Evolutionsökonomik
Die Evolutionsökonomik oder "evolutorische Ökonomik" ist ein relativ junges Forschungsgebiet der Wirtschaftswissenschaft. Eine einheitliche Auffassung über die Stellung der Evolutionsökonomik innerhalb der Wirtschaftswissenschaft existiert nicht, vielmehr sind zwei grundlegend verschiedene Ansätze zu unterscheiden. Für die einen handelt es sich um ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft, das sich mit den durch Innovationen, technischem Fortschritt und Unternehmertum erzeugten Wandlungsprozessen der Wirtschaft beschäftigt. Der andere Ansatz betrachtet die Evolutionsökonomik als grundlegendes Paradigma in Konkurrenz zur [[Neoklassische Theorie|neoklassischen Mikroökonomik [1]. Während diese von der Bildung von wirtschaftlichen Gleichgewichten auf Märkten ausgeht, rekonstruiert die Evolutionsökonomik Wirtschaftsprozesse analog zur biologischen Evolution: Es existiert für keinen Markt und damit auch für kein Unternehmen ein anzustrebender Gleichgewichtszustand, vielmehr sorgt ein permanenter Wettbewerb zwischen Produkten, Dienstleistungen, Unternehmensformen und sogar Wirtschaftssystemen dafür, dass nur die Wettbewerbsteilnehmer weiterbestehen können, die den jeweiligen Umweltanforderungen entsprechen und sich an die laufend wechselnden Wettbewerbsbedingungen anpassen.
Grundbegriffe
Zentrale Grundbegriffe der Evolutionsökonomik sind:
Wissen: Regeln, die Handlungsmuster und Zusammenhänge abbilden stellen Wissen dar, dass die Beziehung eines Systems zu seiner Umwelt koordiniert. Diese Kenntnisse können direkt oder indirekt gewonnen werden und können wahr oder falsch sein. Anders als die klassische Ökonomie definiert die Evolutionsökonomik das Grundproblem der Wirtschaft als Wissensmangel.
Aktor: An die Stelle des Individuums im Sinne des Homo oeconomicus der klassischen Ökonomie tritt der Aktor als Handelnder. Ein Aktor besitzt weder die Fähigkeit unmittelbar und absolut rational zu Handeln, noch verfügt er über absolutes Wissen. Die drei Kriterien des Homo oeconomicus werden nicht erfüllt. Eine bestimmte Menge von Aktoren bildet eine Population. Zu unterscheiden sind fundamentalee Aktoren, zuforderst der Mensch, und derivative wie Organisationen und Unternehmenen.
Element: Evolutionsökonomisch ist das Element ein Träger von Wissen, welcher selbst wiederum Teil einer größeren Einheit sein kann. Das gespeicherte Wissen muss nicht personenbezogen sein.
Netzwerk: Geordnete Systeme von Elementen und den in ihnen wirkenden Aktoren bilden Netzwerke durch die Beziehungen, die jeder Aktor zu anderen Teilnehmern unterhält.
Denktradition
Die Evolutionsökonomik wurde beeinflusst von:
- Friedrich August von Hayek (Wettbewerb als Entdeckungsverfahren)
- Joseph Schumpeter (Wettbewerb als Prozess schöpferischer Zerstörung)
- Thorstein Veblen
- Ronald Harry Coase (The Nature of the Firm)
der Klassischen Nationalökonomie
- Thomas Robert Malthus ("Essay on the Principle of Population" bzw. "Die Grenzen des Wachstums")
- David Ricardo (Theorie der komparativen Kostenvorteile)
sowie Beiträgen von George Lennox Sharmann Shackle ("The Nature and Role of Profit") und Nicholas Georgescu-Roegen. Mit Erscheinen des Werks An Evolutionary Theory of Economic Change von Richard R. Nelson und Sidney G. Winter im Jahr 1982 hat sich der Begriff der Evolutionsökonomik in der Wissenschaft etabliert.
Zentrale Prämissen
Als zentrale Prämissen gelten
- Historische Bedingtheit von Entwicklungspfaden, Ressourcen usw.; dadurch besteht per se eine Ressourcenheterogenität der Akteure;
- Unvollkommene Information der Akteure; dadurch Berücksichtigung echter Unsicherheit.
Deshalb sind aus evolutionsökonomischer Perspektive keine absolut "besten" Lösungen möglich, sondern es besteht immer eine Fülle möglicher zielführender Wege.
Der evolutionsökonomische Ansatz negiert das in der Neoklassik verwendete Modell des Homo oeconomicus als dem rationalen Entscheider, der stets über alle Informationen verfügt und auf dieser Grundlage die für ihn beste beste Lösung anstrebt.
Die Evolutionsökonomik nutzt den Aktor an Stelle des Individuums um das ihm bekannte und den ökonomischen Netzwerken, in denen er agiert und reagiert, befindliche Wissen zu analysieren. Das Wissen, welches in Elementen, die aktorbezogen sein können aber nicht müssen, gespeichert ist und richtig oder falsch sein kann ist eine der wesentlichen Ursachen evolutorischer Prozesse.
Literatur
- Herrmann-Pillath, Carsten / Lehmann-Waffenschmidt, Marco, Handbuch der Evolutorischen Ökonomik, Berlin 2001
- Nelson, Richard R. / Winter, Sidney G., An Evolutionary Theory of Economic Change, Cambridge 1982
- Kraus, Sascha / Reschke, Carl Henning, Evolutionäres Strategisches Management von Gründungsunternehmen, Köln/Lohmar 2004.
- Schumpeter, Joseph: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. ISBN 3428077253
Weblinks
- Carsten Herrmann-Pillath: Grundriß der Evolutionsökonomik
- Evolutionary Economics, Scirus Topic Overview
- Max-Planck-Institut für Ökonomik, The Evolutionary Economics Group
- Evolutionary Economics
- ↑ Carsten Herrmann-Pillath: Grundriß der Evolutionsökonomik