Sexueller Missbrauch von Kindern
Unter Sexuellem Missbrauch von Kindern versteht man die Einbeziehung von Kindern in sexuelle Handlungen. Die Definition einer "sexuellen Handlung" wird dabei unterschiedlich umfassend gehandhabt. Grob gesprochen kann man von weit gefassten Definitionen sprechen, die jedwedes Einbeziehen eines Kindes in jedwede sexuelle Handlungen als Missbrauch einstufen, und von eng gefassten Definitionen, die nur physische sexuelle Handlungen an Kindern gegen deren Willen als "Missbrauch" bezeichnen. Als Kinder werden im Allgemeinen Personen vor oder zu Beginn der Pubertät verstanden.
Die weiter gefasste Definition wird auch im deutschen Strafrecht verwendet.
"Weite des Begriffs"
Der Begriff des sexuellen Missbrauchs von Kindern ist je nach Ansatzpunkt unterschiedlich weit definiert. Die wesentlichen Punkte, in denen sich die Ansätze unterscheiden, sind die folgenden:
- Alter des Kindes
- Alter des Partners
- Einwilligung des Kindes
- sexuelle Intensität
- Gewaltbegriff
Die ersten beiden Punkte werden als notwendige Abgrenzungspunkte für jegliche standardisierten Betrachtungsweisen notwendigerweise nie dem Einzelfall gerecht und sind sehr leicht unterschiedlich zu handhaben: So definiert das So definiert das Strafrecht in den Niederlanden und dem Vatikan Personen unter 12 Jahren als Kinder, in Deutschland Personen unter 14 Jahren. In der Schweiz liegt diese Grenze bei 16 Jahren und in den USA weitgehend bei 18 Jahren. Das Schweizer Strafrecht kennt Strafbefreiungen bei in etwa gleichaltrigen Personen, das Deutsche nicht. Diese Unterschiede sind also bei der Bewertung von Statistiken und Ähnlichem stets zu berücksichtigen.
Extrem schwierig gestaltet sich die Abgrenzung eines Falles als "Missbrauch" anhand der Einwilligung des Kindes in die sexuelle Handlung. Das Strafrecht bewertet in der Regel jegliche sexuelle Handlung als Missbrauch, in der Annahme, das vorzeitige sexuelle Erfahrungen von Kindern grundsätzlich schädlich seien. Sexualforscher erklären dagegen teilweise, dass Kinder, wenn sie bewusst in sexuelle Handlungen einwilligen, in ihrer späteren Entwicklung davon kaum beeinflusst würden. Dies ist ein Spannungsfeld, das aufgrund der notwendigen Definition des "nicht-mehr-Kind-Seins" eines Heranwachsenden nur anhand des Alters im Grunde nicht aufzulösen ist.
Die Bewertung eines Vorfalles als "Missbrauch" anhand der sexuellen Intensität ist ebenfalls umstritten. Einig sind sich im Grunde alle, dass alle Vorgänge, die mit Körperkontakt einhergehen, als Missbrauch einzustufen sind, sobald primäre oder sekundäre Geschlechtsmerkmale berührt werden, und die anderen als jeweils nötig betrachteten Randbedingungen insbesondere bzgl. der Nicht-Einwilligung vorliegen. Dabei werden Vorgänge, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind, als besonders schwere Vorfälle betrachtet. Schwierig wird die Eingrenzung bereits bei Vorfällen, die zwar Körperkontakt mit sich bringen, bei dem aber keine Geschlechtsmerkmale berührt werden (Streicheln über den Kopf). Liegt kein Körperkontakt vor, sind aber Geschlechtsmerkmale in die Handlung involviert (beispielsweise bei Masturbation vor einem Kind), so tendiert die die überwiegende Mehrheit in der Regel dazu, dies ebenfalls als Missbrauch einzustufen, da das Kind solche Handlungen nicht wünschen könne. Andere tendieren dazu, den Missbrauchsbegriff zumindest dann nicht zu verwenden, wenn die Handlung als einverständlich zu bewerten sei - was wiederum auf obige Problemstellung zurückführt.
