Antichrist
Der Antichrist (deutsch auch: Widerchrist, Anstatt-Christ) bzw. Anti-Messias ist eine Figur der urchristlichen Apokalyptik, in deren Erwartung das Reich Gottes sich zuletzt gegen die weltbeherrschende Macht des Bösen durchsetzen wird. Im Judentum ist diese endzeitliche Figur zunächst unbekannt, später taucht die Figur des Armilus auf. Im Islam ist sie als al-Masih ad-Daddschal bekannt.
Von diesem Ursprung leiten sich moderne Selbst- oder Fremdbezeichnungen von Gegnern des Christentums und ihrer Kunstprodukte ab: so ein Buchtitel von Friedrich Nietzsche und verschiedene der Rockmusik zugehörige Musikalben heutiger Bands.
Überblick
Der Begriff stammt aus dem Neuen Testament (NT) und bedeutet auf Griechisch wörtlich „gegen den [von Gott] Gesalbten“ (αντί Χριστοὺ, ὁ Ἀντίχριστος). Die Präposition ἀντὶ heißt im Altgriechischen ursprünglich „anstelle von“ und hat erst in der Koine die Bedeutung eines „gegen (etwas sein)“ angenommen.
In vielen die Endzeit betreffenden Texten des Urchristentums werden Mächte des Bösen, die Gottes Kommen überwindet, mit verschiedenen Bildmotiven, Symbolen und Visionen dargestellt. Doch wird der Ablauf der Endzeitereignisse nicht als einheitlich abrollendes Drama ausgemalt und zu einem eschatologischen Dualismus verfestigt. Obwohl bestimmte Könige, Weltreiche, äußere Verfolgungssituationen und gefährliche innere Einstellungen mit dem Beginn der Endzeit in Verbindung gebracht werden, wird nirgends eine konkrete irdische Macht oder Person als „das Böse schlechthin“ gekennzeichnet.
Erst in relativ späten NT-Texten erscheinen Begriff und Figur des Antichrist als Gegenspieler Jesu Christi. Manche NT-Texte stellen ihn als einen oder mehrere Irrlehrer dar, die die Christen zum Abfall von ihrem Glauben verführen. In anderen erscheint er als falscher Messias, der die Weltherrschaft und gottähnliche Verehrung beansprucht. Danach ist er in verschiedenen, die Christen und alle Menschen bedrängenden und irreführenden Mächten am Werk, verlangt weltweite Anerkennung, unterdrückt und bedroht als total übermächtiger Feind Jesu Christi den wahren Glauben. Obwohl er als mit dem Satan identischer Weltherrscher die Christen besiegt, tötet und zum Abfall verführt, ist seine endgültige Entmachtung in der Kreuzigung des Sohnes Gottes bereits entschieden und daher felsenfest gewiss. So soll Jesus von Nazaret selbst prophezeit haben (Lk 10,18 EU):
- Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.
Christliche Theologen versuchten die Vielfalt der neutestamentlichen Apokalyptik zu systematisieren, stellten den Antichrist dazu als Nachkommen oder Inkarnation des Teufels dar und stritten darüber, ob er vor oder nach der Entrückung auftreten werde. In der Christentumsgeschichte wurde er zu einem häufigen Stereotyp, das auf verschiedene, als innere wie äußere Glaubensfeinde definierte Personen und Gruppen gemünzt wurde. Im christlichen Antijudaismus im Mittelalter hatte er für Dogmatik und Volksfrömmigkeit große Bedeutung.
Auch im Islam spielt der Antichrist oder falsche Messias - arabisch al-Masih al-Dajjal - eine wichtige Rolle für die Endzeitereignisse.
Judentum
In der Hebräischen Bibel, dem Tanach, ist die Figur eines endzeitlichen Gegenspielers, den Gott zur Erlösung der Welt erst besiegen muss, unbekannt. Im Glauben an JHWH als dem souveränen Herrn der Geschichte und Schöpfer der Welt, der diese gut geschaffen habe (Gen 1,31 EU), war kein Raum für die verbreiteten Vorstellungen vom Kampf zwischen Gut und Böse, auf den antike Kosmogonien den Ursprung der Welt zurückführen. Im betonten Gegensatz dazu hieß es etwa bei Deuterojesaja (Jes 45,7 EU):
- Ich bin der Herr und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und die Finsternis, der ich Frieden (hebr. Schalom) gebe und Unheil schaffe.
Erst in nachexilischer Zeit kam das Judentum in Kontakt mit persischen und hellenistischen Vorstellungen, die biblische Endzeiterwartungen mitprägten. In der äußersten Bedrohung durch übermächtige Fremdherrschaft und Religionsverbot entstand um 170 v. Chr. das apokalyptische Buch Daniel. In großen Traumvisionen sah der Icherzähler den Aufstieg und Fall der vier Weltreiche, auf den er zurückschaute, bis hin zu seiner bedrängenden Gegenwart als von Gott vorherbestimmt. Er hob einen Gewaltherrscher hervor: Gott habe sein Bundesvolk eine Zeit lang dem „Maul, das große Dinge redete“ (Dan 7,20 EU) und damit Gott lästerte, „in seine Hand gegeben“ (Dan 7,25 EU). Diesem „frechen und verschlagenen König“ werde es gelingen, die Starken des heiligen Volks durch Betrug zu vernichten (Dan 8,23 EU). - Gemeint sein könnte Antiochos IV. Epiphanes (175-164 v. Chr.), einer der Seleukiden, der den Jerusalemer Tempel mit einer Zeusstatue entweiht hatte und Israels Religion durch ein Verbot der Opfer und Beschneidung ausrotten wollte (Dan 11,31 EU). - Doch wie der Fels, der in Nebukadnezars Vision vom Himmel fallend die Weltreiche zertrümmert (Dan 2,34 EU), werde danach das Endgericht gehalten, alle unmenschliche Gewaltherrschaft vernichtet und der Bund Gottes mit Israel ewig erneuert werden (Dan 7,27 EU).
