Abendgymnasium
Inhalt
- Zugang, Unterrichtsfächer, Kosten
- Geschichte der abschlussbezogenen Erwachsenenbildung
- Abendgymnasien in weiteren Ländern
Zugang, Unterrichtsfächer, Kosten
Das Abendgymnasium ist eine spezielle Gymnasialform und zählt zur Gruppe Zweiter Bildungsweg (Schulen für Erwachsene, SfE).
AG's werden, je nach Bundesland und lokaler Tradition, in verschiedenen "Zeitfenstern" angeboten:
- an einzelnen Abenden der Woche (z.B. nur an drei Tagen),
- abends, ca. ab 17.30 Uhr, täglich von montags bis einschließlich freitags,
- Nachmittagsunterricht, ca. ab 14.30 Uhr, an den fünf Werktagen der Woche.
An einem Abendgymnasium kann man sowohl die Fachhochschulreife als auch die Allgemeine Hochschulreife, das Abitur, erlangen.
Mehrere Bundesländer bieten neben Abendgymnasien auch so genannte Kollegs ("Hessenkolleg" u.ä.) für Erwachsene an, die das Abitur erlangen wollen. Der Unterschied besteht darin, dass an Kollegs Vollzeitunterricht in Form eines Tagesgymnasiums angeboten wird.
Um an einem Abendgymnasium aufgenommen zu werden, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein:
- Der Bewerber muss das 18. Lebensjahr, in Nordrhein-Westfalen das 19. Lebensjahr, vollendet haben,
- eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen können oder eine gleichwertige, mehrjährige Tätigkeit ausüben. Mehrjährige Haus- oder Erziehungstätigkeiten werden angerechnet, ebenso Zeiten der Arbeitslosigkeit sowie des Wehr- oder Zivildienstes.
Staatliche Abendgymnasien sind in der Regel kostenfrei, es entstehen also keine monatlichen Studiengebühren. Indirekte Kosten entstehen für Berüfstätige durch die Tatsache, dass nicht mehr wie im bisherigen zeitlichen Umfang gearbeitet werden kann.
Ab dem 4. Semester kann, wenn die persönliche Berechtigung besteht, die Schulausbildung nach BAföG gefördert werden.
Für Personen mit dem Abschluss der Mittleren Reife dauert die Schulzeit bis zum Abitur sechs bis sieben Semester (3 bis 3 ½ Jahre), für jene mit einem Hauptschulabschluss u.U. 8 Semester.
Der Besuch eines "Vorkurses" (1 Semester), in dem früherer Lernstoff aufgefrischt wird und der auf das anschließende Abendstudium vorbereitet, ist in manchen Bundesländern freiwillig, in anderen hingegen verpflichtend. Zudem gibt es an zahlreichen AG's einen "Aufbaukurs" ("achtes Semetser"), das Einsteigern mit Haupt- und Realschulabschluss Unterrichtsinhalte in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und Englisch bietet. Aufbaukurs und Vorkurs unterstützen also bei der Entscheidung, ob man bereit ist, die kommenden Strapazen der Schulausbildung auf sich zu nehmen - und man sein Leben entsprechend darauf umstellt.
Überblick: Die drei Phasen an einem Abendgymnasium bis zur Abiturprüfung
- Vorkursphase (Aufbaukurs und Vorkurs) je ein Semester (bei Bedarf),
- Einführungsphase (1. und 2. Semester),
- Qualifikationsphase (3. bis 6. Semester).
Der Fächerkanon der AG's entspricht weitgehend dem eines "normalen" Gymnasiums, vereinzelt hängen besondere Nebenfächer vom Schulprofil des AG ab, von seiner Größe oder den Ressourcen.
Die drei Aufgabenfelder an einem AG lauten:
- Aufgabenfeld I: Deutsch, DaZ, Englisch, Französisch, Latein, Spanisch (u.ä.)
- Aufgabenfeld II: Historisch-polische Bildung, Philosophie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (u.ä.)
- Aufgabenfeld III: Mathematik, Biologie, Chemie, Physik, Informatik (u.ä.)
Das Fach Sport kann an vielen AG's belegt werden.
DaZ, also "Deutsch als Zweitsprache" kann an vielen AG's an Stelle der zweiten Fremdsprache (Französisch, Latein oder Spanisch) im Vorkurs und in der Einführungsphase belegt werden. DaZ ist für diejenigen Studierenden gedacht, die sich zwar schon in Deutsch verständigen können, aber noch wenig feste Grundlagen in dieser Sprache besitzen.