Schließlich unterscheiden sich die Definitionen des "sexueller Missbrauchs" je nach im implizierten Gewaltbegriff. Im Allgemeinen wird lediglich die Anwendung von physischer oder psychischer Gewalt als solche bezeichnet. Insbesondere Kinderschutzorganisationen sehen jedoch jegliche sexuelle Handlung, die Kinder einbezieht, als Gewalt an; in diesem Sinne liegt Gewaltanwendung auch vor, auch wenn das Kind nicht physisch oder psychisch in die Situation gezwungen wird, sondern sich ihr (etwa durch Davonlaufen oder Wegsehen) jederzeit entziehen kann oder die Situation im Extremfall gar nicht wahrnimmt. Dies ist inbesondere bei der Bewertung exhibitionistischer oder voyeuristischer Vorgänge von Belang; während letztere beispielsweise vom Gesetzgeber nicht als Missbrauch eingestuft werden, wenn sie unbemerkt bleiben, bestehen manche Kinderschutzorganisationen auch hier auf dem Begriff der "Gewalt" bzw. "sexuellen Gewalt".
Im folgenden werden die verbreitetsten Definitionen des sexuellen Missbrauchs von Kindern näher betrachtet:
Juristische Einstufung
Bundesrepublik Deutschland
Juristisch werden unter sexuellem Missbrauch von Kindern jegliche sexuelle Handlungen von und mit Personen unter 14 Jahren (Kind) verstanden, unabhängig vom Alter des Täters und der Einwilligung des Kindes.
Das deutsche Strafrecht geht dabei grundsätzlich von der Annahme aus, das Kinder die eigenen sexuellen Wünsche noch nicht kennen (können). Daher kann bei Kindern nicht von sexuelle Nötigung gesprochen werden, da das dort geschützte Recht der sexuellen Selbstbestimmung zwingend einen eigenen sexuellen Willen voraussetzt. Demzufolge ist die Sexualität mit Kindern davon gesondert zu betrachten.
Sexuelle Handlungen unter Kindern werden dabei strafrechtlich ebenfalls als sexueller Missbrauch eingestuft.
Geregelt wird der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 StGB. Sexueller Missbrauch liegt danach vor, wenn eine Person mit einem Kind sexuelle Handlungen vollzieht, ein Kind dazu bestimmt, solche Handlungen an sich oder einem Dritten zu vollziehen oder ihm pornografische Darstellungen vorführt. Der Begriff der "sexuellen Handlung" ist dabei (§ 184c als Handlung "die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind" definiert, wobei sexuelle Handlungen "vor einem anderen" nur solche sind, die auch von diesem Wahrgenommen werden.
Als sexuelle Handlung wird in Bezug auf den sexuellen Missbrauch von Kindern dabei - jedoch nicht ausschließlich - Folgendes angesehen:
- der Vollzug des Geschlechtsverkehrs mit Kindern
- das Vornehmen sexueller Handlungen an einem Kind
- das Bestimmen eines Kindes, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen
- das Vorspielen pornografischer Darstellungen vor einem Kind sowie pornografische Reden.
Bis auf den letzten Punkt ist auch der Versuch strafbar. Besteht die sexuelle Handlung darin, in den Körper des Kindes - egal in welcher Art - einzudringen, so wird (u.a.) dies als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern mit höherer Strafandrohung belegt. Für die Details der gesetzlichen Regelung und deren Auswirkungen in bestimmten Situationen siehe § 176 StGB.
Exhibitionismus vor Kindern wird in der überwiegenden Zahl der Fälle als sexuelle Handlung betrachtet und als sexueller Missbrauch bestraft. Lediglich in Fällen, in denen Kinder "zufällig" zugegen waren (z.B. in einer Gruppe mit Erwachsenen) wird auf die gesonderten Regelungen zum Exhibitionismus (§ 183 StGB) zurückgegriffen.
Die Verbreitung und der Besitz von kinderpornografischem Material ist nach § 184 StGB gesondert unter Strafe gestellt, wobei bereits der Versuch strafbar ist.
