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Jiu Jitsu

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Die sino-japanischen Kanji Jiu und Jitsu (von oben nach unten)

Jiu Jitsu [dʑɯː.dʑɯ.tsɯ] (jap. 柔術/?; „Die sanfte Kunst“ bzw. „Die Wissenschaft von der Nachgiebigkeit“) – ehemals auch als Yawara bekannt – ist eine von den japanischen Samurai stammende Kampfkunst der waffenlosen Selbstverteidigung. Jiu Jitsu kann unabhängig vom Alter und Geschlecht trainiert werden und bietet ein breites Spektrum von Möglichkeiten zur Selbstverteidigung, und – unter anderem durch Stärkung des Charakters und Selbstbewusstseins – zur friedlichen Lösung von Konflikten.

Jiu Jitsu wurde von Samurai praktiziert, um bei einem Verlust oder Verbot der Hauptwaffen (Schwert, Speer, Schwertlanze, Bogen, etc.) waffenlos oder mit Zweitwaffen weiterkämpfen zu können. Diese Kampfkunst war zunächst geheim und nur dem Adel vorbehalten, im Laufe der Zeit wurde sie aber auch von nichtadligen Japanern ausgeübt.

Ein übergeordnetes Ziel im Jiu Jitsu ist es, einen Angreifer – ungeachtet, ob bewaffnet oder nicht – möglichst effizient unschädlich zu machen. Dies kann durch Schlag-, Tritt-, Stoß-, Wurf-, Hebel- und Würgetechniken geschehen, indem der Angreifer unter Kontrolle gebracht oder kampfunfähig gemacht wird. Dabei soll beim Jiu Jitsu nicht Kraft gegen Kraft aufgewendet werden, sondern – nach dem Prinzip „Siegen durch Nachgeben“ – soviel wie möglich der Kraft des Angreifers gegen ihn selbst verwendet werden.

Allgemeines

Jiu Jitsu ist eine alte japanische Kampfkunst und gilt als eine der ältesten und „ehrwürdigsten”. Die geistig-philosophische Seite (siehe Ehrenkodex Bushidō) ist genauso ein Teil der Sanften Kunst wie der technische Aspekt, wobei die traditionelle Seite der Kampfkunst mit der modernen Hand in Hand geht. Traditionelle Elemente − wie die Verbeugung und die Übung in Kata – stellen genauso wie fortschrittliche Elemente − zum Beispiel Wettkämpfe und Gürtelgrade entsprechend der Beherrschung der Kampfkunst – ein Teil des Gesamtsystems Jiu Jitsu dar. Einige Schulen lehnen Wettkämpfe ab, da dafür eine starke Einschränkung der Möglichkeiten des Jiu Jitsu notwendig ist, um Verletzungen im Wettkampf zu vermeiden.

Innerhalb des Systems Jiu Jitsu erlernt ein Schüler zunächst Kihon (jap. Grundschule), bestehend aus Schlag- und Stoßtechniken sowie Tritt- und Beintechniken und auch die Fallschule als Voraussetzung für ein verletzungsarmes Training. Weiter wird die Anwendung von Würfen, Hebeln und Festlegetechniken sowie die waffenlose Verteidigung gegen alltägliche Angriffe (wie beispielsweise gegen Würgen, Handgelenk- und Kragenfassen, Schlag-, Tritt- und Waffenangriffe, etc.) und Bodenkampf unterrichtet. Auch die allgemeine Fitness wird durch intensives Fitnesstraining am Anfang jedes Trainings gefördert.

Die genaue Herkunft der antiken Kampfkunst Jiu Jitsu – früher auch Yawara, Tai Jutsu, Kempo, Hakuda, Aiki [Ju] Jutsu, Kogusoku, Koshi No Mawari, Kumi Uchi, Torite, Shubaku etc. genannt – ist heute kaum eindeutig feststellbar. Selbst Jigoro Kano schrieb, dass viele zu gerne ihre „eigene“ Entstehungsgeschichte darstellen und dadurch die eigentliche Herkunft verschleiert bleibt. Anschließend beschreibt er mögliche Entstehungsarten und -mythen. In einer dieser Entstehungsmythen wird das Grundprinzip des Jiu Jitsu „Nachgeben, um zu siegen“ besonders deutlich:

