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Tibetische Unruhen 2008

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Die autonomen tibetischen Verwaltungsgliederungen in China

Die Unruhen in Tibet begannen im März 2008 mit vorerst gewaltfreien Demonstrationen buddhistischer Mönche in Lhasa. Gefordert wurde die Rückkehr des 14. Dalai Lama Tenzin Gyatso aus dem Exil zu ermöglichen und die Unabhängigkeit Tibets von der Volksrepublik China. Wenige Tage nach den ersten Protesten begannen gewaltsame Ausschreitungen vorwiegend jüngerer Tibeter in Lhasa, dann auch in anderen Teilen des Landes, die sich sowohl gegen chinesische Zivilisten, wie auch gegen die staatlichen Behörden und deren Einrichtungen richteten[1].

Verlauf

Die Proteste begannen am 10. März 2008, dem 49. Jahrestag des Tibetaufstandes von 1959, der die Flucht des Dalai Lama nach Indien zur Folge hatte. Am Beginn standen gewaltfreie Demonstrationen der Mönche des am Rande Lhasas gelegenen Sêra-Klosters, die die Rückkehr des Dalai Lama und die Unabhängigkeit Tibets forderten. Von den chinesischen Behörden wurden diese Proteste vorerst gedultet, bis am 12. März die drei größten Klöster in und um Lhasa (Drepung, Gandain und Sêra) abgeriegelt wurden[1][2].

Am 14. März begannen Ausschreitungen in der mehrheitlich von Tibetern bewohnten, den Jokhang-Tempel umgebenden Altstadt Lhasas, die wahllos sich gegen Zivilisten richteten, deren Geschäfte und Fahrzeuge geplündert und in Brand gesetzt wurden. Nach Angaben der chinesischen Regierung wurden dabei mehrere Menschen schwer verletzt und getötet. Im Verlauf des Tages breiteten sich die Unruhen auf weitere Teile der Stadt aus[3]. Am selben Tag trafen mehrere Tausend Militärpolizisten in Lhasa ein, insgesamt soll die Regierung im Zuge der Auseinandersetzung rund 300.000 Milizsoldaten in die Hauptstadt Tibets beordert haben[1]. Augenzeugen berichten von Angriffen auf Polizei und Feuerwehr, sowie auf Regierungsgebäude. Die Polizei benutzte Tränengas und schoss in die Luft. Zwei Personen sollen laut Radio Free Asia dabei auch erschossen worden sein. Touristen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wurden angewiesen, Tibet zu verlassen. Die chinesische Volksbefreiungsarmee und Polizei patrouillierten durch die Straßen Lhasas.[4][5][2][6] Der Dalai Lama zeigte sich aufgrund der Berichte besorgt und rief beide Seiten zum Gewaltverzicht auf. Sollte die Gewalt anhalten, drohte er am 18. März mit seinem Rücktritt als politischer Führer der Tibeter und Oberhaupt der Exil-Regierung.[7]

Viele Tibeter, darunter zahlreiche Mönche, demonstrierten am 16. März 2008 in Aba (Bezirk Ngawa, Provinz Sichuan). Chinesische Sicherheitskräfte sollen daraufhin laut Angaben von Exiltibetern Tränengas eingesetzt und ein Kloster umstellt haben. Mindestens acht Menschen seien dabei erschossen worden. Am 20. März meldete zu diesem Vorfall die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua unter Berufung auf Polizeiquellen, beim Einsatz seien vier Demonstranten durch Schüsse verletzt worden.[8][9][10] Auch im autonomen Bezirk Gannan und in Sangchu[5] in der Provinz Gansu marschierten, laut exiltibetischer Kreise, bis zu 300 Tibeter mit Bildern des Dalai Lama zu Regierungsgebäuden. In der Stadt Lanzhou beteiligten sich 100 tibetische Studenten an der dortigen Universität an einem Sitzstreik.