Schweiz
Die Schweiz bestraft nach Artikel 187 StGB sexuelle Handlungen von und mit Personen unter 16 Jahren (Kind) mit bis zu fünf Jahren Zuchthaus. Diese Handlungen bleiben straffrei, wenn der Altersunterschied weniger als drei Jahre beträgt. Liegt eine Nötigung, Vergewaltigung oder Schändung vor, greifen in erster Linie die Artikel 189, 190 oder 191, die eine Höchststrafe von 10 Jahren Zuchthaus vorsehen.
Sexualwissenschaft
Eine allgemein anerkannte Definition von sexuellem Missbrauch gibt es in den Wissenschaften nicht, vielmehr kommt eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen zum Tragen, zumeist angelehnt an gesellschaftliche oder juristische Vorgaben und Anschauungen. Sehr weite Definitionen sind üblich gewesen, die zu hohen Zahlen von Fällen und Betroffenen führten.
In den Schriften der Missbrauchsforschung (Richard Green) wird übrigens erstaunlich viel Raum scholastischen Debatten über die »richtige« Definition gegeben, was eine gewisse Unkenntnis ihrer logischen Funktion (in empirischen Wissenschaften) verrät. Demgegenüber wird der Frage der Validität kaum genügend Bedeutung beigemessen.
Kritikpunkte an der Wortwahl
Die Bezeichnung "sexueller Missbrauch" wird manchmal kritisiert, weil sie einen korrekten "sexuellen Gebrauch" von Kindern impliziert, ähnlich dem Unterschied zwischen Alkohol-Missbrauch und Alkohol-Gebrauch. Es wird deshalb auch von "sexueller Gewalt" und "sexueller Misshandlung" gesprochen, wobei diese Begriffe ebenfalls irreführend sind, da nur bei einem geringen Anteil des Missbrauchs Gewalt oder Drohung anzutreffen ist (15 Prozent nach einer Studie des BKA; Baurmann 1983).
Weitere Kritik ergibt sich, da unter sexuellem Missbrauch auch solche Handlungen verstanden werden, die nicht "missbräuchlich" sind. Darunter fallen sexuelle Handlungen unter Kindern sowie sexuelle Handlungen zwischen Kindern und Jugendlichen im Rahmen einer Beziehung.
Sexueller Missbrauch von Kindern ohne physische Gewalt wird manchmal neutral als "sexuelle Handlung mit Kindern" bezeichnet, also im Sinne der obigen, engeren Definition nicht als "Missbrauch" bezeichnet, ist aber nichts desto trotz justiziabel, da der Gesetzgeber die Folgen sexuellen Missbrauchs als entsprechend schwerwiegend bewertet.
Häufigkeit
Zur Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs von Kindern liegen keine gesicherten Zahlen vor. Zum Teil lassen sich die Ergebnisse verschiedener Studien durch unterschiedlich verwendete Missbrauchsdefinitionen (Bange) nicht vergleichen.
In der Bundesrepublik Deutschland kommen jährlich etwa 15.000 Fälle zur Anzeige (Polizeiliche Kriminalstatistik) bei etwa gleichbleibender Tendenz und gestiegener Anzeigebereitschaft in den letzten Jahren (Stand 2002). Diesen stehen jedoch nur etwa 2.200 Verurteilungen gegenüber (Strafverfolgungsstatistik). Hauptursache hierfür ist der hohe Anteil exhibitionistischer Handlungen vor Kindern, zu denen nur relativ wenige Tatverdächtige ermittelt werden können. Berücksichtigt werden muss, dass diese Zahlen nicht die tatsächliche Häufigkeit widerspiegeln: Hinzu kommt ein Dunkelfeld durch diejenigen Fälle, die nicht zur Anzeige gebracht werden. Experten schätzen, dass das Dunkelfeld um den Faktor 5-7 höher liegt als das Hellfeld (Erster Periodischer Sicherheitsbericht der Bundesregierung).