Darin heißt es, dass Akiyama Shirobei Yoshitoki (ein im 16. Jahrhundert in Nagasaki lebender Arzt) auf seiner Studienreise durch China in Klöstern neben medizinischem Wissen auch Unterricht im waffenlosen Nahkampf (Hakuda/ Baida) erhielt. Dabei stellte er die immense körperliche Stärke als Voraussetzung zur Ausführung der Techniken fest. Zurück in Japan unterrichtete Akiyama das aus China mitgebrachte Hakuda, doch viele seiner Lehrlinge wandten sich von diesem kraft-betonten System ab. Eines Winters dann beobachtete Akiyama wie die massiven starren Äste einer Kiefer unter der Last herunterkommender Schneemassen brachen, während die dünnen Äste einer daneben stehenden Weide sich unter der Last des Schnees so lange herunterbogen, bis der Schnee abglitt, um sich dann unversehrt wieder aufrichteten. Inspiriert von dieser Beobachtung gründete er die erste Schule der „Wissenschaft von der Nachgiebigkeit“ und nannte sie Yoshin-Ryu (Weiden-Schule). [1]

Doch nicht nur die Herkunft ist kompliziert beim Jiu Jitsu, auch die Transkription aus dem Japanischen ins lateinische Alphabet ist eine Herausforderung für sich.

  • Das sino-japanische Kanji (Schriftzeichen) 柔 wird Jiu und Ju (früher Dschu) ausgeschrieben und bedeutet „weich, sanft, nachgiebig”.
  • Das Schriftzeichen 術 heißt „Technik, Kunst, Wissenschaft” und kann Jitsu bzw. Jutsu (früher Dschitsu) geschrieben werden.

Dadurch entstehen die vielen Möglichkeiten, „Die Sanfte Kunst“ (jap. 柔術) zu transkribieren. Heutzutage ist für diese traditionelle japanische Kampfkunst international der Ausdruck „Ju Jitsu“ und in Deutschland „Jiu Jitsu“ verbreitet, dennoch finden weitere Transkriptionsmöglichkeiten der Sanften Kunst ihre Verwendung in verschiedenen Ländern und ihren Verbänden – teilweise auch für abgewandelte Systeme. Folgt man der offiziellen japanischen Lautumschrift, müssten die Kanji „Jūjutsu“ bzw. „Juujutsu“ (sprich Dschuu-dschtsu, wobei das erste U bei Dschuu lange gesprochen wird) ins lateinische übertargen werden.

Entwicklung

Japanische Jiu-Jitsu-Schüler (1920er Jahre)

Aus dem Jiu Jitsu entwickelten sich im Laufe der Zeit weitere Kampfkünste, durch besondere Betonung auf einzelne Aspekte des Gesamtsystems Jiu Jitsu, oder durch Mischung mit anderen Kampfkünsten:

  • Jūdō ist ein wurflastiger Stil des Jiu Jitsu, der Anfang des 20. Jh. entstand. Jigorō Kanō entwickelte Jūdō als attraktive Kampfkunst für die moderne japanische Gesellschaft sowie als Nahkampfsystem für die Tokioter Polizei. Dabei handelt es sich um ein Extrakt aus dem Jiu Jitsu, welches sich vornehmlich aus Wurf-, Würge-, Hebel- und Haltetechniken zusammensetzt. In Europa herrscht das Wettkampfjudo vor; im traditionellen Judo von Kano hingegen gibt es weiterhin Schlag-, Stoß-, und Tritttechniken, außerdem wird Wert auf eine Ausbildung im Kuatsu (Kunst der Wiederbelebung) gelegt.
  • Beim Aikidō stehen ausladende, runde Bewegungen und Hebeltechniken im Vordergrund. Morihei Ueshiba entwickelte es aus dem Daito Ryu Aiki Ju Jutsu, das ihm von einem Mitglied des Hauses Takeda vermittelt wurde. Aikido betont das Aufnehmen und Umkehren des Angriffs sehr stark.
  • Das Karatedō ist aus Einflüssen des Jiu Jitsu und Kung Fu entstanden und wird technisch durch Schlag-, Stoß-, Tritt- und Blocktechniken sowie Fußfeger charakterisiert.
  • Deutsches Ju Jutsu ist ein junges, aus traditionellem Jiu Jitsu und vielen anderen Einflüssen zusammengesetztes System, das in Deutschland entwickelt wurde. Zur Abgrenzung vom Jiu Jitsu wird eine andere Transkription für dieselben Kanji (柔術) benutzt.
  • In Brasilien ist das Brasilianische Jiu Jitsu sehr verbreitet, das eine Version des Jiu Jitsu mit Fokus auf den Bodenkampf darstellt.

Etikette

Für Jiu Jitsuka gelten – genau wie für andere Budōka auch – strenge Höflichkeitsregeln (jap. Reishiki) und Regeln für Übung der Kampfkünste (jap. Dōjōkun), die einerseits den groben Ablauf und andererseits bestimmte Details des Trainings festlegen.