In dieser apokalyptischen Erwartung ist das Böse, das in immer neuen Gewaltsystemen auf Erden Macht gewinnt und auch die vernichtet, die ihrem Gott die Treue halten, gerade nicht dualistisch verselbstständigt und zum Gegengott personifiziert. Keiner der irdischen Könige wird hier mit Satan in Verbindung gebracht, keiner gewinnt Zerstörungsmacht über seine Lebens- und Herrschaftsfrist hinaus, alle sind nur Werkzeug der „Zeit des Zorns“ (Dan 8,19 EU; Dan 11,36 EU), die Gott beschlossen habe, bis das ewig vorherbestimmte „Ende der Zeiten“ (Dan 11,13 EU) bzw. die „Zeit des Endes“ (Dan 11,40 EU) gekommen sei. Nichts kann in Daniels Glauben Gottes Kommen zum Weltgericht aufhalten und ihn daran hindern, selbst die Todesgrenze zu durchbrechen und alle Gerechten aufzuerwecken (Dan 12,2f EU). Erst in der späteren jüdischen Eschatologie taucht die Figur des Armilus auf, eine Art Anti-Messias, vergleichbar mit dem christlichen Anti-Christen, der Jerusalem erobern und die Juden bis zu seiner endgültigen Niederlage zusammen mit den Amalekitern durch die Hand Gottes oder den Messias verfolgt.
Christentum
Die Urchristen fanden in Daniels Visionen Hinweise zum Verständnis ihrer bedrohlichen Gegenwart. Für sie wurde der Feind des Volkes Gottes, der Gotteslästerer und Verfolger der glaubenstreuen Juden, den Daniel als Vorläufer des Endgerichts sah, zum Widersacher Jesu Christi und zum Verführer seiner treuen Nachfolger zum Abfall. Er wurde somit zu einer Figur der Endzeit selbst, die für sie mit Tod und Auferstehung Jesu Christi bereits angebrochen war.
Neues Testament
Johannesbriefe
Der Begriff Anti-Christos taucht weder im Munde Jesu noch sonst in den Evangelien auf, sondern erst in vier Versen der Johannesbriefe:
- 1 Joh 2,18f EU: Kinder, es ist die letzte Stunde! Und wie ihr gehört habt, dass der Antichrist kommt, so sind nun schon viele Antichristen gekommen: Daran erkennen wir, dass die letzte Stunde da ist.
Den folgenden Versen nach stammten diese Gegner Jesu aus der christlichen Gemeinde selbst. Sie seien Lügner, die leugnen, dass Jesus der Christus sei:
- 1 Joh 2,22ff EU: Wer ist ein Lügner, wenn nicht der, der leugnet, dass Jesus der Christus ist? Das ist der Antichrist, der den Vater und den Sohn leugnet. Wer den Sohn leugnet, hat auch den Vater nicht; wer den Sohn bekennt, der hat auch den Vater. Was ihr gehört habt, das bleibe in euch.
Die Angeredeten waren also in Gefahr, sich von ehemaligen Mitchristen beeinflussen zu lassen, die nicht mehr an Jesus als Sohn Gottes glaubten, also das einzigartige Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Jesus und Gott abstritten und sich damit von der überlieferten apostolischen Lehre abkehrten. Ihnen gegenüber bekräftigt der Briefautor, dass man nicht an Gott glauben kann, ohne Jesus, der im Fleisch gekommen sei, zu bekennen:
- 1 Joh 4,2-3 ff EU: Hieran erkennt ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der Jesus Christus, im Fleisch gekommen, bekennt, ist aus Gott; und jeder Geist, der nicht Jesus bekennt, ist nicht aus Gott; und dies ist der <Geist> des Antichrists, von dem ihr gehört habt, daß er komme, und jetzt ist er schon in der Welt.
Wo und wer er ist, zeigen wiederum die genannten Gegner (1 Joh 4,5-8 EU): Da sie von der Welt seien, redeten sie auch nur von dieser und die Welt höre auf sie. Dagegen: Wir sind von Gott, und wer Gott erkennt, der hört uns; wer nicht von Gott ist, hört uns nicht. Gehört werden will die Botschaft: Lasst uns einander lieben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, ist von Gott geboren und kennt Gott...denn Gott ist Liebe. Diese Liebe schließt nach Joh 3,16 EU, auf das hier Bezug genommen wird, die Welt ein, also auch diejenigen, die aus Sicht der glaubenstreuen Christen abgefallen sind.
- 2 Joh 7 EU: Denn viele Verführer sind in die Welt hinausgegangen, die nicht bekennen, dass Jesus im Fleisch gekommen ist. Das ist der Verführer und der Antichrist.
Diese Stellen beziehen sich offenbar zurück auf die synoptische Apokalypse, die Mt 24 und Lk 21 mit nur geringen Varianten von Mk 13 übernommen haben. Dort redet Jesus von den Zeichen der Endzeit, die dem Endgericht vorausgehen sollen (Mk 13,21ff EU):
- Wenn nun jemand zu jener Zeit zu euch sagen wird: „Siehe, hier ist der Christus! Sieh, da ist er!“, so glaubt es nicht. Denn mancher falsche Christus und falsche Prophet wird sich erheben und Zeichen und Wunder tun, so dass sie auch die Auserwählten verführen würden, wäre es möglich. Ihr aber, seht euch vor! Ich habe es euch alles zuvor gesagt!