Die Ergebnisse von Prävalenzstudien zeigen auf, dass etwa 8 bis 30 Prozent der weiblichen Bevölkerung in ihrer Kindheit bzw. Jugend sexuell missbraucht wurden. Die Prävalenzen variieren sehr stark und hängen von den verwendeten Missbrauchsdefinitionen (Anwendung von Gewalt, Körperkontakt, Alter des Opfers, Alterunterschied zum Täter, Selbsteinschätzung) ab. Hohe Prävalenzraten sind vornehmlich bei Studien mit weit gefassten Missbrauchsdefinitionen zu finden. Die methodisch exakteste Studie in der Bundesrepublik (Wetzels) geht davon aus, dass etwa 8 Prozent der Mädchen und 3 Prozent der Jungen missbraucht werden. Als Definition gilt hier eine obere Altersgrenze von 16 Jahren sowie sexuellen Handlungen, die gegen den Willen des Opfers erfolgten, ausgenommen exhibitionistische Handlungen.
Dies deckt sich in etwa mit den Ergebnissen der Studie von Coxell et al., die 1999 im British Medical Journal erschien. Die Forscher befragten 2500 Männer zu sexuellen Aktivitäten vor ihrem sechzehnten Lebensjahr, bei denen der Sexualpartner mindestens fünf Jahre älter war. Von den Befragten berichteten 7,7 % über freiwillige und 5,3 % über unfreiwillige Sexualkontakte mit einem Mann, der beträchtlich älter war. Demzufolge hätten 13 % der Knaben - eine nicht gerade geringe Zahl - sexuelle Kontakte mit einem Mann gehabt, die als Missbrauch einzustufen sind. (Vgl. A. Coxell, M. King, G. Mezey, G. Gordon, "Lifetime prevalence, characteristics, and associated problems of non-consensual sex in men: cross sectional survey". British Medical Journal 318: 850, 27 March 1999.)
Generell scheint es also bei Mädchen häufiger als bei Jungen zu sexuellen Kontakten mit (meist männlichen) Erwachsenen zu kommen. (Vgl. auch P. Cox, S. Kershaw, T. Trotter, ed., Child Sexual Assault: Feminist Perspectives, Palgrave, London, 2001.)
Missbrauchshandlungen
Die Polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes gibt Auskunft über die Missbrauchshandlungen der angezeigten Fälle sexuellen Missbrauchs. Es ist davon auszugehen, dass aufgrund erhöhter bzw. verminderter Anzeigebereitschaft Taten von Fremdtätern (z.B. Exhibitionismus) über- und Taten aus dem Nahfeld des Kindes unterrepräsentiert sind.
Etwa zwei Drittel der Missbrauchshandlungen der angezeigten Fälle fanden mit Körperkontakt und etwa ein Drittel ohne Körperkontakt statt. Bei den Fällen mit Körperkontakt entfallen etwa drei Viertel der auf einfache sexuelle Handlungen mit einem Kind während ein Viertel der Handlungen mit Eindringen in den Körper des mutmaßlichen Täters oder Opfers (Beischlaf, intensives Petting, Zungenküsse) verbunden verbunden sind. Bei den angezeigten Fällen ohne Körperkontakt entfallen etwa zwei Drittel auf Exhibitionismus vor Kindern, das restliche Drittel bestand aus dem Vornehmen sexueller Handlungen von Kindern an sich selbst sowie dem Vorzeigen pornografischer Darstellungen.
Der Anteil des sexuellen Missbrauchs zur Herstellung kinderpornografischer Schriften nimmt etwa 1,2 Prozent ein. Der sexuelle Missbrauch mit Todesfolge beträgt etwa 0,012 Prozent (2 Fälle) an der Gesamtzahl der Fälle sexuellen Missbrauchs ein.
Täter
Bei Betrachtungen von Tätern sexuellen Missbrauchs werden üblicherweise Exhibitionisten ausgeklammert, da es sich bei Exhibitionismus um ein gesondert zu betrachtendes Phänomen handelt. Die Täter werden nach folgenden Typen klassifiziert:
- Regressiver Typ
- seine primäre sexuelle Orientierung ist auf Erwachsene gerichtet, er ist durch Kinder jedoch sexuell erregbar. Aufgrund der leichten Verfügbarkeit von Kindern, von nichtsexuellen Problemen sowie wegen Problemen mit erwachsenen Sexualpartnern greift er zur sexuellen Befriedigung auf Kinder zurück. Man spricht deshalb auch von einem Ersatzobjekttäter.