So ist es z.B. üblich, vor Betreten und Verlassen der Übungshalle (jap. Dōjō), am Eingang das Shōmen des Dōjō und die darin Versammelten mit einer Verbeugung im Stand (jap. 立礼, Ritsurei) zu begrüßen (Beschreibung weiter unten). Auch beginnt und endet jedes Training, jede Übung und jede Kata mit einem Gruß (jap. Rei).

Der Beginn und das Ende jedes Jiu-Jitsu-Trainings werden mit einer gemeinsamen Grußzeremonie und kurzer Meditation (jap. Mokusō) begangen. Schüler und Meister verneigen sich dabei in Respekt – nicht in Demut – vor einander und den alten Meistern (im Geiste, repräsentiert an der Stirnseite, dem Shōmen des Dōjō) und lösen sich während der Meditation gedanklich von der Alltagsroutine und bereiten sich auf das Training vor.

Trotz moderner und sportlicher Gesichtspunkte des heutigen Trainings (z.B. Fitness- oder Wettkampftraining), lässt die Meditation auf die Herkunft des Jiu Jitsu als Weglehre () schließen.

Beschreibung der Begrüßungszeremonie

Die folgende Zeremonie variiert zwischen Verbänden und auch Dojos. Sie macht aber das Prinzip deutlich.

  • Sobald der Meister (oder ein von ihm Befugter) den Trainingsbeginn bzw. das Ende des Trainings zu erkennen gibt, erfolgt die Aufstellung:
    • Dabei stellen sich Meister und Schüler in zwei Reihen gegenüber mit Blicken zueinander auf. Füße sind Schulterbreit auseinander, die Handflächen liegen auf der Oberschenkelaußenseite und die Füße aller bilden eine Linie.
    • Die Schüler bilden eine nach aufsteigenden Gürtelgraden geordnete Reihe, so dass der höchste Gurt dem am höchsten graduierten Lehrer gegenüber steht. Dieser Lehrer steht am nächsten zum Shomen und am weitesten entfernt vom Eingang des Dojo. Diese Tradition stammt aus der Zeit in der Schulen (Ryu) jederzeit von konkurrierenden Ryu überfallen werden konnten und es dadurch, dass der Meister maximal-weit vom Eingang des Dojo entfernt stand, besser möglich war ihn zu verteidigen.[2]
  • Erst wenn sich der Meister zur Begrüßung hinkniet bzw. das Kommando gibt, folgen ihm die anderen Lehrer und Schüler in Seiza. Beim Abknien gilt eine genau vorgeschriebene Vorgehensweise:
    • Aus dem Stand wird das linke Knie gebeugt und der linke Fuß nach hinten gesetzt. Dann berührt das linke Knie den Boden und es folgt das gleiche für das rechte Bein. Die Knie sind nun auf der ehemaligen Linie der Füße abgesetzt und der Abstand zwischen den Knien sind etwa zwei Faustbreiten. Die Fußballen sind aufgesetzt und das Gesäß berührt die Hacken.
    • Die Hände gleiten zu den Oberschenkeln und die aufgestellten Füße werden hinabgestellt, sodass der Fußspann den Boden berührt und das Gesäß wieder die Unterschenkel berührt.
    • Der Rücken ist gerade, der Blick nach vorne in die Unendlichkeit gerichtet und die Aufmerksamkeit haftet noch immer am Sensei. Richtig ausgeführt, kann man so Stunden verharren.
  • Der höchste Schüler (jap. Sempai) führt fort, wenn alle Sitzen und er das Einverständnis des Meister bekommen hat und sagt „Mokusso!“ (jap. „Meditation!“). Daraufhin schließen alle die Augen und die Meditation beginnt. Während der Meditation atmet man kontrolliert, streift alltägliche Sorgen und Probleme ab und stellt sich mental auf das Training ein.
  • Hält der Sempai die Zeit der Meditation für angemessen, setzt er die Begrüßung fort. Es gibt keine verbindliche Zeitangabe für die Dauer der Begrüßungsmeditation. Der höchste Schüler spürt, wann er und die anderen bereit sind, das Training zu beginnen. Er beendet die Meditation mit dem Kommando: „Mokusso jamé!“ (jap. „Meditation Ende!“), woraufhin alle die Augen wieder öffnen.
  • Direkt folgt vom Sempai das Begrüßungskommando: „Sensej-ni rei!“ (jap. „Verbeugung zum Meister!“) und alle Schüler verneigen sich im Kniestand (jap. 座礼, Zarei) zu den Lehrern:
    • Die Handinnenfläche der linken Hand gleitet nach vorne und wird ca. eine Elle vor den Knien auf Matte abgesetzt. Dann folgt die rechte Hand, die daneben abgesetzt wird, sodass sich Daumen und Zeigefinder berühren und ein Dreieck bilden.
    • Liegen die Handflächen, dann wird der Oberkörper so weit nach vorne gebeugt, dass die Unterarme ganz auf der Matte abgelegt sind, das Gesäß grade noch auf den Fersen haftenbleibt und der Kopf ca. eine Faustbreite über den Händen ist. (Die Stirn berührt die Finger nicht, da die Verbeugung keine Unterwerfung des Schülers vor dem Meister ist. Mit dem Blick zur Matte könnte aus den Augenwinkeln dennoch ein Angreifer von vorne gesehen werden.)
    • Der Budoka verharrt in dieser Position für ungefähr zwei Sekunden, und in jedem Fall länger als der Meister.
    • Anschließend wird der Oberkörper aufgerichtet und in umgekehrter Reihenfolge der Hände setzt sich der Jiuka wieder in Seiza.
  • Nun gibt der Meister das Begrüßungskommando: „Otagai-ni rei!“ (jap. „Verbeugung aller Übenden!“) und es folgt − dieses Mal von Lehrern und Schülern zusammen − die Verbeugung im Kniestand (Zarei) zueinander.
  • Dann steht der Meister als erstes auf, gefolgt von den anderen Lehrern und anschließend der Sempai, gefolgt von den Kohai (Schüler niederen Ranges als der Sempai). Das Aufstehen erfolgt in umgekehrter Abfolge zum Abknien.
  • Im Stehen kommt vom Meister das Kommando „Rei!“ gefolgt von der Verbeugung im Stand (jap. 立礼, Ritsurei):
    • Der Oberkörper wird dabei in einem Winkel von ungefähr dreißig bis fünfundvierzig Grad nach vorne gebeugt. Dabei wird der linke Fuß zum Rechten gezogen und die Hände bleiben bei Männern auf der Hosennaht – bei Frauen hingegen rutschen sie auf die Oberschenkelvorderseite.
    • In der Neigung verbleibt der Budoka ca. zwei Sekunden und in jedem Fall länger als der Meister.
    • Das Aufrichten geht in umgekehrter Reihenfolge von statten.
  • Nach dieser Verbeugung ist die traditionelle Begrüßung abgeschlossen und der Meister setzt mit dem Training fort.

