Sekundärtugend
Sekiundärtugenden sind ein vorwiegend absprechender Begriff aus den deutschen Werturteilsstreitigkeiten der 1970er Jahre.
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Als Sekundärtugenden wurden Charaktereigenschaften eingestuft, die zum ‚Gelingen‘ einer Gesellschaft beitrügen, die aber den unmittelbaren Tugenden nachgeordnet zu werden hätten, da sie für sich alleine ethisch keine Bedeutung haben, solange sie nicht als Umsetzung dieser Primärtugenden gemeint sind.
Zu den Sekundärtugenden wurden insbesondere Fleiß, Treue, Gehorsam, Disziplin, Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ordnungssinn, Höflichkeit, Sauberkeit u.a.m. gezählt, meist aus den Tugendkatalog der preußischen Tugenden. Es von den herrschenden Werten einer jeweiligen Gesellschaft abhängig, was davon als eine Sekundärtugend zu bejahen sei. {{Quelle
Kritik und Gegenkritik
Kritiker herkömmlicher Tugenden verwandten den Begriff nach 1968 (Studentenbewegung) vorwiegend verächtlich, oft ohne analytische Erörterung etwaiger „Primärtugenden“. Sie verwiesen darauf, dass das Hochhalten dieser Tugenden im Nationalsozialismus die Nationalsozialisten nicht an unmenschlichen Verbrechen gehindert habe. Stattdessen wurden Postmaterialistische Werte wie Menschlichkeit, Kreativität und Selbstverwirklichung betont. Berühmt ist eine Äußerung Oskar Lafontaines, der auf eine Sekundärtugenden lobende Äußerung Helmut Schmidts in einem Interview mit dem Stern vom 15. Juli 1982 sagte: „Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben.“
Allerdings, und das ist ein differenziertes Argument und Kern der Kritik an der Kritik, sind diese Tugenden für sich zunächst neutral, denn erst durch den Zweck, dem sie dienen, bekommen sie eine wertende Eigenschaft. Dementsprechend erwiderte Helmut Schmidt, dass es schließlich auch die selben Tugenden gewesen seien, mit denen die Lagerinsassen von ihren Häschern befreit wurden.
Verteidiger eines harmonischen Tugendkomplexes und damit Gegner der 68er Tugendkritik argumentieren weiterhin unter anderem mit folgendem Satz: „Alle hat, wer eine hat und keine beleidigt, und keine hat und alle beleidigt, wer eine beleidigt.“ Damit wollen sie ausdrücken, dass die Tugenden alle zusammen hingen. Wer beispielsweise Gerechtigkeit ohne Taktgefühl und Ordnung lebe, könne im wahren, tugendhaften Sinn nicht gerecht sein, da Gerechtigkeit stets darin bestehe, jedem das seine zukommen zu lassen, was ohne geordnete Scheidung von Gleich und Ungleich nicht möglich sei.