Ionenantrieb


Ein Ionenantrieb ist ein Antrieb für Raumfahrzeuge, bei dem nach dem Rückstoßprinzip der Ausstoß eines (neutralisierten) Ionenstrahls zur Fortbewegung genutzt wird. Es werden auch je nach Energiequelle die Begriffe solar-elektrischer Antrieb bzw. Solar Electric Propulsion (SEP) und nuklear-elektrischer Antrieb bzw. Nuclear Electric Propulsion (NEP) verwendet.
Funktion
Erzeugt wird der Ionenstrahl, indem Gasteilchen (z. B. Xenon) oder Kleinsttröpfchen (z. B. Quecksilber) zunächst ionisiert werden. Anschließend werden sie in einem elektrischen Feld oder mittels einer Kombination eines elektrischen Feldes und eines Magnetfeldes unter Ausnutzung der Lorentzkraft beschleunigt. Nach der Passage des sogenannten Neutralisators, der dem Strahl wieder Elektronen zuführt und ihn somit elektrisch neutral macht, werden die Teilchen in Form eines Strahls ausgestoßen.
Der Neutralisator ist ein wichtiger Bestandteil des Systems. Ohne ihn würde sich das System aufladen, der Strahl diffundieren und in einem Bogen zum Raumfahrzeug zurückkehren. Die Anziehungskraft zwischen Ionen und Flugkörper würde die Schubwirkung aufzehren.
Die Energie zur Erzeugung der Felder wird üblicherweise mit Hilfe von Solarzellen gewonnen. Ein Treibstoff im herkömmlichen Sinne existiert nicht, jedoch geht die Stützmasse verloren (Gase oder ionisierte Kleinsttröpfchen, die ausgestoßen werden; verwendet werden z. B. Xenon oder Quecksilber). Die Antriebsleistung ist also nicht wie bei chemisch arbeitenden Raketen in den reagierenden Treibstoffkomponenten gebunden, sondern stammt vom angelegten elektromagnetischen Feld.
Bisherige Ionenantriebe besitzen gegenüber konventionellen chemischen Raketentriebwerken einen geringen Schub, der vergleichbar ist mit der Kraft, die eine Postkarte auf eine Hand ausübt (70 Millinewton, entspricht der Gewichtskraft von 7 Gramm), jedoch bei einer deutlich erhöhten Austrittsgeschwindigkeit der Ionen (10 bis 130 km/s) und einer längeren „Brenn“dauer. Die Gesamtmasse des Raumfahrzeugs muss dennoch so klein wie möglich gehalten werden, um für den Betrieb vernünftige Beschleunigungen und damit annehmbare Schubdauern zu erreichen. Die Sonde SMART-1 wiegt z.B. 367 Kilogramm und führte 84 kg Xenon als Stützmasse mit.
Ein Problem der Ionentriebwerke besteht in ihrem Energiebedarf (bei SMART-1 1300 W allein für das Triebwerk). Erst die neuesten Triple-Junction-GaInP2/GaAs/Ge-Solarzellen liefern eine ausreichende Leistung pro Fläche (bei SMART-1 ca. 370 Watt/m², Wirkungsgrad 27 %), um bei vertretbarer Solarpanel-Größe brauchbare Ionenantriebe zu versorgen.
Eine Verdoppelung der Austrittsgeschwindigkeit erfordert die vierfache Energiemenge. Ziel bei der Konstruktion eines Ionenantriebes ist es, die benötigte Stützmasse so gering wie möglich zu halten. Dazu werden maximale Ausströmgeschwindigkeiten benötigt (siehe Raketengrundgleichung bzw. Ziolkowskigleichung). Der Bau eines Ionenantriebes ist also immer ein Kompromiss zwischen Energie- und Stützmassenbedarf.
Der Vorteil des Ionenantriebs gegenüber dem chemischen Antrieb liegt darin, dass bei gleichem gelieferten Gesamtimpuls (d.h. erreichter Geschwindigkeitsänderung) weniger Treibstoffmasse verbraucht wird, weil die Geschwindigkeit der austretenden Teilchen wesentlich größer ist.
Ein wichtiger Nachteil des Ionenantriebs gegenüber dem chemischen Antrieb besteht darin, dass ersterer (genauso wie alle anderen elektrischen Raketenantriebssysteme) ausschließlich im Vakuum funktioniert. Deshalb kann er zwar im Weltraum, nicht aber zur Beschleunigung eines Raumflugkörpers innerhalb der Erdatmosphäre eingesetzt werden. Ein möglicher Ersatz des chemischen Antriebs durch den Ionenantrieb ist somit im Weltraum denkbar, nicht jedoch für die Strecke von der Erdoberfläche bis zum luftleeren Raum. Hier können vielleicht in Zukunft Fusionstriebwerke Abhilfe schaffen, die überdies nicht den Nachteil des deutlich geringeren Schubs des Ionenantriebs gegenüber dem chemischen Antrieb aufweisen. Diese sind derzeit aber erst eine hypothetische Alternative.
