Zum Inhalt springen

Helmut Thielicke

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 3. Februar 2005 um 14:51 Uhr durch Simondiercks (Diskussion | Beiträge) (Helmut Thielicke (1908 – 1986)). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Helmut Thielicke (1908 – 1986)

1. Ein biographischer Einblick

Krankheit – Krieg – Tübingen – Hamburg – Studentenrevolte

2. Literarisches Werk und Theologische Schwerpunkte

Ethik – Dogmatik – Predigten

3. Wirkung


1. Ein biographischer Einblick

H.T. wurde 1908 in Wuppertal geboren, wo er eine sehr glückliche Kindheit und ein prägende Schulzeit an einem humanistischen Gymnasium verbrachte, um 1928 sein Abitur zu erwerben.

Ein Jahr nach Aufnahme des Studiums der Theologie und Philosophie in Erlangen musste er sich wegen einer Schilddrüsenschwellung einer Operation unterziehen, welche katastrophal endete. Neben einer akuten Lungenembolie erkrankte T. an einer schweren postoperativen Tetanie, die Ihn die folgenden vier Jahre in den Universitätskliniken von Greifswald, Marburg, Erlangen und Bonn immer wieder ans Bett fesselte. Trotz beträchtlicher Einschränkungen und immer lebensbedrohlicher werdender Anfälle promovierte er 1932 vom Krankenlager aus zum Dr. phil. (Thema: „Das Verhältnis zwischen dem Ethischen und dem Ästethischen“). Nach jahrelangen Kampf, unzähligen Medikamenten und nachdem T. sogar mit seinem Leben abgeschlossen hatte, war es ein neues Medikament, welches die erhoffte Besserung brachte und T. „wie ein Wunder“ seine Lebenskräfte zurück brachte, war er auch bis zum Ende seines Lebens darauf angewiesen.

In Bonn hörte er die Vorlesungen Karl Barths, an dessen Lehre er besonders die Ausklammerung der „natürlichen Anthropologie“ kritisierte, das Fehlen jeglichen Bezugs zur konkreten Situation des Menschen heute. Diese kritischen Betrachtungen verarbeitete T. später in seiner Ethik, in dem er sich hier besonders auch Themen wie Politik und Sexualität zuwandte. Beim Erlanger Theologen Althaus promovierte er 1934 zum Dr. theol. mit einer grundlegenden Arbeit zu „Geschichte und Existenz. Grundlegung einer theologischen Geschichtstheologie“, die Grundlage seiner Ethik wurde. Da T. sich seit der Machergreifung des braunen Regimes zur „Bekennenden Kirche“ stellte, bedurfte es einiger Auseinandersetzungen bis er sich 1935 habilitierten konnte (Thema: „Offenbarung, Vernunft und Existenz. Studien zur Religionsphilosophie Lessings“). Wegen seinem Engagement wurde ihm auch die Professur in Erlangen verwehrt, 1936 erhielt er eine Professur für Systematische Theologie in Heidelberg. In Heidelberg traf und heiratete er auch 1937 Maria-Luise Herrmann aus Karlsruhe, die Ihm bis zu seinem Tode treu zur Seite stand.

Nach wiederholten Verhören der Gestapo seit Mitte der dreißiger Jahre erfolgte 1940 die Absetzung durch die NSDAP, welche auch durch Gespräche mit dem Reichsdozentenführer und entschlossene Fürsprache vieler Dozentenkollegen nicht verhindert werden konnte. In Ermangelung von Alternativen ließ sich T. zur Wehrmacht einziehen, wo er es allerdings kaum neun Monate lang aushielt. Durch die Unterstützung des Landesbischofs Wurm konnte er 1940 ein Pfarramt in Ravensburg übernehmen und ab 1942 ein Theologisches Amt in Stuttgart bekleiden, von wo aus er bis nach Kriegsende viele Verkündigungen und Vortragsreisen vollführte. Diese wurden immer wieder von Reise-, Publikations- und Predigtverboten seitens der Regierung erschwert. 1943 veröffentlichte T. ein kritisches theologisches Gutachten zu Bultmanns Aufsatz über die Entmythologisierung des Neuen Testament, die aus der zeitbedingten Schale des NT die heute noch relevanten Aussagen zu extrahieren suchte. Infolge dessen kam es zu einem respektvollen, aber ergebnislosen Briefwechsel zwischen T. und Bultmann, der sich grundlegend missverstanden sah. Auch zu der Wiederstandsgruppe „Freiburger Kreis“ trat T. in Kontakt, jedoch ohne aktiv an den Umsturzplänen zu partizipieren.