Kleidung

Keiko-Gi

Jiu Jitsu wird barfuß und in einem speziellen Anzug (jap. Keiko-Gi) trainiert. Für Männer ist es unüblich ein T-Shirt unterm Keiko-Gi zu tragen; Frauen hingegen haben das Recht – auf Grund anatomischer Gesichtspunkte – ein Unterhemd/T-Shirt/Sport-BH unterm Gi zu tragen. Beide Geschlechter tragen unterm Gi Unterwäsche und bei Bedarf ein Suspensorium (Tiefschutz).

Das Jiu-Jitsu-Training beinhaltet Aspekte, die besondere Kleidung notwendig machen. So muss die Kleidung (meist aus Baumwolle) robust sein, dass sie nicht reißt, wenn dran gezogen wird, aber auch flexibel, sodass der Jiuka sich gut darin bewegen kann. Für das Jiu-Jitsu-Training können robustere Judo-Anzüge, eher dünnere Karate-Anzüge und seit neuester Zeit auch spezielle Jiu-Jitsu-Gis, z.B. mit Beinverstärkungen für Bodenkampf, getragen werden. Die einheitliche Trainingskleidung beim Jiu Jitsu besteht aus folgenden Elementen:

  • Keiko-Gi – Ein Anzug (jap. Keiko-Gi) traditionell weißer Farbe – Farbe und Form können von Verband zu Verband unterschiedlich sein:
    • Zubon – eine an der Hüfte geschnürte Hose (jap. Zubon) mit Schnür- oder Elastikbund und
    • Uwagi – eine robuste Jacke (jap. Uwagi) oft mit leichter Schnürung innen, jedoch ohne Knöpfe oder Reißverschlüsse und
  • Obi – ein farbiger (für Farbbedeutung siehe Graduierungen im Jiu Jitsu), auf bestimmte Weise gebundener Gürtel (jap. Obi) hält die Jacke zusammen.