Heutige Ionentriebwerke haben Leistungen im Watt- bis Kilowattbereich. Zum Transport größerer Massen eignen sich Ionentriebwerke daher nur, wenn sie über längere Zeit (Wochen, Monate oder Jahre) arbeiten können.
Zur Beschleunigung der Ionen auf besonders hohe Geschwindigkeiten eignen sich auch Teilchenbeschleuniger, insbesondere Linearbeschleuniger. Sie sind jedoch derzeit zu uneffektiv und zu groß.
Geschichte
Das Prinzip des Ionenantriebs wurde vom Raumfahrtpionier Hermann Oberth in seinem bekanntesten Werk „Die Rakete zu den Planetenräumen“ bereits 1923 vorgestellt, in dem er erstmals das von ihm entworfene Ionentriebwerk beschreibt.
In den 1960er Jahren wurde in ersten Versuchen Cäsium oder Quecksilber als Treibstoff genutzt, wodurch die metallischen Bauteile zur Ionenerzeugung rasch anfingen zu korrodieren. Größtes Problem war die Korrosion einer messerscharfen Schneide, an der mittels Tröpfchenionisation die notwendigen Ionen erzeugt wurden. Erst als man anfing das Edelgas Xenon als Treibstoff zu verwenden, bekam man dieses Problem besser in den Griff. Weitere Vorteile des Xenons sind, dass es anders als die Metalle nicht verdampft werden muss, dass es aus seinem Druckgastank leichter in das Triebwerk befördert werden kann und dass es ungiftig ist. Besonders die Förderung des normalerweise festen Cäsiums war in der Praxis sehr schwierig. Als Nachteil gegenüber Quecksilber ist die niedrigere Atommasse zu sehen. Außerdem benötigt das Xenon gegenüber den beiden Metallen höhere Ionisationsenergien.
Beim RIT-Triebwerk (Radiofrequency Ion Thruster) erzeugen Radiofrequenzen die Ionen, während im elektrostatischen Kaufmann-Triebwerk das Gas durch eine Gleichstromentladung ionisiert wird. Das HET-Triebwerk (Hall Effect Thruster) ionisiert das Antriebsgas mit Elektronen, die auf einer Kreisbahn geführt werden. Ein Prototyp eines RIT-Triebwerks arbeitete erstmals 1992 auf dem europäischen Satelliten Eureca. Smart-1 war mit einem HET-Triebwerk ausgestattet.
Die Raumsonde Deep Space 1 ist mit dem Ionentriebwerk NSTAR ausgestattet, das auf dem Kaufmann-Typ beruht. 2001 startete die ESA den Satelliten Artemis, auf dem zwei neue Ionentriebwerkstypen testweise installiert sind, die sich in der Produktionweise der Xenon-Ionen unterscheiden. Die letzten 5000 km bis zur geplanten geostationären Umlaufbahn legte der Satellit mit Hilfe des Ionentriebwerks RIT-10 zurück, das ursprünglich nur zur Bahnkorrektur gedacht war, weil die Oberstufe seiner Ariane 5 ihn in einen Geotransfer-Orbit (GTO) mit zu niedrigem Apogäum brachte. Für diese Strecke brauchte er 18 Monate.
Inzwischen hat sich das Ionentriebwerk auf vielen kommerziellen Telekommunikationssatelliten durchgesetzt. Dort dient es nicht als primärer Antrieb zum Erreichen der Umlaufbahn, sondern als Bahnregelungstriebwerk für die Nord-Süd-Drift, da der Satellit durch die Gravitationseinflüsse von Sonne und Mond im Jahr etwa 45 bis 50 m/s an Geschwindigkeitsänderung (Delta V) aufbringen muss. Der Einsatz von Ionentriebwerken zur Bahnregulierung erhöht die Betriebsdauer der Satelliten, denn es ist weniger Treibstoff erforderlich, da der Spezifische Impuls höher ist als bei Chemischen Triebwerken .
Weiterentwicklungen zielen darauf ab, die Geschwindigkeit der Ionen zu erhöhen. Das DS4G der ESA verwendet z.B. eine Beschleunigungsspannung von 30 kV [1].
Heutige Ionentriebwerke sind, aufgrund der nur begrenzt zur Verfügung stehenden elektrischen Energie, für zwei Hauptanwendungen geeignet:
- Marschtriebwerk für Interplanetarsonden zu den sonnennahen Planeten Venus und Merkur, da hier bei langen Schubzeiten noch Sonnenenergie genutzt werden kann
- Bahnregelungstriebwerke für große Satelliten in hohen Erdumlaufbahnen, da hier die Störkräfte und die sie kompensierenden erforderlichen Korrektur-Impulse sehr gering sind.
Siehe auch
- JIMO
- Magnetoplasmadynamischer Antrieb
- Magnetohydrodynamischer Antrieb
- Plasmatriebwerk oder Magnetic Field Oscillating Amplified Thruster
- Liste der Raumflugkörper mit elektrischem Antrieb
- Thermisches Lichtbogentriebwerk (Lichtbogenantrieb)