Offizielle chinesische Angaben sprechen von 13 Toten in Lhasa, zumeist chinesische Zivilisten, die von aufgebrachten Tibetern umgebracht wurden. In den anderen Teilen Tibets und in den Nachbarprovinzen Sichuan, Gansu und Qinghai sollen aber laut Augenzeugen mehr Menschen umgekommen sein, vor allem tibetische Mönche, die dort demonstrierten.[11] Die tibetische Exil-Regierung spricht von mindestens 80 Toten.[12][7]

Reaktionen innerhalb Chinas

Eine internationale Untersuchung der Vorfälle wird von der chinesischen Regierung abgelehnt. Auch die geforderte Entsendung eines unabhängigen Gesandten der Vereinten Nationen wies ein Sprecher des Außenministeriums in Peking als Einmischung in die „inneren Angelegenheiten“ Chinas zurück. Gleichzeitig warf er dem Dalai Lama vor, die Unruhen mit angestiftet zu haben und die internationale Öffentlichkeit durch „eine Menge Lügen in die Irre zu führen“[13], dessen Aufrufe zum Frieden werden der chinesischen Öffentlichkeit vorenthalten. Vor dem Nationalen Volkskongress verteidigte der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten und machte die Anhänger des Dalai Lama für die Unruhen verantwortlich, durch die es zu Todesopfern und schweren Zerstörungen gekommen sei. Er unterstellte der tibetischen Autonomiebewegung zudem, durch den Konflikt eine gezielte Vereitelung der Olympischen Sommerspiele zu betreiben.[14]

Gegen 21 mutmaßlich an den Unruhen beteiligte Personen wurden seit dem 17. März Haftbefehle ausgestellt. Fotos der Verdächtigten wurden auch auf Sina.com und dem chinesischen Portal von Yahoo eingestellt.[15]

Am 19. März 2008 verschärfte Zhang Qingli, der Sekretär der Kommunistischen Partei Chinas in Tibet, den Ton in der Auseinandersetzung und sprach von einem „Kampf auf Leben und Tod mit der Clique des Dalai Lama“, welcher härtere politische Kontrollen in den autonomen Gebieten erfordere.[16] Als letzte ausländische Journalisten wurden am 20. März die Korrespondenten Georg Blume (Korrespondent der taz und der ZEIT) und Kristin Kupfer (Korrespondentin von profil) aus Tibet ausgewiesen.[17][18] Eine unabhängige Berichterstattung aus Tibet und angrenzenden Provinzen wird damit unterbunden.

Am 23. März 2008 wurden erstmals kritische Stimmen innerhalb Chinas gegenüber dem Verhalten der Regierung bekannt. In einem Manifest im Internet legten 29 Hochschuldozenten, Autoren, Anwälte und Bürgerrechtsaktivisten „Zwölf Vorschläge zur Lage in Tibet" vor.[19][20]

Blockade von YouTube

Am 16. März 2008 wurde in Teilen der Volksrepublik China der Zugang zum Internet-Videoportal YouTube blockiert.[21][22] Nach Angaben von Focus geschah dies, nachdem „dort Dutzende von Filmen über die Proteste in Tibet aufgetaucht waren“[23] Die Süddeutsche Zeitung kommentierte: „was derzeit in Tibet vorgeht, soll in China niemand ungefiltert zu sehen bekommen.“[24] YouTube war bereits seit Oktober 2007 blockiert.[25] Ausländische Webseiten werden in China in der Regel umgehend geblockt, wenn sie regierungskritische Inhalte verbreiten.[21][23][24]

Reaktionen außerhalb Chinas

Datei:Tibet flags.jpg
Proteste mit der Flagge Tibets vor dem chinesischen Konsulat in San Francisco

Am 10. März 2008 wurde auch in Städten außerhalb Chinas zum Gedenktag demonstriert. Proteste in Kathmandu von wahrscheinlich etwa 3.000 Demonstranten wurden von den nepalesischen Behörden gewaltsam aufgelöst, mehrere Dutzend Demonstranten wurden inhaftiert. In Indien sollte ein sechsmonatiger Marsch mit etwa 100 Exiltibetern von Dharmshala bis nach Tibet führen[26], dieser Marsch wurde jedoch nach wenigen Kilometern von der indischen Polizei gestoppt und mehrere Personen verhaftet.[27]