Die Einführung einheitlicher Kleidung und eines Graduierungssystems in den Kampfkünsten ist im sozio-historischen Kontext Japans zu verstehen: Die Bedeutung der traditionellen Kriegskünste ging durch die Modernisierung und Verwestlichung Japans in der Meiji-Restauration – in welcher der Samurai-Stand aufgelöst wurde und Faustfeuerwaffen eingeführt wurden – weitestgehend zurück. Und erst mit dem wachsenden japanischen Nationalismus gewannen die klassischen Kampfkünste wieder an Bedeutung. Sie wurden nicht mehr als obsolet, sondern als wichtiger Bestandteil der kulturellen und nationalen Identität gesehen. Kōdōkan-Gründer Jigorō Kanō passte seine Kampfkunst der nationalistisch-militaristischen Zeit an und führte uniforme Trainingskleidung und das Gürtelsystem ein. So kann die einheitliche Kleidung als Uniform, das Graduierungssystem nach Gürtelfarben als Hierarchie militärischer Dienstgrade, und die Aufstellung in “Reih und Glied” als militärische Formation gesehen werden. [3]

Graduierung

Die Gürtelfarben der Schülergrade beim Jiu Jitsu

Im Dojo beim Jiu Jitsu herrscht eine hierarchische Gliederung: die Lehrer (Sensei) und die Schüler. Die Graduierung bzw. das Können im Jiu Jitsu wird durch die Farbe des Gürtels (jap. Obi) deutlich − was heute typisch für viele vor allem japanische Kampfkünste ist. Jigoro Kano, Gründer des Kodokan Judo, hat dieses System im 19. Jh. erstmalig verwendet. Vorher gab es kein Graduierungssystem nach Gürtelfarben in den Kampfkünsten aus Japan und Okinawa.

Generell wird in Schüler- (sog. Kyu) und Meistergrade (sog. Dan) unterschieden, wobei jedem Grad eine bestimmte Gürtelfarbe zugeordnet ist. Jeder fängt mit einem Weißgurt (6. Kyu bzw. 9. Kyu) an und unterzieht sich einer Gürtelprüfung, um zum nächst-höheren Gürtelgrad zu gelangen. Das Ablegen von Prüfungen dient – in der heutigen erfolgsorientierten Gesellschaft – vielfach als Ansporn und Bestätigung des Erreichten, ähnlich wie in vielen anderen Bereichen des Alltages. Der Meister (Sensei) weiß jedoch stets, unabhängig von der Gürtelfarbe, vom Fortschritt seines Schülers Bescheid.

In Abhängigkeit vom angestrebtem Kyu- oder Dan-Grad werden das Prüfungsprogramm und die Wartezeit – vom jeweiligen Verband – festgelegt. In der Prüfung selbst wird auf viele Teilaspekte geachtet. Dabei wird neben der dynamischen und korrekten Technikausführung, auch auf Haltung, Aufmerksamkeit, Kampfgeist, Konzentration und Willen des Prüflings Wert gelegt. Für ein Bestehen werden auch weitere Werte, wie die Einstellung, das regelmäßige Erscheinen beim Training, die Pünktlichkeit etc. beachtet, sodass letztendlich der Gesamteindruck entscheidet.

Schülergrade - Kyu Grade (Mudansha)

In der Deutschen Jiu-Jitsu Union (DJJU), im Deutschen Jiu-Jitsu Ring Erich Rahn (DJJR) und im Deutschen Dan-Kollegium (DDK) gilt eine sechsstufige Unterteilung der Schülergrade, nach der sich auch die in Deutschland weniger etablierten Dachverbände, wie beispielsweise die World Ju Jitsu Federation (WJJF) in Deutschland richten:

Kyu Grad 6. Kyu 5. Kyu 4. Kyu 3. Kyu 2. Kyu 1. Kyu

Gürtelfarbe

weiß gelb orange grün blau braun

Im Deutschen Jiu Jitsu Bund (DJJB) hingegen gibt es – durch die Auffächerung des Braungurtes – neun Schülergrade. Diese weitere Unterteilung der Schüler-Graduierungen im DJJB dient einer besseren Vorbereitung der Schüler auf den Schwarzgurt:

Kyu Grad 9. Kyu 8. Kyu 7. Kyu 6. Kyu 5. Kyu 4. Kyu 3. Kyu 2. Kyu 1. Kyu
Gürtelfarbe weiß gelb orange grün blau braun braun
mit 1. roten Streifen
braun
mit 2. roten Streifen
braun
mit 3. roten Streifen

Meistergrade - Dan Grade (Yudansha)

Die Aufteilung in zehn Meistergrade ist im Allgemeinen üblich bei japanischen Kampfkunst- bzw. Kampfsportarten. Für die Meistergrad-Prüfungen gibt es festgelegte Kriterien und Prüfungsprogramme – ebenfalls von Verband zu Verband unterschiedlich. Der technische Anteil wird dabei freier, so dass die Prüflinge ihre Programme selbst erarbeiten müssen und der theoretisch-philosophische Prüfungsanteil erhöht sich erheblich. Dabei ist – in den meisten Verbänden – die Prüfung zum fünften Dan die letzte technische Prüfung, die abgelegt werden kann und weitere Graduierungen werden für außergewöhnliche Leistungen im bzw. für den Verband verliehen.

