ er Röhm ermorden und benutzte dessen Homosexualität, um innerhalb der Ränge der SA Empörung hervorzurufen. Nach Hitlers Machtkonsolidierung zählten schwule Männer schließlich zu den Gruppen, die man systematisch in die Konzentrationslager verschleppte.

Kurz nach der Säuberung von 1934, wurde eine besondere Division der Gestapo errichtet, um Listen von schwulen Einzelpersonen anzulegen. 1936 schuf der Reichsführer-SS Heinrich Himmler die "Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung".

Himmler war zu Beginn ein Unterstützer Röhms gewesen, der argumentiert hatte, dass die Vorwürfe der Homosexualität gegen ihn von Juden fabriziert worden seien. Aber nach der Säuberung wurde Himmlers Status durch Hitler aufgewertet, und er wurde sehr aktiv in der Unterdrückung der Schwulen, die er in einer Geheimrede am 18. Februar 1937 als "anormales Leben" brandmarkte.

Hitler sah Homosexualität als ein "entartetes Verhalten", das die Leistungsfähigkeit des Staates und den "männlichen Charakter" des Volkes bedrohe. Schwule Männer wurden als "Volksfeinde" denunziert. Man beschuldigte sie, dass sie die öffentliche Moral zerrütten und die deutsche Geburtenrate gefährden. Hunderttausende schwule Männer wurden durch den NS-Staat erfasst und verfolgt. Jedoch behandelte man sie nicht in derselben Weise wie die Juden. Nazideutschland hielt deutsche Schwule für einen Teil der "Herrenrasse" und versuchte, schwule Männer in die sexuelle und soziale Konformität zu zwingen. Schwule, die sich nicht anpassten und ihre sexuelle Orientierung wechselten, sollten in Konzentrationslager geschickt werden, um sie durch Arbeit umzuerziehen oder zu vernichten.

Die Naziverfolgung schwuler Männer vollzog sich primär über die 1935 erfolgte Verschärfung des Paragraphen 175, unter dem im "Dritten Reich" etwa 100.000 Männer verhaftet wurden. 50.000 wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, eine unbekannte Zahl an Psychiatrien überwiesen. Hunderte schwuler Männer wurden auf gerichtliche Anordnung hin kastriert. Einige, die unter diesen Gesetzen verfolgt wurden, würden sich selbst jedoch nicht als Schwule identifiziert haben. Solche antihomosexuellen Gesetze waren in der westlichen Welt weit verbreitet, so dass viele Schwule sich bis in die 70er Jahre, als zahlreiche dieser Gesetze widerrufen wurden, nicht sicher genug fühlten, um ihre Geschichte zu erzählen.

Die Schätzungen hinsichtlich der Zahl der schwulen Männer, die während des Holocaust in den Konzentrationslagern ermordet wurden, variieren erheblich. Sie schwanken zwischen 10.000 und 600.000 Personen. Der Grund für diese Differenzen liegt darin, dass manche Forscher Lesben und Schwule, die wegen ihres Jüdischseins ermordet wurden, in ihre Berechnungen einbeziehen, andere dagegen nicht. Außerdem fehlen in vielen Bereichen Daten über die Gründe, warum jemand in ein Todeslager verschleppt wurde.

Schwule litten unter einer besonders grausamen Behandlung in den Konzentrationslagern. Sie kann auf die unerbittliche Einstellung der SS-Wachen gegenüber homosexuellen Männern zurückgeführt werden, in der sich die homophoben Ansichten der deutschen Mehrheitsbevölkerung widerspiegelten. Die gesellschaftliche Marginalisierung der Schwulen bildete sich zudem in der Lagerhierarchie ab, in der sie die niedrigste Kaste bildeten. Sie starben unter den brutalen Schlägen der SS-Wachen, während sie von ihren Mithäftlingen häufig auf Distanz gehalten wurden. KZ-Ärzte benutzten sie darüber hinaus auch für Menschenversuche, um die Ursachen der Homosexualität wissenschaftlich zu erforschen.

