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Pfadabhängigkeit

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Pfadabhängigkeit ist ein Begriff, der in Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft angewandt wird. Bei pfadabhängigen Entwicklungen hängt der Effekt einer Aktion oder Erkenntnis zu einem gegebenen Zeitpunkt davon ab, wieweit man auf einem Pfad bereits fortgeschritten ist. Am Anfang sind mehrere Wege offen, aber sobald ein Weg gewählt wurde, findet eine Anpassung an den beschrittenen Weg statt und eine zweiter ursprünglich “gleich guter” Weg wird immer unwahrscheinlicher, weil die Umkehrkosten zu hoch werden. Mit diesem Ansatz wird erklärt, warum sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft, oft an Entscheidungen festgehalten wird, auch wenn sie sich nachträglich als zweitklassig herausstellen und eine andere Wahl zu einem früheren Zeitpunkt besser gewesen wäre.

Beispiele pfadabhängiger Entwicklungen

Veranschaulichungen aus dem Alltag

  • Urlaubsreise: zum Zeitpunkt der Planung sind noch viel Ziele offen, aber schon mit der Buchung beginnt man sich für ein Ziel zu entscheiden. Ist man erstmal unterwegs werden die Kosten für ein alternatives Ziel sehr hoch.
  • Karrierepfad eines Menschen: Auch hier ist anfangs alles offen, die Schulbildung entscheidet noch wenig, aber spätestens nach der Berufsausbildung oder einem Studium sind die Weichen gestellt und die Optionen werden enger.

aus der Mathematik

  • Polya Urnen Experiment: Als mathematisches Modell wird gelegentlich das Polya Urnen Experiment zitiert, ein Spezialfall der Pólya-Verteilung. In diesem Spezialfall geht um den Verlauf der prozentualen Anteils weisser und schwarzer Kugel in einer Urne. Man startet mit zwei Kugeln: einer weissen und einer schwarzen. Bei sukzessiven Ziehungen verdoppelt man immer die Frabe der gezogenen Kugel. Also zieht man eine schwarze, so wirft man zwei schwarze Kugeln zurück. Auch hier haben Anfangsziehungen ein grosses Gewicht auf die Verteilung. Spätere Ziehungen beeinflussen dagegen den Ausgang des Experiments wenig.

aus der Wirtschaft

Generell bei Entwicklung Industriestandards, bei denen positive Feedback-Effekte eine Rolle spielen. Daß ist etwa dann der Fall,

  • wenn die zugrundeliegende Technik kompliziert ist (hohe Einarbeitungskosten)
  • hohe Anfangskosten (Vorleistungen) erbracht werden müssen
  • die Koordination eine Rolle spielt.
  • die Anpassungserwartungen groß sind

Beispiele aus dem Bereich technischer Standards sind:

  • QWERTY als Standard für PC-Tastaturen hat sich gegenüber anderen Tastaturen durchgesetzt,die unter ergonomischen Gesichtpunkten überlegen wären
  • MS DOS und später Windows konnte sich als Standard-Betriebssystem für PCs immer gegen Macintosh durchsetzen.
  • VHS hat sich gegen Betamax bei Videorecordern durchgesetzt

In allen diesen Fällen beruht der Sieg des einen Systems nicht auf höhere Qualität, sondern auf der zeitlichen Abfolge bei der Einführung.

aus der Politik

Institutionen sind in der Politik die Hauptursache für pfadabhängige Entwicklungen. Sie erfüllen alle bei den Industriestandards augeführten Kriterien:

  • die Anfangskosten sind hoch
  • es gibt eine Anpassungserwartung
  • es gibt Lerneffekte
  • Koordination ist erforderlich

Beispiele für solche Institutionen sind:

Bei diesen Systemen ist auffällig, das sie international sehr verschieden sind, aber trotzdem ein Umschwenken von einem weniger erfolgreichen System (etwa US Krankenversicherung) zu einem erfolgreicheren Modell nicht passiert, da die pfadabhängigen Kosten eines solchen Kehrtwendung zu hoch wären.

Systematik

Selbstverstärkende Prozesse

Selbstverstärkende Prozesse, sind eine wichtige Unterklasse pfadabhängiger Prozesse. Bei allen bisher vorgestellten Prozessen aus Wirtschaft und Politik handelt es sich um solche Prozesse. Positive Feedback-Effekte und Rückkoppelung verstärken den eingeschlagenen Pfad. Adaptives Verhalten lässt eine wachsende Lobby entstehen, die den eingeschlagenen Weg unterstützt.

Charakteristiken

  • Unflexibel: je weiter auf einem Pfad fortgeschritten wurde, desto aufwendiger ist es umzuschwenken
  • Unvorsehbar: am Anfang haben kleine Aktionen einen grossen Effekt, die später den Ausgang entscheiden
  • Nicht selbstkorrigierend: falsche Entscheidungen am Anfang verändern den Ausgang wesentlich, ohne sie sich später automatisch auf eine optimale Richtung einpendeln.