Zu Protesten von Exil-Tibetern kam es weltweit vor diplomatische Vertretungen der Volksrepublik China, so in Washington, Sydney und Kopenhagen. In Zürich kam es vereinzelt zu Steinwürfen auf das chinesische Konsulat.[28] In Melbourne wurden die Proteste vor dem chinesischen Konsulat gewaltsam von der Polizei aufgelöst. In Paris wurde die Botschaft gestürmt. Die Polizei setzte Tränengas ein. In München attackierten etwa 30 Demonstranten das chinesische Generalkonsulat. Mehrere Mitarbeiter des Konsulats wurden dabei leicht verletzt. Die Demonstranten verbrannten die chinesische Nationalflagge und besprühten das Gebäude mit Parolen wie „Rettet Tibet“ oder „Stop Killing“ und „Stoppt das Morden“. Die Polizei nahm vorläufig 26 Personen fest, dabei kam es auch zu Angriffen auf die Polizisten. Die Demonstranten müssen mit Anklagen wegen Landfriedensbruch, Hausfriedensbruch und Körperverletzung rechnen. Die Tibet Initiative München rief darauf zu Gewaltlosigkeit auf: „Wir von der Tibet Initiative München haben Verständnis für die Gefühle der tibetischen Flüchtlinge, fordern aber von solchen Grenzüberschreitungen abzusehen und dem Aufruf des Dalai Lama zur Gewaltlosigkeit Folge zu leisten.“[29][30][31] Während einer Solidaritätskundgebung für Tibet vor der chinesischen Botschaft in Berlin hat sich am 20. März 2008 ein Tibeter aus Protest gegen die chinesische Tibet-Politik selber angezündet. Er konnte von Passanten gerettet werden und erlitt nur leichte Verletzungen.[32]

Die Außenministerin der Vereinigten Staaten, Condoleezza Rice, rief die chinesische Regierung auf, im Umgang mit den Protesten Zurückhaltung zu zeigen und appellierte an die Demonstranten, von Gewalt abzulassen.[33] Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte am 14. März 2008: „Die Bundesregierung unterstützt seit jeher den Anspruch der Tibeter auf religiöse und kulturelle Autonomie.“ Sie wende sich aber zugleich gegen alle separatistischen Bestrebungen.[34]

Amnesty International forderte einen Stopp der Gewalt und eine unabhängige Untersuchung durch die Vereinten Nationen.[35]

Diskussion über Olympiaboykott

Weltweit führten die Berichte über die Situation in Tibet zu einer Diskussion über einen möglichen Boykott der Olympischen Spiele 2008 in Peking.[36] Vor dem Gebäude des Internationalen Olympischen Komitees in Lausanne demonstrierten Tibeter.[37] Dennoch sprachen sich der Dalai Lama, das Internationale Olympische Komitee, die deutsche Bundeskanzlerin Merkel und die Sportminister der Europäischen Union gegen einen Olympia-Boykott aus.[38][39]

Am 22. März 2008 drohte als erster hochrangiger Politiker der EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (CDU) mit einem Olympiaboykott: „Peking muss sich entscheiden. Es sollte unverzüglich mit dem Dalai Lama verhandeln. Bleiben Signale der Verständigung aus, halte ich Boykottmaßnahmen für gerechtfertigt.“[40] Von verschiedenen Seiten, unter anderem dem französischen Außenminister Bernard Kouchner wurde ein Boykott der Eröffnungsfeier ins Gespräch gebracht.[41] Der Vorsitzende des Sportausschusses des Bundestages, Peter Danckert (SPD), und der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Michael Vesper, lehnten Boykottmaßnahmen hingegen weiterhin ab. Die Olympischen Spiele „können nicht als Faustpfand für die Politik dienen“, so Vesper.[42]

Auf dem Gelände des antiken Olympia in Griechenland wurde symbolisch ein eigenes tibetisches Feuer entzündet, das bis zur Eröffnung der Olympischen Spiele an die indisch-tibetische Grenze gebracht werden soll.[43]

Commons: Tibetische Unruhen 2008 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
 Wikinews: Tibet – in den Nachrichten