In Klassenstärken von oftmals 15-20 Studierenden wird gelernt. Diese kleinen Gruppen besitzen den Vorteil für Studierende, dass sich Lehrer besser und intensiver als in Tagesschulen auf die Lernenden einstellen können. Lehrerinnen und Lehrer der AG's sind i.d.R. speziell in der Erwachsenendidaktik ausgebildet.
Geschichte der abschlussbezogenen Erwachsenenbildung
Die abschlussbezogene Erwachsenenbildung (Abendgymnasium, Kollegs) existiert in Deutschland seit Mitte der zwanziger Jahre und steht in der Tradition der frühen Arbeiterbildungsvereine, Volkshochschulen (ehemals: Bund für Volksbildung) und liberaler/bürgerlicher Bildungsinitiativen. Gemeinsam ist diesen Ursprüngen, dass "kleine Leute" und/oder sozial benachteiligte Gruppen der Gesellschaft Zugang zu mehr Bildung und Chancen für einen beruflichen Aufstieg erhalten sollten.
Das erste Abendgymnasium in Deutschland kann auf das Silbermann-Kolleg in Berlin (1927) zurück geführt werden. Prof. Dr. Adalbert Silbermann eröffnet mit 115 Hörern und zehn Lehrern am 9. September 1927 den Unterrichtsbetrieb. Die erste Reifeprüfung wird 1930 bestehen 23 Prüflinge. Im Juni des Jahres 1930 übernimmt die Stadt Berlin die Verwaltung der Schule. Der jüdische Schulleiter Prof. Silbermann und drei Lehrer der Schule werden 1933 von den Nationalsozialisten fristlos entlassen.
Während des Nationalsozialismus werden die meisten deutschen Abendgymnasien nicht mehr in dem nötigen Umfang unterstützt, vielfach aufgelöst, jüdische Lehrer entlassen und verfolgt. In mehreren Fällen vereinnahmen die Nationalsozialisten diese Schulen und missbrauchen sie für die Kaderarbeit der Partei oder für die Fortbildung im Rahmen der Deutschen Arbeits-Front, DAF.
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg nehmen wenige Abendgymnasien in Deutschland ihre Arbeit in geringem Umfang wieder auf. Zwar werden alle neuen Bildungseinrichtungen in Deutschland von den Besatzungsmächten argwöhnisch begutachtet. Der Erfolg der westdeutschen Abendgymnasien setzt sich aber durch, da er einerseits ab den fünfziger Jahren eingebettet ist in das "Reeducation"-Programm der US-Amerikaner. Andererseits genehmigen die Besatzungsbehörden wieder zunehmend die Arbeit der im Dritten Reich verbotenen oder zerschlagenen Volksbildungsvereine.
In den sechziger Jahre durchleben Abendgymnasien in der Bundesrepublik Deutschland eine Hochkonjunktur und eine neue Gründungswelle. Einerseits geschieht dies vor dem Hintergrund der Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften, andererseits vor dem Hintergrund eines intensiven Bildungsdiskurses. Bestimmende Größen in dieser Diskussion sind Georg Picht ("Die deutsche Bildungskatastrophe", 1964) und Ralf Dahrendorf ("Bildung ist Bürgerrecht", 1965).
Trend: Bildungsparadox in der Erwachsenenbildung
Studierende an Abendgymnasien und Kollegs stecken seit Mitte der achtziger Jahre zunehmend in einem Dilemma: Während ihre Motivation und Bereitschaft, sich weiterzubilden, weiterhin hoch ist, wird ihre Qualifikation nach dem Abitur oder dem Studium nur noch von wenigen Unternehmen oder Institutionen angemessen gewürdigt.
Mit dem Anstieg der Abiturabschlüsse an Tagesschulen seit den 70er Jahren hat der Wettbewerb um Arbeitsplätze mit akademischen Abschlüssen stark zugenommen (s.a.: Bildungsparadox). Zeitgleich setzt die entstehende Massenarbeitslosigkeit den Bildungsabschluss Abitur unter Druck.
Abendgymnasien in weiteren Ländern
Auch in Österreich besteht die Möglichkeit die Matura (=Abitur) im Rahmen eines Abendgymnasiums zu erwerben. Der Unterricht kann sowohl in herkömmlicher Form von Montag bis Freitag, als auch als "Fernkurs" an zwei Tagen der Woche absolviert werden. Ein Nachweis der Berufstätigkeit muss bei öffentlichen Abendschulen in Österreich zwar bei der Anmeldung erbracht werden, in der Praxis kommt diesem Nachweis allerdings so gut wie keine Bedeutung zu.