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Ries-Ereignis

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Vor 14,6 Millionen Jahren, im Obermiozän der Formation Tertiär, wurde Mitteleuropa vom Rand eines Asteroidengürtels gestreift.

Die interplanetarische Materie aus Abermillionen teils großer, teils kleiner Festkörper vorwiegend aus Stein und Eisen, Staub, Gasen und Eis schlugt ein. Sie verdampfte, zerschmetterte und vermengte unter Aufwirbeln einer riesigen Glutwolke aus Gesteinsstaub sowie Miriaden von Glaströpfchen Kalk- und Sandsteine, Granit und Gneis, Schotter- und Sandfelder. Heute zeugen neben neuen Gesteinen die Astrobleme („Sternwunden“) als Krater oder Kraterlandschaften von den Einschlagsenergien. Kerngebiet der Kontaktnahme und Träger der meisten Erinnerungen wird der Streifen Schwarzwald – Schwäbische Alb – Nördlinger RiesRegensburgSüdböhmen. Zentnerschwere Jurakalkbrocken fliegen von der Schwäbischen Alb in die Schweiz, als Reutersche Blöcke vom Ries in die Gegend von Augsburg, aus dem Umland von Regensburg und von Münster bei Straubing 40 Kilometer nach Süden. Gleichzeitig werden die Länder und Mittelgebirge zwischen Ostfrankreich – Mitteldeutschland – Slowakei fleckenhaft eingekieselt. Der größte und am besten überlieferte Krater ist das Nördlinger Ries. Modellkrater sind daneben das Steinheimer Becken und der Krater Sausthal in der Altmühlalb. Dort wurden ferner neben etlichen Kraterruinen vor 30 Jahren die Krater Mendorf, Wipfelsfurt, Saal und Maierhofen festgestellt. Gleichzeitig entstehen Kraterlandschaften, große und flache Tiefengebiete ohne auffälligen Kraterrand, um die mittel- und ostbayerischen Orte Hemau, Rötz, Schönthal, Stamsried, Cham sowie in den Teichregionen um Mitterteich, Wiesau und Tirschenreuth. Noch umfangreichere finden sich in Südböhmen. Am bekanntesten sind die Seengebiete im Umland von Budweis (České Budějovice) und Wittingau (Třeboň).

Eisen

Weltweit einzigartige kosmische Zeugnisse sind in der Altmühlalb die seit der Keltenzeit abgebauten Eisenerzvorkommen um Riedenburg–Kelheim und die in der Oberpfalz bis vor kurzem industriell genutzten Lokalitäten Auerbach, Sulzbach, Rosenberg und Amberg. Hier klatschten hektarweit tonnenschwere heißflüssige Eisenmassen auf und in die zerborstene Landoberfläche. Die meteorische Abkunft des Eisens ist mit allen möglichen Analysemethoden im Erz der Typlokalität Tettenwang, bei Amberg durch nie fehlende eingebackene Alemonite bewiesen. Das in den Wäldern zwischen Mendorf – Weltenburg – Kelheim – Painten vor Ort abgebaute Eisenerz wurde im Mittelalter, zuletzt Ausgang des 18. Jahrhunderts, in „Bauernschmelzen“ bearbeitet. In unzähligen, mehr oder weniger verfallenen rundlichen Gruben wurde in primitiver Methode das Erz geschmolzen. Überbleibsel dieses Verfahrens sind bisher nur aus der Altmühlalb bekannt geworden. Oft wurden die Schlacken mehrmals geschmolzen, womit sich der Gehalt an seltenen Elementen und Metallen stetig erhöhte. Einige der früher als vorgeschichtliche Hügelgräber gedeuteten gewaltigen Schlackenhaufen im Paintener Forst wurden gegen Ende des letzten Krieges wegen der hohen Schwermetallgehalte für die Stahlproduktion im Ruhrgebiet abgetragen. Trichterartige Vertiefungen zwischen den Bauernschmelzen sind Erinnerungen an Schächte, in denen das Erz gemutet oder gewonnen wurde. Zahlreich sind verlandete Tümpel und Rinnen, die eine Trennung von Erz und Kalkstein durch Flotieren belegen.