Die Johannesbriefe verwenden den Ausdruck also unbestimmt für eine Mehrzahl von Irrlehrern, die die Christen in ihrem Glauben verunsichern und zum Abfall bewegen oder bewegen könnten.
Johannesoffenbarung
Hinzu kommen NT-Texte, die den Antichrist nicht nennen, aber einen ähnlichen Sachverhalt beschreiben:
Nur diese beiden Texte reden von einer mythologischen Figur der Endzeit, die sekundär mit dem Begriff Antichrist verbunden wurde. Er wird jedoch auch hier nirgends auf eine konkrete irdische Person bezogen.
Die Johannesoffenbarung war stark von jüdischer Apokalyptik beeinflusst, übernahm zahlreiche Motive aus dem Buch Daniel und deutet sie in neuem Kontext. Sie stellt göttliche Visionen des Autors von dem, was ist (die sichtbare Gegenwart) dem, was danach geschehen wird (der unsichtbaren Zukunft) gegenüber (Offb 1,19 EU). Die Zukunft wird in drei Zyklen von je sieben Visionen ausgemalt, die mit der Inthronisation des „Lammes“ eingeleitet werden (v. 4): Jesus Christus als der am Kreuz für alle Menschen dahingegebene Sohn Gottes ist der, den Gott zur Weltherrschaft bestimmt und dem er die Vollstreckung seines Geschichtsplans übertragen hat.
In den Kapiteln 12 bis 14 stellen andersartige Visionen die besondere Situation der Christengemeinschaft gegenüber der von gottfeindlichen Mächten beherrschten Welt wie in einer Nahblende dar. Kapitel 12 stellt den mythischen endzeitlichen Kampf und Sturz des „Drachen“ gegen den vom Weib geborenen Sohn dar mit dem Ergebnis:
- Und es wurde gestürzt der große Drache, die alte Schlange, die da heißt Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt.
Damit wird der aus der babylonischen Mythologie bekannte Urzeitdrache mit Satan identifiziert, der als Schlange die Menschen zum Ungehorsam gegen Gottes Gebot verführt (Gen 3,1-5 EU) oder als „Widersacher“ ihren Glauben prüft (Ijob 1,6-12 EU).
In Kapitel 13 tauchen zwei Tiergestalten als absolute Feinde des „Lammes“ und seiner Herrschaft auf. Die Züge des ersten vereinen die Züge der vier Tiergestalten von Dan 7, der biblischen Vision vom Endgericht über alle Gewaltherrschaft. Es erhält seine Macht von dem Drachen - also von Satan - und beansprucht die totale Macht gegen Christus. Es gleicht diesem bis ins Detail: Es hat ein Haupt „wie geschlachtet“, trägt also eine Todeswunde, die geheilt wurde (v. 3). Deshalb erweisen die Menschen ihm die göttliche Ehre (v. 4), die in Wahrheit nur dem „Lamm“ zusteht (Offb 5,6 EU). Es lästert Gott, indem es sich göttliche Titel beilegt und damit die letzte Instanz anstelle Gottes zu sein beansprucht (v. 5f). Es verfolgt und besiegt die Gemeinde der Christen, die ihm als einzige Gruppe in seinem Reich die Anbetung verweigert (v. 7f).
Die zweite Tiergestalt gleicht dem „Lamm“, redet aber wie der „Drache“: Sie tritt als Falschprophet auf, der die Restgemeinde der Christen zum Abfall und zur Anbetung des ersten Tieres verführt und sich dazu eines Erkennungszeichens - der Zahl Sechshundertsechsundsechzig - bedient. Das „Tier aus dem Abgrund“ (Offb 11,7 EU) verlangt absolute Weltherrschaft (Offb 15,13 EU; Offb 19,20 EU). Damit wird deutlich, dass Satan hinter dem Antichristen steht und durch ihn wirkt. Er soll vor dem endgültigen Ende nochmals auf die Menschheit losgelassen werden, bis er im ewigen Feuer vernichtet werde (Offb 20,7-10 EU). Dieser Sieg steht durch das Blut des Lammes und seiner Zeugen (Jesu Opfertod und das Martyrium verfolgter Christen) bereits von Ewigkeit her fest (Offb 12,11 EU).
Das 14. Kapitel mahnt die Christen durch die Stimme eines Engels zur Geduld und zum Bewahren ihres Glaubens an Jesus und zum Halten der Gebote Gottes (v. 12). Die Märtyrer unter ihnen werden selig gepriesen, erhalten also schon jetzt die Zusage ihrer Aufnahme in Gottes Reich. So will der Autor dieses Textes seine Leser zum Festhalten an ihrem Glauben bis in den Tod ermutigen. Dazu warnt er vor einer Macht, die Christus im Gewand des Guten zum Verwechseln ähnlich sieht und universale Anbetung verlangt. Die Motive spielen deutlich auf den Kaiserkult im Römischen Reich an, dessen Verweigerung die Christen seit Domitian um 90 der staatlichen Verfolgung aussetzte. Auch dies bezieht sich nicht auf bestimmte Personen, sondern auf die Vergötterung einer politischen Macht, die die Christen mit Vernichtung bedrohte und beanspruchte, was die Gläubigen von Jesus Christus erwarten: die ultimative Wende zum Guten, das Weltgericht und die Neuschöpfung. Damit wurden die römischen Kaiser zur gesamtpolitischen, nicht bloß innerkirchlichen Herausforderung des Glaubens.