Die Ausbombung Stuttgarts 1944 trieb T. und seine Frau als Bombenflüchtlinge nach Korntal, von wo T. unter widrigsten Umständen in den folgenden Jahren seine Vortragsreisen und Predigtdienste fortsetzte, die anonym in der Schweiz in viele Sprachen übersetzt, an den verschiedensten Fronten des Krieges gelesen wurden. Das Kriegsende und der Einfall der ausländischen Truppen in Deutschland brachte durch verwaiste Pfarrstellen, seelsorgerliche Belange geschändeter oder verwitweter Frauen und verwaister Kinder neue Herausforderungen. Unmittelbar nach Kriegsende reiste T. mit einer Gruppe Abgesandter der Kirche nach Frankfurt und engagierte sich in Gesprächen mit der Militärregierung über die Neuerrichtung einer Fakultät und Aufnahme des Studienbetriebs im politischen und akademischen Vakuum der Nachkriegszeit.

In der neu entstandenen Theologischen Fakultät Tübingen übernahm er 1947 eine Professur und wurde 1951 zum Rektor und Präsidenten der Rektorenkonferenz gewählt. In dieser Zeit setzte er sich gegen die undifferenzierte Entnazifizierung aller öffentlichen Ämter ein und machte viele Vortragsreisen zu theologischen und sozialen Fragen der Nachkriegszeit. Zur Gründung einer theologischen Fakultät wurde T. 1954 nach Hamburg berufen, wo er mit großer Leidenschaft seinen Aufgaben als Dekan, Professor und Prediger nachkam und über Jahre Hamburgs Hauptkirche St. Michaelis füllte.

In den folgenden zwei Jahrzehnten tätigte er neben seinen Verpflichtungen in Hamburg zahlreiche Vorlesungs-, Predigt- und Studienreisen, auf denen er alle Kontinente kennen lernte. So reiste er fast jährlich in die Vereinigten Staaten, wo er für 1956 für einige Monate als Gastdozent lehrte. Jahre später begegnete er hier auch Billy Graham und wurde 1977 vom Präsidenten Jimmy Carter im Weißen Haus empfangen. Er empfing eine Ehrendoktorwürde in Schottland, studierte Asien bei einer Rundreise durch Malaysia, Hongkong, China, Japan. Hier kam er zu einer Begegnung und langen interreligiösen Austauschen mit einem bedeutenden buddhistischen Zen-Meister. 1959 begab er sich nach Süd-Afrika, setzte sich mit der Problematik der Apartheid auseinander und traf u.a. den Führer der schwarzen Opposition. 1962 bereiste er Lateinamerika, 1970 traf er sich bei seinem Reise durch Griechenland mit Königin Frederike. Bereits nach seiner Erimitierung lernte er 1979 als letzten Kontinent Australien und Neuseeland kennen. Auch in Deutschland nahm T. viele Kontakte war, so kam es zur Begegnung mit Adenauer und einem intensiven Briefaustausch mit Theodor Heuss.

1960 wurde er zum Rektor den Universität Hamburg gewählt und hielt als solcher zwei Jahre später ein Rede vor dem deutschen Bundestag, in der er den inneren Substanzverlust der westlichen Länder beklagte.

T., der sich Zeit seiner Professorentätigkeiten stets sehr für seine Studenten einsetzte, ihre Wege oft bis ans Lebensende verfolgte und in Tübingen wie Hamburg regelmäßig offene Abende in seinem Haus veranstaltete, geriet 1967 in Schusslinie der Studentenrevolte. Aufs Intensivste wiedersetzte er sich den Unruhen und setzte seine Vorlesungen und Predigten trotz heftigster Störungen fort. Persönliche Anfeindungen, wie auch das Vordringen der Proteste bis in die Gottesdienste des Michel brachten T. ein Mal mehr an seine gesundheitlichen und menschlichen Grenzen. In all dem suchte er stets den konstruktiven Dialog den er letztendlich zumindest in Einzelgesprächen auch fand.