Pierre Seel, ein schwuler Überlebender des nationalsozialistischen Lagersystems, schildert das Leben Homosexueller unter der Naziherrschaft etwas genauer. In seinem Bericht erzählt er von seiner Beteiligung an der schwulen Szene in Mülhausen. Als die Nazis diese Stadt unter ihre Hoheit gebracht hatten, stand sein Name auf einer Liste der schwulen Männer des Ortes, die sich bei der Polizei vorstellig machen sollten. Er gehorchte der Anordnung, um seine Familie vor möglichen Vergeltungsmaßnahmen zu schützen. Nach Ankunft auf der Polizeiwache sind er und andere schwule Männer geschlagen worden, so Seel weiter. Einigen Schwule, die der SS widerstanden, wurden die Fingernägel herausgezogen. Andere wurden mit zerbrochenen Linealen in den Anus penetriert und ihre Därme durchlöchert, was zu starken Blutungen führte. Nach seiner Verhaftung wurde er ins Konzentrationslager bei Schirmeck gesandt. Laut dem Bericht von Herrn Seel kündigte der Nazi-Kommandant dort während eines Morgenappels eine öffenliche Hinrichtung an. Ein Mann wurde herausgebracht und Herr Seel erkannte sein Gesicht. Es war das Gesicht seines 18-jährigen Geliebten aus Mülhausen. Herr Seel erzählt weiter, dass die Nazi-Wachen seinen Geliebten entkleideten und einen Metallkübel auf seinem Kopf platzierten. In diesem Augenblick ließen die Wachen abgerichtete deutsche Schäferhunder auf ihn los, die ihn bei lebendigem Leib zerrissen.

Erfahrungen wie diese können die, verglichen mit anderen "antisozialen Gruppen", relativ hohe Todesrate homosexueller Männer in den Lagern erklären. Eine Studie von Rüdiger Lautmann fand heraus, dass 60 Prozent der Schwulen in den Konzentrationslagern starben, gemessen an 41 Prozent der politischen Häftlinge und 35 Prozent der Zeugen Jehovas. Die Studie zeigt, dass die Überlebensrate für schwule Männer etwas höher lag, wenn es sich um Häftlinge aus der Mittel- und Oberschicht, um verheiratete Männer oder um solche mit Kindern handelte.

Mehrere Städte rund um die Erde haben Mahnmale errichtet, um an die tausenden schwulen Männer zu erinnern, die während der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden. Solche Denkmäler finden sich u.a. in Berlin, Amsterdam und San Francisco. Im Jahr 2002 hat sich der deutsche Bundestag offiziell gegenüber den homosexuellen Opfern des Nazi-Regimes entschuldigt.

Frauen fielen zwar nicht unter den Homosexuellenparagraphen 175. Jedoch wurden Lesben als Bedrohung für die staatlichen Werte betrachtet und als "asozial" gebrandmarkt.

Literatur

  • Gad Beck; Frank Heibert (Hrsg.): Und Gad ging zu David : Die Erinnerungen des Gad Beck. Berlin 1995. ISBN 3-42320-065-0
  • Burkhard Jellonnek: Homosexuelle unter dem Hakenkreuz : Die Verfolgung von Homosexuellen im Dritten Reich. Paderborn 1990. ISBN 3-50677-482-4
  • Joachim Müller; Andreas Sternweiler; Schwules Museum Berlin (Hrsg.): Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen. Berlin 2000. ISBN 3-86149-097-8
  • Andreas Pretzel: Als Homosexueller in Erscheinung getreten. In: Kulturring in Berlin e. V. (Hrsg.): "Wegen der zu erwartenden hohen Strafe" : Homosexuellenverfolgung in Berlin 1933 – 1945. Berlin 2000. ISBN 3-86149-095-1
  • Pierre Seel; Jean Le Bitoux; Miriam Magall (Übers.): Ich, Pierre Seel, deportiert und vergessen. Köln 1996. ISBN 3932117204
  • Burkhard Jellonnek (Hrsg.); Rüdiger Lautmann (Hrsg.): Nationalsozialistischer Terror gegen Homosexuelle : Verdrängt und ungesühnt. Paderborn 2002. ISBN 3-50674-204-3
  • Andreas Sternweiler: Und alles wegen der Jungs : Pfadfinderführer und KZ-Häftling: Heinz Dörmer. Berlin 1994. ISBN 3-86149-030-7

Siehe auch