Dem ersten bis fünften Dan entsprechend werden schwarze Gürtel getragen, wobei zur Unterscheidung Streifen − deren Anzahl dem jeweiligen Dan-Grad entspricht – auf den Gurt genäht werden können. Der sechste bis achte Dan werden durch einen rot-weißen Gurt sichtbar und der neunte und zehnte Dan durch einen roten Gürtel.

Dan Grad 1. Dan 2. Dan 3. Dan 4. Dan 5. Dan 6. Dan 7. Dan 8. Dan 9. Dan 10. Dan
Gürtelfarbe schwarz schwarz schwarz schwarz schwarz rot- rot- rot- rot rot
weiß weiß weiß

Geschichte des Jiu Jitsu in Deutschland

Die Geschichte des Jiu Jitsu in Deutschland ist zum einen eng mit dem Namen Erich Rahn, zum anderen eng mit der Geschichte des Kodokan Judo verbunden. Rahn, der aus einer angesehenen Berliner Kaufmannsfamilie stammte, war durch die bis nach Asien reichenden Beziehungen seines Vaters schon als Kind mit Japanern in Kontakt gekommen, von denen er ein wenig Jiu Jitsu lernte. Rahn sah Higashi bei einem Auftritt im Zirkus Schumann in Berlin, bei dem Higashi im Kampf einen scheinbar überlegenen Mann durch Jiu-Jitsu-Techniken zu Boden brachte. Rahn wurde Higashis Schüler und eröffnete noch im gleichen Jahr (1906) im Alter von 21 Jahren in einem Hinterzimmer einer Kneipe in Berlin-Mitte die erste deutsche Jiu Jitsu Schule. Für ihn stand die Selbstverteidigung dabei im Vordergrund, die hinter dem Budo stehende Philosophie spielte kaum noch eine Rolle. Mit der „Verwestlichung“ fanden auch immer mehr Ringergriffe, Boxschläge und Kraftanwendung Eingang in das Jiu Jitsu.

Durch Vorführungen und Kämpfe wurde die Polizei auf Rahn aufmerksam, und am 30. Juni 1910 schließlich führte Rahn im Königlichen Polizeipräsidium das Jiu Jitsu vor, woraufhin ihm die Durchführung der neu angeordneten Jiu Jitsu Ausbildung der Berliner Kriminalpolizei, und später die der Schutzpolizei übertragen wurde. 1913 folgt der Lehrauftrag für Jiu Jitsu an der Militärturnanstalt Berlin.

Zur Zeit des 1. Weltkriegs 1914 - 1918 ruhte die Entwicklung des Jiu Jitsu vollkommen und wurde erst 1919 wieder aufgenommen. Während der 1920er-Jahre gibt Rahn immer wieder Jiu-Jitsu-Vorführungen in Varietés und Zirkussen in ganz Deutschland, bei denen er gegen berühmte Ringer und Boxer kämpft und Herausforderungen von Jedermann annimmt. Von diesen öffentlichen Kämpfen zog sich Rahn erst 1925 im Alter von 40 Jahren zurück – unbesiegt. 1920 hatte er außerdem in Berlin-Schöneberg den „Ersten Berlin-Jiu-Jitsu-Club“ gegründet, und 1922 gründete er den „Zentralverband der Deutschen Jiu-Jitsu-Kämpfer“.

In Deutschland wurde das Jiu Jitsu bald auch zum Wettkampfsport. So fand 1922 im Berliner Sportpalast in Berlin-Schöneberg die erste Deutsche Jiu-Jitsu-Meisterschaft statt, bei der Rahn gegen Hans Reuter (München) gewann.