Als Zeichen und Wirkungen des Antichrist nennt das NT also zusammengefasst: Verführung zum Abfall vom Glauben an die Gottessohnschaft Jesu; Gesetzlosigkeit; Verderben; Widersacher (der Gegenüberliegende); Selbsterhöhung über Gott; sich an Gottes Stelle setzen; sich selbst als Gott ausgeben; durch alle möglichen beeindruckenden Machttaten, Zeichen und Wunder der Lüge zur Weltherrschaft verhelfen. Da der Antichrist sich "anstelle" Christi setzt, werde er vordergründig gute, dem Menschen hilfreiche und sozial akzeptierte Dinge vollbringen. Dabei muß sich der Antichrist weder als Christus selbst ausgeben noch muß er notwendigerweise gegen Gott oder das Christentum eingestellt sein. Er wird von seinem Wesen jedoch so revolutionär und manipulierend sein, daß er neu definiert, was Gut und Böse ist und sich damit letztendlich über Gott stellt. Die Bibel beschreibt das wie folgt: "Er wird Zeit und Gesetz ändern!"
Patristik
In Predigten, Traktaten und dogmatischen Abhandlungen beschäftigten sich die Kirchenväter seit dem 2. Jahrhundert - anfangs eher beiläufig - auch mit der Figur des Antichrist. Dabei stellten sie viele verschiedene und widersprüchliche Thesen über ihn auf, für die sie auch Bibelstellen heranzogen, die den Begriff nicht nennen. Erst spätere Lehrkonstruktionen versuchten, diese Motive und Textstellen zu systematisieren und so als einheitliches biblisches Konzept des Antichrist darzustellen.
Aus der rabbinischen Theologie stammt die Ansicht, dass ein künftiger Verderber des Volkes Gottes vom biblischen Stamm Dan abstammen würde. Dan habe das Mordkomplott der Söhne Jakobs gegen ihren Bruder Joseph maßgeblich initiiert. Seine Nachkommen galten als besonders von Götzendienst und Vermischung mit Fremdbräuchen gefährdet (Ri 18 EU; 1 Kön 12,29 EU). Dies stützte sich auf biblische Aussagen, wonach Dan eine Schlange werden (Gen 49,17 EU) und aus seinem Gebiet Unheil über Israel kommen würde (Jer 8,16 EU). Dies benennt den innerjüdischen Konflikt zwischen Götzendienern und wahren Juden. - Doch Hippolyt von Rom (ca. 170-235) stellte die These auf, der Antichrist werde ein Jude vom Stamm Dan sein. Daraufhin wurde das Antichristentum im Mittelalter oft mit dem Judentum gleichgesetzt.
Andere beschreiben den Antichrist als Bruder Jesu, der eifersüchtig auf diesen war und daher zu seinem Widersacher (Satan) wurde. Unklar bleibt dabei, ob er als Bruder Jesu im Sinne der neutestamentlichen Brüder Jesu oder als weiterer „Sohn“ Gottes gedacht wird. Letzteres erinnert an das Bild des gefallenen Engels Luzifer, der aus Gottes Bereich stammt, sich dann aber gegen ihn kehrt. Manche beschrieben den Antichrist als Luzifers Ausgeburt, nicht als diesen selbst: So wie Jesus als Sohn Gottes galt, so galt sein Gegenspieler als Sohn Satans. Dieser Teufelssohn erscheint dann als fast gleichwertiger Gegenpol zu Jesus, so dass ähnlich wie im Gnostizismus ein heilsgeschichtlicher Dualismus nahe liegt.
Das zog die Frage nach sich, wie ein Himmelswesen wie Luzifer ihn zeugen werde. In frühen Schriften darüber fehlen Hinweise auf die Frau, die ihn austragen solle. Später wurde sie oft mit der „Hure Babylon“ gleichgesetzt, die in der Johannesoffenbarung eigentlich Sinnbild für das römische Reich war.
Parallel knüpften viele Kirchentheologen bis zur Konstantinischen Wende 313 jedoch an Texte wie Offenbarung 13 an und setzten verschiedene römische Kaiser - u. a. Titus, Nero, Domitian, Decius - mit dem Antichrist gleich. Eine der Sibylle von Tibur zugeschriebene apokryphe Pseudoepigraphe brachte um 380 auch Konstantin I. mit der Endzeit in Verbindung und griff Hippolyts These auf: Zu jener Zeit wird der Prinz der Härte, der Antichrist genannt werden wird, aus dem Stamm Dan erscheinen.
Mittelalter

In den inneren und äußeren Krisen der mittelalterlichen Gesellschaft hatten Endzeiterwartungen für Juden, Christen und Muslime eine wichtige Funktion der kollektiven Selbstvergewisserung und Abgrenzung von dem, was man unbedingt ablehnte. Dabei wurden Antichrist-Motive vor Erfindung des Buchdrucks meist in Legenden der Volksfrömmigkeit ausgeschmückt und in Bildern, Skulpturen und Bühnendramen wie den Passions- und Fastnachtsspielen transportiert.
Antijudaistische Tradition
Die westfränkische Königin Gerberga beauftragte um 950 den späteren Abt Adso von Montier-en-Der damit, alle verfügbaren Dokumente über den Antichrist zu sammeln. Damit wollte sie den Anspruch ihrer Dynastie auf die Rechtsnachfolge des römischen Reichs untermauern, sich aber auch in einer von Ängsten erfüllten Epoche für die Endzeit wappnen. In seinem Libellus de ortu et de tempore Antichristi („Büchlein von Ursprung und Zeit des Antichrist“) fügte Adso die umlaufenden Thesen und Deutungen erstmals in ein möglichst widerspruchfreies Gesamtbild ein und festigte damit dessen Grundzüge:
- Der Antichrist stamme vom jüdischen Stamm Dan ab, sei also nicht wie Christus von einer Jungfrau geboren. Aber an seiner Zeugung sei der Teufel als Incubus beteiligt.