Druck- und Schockerscheinungen

Zeugnisse hoher Druckbeanspruchungen sind in den Kalksteinbrüchen der Altmühlalb die fast überall zu beobachtenden Abscherungen, Faltungen und Zerbrechungen. In ausgedehnten Flächen bieten die Lithographischen Schiefer im Paintener Forst mosaikartige Zertrümmerungen, vertikale Zerspaltung der Kalkbänke mit Plumosen und gelegentlich große Druckkegel („Shatter cones“). Im Kreide-Grünsandstein sind durch Stoßwellen charakteristisch gespaltene „geschockte“ Sandkörner häufig.

Alemonit

Das in der Altmühlalb und der westlichen Oberpfalz im Einschlag entstandene Charaktergestein ist der Alemonit. Die aus zertrümmerten und angeschmolzenen Kalksteinen hervorgegangene und immer vollständig in Kieselsubstanz umgewandelte Brekzie ist in unvorstellbaren Mengen in mehr als 50 Varietäten auf den Hochflächen verbreitet. In den Größenordnungen gibt es zwischen mehrere Meter hohen Felsen und oft gewaltigen Einzelblöcken, die landläufig Findlinge genannt werden und scherbigen Formaten alle Übergänge. Die Steinmengen, in der Oberpfalz früher als Kallmünzer bezeichnet, erklären die Bezeichnung Steinpfalz. Goethe hat auf seiner Reise nach Italien bei Regenstauf ausführlich ein von ihm noch nie beobachteten brekzienartiges Gestein beschrieben. Äquivalente Gesteine, von ihm als Egerländer Kuchenquarz bezeichnet, fand er in Mühlbach bei Karlsbad. Die Beweise für die meteoritischen Entstehung der Alemonite sind gneisartige Fließgefüge, einseitig angeschmolzene Minerale, aerodynamisch zugespitzte Bomben, winzige Graphitflitter als Erinnerung an die im Einschlag verglühten Wälder, Brekzien in Brekzien oder Glas in Glas. Nie fehlen maximal erbsengroße, meist winzige Blasenhohlräume. Es sind die Folgen der Entgasungen bei der Umwandlung von Kalk in Kiesel im noch weichen Gesteinsbrei. In der Altmühlalb haben verschiedentlich Alemonite in der letzten Kaltzeit durch Windschliff eine auffällige Glättung erfahren. Die im Kältemaximum der letzten Eiszeit bei Baiersdorf polierten Werkzeuge, gefunden unter dem letzten Löss, sind der bisher einzige geologische Nachweis über die Existenz der Neandertaler in der Region von 25 000 bis 17 000 vor heute. Aus Sand- und Tonsteinen sowie Kristallin hervorgegangene Alemonite reagierten auf Druck, Temperatur und die Zulieferung von Kieselsäure in meist eintönigeren Strukturen und Formaten. Doch sie sind an der manchmal erst im Mikrobereich entwickelten Brekziierung zu erkennen. Die Verkieselungen sind als „Quarzite“ und „Findlinge“ in Mitteldeutschland weit verbreitet. In Südböhmen wiederum hinterließ der Einschlag in weichen sandig-tonigen Schichten die an Schockerscheinungen reichen bröckeligen Varietäten nach Art des Nördlinger Suevits. Die Typlokalität ist Zliv bei Budweis.

Bentonit

Aus der Detonationswolke des Einschlags ergossen sich wochenlang sintflutartige Regenfälle. Sie ertränkten Tiere, die die Katastrophe überlebt hatten. In Langenau bei Ulm wurden kubikmetergroße Alemonitblöcke zusammen mit mehreren Skeletten von Dinotherium, mit 5 Metern Höhe das größte Landtier Europas, in ein Loch gespült und beim Autobahnbau ausgegraben Auch nachher regnete es übermäßig stark weiter. Massen der leichten Glaskörperchen aus dem zurückgefallenen Auswurfs wurden ausgeschwemmt. Sie lagerten sich in unterschiedlicher Mächtigkeit südlich der Donau in einem 200 Kilometer langen Streifen, parallel dem Kerngebiet, in der Molasse-Landschaft ab. Nach Überdeckung mit jüngeren Schichten und Konservierung verwandelten Verwitterungsprozesse die Glaspartikel in Montmorillonit. Heute wird dieser Horizont unter mächtiger Überdeckung freigelegt und als Bentonit abgebaut. Die besten Qualitäten gewinnt man zwischen Mainburg und Landshut, weitere Lagerstätten gibt es bei Krumbach/Schwaben, um Pfarrkirchen und in Oberösterreich.

