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Kommunistischer Bund Westdeutschland

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Der Kommunistische Bund Westdeutschland war eine aus der im Herbst 1970 gegründeten Kommunistischen Gruppe (Neues Rotes Forum) Mannheim-Heidelberg (KG/NRF) (einer Nachfolgeorganisation des Heidelberger SDS) und anderen Zirkeln hervorgegangene so genannte K-Gruppe und existierte von 1973 bis 1985 (Selbstauflösung).

Im Unterschied zu vielen anderen linken Gruppierungen, die aus der 68er-Bewegung hervorgegangen sind, war der KBW eine äußerst straff organisierte Kaderorganisation mit totalitärem, sektenähnlichem Charakter. Mitglieder hatten 10% ihres Bruttoeinkommens an den KBW abzuführen, darüber hinaus wurden "freiwillige" Beiträge (z.B. Spenden von Erbschaften) erwartet. Dank dessen verfügte der KBW neben einer Reihe hauptberuflicher Funktionäre auch über eine außergewöhnlich gut ausgebaute technische Infrastruktur, u.a. einen eigenen Fuhrpark mit Saab-Limousinen, ein für damalige Verhältnisse äußerst modernes DFÜ-System, Parteigebäude (in Frankfurt, Berlin, Bremen und Hamburg) eine eigene Druckerei (Caro-Druck), einen Buchvertrieb (Hager), Verlage (Kühl KG, Sendler) sowie selbst "Musterhöfe", auf mit denen Methoden "schnellwachsender Eiweißproduktion" experimentiert wurde. Ideologisch stand er dem Maoismus nahe und sympathisierte mit Regimen wie Albanien, der Volksrepublik China oder Kambodscha unter Pol Pot.

Aufgrund dieser Ausrichtung kam es innerhalb der linken Szene in Frankfurt am Main, wo der KBW ab Mai 1977 sein Hauptquartier in der Mainzer Landstraße 147 ansiedelte, auch zu gewalttätigen Konfrontationen mit den zum Anarchismus tendierenden sog. Spontigruppen um Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer. Der Hauptgegner des KBW war aber der "bürgerliche Staat".

Anders als die Spontigruppen gehörte der KBW seinem Selbstverständnis nach nicht im engeren Sinne zur Außerparlamentarischen Opposition: Er betrachte sich vielmehr von vornherein als einen "Parteiansatz", der schließlich zur Gründung einer eigentlichen kommunistischen Partei ausgebaut werden sollte, und beteiligte sich auch offiziell an Wahlen. Die Chemielaborantin Helga Rosenbaum vertrat den KBW z.B. im Stadtrat von Heidelberg; die spätere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt kandidierte für den KBW bei Bundestagswahlen 1976.

Die höchste Mitgliederzahl - ca. 2.600 - erreichte der KBW 1976. Darüber hinaus gab es angeschlossene Organisationen wie die Gesellschaft zur Unterstützung der Volkskämpfe (GUV) für ausgebildete Akademiker (ca. 800 Mitglieder), den Kommunistischen Studentenbund (KSB) bzw. die Kommunistische Hochschulgruppe (KHG) für Studenten (ca. 2.100 Mitglieder), sowie "Kommunistischen Oberschülerbund" (KOB) und den "Kommunistischen Jugendbund" (KJB) (zusammen ca. 540 Mitglieder).

Geleitet wurde der KBW von einem anfangs 13-köpfigen Zentralkomitee (ZK), das jährlich (später zweijährlich, zuletzt wieder jährlich) von einer Delegiertenkonferenz gewählt wurde. Die Funktion des ZK-Sekretärs übte ohne Unterbrechung die wichtigste Führungsfigur Joscha Schmierer aus, der auch als Herausgeber des Zentralorgans des KBW Kommunistische Volkszeitung fungierte. Seit 1999 ist Schmierer im Planungsstab des Auswärtigen Amts zuständig für Grundsatzfragen der Europapolitik, außerdem Herausgeber der Zeitschrift "Kommune", die als Organ der Realo-Fraktion der Grünen gilt. Der Leiter des Planungsstabes und ehemalige deutsche Botschafter in Chile Georg Dick gehörte früher dem Kommunistischen Hochschulbund (KSB) des KBW an.

1985 löste sich der KBW offiziell auf, nachdem er bereits 1983 das (ursprünglich für etwa 3 Millionen DM erworbene) Gebäude seines Frankfurter Hauptquartiers für angeblich ca. 30 Mio. DM an die Commerzbank verkauft hatte. Zahlreiche ehemalige Mitglieder (z.B. Joscha Schmierer oder Ralf Fücks und Willfried Maier) fanden später ihre politische Heimat im Realo-Flügel der Grünen, wie auch ihre ehemaligen Sponti-Widersacher Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit.

1980 kam es zur Abspaltung einer Gruppierung, die sich als Bund Westdeutscher Kommunisten bezeichnete. Dieser löste sich 1995 als eigenständige Partei auf und existiert heute in Form einer Arbeitsgemeinschaft innerhalb der PDS weiter.