- Er werde in Babylon geboren und dort von Zauberern und falschen Propheten erzogen.
- Er werde nach der Regierungszeit des letzten Frankenkönigs erscheinen. Vor seiner Ankunft würden die wiedergeborenen biblischen Propheten Henoch und Elija die Gläubigen dreieinhalb Jahre lang warnen und sogar die Juden zu Christus bekehren.
- Der Antichrist werde sich beschneiden lassen, die beiden Warner töten, die Christen verfolgen, den Jerusalemer Tempel neu errichten und von dort aus seine Weltherrschaft mit Schrecken (Terror), Bestechung und Wundertaten ausüben.
- Die Juden und fast alle Menschen würden ihn dann als ihren Messias anerkennen; seine Anhänger trügen ein Zeichen auf der Stirn.
- Nach weiteren dreieinhalb Jahren werde Jesus bzw. der Erzengel Michael ihn besiegen und auf dem Ölberg töten.
Hier ist der Antichrist Jude, und das Überlaufen seiner zuvor zu Christus bekehrten Mitjuden ist entscheidend dafür, dass er die christliche Mehrheit zum Glauben an ihn verführen kann. Diese Linie setzte sich aber zunächst nicht überall durch: Im Ludus de Antichristo vom Tegernsee (um 1200) geht der Antichrist aus der Kirche selbst hervor und gewinnt die Heuchler, nicht die Juden, als erste Anhänger. So kritisierten einige christliche Theologen auch die Massaker der Kreuzzüge u. a. mit dem Hinweis auf Offb 19,10-16 EU: Christus werde seine Feinde allein mit dem Hauch seines Mundes - dem Wort Gottes - vernichten und brauche dazu keine Gewalt.
Die um 1353 im Raum Zürich entstandene Des Entkrist Vasnacht zeigt die Juden auf der Linie von Adso als die ersten Anhänger des Antichrist, die auch die Christen auf seine Seite ziehen. Für die Frankfurter Juden war die Aufführung solcher Spiele 1468 und 1469 lebensgefährlich: Sie mussten sich dabei auf Befehl des Bürgermeisters in ihren Häusern einschließen, um nicht Opfer des aufgehetzten Volks zu werden. Das Fronleichnamsspiel von Künzelsau wiederum zeigt den Antichrist zwar als Teufelssohn, von einer bösen Frau in Babylon geboren, aber nicht als Juden. Diese sind jedoch auch hier seine ersten Anhänger und rufen ihn zur Rache für erlittene Pein an den Christen an: Er solle sie ebenso grausam martern wie Christus. Dann würden sie ihn aus Todesangst schon anbeten.
Der Nürnberger Meistersinger Hans Folz schrieb 1491 Ein Spil von dem Herzogen von Burgund. Darin deutet der „Endchrist“ seinen Namen: Secht, das ist schlecht davon der sin, das ich ein ent der Christen bin. Seine Weltherrschaft werde die Herrschaft der Juden über die Christen nach sich ziehen. Er wird im Lauf des Dramas als Jude enttarnt, wobei er sich zu den abscheulichsten Verbrechen gegen das Christentum bekennt. So wurden die Opfer der christlichen Pogrome als rachsüchtige Monster und Verbrecher dargestellt, um die eigene Schuld an ihnen zu verdrängen und neue Verfolgung zu rechtfertigen.
In diesen Burlesken trat der Antichrist meist nur kurz auf und trug stark typisierte Züge mit hohem Wiedererkennungswert, ähnlich wie die böse Hexe im Kasperletheater. Sein Leben wurde kaum erzählt, was für die Absicht, beim Publikum Einverständnis zu erzielen, auch nicht nötig war. Er wurde hier auch selten mit Endzeit und Teufel in Verbindung gebracht. Dies geschah dafür umso intensiver in den Flugschriften, Bildbänden und Blockbüchern des 15. und 16. Jahrhunderts. Sie spiegeln den erneut um sich greifenden Chiliasmus in der Bevölkerung. Mit ihm war ein oft tödlicher Judenhass verknüpft, der alle christlichen Gruppen und Konfessionen trotz sonstiger Gegensätze verband.
Ein frühes Blockbuch (um 1450) malt bereits Leben und Taten des Antichrist in einer kommentierten Bildfolge mit ungewöhnlichen Details aus:
- Jakob prophezeit die Geburt des Antichrist seinem Sohn Dan.
- Einer seiner Nachkommen schläft mit seiner eigenen Tochter. Sie empfängt den Antichrist durch die „Kraft des Teufels“.
- Er wird beschnitten.
- Die Juden bauen den Tempel wieder auf.
- Er und seine Gesandten predigen weltweit, auch in Indien, der „Königin von Amason“ (der Amazonen) und den „roten Juden“, die Alexander der Große in die „gepirgen Caspie“ (den Kaukasus) vertrieben habe.
- Er lässt Ritter in voller Rüstung aus Eiern erstehen und ruft unreine Völker des Verderbens, Gog und Magog, zu Hilfe, um alle zu unterjochen. Ihr Erscheinungsbild gleicht den „roten Juden“.