Lehmige Albüberdeckung

Die gigantische Wolke aus dem in der Einschlagsdetonation hochgeschleuderten zerstäubten Gestein, Glaströpfchen und sonstigen Schmelzprodukten sank nach und nach, zunächst als Isolierschicht, zurück auf die deformierte Erde. Bei fortdauernden Regengüssen sackten die anfangs losen Decken zusammen und kühlten ab. In den folgenden Jahrmillionen der Verwitterung blieben die Alemonite unversehrt, das Feinmaterial wandelte sich indes in plastische Tone und Lehme der Lehmigen Albüberdeckung. Sie ist heute die Hauptbodenart der Hochflächen der Altmühlalb und der angrenzenden Oberpfalz. Die Mächtigkeit schwankt zwischen 2 und 60 Metern. Nicht selten finden sich kleine Erzkugeln und beim Ausschlämmen fetter Tone Glaskügelchen.

Kaolin

Die Lagerstätten des Kaolins, dem Rohstoff der Porzellanherstellung, sind an die Areale mit Kristallingestein oder Sandstein gebunden. Das Rohmaterial enthält durchschnittlich 10 bis 20 % Kaolinit. Die größten Abbaue verzeichnet das Karlsbader Revier mit dem Zentrum Zettlitz. Bedeutend sind ferner, nördlich des Erzgebirges, die Lokalitäten Kemmlitz, Aue und Sedlitz bei Meißen. In der nördlichen Oberpfalz sind es Waldershof, Tirschenreuth, Schönheid und Wiesau. Der Monte Kaolino bei Hirschau, das Wahrzeichen dortiger Kaolingewinnung, besteht aus dem bei der Verarbeitung angefallenen, auf Halde geschütteten Abraum. In allen Lagerstätten ist die Kaolinisierung zuoberst am intensivsten, gegen unten lässt sie allmählich nach und bleibt schließlich aus. Dies beweist die von oben her erfolgte Ätzung durch Lösungen kosmischer Abkunft. Quarzgänge im Kristallin werden aber kaum angegriffen, sie versteifen die weichen Massen. Immer beobachtet man in der Umgebung Anreicherung von Alemoniten. Die Mächtigkeiten erreichen teilweise eine Tiefe von 60 Metern. Oft wurde der Kaolin fortgeschwemmt und auf zweiter Lagerstätte angereichert.

Verkieselung

Ein Großteil der Steinmeteoriten schmolz beim Durchqueren der Erdatmosphäre und ging in eine aggressive Kieselsäurelösung über. Sie ergoss sich in sehr unterschiedlichen Mengen, mit entsprechend unterschiedlicher Tiefenwirkung über Mitteleuropa und verkieselte, verkittete, und imprägnierte die destruierten Gesteine der Landoberflächen. Daran erinnern heute Reste von Felssandstein auf den höchsten Höhen von Vogesen, Schwarzwald, Pfälzer Wald, Odenwald und Spessart, die später vom Schwarzwald in den Schweizer Faltenjura verschleppten Wanderblöcke, die aus Muschelkalk hervorgegangenen Kieseloolithe in den Schottern von Rhein und Mosel, der verkieselte und brekziierte Buntsandstein in den Lahnbergen am Rand des Amöneburger Beckens oberhalb von Marburg, die Findlinge der Braunkohlenquarzite in Sachsen-Anhalt oder die Massen der in der Arvernensiszeit aus dem Thüringer Wald nach Süden verfrachteten Schotter im Mittelmaingebiet und Bamberger Becken. Bezeichnend sind die von den Wassermassen in die Region zwischen Schweinfurt und Hassfurt transportierten großen Alemonitgerölle mit schwarzem Kieselschiefer. Auf den Hassbergen, dem Steigerwald und auf der Frankenhöhe fallen immer wieder gehärtete Keupersandsteine auf, bei Nürnberg der Wendelsteiner Höhenzug. In den nordböhmischen Kreidesandsteinarealen entstanden neben den ausgedehnten Einkieselungen die Felsbildungen der Daubaer (Dubá) Schweiz und um Habstein (Jestřebi) wirtschaftlich bedeutende Lagerstätten reiner Glassande. Fossilreicher Kelheimer Kalk aus 99% Kalziumkarbonat wird absolut formgetreu in 99% Siliziumdioxyd umgewandelt. Bei Kelheimwinzer ist in ehemaligen Grünsandstein-Steinbrüchen die Untergrenze der 10 Meter tief eingedrungenen Kieselsäure, mit vielen geschockten Quarz- und Glaukonitkörnern, zu besichtigen. Die Oberfläche der niederbayerischen und oberösterreichischen Schotterfelder wird zum unverwitterbaren „Quarzitkonglomerat“.