In dieser Zeit wurden auch die ersten Jiu-Jitsu-Clubs eröffnet. Alfred Rhode, ein Schüler Rahns und später „Vater des Deutschen Judo“, wurde im August 1921 als Polizeisportlehrer in Berlin zur Schutzpolizei in Frankfurt am Main versetzt, mit der Aufgabe, das Jiu Jitsu dort einzuführen und zu verbreiten. Am 10. Oktober 1922 gründet Rhode in der Hauptwache in Frankfurt am Main den „Erster Deutscher Jiu-Jitsu-Club e.V.“ mit, der dann später in „Erster Deutscher Judo-Club e.V.“ umbenannt wurde. Ebenfalls 1922 gründete Otto Schmelzeisen, der erstmals 1920 durch seinen Beruf als Polizeibeamter im Rahmen eines Beamtenausbildungslehrgangs mit Jiu Jitsu in Berührung gekommen war, in Wiesbaden einen Jiu-Jitsu-Club, der 1950 in „Judo-Club Wiesbaden 1922 e.V.“ umgeschrieben wurde. Weitere Vereinsgründungen erfolgten 1922 unter anderem durch Max Hoppe in Berlin und August „Ago“ Glucker in Stuttgart.

1923 wird von Erich Rahn der „Reichsverband für Jiu Jitsu“ – der heutige „Deutsche Jiu-Jitsu Ring Erich Rahn e.V.“ – gegründet; erster Vorsitzender wird Walter Strehlow. 1926 findet in Köln die erste Deutsche Einzelmeisterschaft im Jiu Jitsu statt. 1929 folgen im Frankfurter Palmengarten zwischen dem Budokwai London und dem Erster Deutschen Jiu-Jitsu-Club e.V. Frankfurt am Main die ersten internationalen Judo-Wettkämpfe statt. Bei den Regelabsprachen zwischen Meister Koizumi und Marcus Kaye für London und Alfred Rhode, Edgar Schäfer und Philip Breitstadt für Frankfurt wird deutlich, dass sich das Jiu Jitsu nicht gut für einen direkten Vergleichswettkampf eignet, da es hauptsächlich auf Selbstverteidigung ausgerichtet ist.

Obwohl 1930 in Deutschland bereits 110 Jiu-Jitsu-Vereine registriert waren, ging die Tendenz nun vom Jiu Jitsu zum von Kano entwickelten Judo hin. 1933 gründet Alfred Rhode die Europäische Judo-Union (EJU), wodurch Jiu Jitsu und Judo erstmals organisatorisch voneinander getrennt werden. Die Selbstverteidigung aus J. Kanos System behält den Namen Jiu Jitsu, während der wettkampfsportliche Teil den Namen Judo bekommt. Noch im gleichen Jahr kommt Kano nach Deutschland und hält mit seinen Schülern Dr. Takasaki, Kotani und Dr. Kitabatake vom 11. bis 22. Juli in Berlin an der Humboldt-Universität und vom 11. bis 18. September in München zwei Lehrgänge ab. Nach einem Gespräch zwischen Kano und dem damaligen Reichssportführer wurde die Bezeichnung „Judo“ amtlich in ganz Deutschland eingeführt.

Von 1939 bis 1945 findet kriegsbedingt keine Weiterentwicklung des Kampfsports statt, und nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurden durch die Direktive Nr. 23 bezüglich der Beschränkung und Entmilitarisierung des Sportwesens in Deutschland des Kontrollratsgesetzes unter anderem auch Jiu Jitsu und Judo von den Alliierten sowohl in Deutschland, als auch in Japan verboten. Erst nach langen Verhandlungen wird 1949 die Direktive Nr. 23 nach und nach in allen Besatzungszonen aufgehoben und zuerst das Training des Judo und später auch des Jiu Jitsu wieder freigegeben. Im Alter von 65 Jahren wiedereröffnet Erich Rahn 1950 seine Schule in Berlin-Schöneberg, die 1944 zerbombt worden war.

Am 20. September 1952 wird in Stuttgart das Deutsche Dan-Kollegium (DDK) gegründet und der erste Präsident wird im Alter von 56 Jahren Alfred Rhode. Am 8. August 1953 wird in Hamburg der Deutsche Judo-Bund (DJB) gegründet und drei Jahre später vom Deutschen Sportbund (DSB) als Mitglied anerkannt. 1957 wird auf dem Verbandstag beschlossen, dass das Prüf- und Lehrwesen beim DDK bleibt, während der DJB die übrigen Aufgaben übernimmt.

Am 1. Mai 1972, dem 87. Geburtstag Erich Rahns, ernannte dieser Ditmar Gdanietz, der 1957 seiner Schule beigetreten war, zu seinem Nachfolger. Gdanietz war schon 1966 Cheftrainer des Deutschen Jiu-Jitsu Ring Erich Rahn e.V. (DJJR) geworden, einem Verband, der aus einer lockeren Zusammenfassung der Schüler und Fernschüler Rahns entstanden war. Erich Rahn starb am 5. Juli 1973.

