Henri Bergson
Henri-Louis Bergson (* 18. Oktober 1859; † 4. Januar 1941) war ein französischer Philosoph und Vordenker des zeitgenössischen Existenzialismus.
Bergsons Leben war ohne besondere Zäsuren geprägt; die bedeutenden Punkte seines Lebens waren die Publikationen seiner drei Hauptwerke, 1889 der Essai sur les données immédiates de la conscience (Zeit und freier Wille), 1896 Matière et Mémoire (Materie und Gedächtnis) und L'Evolution créatrice (Die kreative Evolution) 1907.
Er wurde in Paris in der Rue Lamartine, nicht weit von der Pariser Oper, geboren. er stammte aus einer berühmten jüdischen Familie aus Polen mit irischem Blut in der Linie seiner Mutter. Einige Jahre nach seiner Geburt lebte die Familie für einige Jahre in London, so dass er bereits früh die englische Sprache beherrschte. Noch bevor er das neunte Lebensjahr vollendete, siedelten seine Eltern nach Frankreich über.
In Paris besuchte er von 1868 bis 1878 das Lycée Fontaine, heute bekannt als Lycée Condorcet. Hier verbuchte er 1877 seine ersten wissenschaftlichen Erfolge mit der Lösung von mathematischen Problemen. Diese wurden in der Fachzeitschrift Annales de Mathématiques veröffentlicht. Dies schlug sich auch in seiner Wahl des Studiums nieder. Zunächst blieb er unentschlossen, ob er Naturwissenschaften oder Geisteswissenschaften studieren sollte. Er entschied sich für das letztere und besuchte daraufhin die École Normale Supérieure. Dort erhielt er den Abschluss des Licencié-ès-Lettres und 1881 dann den Agrégé de philosophie.
Noch 1881 wurde er geladen, an einem Lycée in Angers, der alten Hauptstadt von Anjou, zu unterrichten. Zwei Jahre später geriet er an das Lycée Blaise-Pascal in Clermont-Ferrand, in der préfecture (Hauptstadt) des département Puy-de-Dôme, dessen Name in der Regel Kraftfahrern bekannter ist als Philosophen.
Im Jahr nach seiner Ankunft in Clermont-Ferrand publizierte er eine Edition von Auszügen des Werkes des Lucretius, dem er eine kritische Textstudie und die Philosophie des Dichters beifügte (1884). Neben der Lehrtätigkeit in der Auvergne, fand Bergson zeit für private Arbeiten. Er schrieb an seinem Essai sur les données immédiates de la conscience. Dieser Essay führte ihn neben einigen lateinischen Thesen zu Aristoteles zum Docteur-ès-Lettres, der ihm 1889 von der Universität Paris verliehen wurde. Die Arbeit wurde noch im gleichen Jahr von Felix Alcan, einem französischen Publizisten, in seiner Serie La Bibliothèque de philosophie contemporaine veröffentlicht.
Seine Erstausgabe widmete Bergson Jules Lachelier, dem damaligen ministre de l'instruction publique (Erziehungsminister), der ein früherer Schüler Felix Ravaissons war und zugleich Autor wichtiger philosophischer Werke wie Du fondement de l'Induction (Auf der Basis der Induktion, 1871). Lachelier hatte sich in seinen Augen bemüht, "überall Kraft gegen Trägheit, Leben gegen Tod und Freiheit gegen Fatalismus auszutauschen". (NB: Lachelier wurde 1832, Ravaisson 1813. Bergson war seinen Lehrern an der Ecole Normale Supérieure verpflichtet. Vgl. sein Nachruf auf Ravaisson, der 1900 verstarb.)
Bergson siedelte schließlich nach Paris über. Für einige Monate unterrichtete er am College Rollin. Er wurde sodann an das Lycée Henri-Quatre berufen, wo er für acht Jahre verblieb. 1896 publizierte er sein zweites großes Werk mit dem Titel Matière et Mémoire. Eine komplizierte, aber brillante Arbeit, die die Funktion des Gehirnes untersuchte und zugleich eine Analyse von Wahrnehmung und Gedächtnis präsentierte. Bergson deutete auf die Verbindung zwischen Körper und Bewusstsein hin. Er selbst widmete sich einige Jahre der Forschung und Vorbereitung für jedes seiner drei Werke. Dies wird an Matière et Mémoire besonders deutlich: Er zeigt eine sehr tiefgehende Kenntnis der Pathologischen Erforschungen seiner Zeit.