- Fixierter Typ
- er zeichnet sich durch seine primäre sexuelle Orientierung auf Kinder aus. Er ist durch Erwachsene sexuell nicht oder kaum erregbar. Es handelt sich um den klassischen Pädophilen.
- Soziopathischer Typ
- er zeichnet sich durch mangelnde Empathie für Opfer und bisweilen durch sadistische Neigungen aus. Die Sexualität dient ihm nicht primär zur sexuellen Befriedigung, sondern als Mittel zur Unterdrückung. In diesem Zusammenhang wird auch von einem sadistischen Typ gesprochen.
Nach vorsichtigen Schätzungen sind die regressiven Täter mit etwa 90 Prozent am häufigsten anzutreffen. Der fixierte Typ folgt mit etwa zwei bis zehn Prozent an zweiter Stelle. Der soziopathische Typ tritt nur in wenigen Einzelfällen auf. Nach derzeitiger Sachlage bilden Männer etwa 85 bis 90 Prozent der Täter. Der Anteil weiblicher Täter ist erst in jüngerer Zeit in das Blickfeld wissenschaftlicher Untersuchungen gelangt und wird zwischen 10 und 40 Prozent angegeben.
Täter sexuellen Missbrauchs zeichnen sich nicht durch gemeinsame Attribute aus. Sie sind in allen Bevölkerungsschichten vertreten. Häufigste Altersgruppe der mutmaßlichen Täter sexuellen Missbrauchs sind die 14-16jährigen, gefolgt von den 16-17jährigen. Mit zunehmenden Alter sinken die Tatverdächtigen Belastungszahlen. Dabei zu beachten ist, dass der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs (§ 176 StGB) sowohl freiwillige wie unfreiwillige sexuelle Handlungen mit Kindern unter Strafe stellt. .
Die Folgen des Missbrauchs für die Opfer
Missbrauch ohne Anwendung von Gewalt
Zu Beginn der 1980er Jahre konzentrierten sich Studien über die Folgen sexueller Handlungen vornehmlich auf Probanden aus dem klinischen und psychiatrischen Umfeld, die wegen psychischer Probleme (Posttraumatische Belastungsstörung, Borderline-Syndrom, Dissoziative Identitätsstörung etc.) in Behandlung waren. Es wurde festgestellt, dass viele dieser Probanden in ihrer Kindheit Erfahrung mit sexuellen Handlungen hatten. Daraus wurde zunächst gefolgert, dass Missbrauchserfahrungen nachteilige Folgen nach sich ziehen. Finkelhor (1985) postulierte hingegen, dass es keinen schlüssigen Beweis darauf gebe, dass sexueller Missbrauch von Kindern grundsätzlich schädlich sei und begründete eine Ablehnung solcher Handlungen mit der fehlenden Fähigkeit von Kindern, diesen zustimmen zu können.
Genauere Studien anhand von nicht-selektiven Stichproben, die aus der Allgemeinbevölkerung bzw. vergleichbaren Bevölkerungsgruppen stammten, zeigten auf, dass lediglich die Hälfte der Probanden mit Missbrauchserfahrungen in der Kindheit negative Symptome aufzeigten und die andere Hälfte beschwerdefrei blieb (z.B. Baurmann 1983). Es ergab sich das Bild, dass einerseits sexueller Missbrauch nicht grundsätzlich mit negativen Folgen behaftet ist und andererseits eine Korrelation zwischen sexuellem Missbrauch und späteren psychischen Problemen bestand. Aus dieser Korrelation wurde eine Ursachen-Wirkung Beziehung angenommen.