Nivellierungsfläche

Zwischen Nördlinger Ries und Regensburg zerstört der Einschlag die kuppige Juralandschaft und nivelliert sie zu einer kaum reliefierten Fläche. Es gibt dort keinen Berg. Die augenfälligste Erinnerung an die Katastrophe setzt sich in gleich bleibender Höhe über das Naabtal hinweg als Vorwaldfläche in den kristallinen Regensburger Wald hinein fort. Allerdings werden dort die höheren Berge abgestumpft. Bis nach Oberösterreich hinein finden sich immer wieder Ansammlungen typischer Alemonite. Sie beweisen, dass während der Einschläge der Bayerische Wald noch mit Jura- und Kreidesedimenten bedeckt war. Erst Jahrmillionen nach der Nivellierung entwickelte sich das heutige Gewässer- und Talnetz. Nach tektonischen Verstellungen, die für eine Neigung von 500 m NN auf rund 400 m NN im Süden sorgen, sucht sich die Urdonau in der Mitte der Fläche die tiefstgelegene Zone heraus. Nachdem sie den zunächst noch höheren Schuttkranz des Nördlinger Rieses umgangen hat, gelangt sie über dem heutigen Dollnstein in die Mittelachse und zieht nun mit der dort aufgenommenen Altmühl über Beilngries und Kelheim nach Regensburg. Dies erklärt den nördlichsten Punkt des Laufes der Donau.

Alter

Das Alter der Einschläge kann auch biostratigraphisch definiert werden. Nach der Katastrophe füllen sich mittlerweile entstandene Talsenken und die Kraterbecken Nördlingen und Sausthal mit Wasser. Die im und am Wasser lebenden Tiere datieren später als Fossilien das „Beginnende Obermiozän“. Gleichaltrig sind die aus einer üppigen subtropischen Laubwald-Vegetation an den Ufern hervorgehenden Braunkohlen. In der Paläontologie ist die Wirbeltierfauna aus der Braunkohle von Viehhausen bei Regensburg berühmt geworden: Die Krokodile haben als Magensteine, die aus Kiesel bestehen müssen, stets Alemonite aufgenommen. Also sind die Alemonite älter als die obermiozänen Fossilien. Aber auch für das Höchstalter der Alemonite zeugt in der Altmühlalb ein Leitfossil: Im Krater Pfahldorf sind Exemplare der in der Einschlagskatastrophe tödlich verkieselten Kalkalge Limnocodium weit verbreitet. Desgleichen können die Wirbeltiere von Sandelzhausen bei Mainburg datiert werden: Sie werden 40 Meter unterhalb des dortigen Bentonits ausgegraben. Die Fossilien lebten also, ähnlich Limnocodium, mehr oder weniger lange Zeit – der Bildungszeit von 40 Metern Molassesediment – vor der Katastrophe.

Literatur

  • Erwin Rutte, Land der neuen Steine, 2003. – Universitätsverlag Regensburg
  • Erwin Rutte, Bayerns Neandertaler, 1992. – Ehrenwirth München
  • Erwin Rutte, Rhein–Main-Donau, 1987. – Thorbecke Sigmaringen