1898 wurde Bergson Maître de conférences an seiner Alma Mater, der L'École Normale Supérieure; später erhielt er dann den Professorentitel. Das Jahr 1900 brachte ihm eine Professur am Collège de France, wo er den Lehrstuhl für Griechische Philosophie in der Nachfolge von Charles L'Evèque annahm.
Auf dem ersten internationalen philosophischen Kongress in Paris im August 1900, verlas Bergson ein kurzes bedeutendes Papier mit dem Titel Sur les origines psychologiques de notre croyance à la loi de causalité (Psychologische Ursprünge vom Glauben an das Gesetz der Kausalität). 1901 publizierte Felix Alcan eine Arbeit, die zuvor in der Revue de Paris unter dem Titel Le Rire (Das Lachen) erschienen war. Dieser Aufsatz, der sich der Bedeutung der Komik widmete, basierte auf einer Vorlesung, die er in seiner Frühzeit in der Auvergne gehalten hatte. Die Studie spiegelt Bergsons Sicht des Lebens wieder. 1901 wurde Bergson an die Académie des Sciences morales et politiques gewählt und wurde Mitglied des Instituts. 1903 schrieb er in der Revue de metaphysique et de morale einen bedeutenden Aufsatz mit dem Titel Introduction a la metaphysique (Einführung in die Metaphysik), der auch als Vorwort zu seinen drei großen Büchern dienen hätte können.
Zum Tode Gabriel Tardes, des herausragenden Soziologen 1904 folgte ihm Bergson auf den Lehrstuhl für moderne Philosophie nach. Im gleichen Jahr besuchte er in Genf den zweiten internationalen philosophischen Kongress, wo er seine Schrift Le Paralogisme psycho-physiologique unter dem neuen Titel Le Cerveau et la Pensée: une illusion philosophique (Das Bewusstsein und die Gedanken: eine philosophische Illusion) verlas. Krankheit verhinderte den Besuch des dritten Kongresses in Deutschland. Dieser fand in seiner Abwesenheit in Heidelberg statt.
Sein drittes großes Werk, L'Evolution créatrice, erschien 1907 und hat zweifellos den größten Bekanntheitsgrad erlangt. Es leistet einen gewichtigen Beitrag zur Evolutionstheorie. "Un livre comme L'Evolution créatrice," bemerkt Imbart de la Tour, "n'est pas seulement une oeuvre, mais une date, celle d'une direction nouvelle imprimée a la pensée." (Ein Buch wie "Die kreative Evolution" ist weniger ein Werk als ein Meilenstein für eine neue Richtung, in die Gedanken gehen.) 1918 hatte der Publizist Alcan innerhalb von zehn Jahren insgesamt 21 Auflagen (durchschnittlich 2 Auflagen pro Jahr) herausgegeben. Mit dem Erscheinen seines Buches stieg Bergsons Popularität enorm, und zwar nicht nur in den Akademikerkreisen, sondern auch in den sonst belesenen gesellschaftlichen Schichten.
Bergson besuchte 1908 William James, den amerikanischen Philosophen an der Harvard University, in London. James war von den Gedanken Bergssons begeistert.
Um 1880 hatte James einen Artikel in der Zeitschrift La Critique philosophique, herausgegeben von Renouvier und Pillon, mit dem Titel Le Sentiment de l'Effort geschrieben. Vier Jahre später erschienen "Mind: What is an Emotion?" und "On some Omissions of Introspective Psychology." beide fanden Beachtung in den Werken Bergsons, insbesondere in Les données immédiates de la conscience.
Es wird bermutet, dass Bergson einige der Kernpunkte seines ersten Buches 1884 aus dem Artikel von James, "On Some Omissions of Introspective Psychology", den er jedoch in Bezug setzt noch zitiert, entnommen hat. Der Artikel handelt von der Wahrnehmung von Gedanken nach den Konzepten des Bewusstseinsstromes, die den Intellekt in kleine Teile eines größeren Zusammenhangs stellen. Bergson widersprach dem Plagiatvorwurf. Er hätte den Artikel von James nicht gekannt, als er Les données immédiates de la conscience schrieb. Möglicherweise wurden beide Konzepte unabhängig voneinander entwickelt.
Im April 1910 besuchte Bergson den vierten internationalen philosophischen Kongress in Bologna, Italien, wo er eine Rede zur L'Intuition philosophique hielt. Auf Einladung besuchte er England im Mai des Jahres. Mehrere dieser Besuche waren fruchtbarer Boden für weitere Publikationen Bergsons.