Nach seiner Erimitierung gründete Th. die „Projektgruppe Glaubensinformation“, durch die er seine Erfahrungen von der Kanzel weitergeben wollte und junge Prediger in der Verkündigung des Evangeliums unterstütze.

T. starb 1986 im stattlichen Alter von 78 Jahren in Hamburg.

2. Literarisches Werk und Theologische Schwerpunkte

T. fand in lebensbedrohender Krankheit und als Wunder erfahrener Rettung zu einem persönlichen Glauben, der sich in Auseinandersetzung mit dem totalitären Staat bewährte. Als Ausgangspunkt für seine Ethik wählt er so auch die „Krise der christlichen Ethik im Zeitalter des Säkularismus“. Infolge der „Dämonisierung der Welt“ und einer „Eigengesetzlichkeit des Lebens“ können normative Instanzen, wie Gewissen und Naturrecht, nicht mehr zur Bildung von Grundsätzen herangezogen werden. Nun wählt T. die Herangehensweise an ethische Problematiken anhand von Modellfällen, exemplarischen geschichtlichen Situationen. Als Grundsituation sieht er die Spannung zwischen „diesem Äon“ und dem Äon der eschatologischen Vollendung. In dieser Spannung kommt es nun zu „Grenzsituationen“, Konflikte wie z.B. Notlüge, Steuerehrlichkeit oder Höflichkeit, in denen T. die Frage stellt, wie der Christ sich in der Welt bewähren kann. Die Betrachtung anhand dieser Modelle führt ihn zu der Ansicht, dass „der ethischen Weisheit letzter Schluss“ der Kompromiss ist, als ein Weg durch die ethischen Orientierungsprobleme dieser Welt. Dieses Grundmodell wendet Thielicke dann auf die „überindividuellen Lebensbereiche“ an: Politik, Soziales, Recht, Sexualität und Kunst.

Der erste Band seiner Dogmatik ist eine umfassende Auseinandersetzung mit Theologie und Philosophie, der zweite Band fragt nach dem „persönlichen“ Gott und sucht neue Zugänge zur Christologie. Im dritten Band folgt die Lehre vom Heiligen Geist mit dem Hauptsatz, dass das Wort Gottes sich selber auslegt.

Wie in seinen wissenschaftlichen Werken suchte T. auch in seinen Predigten die Relevanz des Evangeliums für alle Bereiche des Lebens und der Gesellschaft auszudeuten. Seine Predigten wurden oft von Tausenden gehört - in Stuttgart und Hamburg - und erschienen später als Bücher. Sie vermeiden abgegriffene kirchliche Formeln. Mit Hilfe einleuchtender Bilder versteht es T., biblische Grundeinsichten den Hörern und Lesern aller Schichten verständlich zu machen.

Er schrieb über 6000 Seiten wissenschaftlicher Theologie.

3. Wirkungen

Abgesehen von seiner Ethik, deren origineller Ansatz auch heute noch rezitiert wird, fand T. nach seinem Tode in der wissenschaftlich-theologischen Diskussion kaum noch Anklang. Seine Dogmatik wurde kaum rezipiert.

Im krassen Gegensatz dazu steht die immense Wirkung, die er durch seine Predigten, Vorträge und gemeinverständlichen Publikationen, aber auch durch seine akademischen Vorlesungen ausgeübt hat. Durch seine Bemühungen, das im Menschen anzusprechen, was in allen Menschen gemein ist, gelang es ihm alle Schichten zu erreichen. Zahllose Menschen, Theologen wie Nicht-Theologen, Christen wie nicht Gläubige verdanken T. Impulse für ihr eigenes Denken, Glauben und Predigen.

"Spricht man von den einflussreichsten theologischen Lehrern des 20. Jahrhunderts, 
und zumal den bedeutensten Predigern, so nennen viele nach wie vor ihn an erster Stelle."

Literaturempfehlung:


--Simondiercks 14:46, 3. Feb 2005 (CET)