Publikationen

Aktionen

  • 1973, 8. Dezember. Der KBW veranstaltet in mehreren Städten Demonstrationen gegen die "Notstandsmaßnahmen der Bourgeoisie und ihrers Staates". Es war "die erste Aktion, zu der der KBW unter zentraler Anleitung die Initiative ergriff, um auf einheitlicher Linie und zum gleichen Zeitpunkt in der ganzen BRD und Westberlin seine Kräfte zusammenzufassen und auf eine Aufgabe auszurichten" (KVZ Nr.9/19. Dezember 1973, S.9)
  • 1974, 14. September. Beteiligung an der Demonstration in Frankfurt am Main zum 1. Jahrestag der Machtergreifung der Junta in Chile
  • 1975. Demonstrationen gegen Fahrpreiserhöhungen im Öffentlichen Nahverkehr in Heidelberg (Juni), Frankfurt am Main (Juli) und Mannheim (September)
  • 1975, 21. September. 20.000 Menschen demonstrieren in Bonn für die Abschaffung des § 218 StGB ("Abtreibungsparagraf")
  • 1976, August. "6.500 Arbeiter, Angestellte, Schüler und Studenten" demonstrieren in vierzig Städten gegen das KPD-Verbot von 1956
  • 1977, 19. Februar. Demonstration gegen die Errichtung des Kernkraftwerks Brokdorf, an der auch KBW-Mitglieder beteiligt sind. Nach dem Versuch von Anhängern verschiedener K-Gruppen, am 19. März das Gelände des geplanten KKWs Grohnde zu stürmen, fordert der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht ein Verbot des KBW, den er fälschlicherweise als Hauptverantwortlichen ausmacht
  • 1977, 28. Mai. Die Soldaten- und Reservistenkomitees des KBW veranstalten in Hannover, Köln und München Soldaten- und Reservistentage mit etwa 5.000 Teilnehmern
  • 1977, 8. Oktober. Gemeinsame Demonstration von KBW, KPD(M) und KPD/ML in Bonn gegen das geplante Verbot ihrer Organisationen, an der sich etwa 16.000 Anhänger und Sympathisanten beteiligen

Wahlbeteiligungen

  • 1974, 27. Okt., Landtagswahl in Hessen, 2.732 Stimmen (0,1 %)
  • 1975, 20. Apr., Kommunalwahlen in Baden-Württemberg. Der KBW kandidierte in 7 Städten und errang in Heidelberg mit 3,6 % der Stimmen einen Sitz im Gemeindeparlament, der bis zu ihrem Ausschluss nach einem Jahr von Helga Rosenbaum eingenommen wurde
  • 1975, 2. März, Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin, 786 Stimmen (0,1 %) in drei Bezirken
  • 1975, 28. Sept., Bürgerschaftswahl in Bremen, 2.425 (0.56 %), hierher stammte eine der wichtigsten Vorläuferorganisationen des KBW, der Kommunistische Bund Bremen (KBB)
  • 1976, 4. April, Landtagswahl in Baden-Württemberg, 5.751 Stimmen (0,1 %). Der KBW beteiligte sich in 26 von 70 Wahlkreisen
  • 1976, 3. Okt., Bundestagswahl. 21.414 Erststimmen, 20.018 Zweitstimmen (jeweils 0,1 %) für den KBW, der in 87 Wahlkreisen mit Direktkandidaten und in allen Bundesländern außer Bayern und dem Saarland mit Landeswahllisten antrat
  • 1977, 20. März, Kommunalwahlen in Hessen. Der KBW trat nur in einigen ausgewählten Landkreisen, Städten und Gemeinden an. In Frankfurt am Main erhielt er 1.111 Stimmen (0,4 %), den höchsten Simmenanteil erreichte er in Griesheim mit 1,1 %
  • 1978, 4. Juni, Bürgerschaftswahl in Hamburg, 689 Stimmen (0,1 %); Landtagswahl in Niedersachsen, 2.779 Stimmen (0,1 %)
  • 1978, 8. Okt., Landtagswahl in Hessen 2.638 Stimmen (0,1 %) - eine Verschlechterung gegenüber dem Ergebnis von 1974; am 15. Okt., Landtagswahl in Bayern, 2.913 Stimmen (0,0 %)
  • 1979, 18. März, Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, 2.278 Stimmen (0,1 %), Abgeordnetenhauswahl in Berlin, 1.367 Stimmen (0,1 %)
  • 1979, 29. April, Landtagswahl in Schleswig-Holstein 806 Stimmen (0,1 %)
  • 1979, 7. Okt., bei der Bürgerschaftswahl in Bremen verschlechtert sich der KBW im Vergleich zur Vorwahl 1975 auf nur noch 533 Stimmen (0,1 %), was wohl auch an der Kandidatur der Bremer Grünen Liste lag. Erstmals kommen Grüne in ein Landesparlament (5,1 %, 4 Mandate)
  • 1980,

Mitglieder

Prominente ehemalige Mitglieder des KBW bzw. seiner Nebenorganisationen sind:

Nicht zum KBW - wie teilweise irrtümlich behauptet - gehörten dagegen der grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Kommunistischer Bund (KB)) sowie die Journalistin Helga Hirsch (Kommunistische Partei Deutschlands/Aufbauorganisation (KPD/AO) bzw. Kommunistische Partei Deutschlands (Maoisten)).

Literatur

  • Gerd Koenen: Das Rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-77. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001 ISBN 3462029851