Juden wurden schon früher mit fernöstlichen Eroberern gleichgesetzt: Schon die Mongolen, die in Schlesien einfielen, galten als Nachkommen verschollener Judenstämme. Den einheimischen Juden wurde nachgesagt, sie hätten sie freudig begrüßt und unterstützt. Diese Klischees setzten sich in der christlichen Vorstellungswelt fest und wurden im Zeitalter der Türkenkriege oft aktiviert. Dabei wurden angebliche rote oder schwarze Judenheere manchmal aber auch als Verbündete der Christen gegen die Muslime gesichtet.[1]
Antihäretische konfessionelle Tradition

In der Kirchengeschichte kam es immer wieder zu wechselseitige Zuweisungen des Antichrist-Typos an die Hauptvertreter gegnerischer Konfessionen und so genannter Häresien: So haben 1239 Kaiser Friedrich II. und Papst Gregor IX. sich gegenseitig als Antichrist bezeichnet, später John Wyclif, Jan Hus, Martin Luther und andere ausdrücklich den Papst als Antichrist bezeichnet, umgekehrt katholische Theologen diese Reformatoren.
Bis heute sehen einzelne pfingstlerische und evangelikale Kreise in den Repräsentanten der römisch-katholischen Kirche den Antichrist. Dagegen hat die gegenwärtige ökumenische Verständigung zwischen den größeren christlichen Kirchen von Zuweisungen des Antichrist-Typus an die jeweils andere Seite offiziell Abstand genommen.
Die gegenseitige Verdammung anderer Konfessionen und Freikirchen seit der Reformation verdrängte zeitweise die Gleichsetzung von Antichrist und Juden. Das Motiv wurde zur beliebig eingesetzten Waffe im Kampf gegen die jeweiligen Feinde des eigenen Glaubens und verlor damit jede Glaubwürdigkeit.
Deutungsmöglichkeiten
Die Aspekte der personifizierten Gegenwart des Bösen, seiner bedrängenden Übermacht, Weltherrschaft und Verwechslungsgefahr mit Christus sind für viele Christen auch heute noch aktuell. Sie fassen die Figur des Antichrist aber oft nicht wörtlich als leiblich existierende Person auf, sondern verstehen das Böse eher als innere Einstellung (z. B. Hass, Streben nach Rache) oder eine äußere Machtstruktur (totale Herrschaft, gnadenlose Gewalt).
Andere Christen halten an den biblischen Aussagen über die Geschichtlichkeit und Personalität des kommenden Antichrist fest. Sie unterscheiden aber auch seinen Geist, der sich in bestimmten politischen und religiösen Bewegungen wie auch im Denken und Handeln von Einzelpersonen zeige, von der zukünftig offenbar werdenden Person.
Der biblische Befund warnt vor der Gleichsetzung von Christentum mit der Idee des Guten, Antichristentum mit der Idee des Bösen: Denn der Begriff „Antichrist“ wurde gerade als Ausdruck für die Gefährdung der leichtgläubigen, ungeduldigen, auf die eigene Kraft vertrauenden, die Menschwerdung und damit Leidensfähigkeit Gottes ablehnenden Christen geprägt. Er erscheint primär als Versuchung, der sich primär die christliche Gemeinschaft selbst stellen muss. Auch dort, wo er auf äußere Mächte bezogen wurde, bestand deren Rolle in erster Linie darin, das Vertrauen und die Treue der Christen zu Jesus Christus zu prüfen.
Wo Christen sich im Besitz der Wahrheit wähnen und diese zur Definition der Feinde ihres Glaubens handhaben zu können meinen, dort neigen sie dazu, ihre Religion mit Christus selbst zu verwechseln und seine Herrschaft durch ihre eigenen Macht- und Wahrheitsansprüche abzubilden. Genau darin liegt aber für die Texte des NT der Abfall von Christus, das fehlende Grundvertrauen zu seiner eigenen Wirksamkeit.
Jede theologisch verantwortliche Deutung wird also den selbstkritischen Entscheidungscharakter des christlichen Glaubens herauszuheben haben: Wer als Christ seinen eigenen Unglauben und Ungehorsam gegen die Alleinherrschaft Jesu Christi nicht erkennt und bekennt, der ist dem Antichristentum schon verfallen. Christen haben also allen Grund, sich nicht in eine Konfrontation zu denen zu begeben, die sich bewusst und freiwillig gegen Christus stellen, sondern gemäß Mt 5,39-48 EU die grundlegende menschliche Solidarität gerade mit ihnen einzuüben. Denn diese Ablehnung Christi könnte mit der fehlenden Nachfolge Jesu zu tun haben. Christen haben im Laufe der Geschichte schwere Verbrechen begangen und mit zu verantworten (siehe dazu: Kriminalgeschichte des Christentums). Dies haben Theologen wie Karl Barth (Kirchliche Dogmatik II/1, § 17) als Verleugnung Jesu Christi kritisiert.