Im Januar 1975 wurde − unter der Führung von Hans-Gert Niederstein Hanshi (10. Dan Jiu Jitsu und 2. Dan Judo) – durch die Mitglieder der Korporation Internationaler Danträger e.V. (KID) der Deutsche Jiu Jitsu Bund e.V. (DJJB) als Dachorganisation für alle Landesverbände und ihre Vereine und Schulen in Deutschland gegründet. Der DJJB hat sich die Verbreitung und Pflege des Jiu Jitsu zum Ziel gesetzt und hat als Mitgliedsverbände fünf Landesverbände. Hans-Gert Niederstein Hanshi wurde der erste Präsident des DJJB. Nach dem Tod des Großmeisters Niederstein im Jahre 1985 wurde Dieter Lösgen Hanshi (10. Dan Jiu Jitsu und 1. Dan Judo) sein Nachfolger und ist bis heute Präsident des DJJB und der KID.

Noch bis in die 1970er Jahre war die Jiu-Jitsu-Selbstverteidigung im Prüfungsprogramm des DJB verankert. Am Ende der 1980er-Jahre gründete der DJB – auf Grund der Beliebtheit und des Wertes des Jiu Jitsu – die Bundesgruppe für „Jiu Jitsu im DJB“, diese wurde 1993 wieder aufgelöst, weil sich der DJB entschlossen hatte, außer Judo keine weiteren Budodisziplinen zu betreiben. Dennoch erteilte der DJB der Bundesgruppe keine Zustimmung für eine auf Bundes- und Landesebene anerkannte, vollwertige und eigenständige Sektion Jiu Jitsu. Daher wurde – um trotzdem fachliche Autonomie zu gewährleisten und Lehre und Technik des Jiu Jitsu von fachfremden Einflüssen fernzuhalten – durch Mitglieder der Arbeitsgruppe „Jiu Jitsu im DJB“ 1982 in Malente, Schleswig-Holstein, die Deutsche Jiu-Jitsu Union e.V. (DJJU) gegründet. Die DJJU ist ein Verband von Landesorganisationen im Sinne des Deutschen Sportbundes (DSB). Ihr Ziel ist die Einheit aller Jiu Jitsuka und die Gleichberechtigung des Jiu Jitsu in einer vereinten Budolandschaft. Mit elf Landesverbänden ist die DJJU ein führender Fachverband für Jiu Jitsu in Deutschland.

Mit dem Ausscheiden der Bundesgruppe für „Jiu Jitsu im DJB“ 1993 wurde die Gründung neuer Jiu-Jitsu-Verbände initiiert. Einer dieser Verbände, der Kodokan Jiu-Jitsu Verband e.V. (KJJV), wurde 1993 in Marl gegründet. Der Präsident ist Klaus Möwius – ein ehemaliger Schüler von H.-G. Niederstein Hanshi (Gründer Deutscher Jiu Jitsu Bund) und ehemaliger Lehrer von Jochen Kohnert (9. Dan Jiu Jitsu, 5. Dan Judo) und anderen namenhaften Meistern.

Jiu Jitsu in Deutschland Akronym Homepage
Deutscher Jiu Jitsu Bund e.V. DJJB Link
Deutsche Jiu-Jitsu Union e.V. DJJU Link
Deutscher Jiu-Jitsu Ring Erich Rahn e.V. DJJR Link
Deutscher Fachsportverband Jiu Jitsu e.V. DFJJ Link
Deutsches Dan-Kollegium e.V. DDK Link
World Ju Jitsu Federation -Deutschland e.V. WJJF-D Link
Jiu Jitsu in Österreich Akronym Homepage
Jiu-Jitsu Verband Österreich JJVÖ Link
Österreichischer Jiu-Jitsu Bund ÖJJV Link
Jiu Jitsu in der Schweiz Akronym Homepage
Schweizerischer Judo- und Ju-Jitsu Verband SJV Link
World Ju Jitsu Federation -Schweiz WJJF -S Link
Jiu Jitsu weltweit Akronym Homepage
Ju-Jitsu International Federation JJIF Link
United Nations of Ju Jitsu UNJJ Link

Sonstiges:

Einzelnachweise

  1. Prof. Jigorō Kanō, T. Lindsay: Jujutsu. Transactions of The Asiatic Society of Japan. Volume XV.
  2. Diese Aussage hörte ich von Meistern unterschiedlicher Kampfkünste (Jiu Jitsu, Iaidō, etc.), doch habe ich keine schriftliche Quelle dafür finden können. Für eine Quellenbeisteuerung wäre ich sehr dankbar.
  3. Abschnitt angelehnt an Artikel Karate