Verzweigungspunkte

Verzweigungspunkte oder Kreuzungspunkte sind Zeitpunkte an denen sich Wahlmöglichkeiten öffnen. Man nennt diese Phasen auch offene Phasen. Der Normalzustand eines pfadabhängigen Vorgangs wird dagegen als geschlossene Phase bezeichnet. Das sind die langen Zeitabschnitte an denen ein eingeschlagener Weg weiterverrfolgt wird, ohne dass noch viele Variationen möglich sind.


Beispiele:

  • Bei der Karriere etwa ist die Berufwahl ein Kreuzungspunkt. Aber auch ein Krise etwa eine Verletzung kann nochmal eine Neuorientierung auslösen.
  • Im politischen Bereich ergeben sich solche Kreuzungspunkte ebenfalls durch Krisen:Etwa nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, ergaben sich im osteuropäischen Raum neue politische und wirtschaftliche Chancen.
  • In der Wirtschaft ereignen sich Kreuzungspunkte, wenn eine neue Technik auf den Markt kommt, oder aber wenn sich eine alte Technik als unyureichend erweist. Das FCKW Verbot yum Beispiel löste in der Industrie eine Neuorientierung aus.

Wichtige Vertreter

  • Politikwissenschaft: Paul Pierson, Prof. für Politikwissenschaft UC Berkley
  • Wirtschaftswissenschaften: Douglas C. North erhielt 1993 für seine Arbeiten den Wirtschafts-Nobelpreis

Literatur

  • Boas, Taylor C. (2007), "Conceptualizing Continuity and Change: The Composite-Standard Model of Path Dependence", Journal of Theoretical Politics 19(1): 33-54.
  • Treibmann, Felix, Betriebsunterbrechung als Chance, Düsseldorf: Setzkasten 2005 und St. Gallen: Universität St. Gallen (HSG) 2005
  • Marie-Laure Djelic, Sigrid Quack, Rethinking Path Dependency, in: Glenn Morgan, Richard Whitley, Eli Moen, Changing Capitalisms? Internationalization, Institutional Change, and Systems of Economic Organization, Oxford University Press 2005, ISBN 0-19-927563-7
  • Richard Deeg, Path Dependency, Institutional Complementarity, and Change in National Business Systems, in: Glenn Morgan, Richard Whitley, Eli Moen, Changing Capitalisms? Internationalization, Institutional Change, and Systems of Economic Organization, Oxford University Press 2005, ISBN 0-19-927563-7
  • Pierson,Paul (2004), "Politics in Time"
  • Puffert, Douglas J. (2001), "Path Dependence in Spatial Networks: The Standardization of Railway Track Gauge"
  • James Mahoney, Path Dependence in Historical Sociology. Theory and Society 2000, 29:507-48
  • Paul Pierson, Increasing returns, Path Dependence, and the Study of Politics, American Political Review 2000, 94:251-67
  • Stephen E. Margolis and S.J. Liebowitz (2000), "Path Dependence, Lock-In, and History"
  • Puffert, Douglas J. (1999), ["Path Dependence in Economic History"] (based on the entry “Pfadabhängigkeit in der Wirtschaftsgeschichte,” in the Handbuch zur evolutorischen Ökonomik)
  • David, Paul A. (2000), "Path dependence, its critics and the quest for ‘historical economics’", in P. Garrouste and S. Ioannides (eds), Evolution and Path Dependence in Economic Ideas: Past and Present, Edward Elgar Publishing, Cheltenham, England.
  • W. B. Arthur, Increasing Returns and Path Dependence in the Economy. Ann Arbor: University of Michigan Press 1994
  • P. A. David, Why are Institutions the 'Carriers of History'?: Path Dependence and the Evolution of Conventions, Organizations and Institutions. Structural Change and Economic Dynamics, 1994, 5:205-20
  • Douglas North, Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge: Cambridge University Press 1990
  • Liebowitz, S.J. and Stephen E. Margolis (1990), "The Fable of the Keys", Journal of Law & Economics vol. XXXIII (April 1990)* P. A. David, Clio and the Economics of QWERTY. American Economic Review 1985, 75:332-7
  • Nelson, R. & S. Winter (1982), An evolutionary theory of economic change. Harvard University Press.
  • Arrow, Kenneth J. (1963), 2nd ed. [Social Choice and Individual Values]. Yale University Press, New Haven, pp. 119-120 (constitutional transitivity as alternative to path dependence on the status quo).
  • Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, Suhrkamp
  • Schwartz, Herman. "Down the Wrong Path: Path Dependence, Increasing Returns, and Historical Institutionalism." http://www.people.virginia.edu/~hms2f/Path.pdf

Quellen

Paul Pierson: 2004 Politcs in time