Islam
Die islamische Glaubenslehre beschreibt den Antichristen, genannt Masih ad-Dajjal, als eines der großen Vorzeichen des Endgerichts Gottes. Der Antichrist werde für 40 Tage auf die Erde kommen und sie vollständig bereisen. Dies werde nach einer Prophezeiung des Propheten Mohammed erst nach drei immensen Trockenheiten geschehen. Nachdem das Wasser auf der Erde sehr knapp sein werde, werde der Antichrist mit zwei Flüssen, je einem aus Wasser und einem aus Feuer, ankommen und die Wahl zwischen beiden den Menschen anbieten. Die an ihn als den Propheten Jesus oder an ihn als Gott glauben, würden den Fluss aus Wasser nehmen. Die, die nicht an ihn glauben und ihm nicht folgen wollten, würden sich für den Fluss aus Feuer entscheiden. Denn nach einem Ausspruch Mohammeds werde der Fluss aus Feuer für die an Gott Gläubigen kühl wie Wasser sein. Und der Fluss aus Wasser werde die heißesten Qualen des Feuers mit sich tragen. Da die meisten Menschen jedoch den Fluss aus Feuer fürchten würden, werde der Antichrist zahlreiche Anhänger gewinnen. Er werde an seiner rötlichen Hautfarbe, seiner großen Statur, seinen krausigen Haaren und einem ungewöhnlichen, blinden Auge, der laut eines Ausspruches des Propheten einer Weintraube ähnele, erkennbar sein. Zwischen seinen Augen werde „KFR“ كفر / ‚(Kaaf-Faa-Raa)‘ oder كافر / ‚Kafir‘ lesbar sein. Er werde die Menschen anlügen und erst sagen, er sei Jesus, dann, er sei Gott, und die Menschen zu seiner Anbetung auffordern. Als Beweis für seine Aussagen werde er ähnliche Wunder wie Jesus zu seinen Lebzeiten vollbringen: z. B. die Toten zum Leben erwecken und den Menschen Regen schicken, sie mit Nahrung versorgen, die Sonne für 40 Tage oder Wochen festhalten usw. Nur die wahren Gläubigen würden den Antichristen erkennen und nicht auf seine Machenschaften hereinfallen.
Die Rückkehr von Isa bin Maryam (Jesus) werde die Zeit des Antichristen beenden. Jesus werde eine Armee haben und den Antichristen bekämpfen. Er werde durch diesen hindurch gehen und ihn und seine Anhänger mit seiner Armee töten. Dann werde es niemand mehr geben, der nicht an den einzigen Gott glauben werde. Bis zum Ende seines Lebens werde Jesus alle führen und regieren. Es werde nur noch 1/3 der Muslime wegen Al-Dajjal am Leben bleiben.Es werde eine Zeit des Friedens sein auf der ganzen Welt. Nirgends würden mehr Kriege sein. [2]
Europäische Neuzeit
Antisemitische Verschwörungstheorien
Seit der Französischen Revolution entstanden antisemitische Verschwörungstheorien, die den Antichrist erneut auf das angebliche Weltjudentum und seine angeblichen bösen Pläne gegen die Menschheit, besonders die Christen, bezogen. Als Napoleon 1806 führende Judenvertreter, den Sanhedrin, einberief, um sich mit ihnen zu beraten, sahen sich alle bestätigt, die in ihm bereits den Antichrist sahen: die Anhänger der gestürzten Bourbonenmonarchie ebenso wie die Orthodoxe Kirche Russlands. Deren Petersburger Patriarch schrieb:[3]
- Zur größeren Schmach der Kirche Christi ließ er in Frankreich die Judensynagoge wieder zusammentreten und stellte das große Sanhedrin wieder her, dieselbe ruchlose Versammlung, die sich einst erkühnt hatte, unseren Herrn und Heiland, Jesus Christus, zum Kreuzestod zu verurteilen, und nun darauf aus ist, die durch den Zorn Gottes über das ganze Angesicht der Erde zerstreuten Judäer wieder zu vereinigen, um sie zum Umsturz der Kirche Christi und zur Ausrufung eines falschen Messias in der Person Napoleons zu bewegen.
Juliane von Krüdener, die Vertraute des Zaren Alexander I, wurde von Teilen der Heiligen Allianz als erlösendes Sonnenweib zu Napoleons Gegenpart stilisiert.
Antichristliche Kulturphilosophie
Friedrich Nietzsche übte in seinem Buch Der Antichrist grundsätzliche Kritik am Christentum: Er bezeichnete es als „den einen unsterblichen Schandfleck der Menschheit“, der alles positive Selbstbewusstsein durch die Kettung an Moral und Schuldgefühle erniedrigt und an der freien Entfaltung hindere. Dabei nahm er literarisch selbst die Rolle des Widerparts ein. Einige traditionell christliche Leser deuten diese Kritik als Verherrlichung des Antichrist-Typos in einer neuen Form und führen sie auf die Psychologie des Autors zurück, der eine bestimmte Form des Christentums im Kaiserreich und in seinem Elternhaus vor Augen hatte.
In der Tradition Nietzsches haben sich immer wieder Menschen als „Antichristen“ bezeichnet, wenn sie sich gegen die Vorherrschaft des Christentums auflehnen bzw. es verachten. Dieses Phänomen ist im 20. Jahrhundert vor allem im frühen Satanismus um Anton Szandor LaVey und Aleister Crowley und im Neopaganismus aufgetreten. Auch manche Islamisten bezeichnen sich als Antichristen, wenn sie die Vormachtstellung der christlichen Religionen und die christliche Infiltrierung in Ämter und Führungspositionen kritisieren.
Im Blick auf die totalitären Weltanschauungen des 20. Jahrhunderts wurde in der christlichen Literatur der Antichrist unter anderem in Hitler und Stalin ausgemacht. In Rumänien sagte der Nachrichtensprecher 1989 nach der Hinrichtung des gestürzten Diktators Ceauşescu: Welch ein Weihnachten - der Antichrist ist tot!
Eine originelle und positive Deutung des Begriffs „Antichrist“ nahm die schwedische Schriftstellerin Selma Lagerlöf in ihrem Roman Die Wunder des Antichrist vor: Der Antichrist ist hier der Sozialismus, der ebenso wie das Christentum dem Menschen helfen will, aber im Gegensatz zum Christentum „nur von dieser Welt“ ist. Christus und Antichrist müssen miteinander versöhnt werden.