'Methodisch korrekte' Studien wandten sich einer Ursachen-Wirkung Beziehung zwischen sexuellen Erfahrungen in der Kindheit (sexueller Missbrauch) und negativen Folgen zu (Rind et al. 1998, Kilpatrick 1987). Es wurden repräsentative Stichroben verwendet und dabei nicht isoliert sexuelle Handlungen, sondern auch andere Lebensumstände wie nicht-sexuelle physische und psychische Gewalt sowie emotionale und physische Vernachlässigung miteinbezogen. Es bestätigte sich übereinstimmend mit früheren Ergebnissen, dass nur etwa die Hälfte der Probanden mit Missbrauchserfahrungen über negative Symptome berichteten. Bei den Probanden mit psychischen Problemen zeigte sich, dass diese Probleme eher auf psychische/physische Vernachlässigung/Misshandlung als durch sexuellen Missbrauch erklärbar waren. So zeigten sich in der Meta-Analyse von Rind et al. (1998) um bis 9-fach höhere Effektgrößen für Vernachlässigung/Misshandlung als für sexuellen Missbrauch. Auffällig war, dass Dauer und Intensität sexueller Handlungen mit Kindern keinen großen Einfluss auf möglicherweise vorhandene Schädigungen zeigten, die Anwendung von Gewalt hingegen die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung deutlich erhöhten. Mögliche Schäden waren bei Jungen deutlich weniger anzutreffen als bei Mädchen. Etwa ein Drittel der Jungen schätzten die Erlebnisse sogar positiv ein. Insgesamt waren schwere und langanhaltende Schäden nur in Ausnahmefällen anzutreffen. Dies deckte sich mit den Ergebnissen anderer methodisch korrekter Studien.
Gegenwärtig zeigt sich auf, dass Erklärungsmodelle für negative Folgen sexuellen Missbrauchs ohne Gewalteinwirkung nach wie vor fehlen und die Ergebnisse empirischer Forschung darauf hinweisen, dass keine Ursachen-Wirkung Beziehung zwischen sexuellem Missbrauch und negativen Folgen bestehen.
Dennoch werden auch nicht gewaltbehaftete sexuelle Handlungen mit Kindern von der Sexualwissenschaft aus moralischen Gründen abgelehnt (siehe: informed consent).
Missbrauch bei Anwendung von Gewalt
Verwandte Begriffe und Phänomene
- Sexuelle Nötigung umschreibt Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung von Personen, die keine Kinder mehr sind.
- Pädophilie und Päderastie sind auf Kinder ausgerichtete sexuelle Neigungen und existieren als solche im Spannungsfeld sexueller Missbrauch
- Inzest, insbesondere Eltern/Kind-Inzest, wird häufig als sexueller Missbrauch gewertet
- Die Dunkelziffer ist ein großes Problem bei der Beurteilung der realen Problemgröße
- Kinderprostitution gilt als eine Form sexuellen Missbrauchs
- Doktorspiele werden manchmal als "Missbrauch unter Kindern" bezeichnet, insbesondere in den USA
- False-Memory-Syndrom bezeichnet die Suggestion "falscher Erinnerungen" an sexuellen Missbrauch oder andere Traumata
Literatur
- C. Adams/J. Fay: Ohne falsche Scham. Wie Sie Ihr Kind vor sexuellem Mißbrauch schützen können. Rowohlt 1989
- D. Bange/G. Deegener: Sexueller Missbrauch an Kindern. Ausmaß, Hintergründe, Folgen. Psychologie Verlags Union, Weinheim 1996
- Michael C. Baurmann: Sexualität, Gewalt und psychische Folgen, Bd.15 der BKA-Forschungsreihe, 1983, 1996
- Günther Deegener: Sexueller Missbrauch: Die Täter, Beltz 1995, ISBN 3621272518
- Alexander Markus Homes: Von der Mutter missbraucht, Scheffler Verlag, Herdecke 2002
- H. Saller: "Sexuelle Ausbeutung von Kindern". In: Deutscher Kinderschutzbund (Hrsg.): Sexuelle Gewalt gegen Kinder - Ursachen, Vorurteile, Sichtweisen Hilfsangebote. Hannover 1987
- Ulrich Sieber: Kinderpornografie, Jugendschutz und Providerverantwortlichkeit im Internet. Eine strafrechtsvergleichende Untersuchung. Forum Verlag Godesberg 1999
- Birgit Warzecha: Traumatisierung im Kindesalter: Kindesmisshandlung, sexuelle Gewalt, Pädophilie, LIT, Hamburg 1999