Fußnoten

  1. a b c profil (Ausgabe 13/2008): Als der Zorn nach Tibet kam, 21. März
  2. a b Die Welt: Lhasa: Proteste in Tibet fordern erste Todesopfer, 14. März 2008
  3. The Economist: Tibet: Fire on the roof of the world, 14. März 2008
  4. Spiegel Online: China-Tibet-Krise: Tote bei Aufruhr in Lhasa – Dalai Lama in Sorge, 14. März 2008
  5. a b Stern: Protest der Mönche: Neue Unruhen in Lhasa, 15. März 2008 (mit Video)
  6. Die Zeit: Angst vor Repression, 17. März 2008
  7. a b Spiegel Online: Gewalt in Tibet: Dalai Lama droht mit Rücktritt, 18. März 2008
  8. Die Welt: Neue Proteste von Tibetern in Chinas Provinz Sichuan aufgeflammt, 16. März 2008
  9. OÖ Nachrichten: Antichinesische Proteste in Tibet weiten sich aus, 16. März 2008
  10. Westdeutsche Allgemeine Zeitung: Steinmeier: Wir wollen wissen, was in Tibet passiert, 21. März 2008
  11. tagesschau.de: „Überall, wo Tibeter wohnen, kommt es zu Aufständen“, 17. März 2008 (mit Bildern und Video-Interview mit ARD-Korrespondent Jochen Grabert)
  12. Amnesty International: UN scrutiny of Tibet crisis required, 17. März 2008
  13. Frankfurter Rundschau: Vereinte Nationen: Ban fordert von China Zurückhaltung, 17. März 2008
  14. tagesschau.de: Unruhen in Tibet: „Die Dalai-Lama-Clique ist schuld“, 18. März 2008
  15. Xinhua: Internet portals carry images of wanted Lhasa riot suspects, 20. März 2008
  16. Spiegel Online: Proteste in Tibet: China droht mit Kampf auf Leben und Tod, 19. März 2008
  17. die tageszeitung: Folgen des Aufruhrs in Tibet: taz-Reporter aus Tibet ausgewiesen, 20. März 2008
  18. Die Zeit: Bericht aus Tibet: Georg Blume: „Es geht viel verloren“, 20. März 2008
  19. Die Welt: Chinesische Intellektuelle für neue Tibet-Politik, 23. März 2008
  20. New Century News: 关于处理西藏局势的十二点意见, 22. März 2008
  21. a b Spiegel Online: Tibet-Revolte: China blockiert YouTube, 16. März 2008.
  22. heise online: China blockiert nach den Protesten in Tibet YouTube, 17. März 2008.
  23. a b Focus: China blockiert YouTube-Webseite, 16. März 2008.
  24. a b Süddeutsche Zeitung: China blockiert YouTube wegen Tibet-Videos, 16. März 2008.
  25. InfoWorld: YouTube blocked in China; Flickr, Blogspot restored, 18. Oktober 2007 (englisch).
  26. Die Zeit: Protest: Dalai Lama beklagt Unterdrückung Tibets, 10. März 2008
  27. AFP: Dalai Lama wirft China Menschenrechtsverletzungen vor, 10. März 2008
  28. SF Tagesschau: Tibeter protestieren vor Konsulat, 18. März 2008
  29. AP: Proteste vor chinesischer Botschaft in Paris, 16. März 2008
  30. Stern: Tibet-Protest: Tibeter randalieren in München, 17. März 2008
  31. Süddeutsche Zeitung: Tibeter in München verhaftet – Spontane Aktion vor chinesischem Generalkonsulat, 17. März 2008
  32. Spiegel Online: Berlin: Mann zündet sich bei Mahnwache für Tibet an, 20. März 2008
  33. Der Tagesspiegel: UN soll eingreifen - Proteste verschärfen sich, 16. März 2008.
  34. Reuters: Merkel lehnt Olympia-Boykott wegen Unruhen in Tibet ab, 17. März 2008
  35. amnesty international Deutschland: Proteste in Tibet – Amnesty International fordert Stopp der Gewalt und unabhängige Untersuchung durch die Vereinten Nationen, 20. März 2008
  36. Spiegel Online: China im Zwielicht: Tibet-Krise heizt Debatte um Olympia-Boykott an, 17. März 2008
  37. SF Tagesschau: Neue Proteste in Tibet fordern Tote, Auch Demo vor IOC-Gebäude in Lausanne, 18. März 2008
  38. n-tv: Olympische Spiele – Regierung gegen Boykott, 17. März 2008
  39. EuroNews: Dalai Lama weiter gegen Olympia-Boykott, 17. März 2008
  40. ZDF heute China will Proteste ohne Rücksicht niederschlagen, 22. März 2008
  41. Süddeutsche Zeitung: Konflikt um Lage in Tibet "Olympia-Eröffnung boykottieren", 18. März 2008
  42. Die Zeit: Blutige Unruhen in Tibet: Ruf nach Olympia-Boykott wird lauter, 22. März 2008
  43. Financial Times Deutschland: Dalai Lama beklagt vor Olympia Menschenrechtsverletzungen in Tibet, 10. März 2008