Gegenwart
In den 1960er Jahren identifizierten manche konservativen christlichen Gruppen moderne künstlerische Entwicklungen wie die Beat- und Rockmusik mit dem Antichristentum, hinter dem der Teufel stehe. Als Reaktion darauf nahmen seit den 1980er Jahren sich betont antichristliche sehende und gebende Musikgruppen („ACs“) zu. Viele Jugendlichen sehen in dieser Bezugnahme eine neue Art der Rebellion. Diese ging mit neuen Musikrichtungen wie der „Satanic panic“, Punk, Metal, Hip-Hop, Gothic, Dark Electro usw. einher. Beispiele für solche Produktionen sind:
- das dritte Studioalbum von Marilyn Manson: Antichrist Superstar
- ein Album der Band Das Ich: Anti'christ
- ein Album der Band Akercocke
- ein Album der Band Gorgoroth
- ein Album der Thrash Metal-Band Destruction: The Antichrist.
In christlichen Gruppen aus dem evangelikalen, biblizistischen, adventistischen und traditionalistisch katholischen Spektrum wird an den Antichristen weiterhin als Person geglaubt. Auch die Bibel selbst spricht von einer Person.
Einzelbelege
- ↑ Rohrbacher/Schmidt, Judenbilder. Kulturgeschichte antijüdischer Mythen und antisemitischer Vorurteile S. 178ff
- ↑ Der Dajjal (pdf); Sheikh Muhammed Salih Al-Munajjid: Who is the Dajjaal and what are his attributes?
- ↑ Rohrbacher/Schmidt, Judenbilder S. 192
Literatur
Biblische Exegese
- Leonard Goppelt: Politisches Antichristentum und die wahren Jünger. In: Theologie des Neuen Testaments, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1978, ISBN 3525032528
Spätantike und christliches Mittelalter
- Gregory C. Jenks: The Origins and Early Development of the Antichrist Myth. 1991, ISBN 3-11-012405-X (englisch)
- Klaus Aichele: Das Antichristdrama des Mittelalters, der Reformation und Gegenreformation. Kluwer Academic Publishers, Den Haag 1974, ISBN 9024716446
- Barbara Könneker: Der Antichrist, in: Ulrich Müller und Werner Wunderlich (Hgg.), Dämonen, Monster, Fabelwesen, (=Mittelaltermythen, Band 2), St. Gallen 1999 Seite 531-544
- Alfonso di Nola: Der Antichrist und die kosmische Katastrophe, in: Der Teufel. Wesen, Wirkung, Geschichte, München 1993, Seite 237-262 ISBN 3423046007
- Reinhard Raffalt, Der Antichrist, Feldkirch 1990
- Horst Dieter Rauh: Das Bild des Antichrist im Mittelalter: von Tyconius zum deutschen Symbolismus, (=Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters; N.F., 9), Erlangen 1969 ISBN 3-402-03903-6
- Ingvild Richardsen-Friedrich: Antichrist-Polemik in der Zeit der Reformation und der Glaubenskämpfe bis Anfang des 17. Jahrhunderts: Argumentation, Form und Funktion, (=Europäische Hochschulschriften: Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur; Band 1855), München 2000 ISBN 3-631-39653-8
- Stefan Rohrbacher, Michael Schmidt: Judenbilder. Kulturgeschichte antijüdischer Mythen und antisemitischer Vorurteile. Rowohlt, Reinbek 1991 (S. 178-194: Der Antichrist), ISBN 3-499-55498-4
- Anonymus: Ludus de Antichristo (Das Spiel vom Antichrist), lateinisch/deutsch, ISBN 3-15-008561-6
- Joshua Trachtenberg: The Devil and the Jews. (1. Auflage 1943) Philadelphia 1983
Islam
- Hannes Möhring: König der Könige. Königstein i. Ts. 2004. ISBN 3-7845-2141-X (Vergleich der Vorstellungen vom Endzeitkampf zwischen Antichrist und Messias im Christentum und den entsprechenden Figuren im Islam)
- http://www.islam-qa.com/index.php?ref=8806&ln=eng&txt=dajjal
- http://www.al-islaam.de/pdf/Dajjal.pdf
Neuzeit
- Robert Hugh Benson, Rudolf Vey: Der Herr der Welt. Herder Bücherei Band 80, 1960, ISBN B0000BGCQC (antiquarisch)
- Coralf: Maitreya, Christus oder Antichrist? Kmv 1997, ISBN 398024377X
- John Henry Newman: Der Antichrist nach der Lehre der Väter. Kösel Verlag, München 1951 (1. Auflage 1838), ISBN B0000BLZER
- Wladimir Solowjew: Kurze Erzählung vom Antichrist. Wewel 2002, 9. Auflage, ISBN 3879042829
Online-Text: Kurze Erzählung vom Antichrist - Franz Spirago: Der Antichrist. Verlag Anton Schmid 1992, ISBN 3929170213
- Peter Tradowsky: Christ und Antichrist. Verlag am Goetheanum, 1997, ISBN 3723509711
- Wolfgang Borowsky: Christus und die Welt des Antichristen. Bibel- und Schriftenmission Dr. Kurt E. Koch e.V., 1983, ISBN 3924293015
- Wolfgang Borowsky: Kommt Luzifer an die Macht? Bibel- und Schriftenmission Dr. Kurt E. Koch e.V., 1985, ISBN 3924293171
- Dave Hunt: Globaler Friede und Aufstieg des Antichristen. Verlag C. M. Fliß, 2. Auflage 1994
- Andreas Urs Sommer: Friedrich Nietzsche: Der Antichrist. Ein philosophisch-historischer Kommentar. Basel 2000, ISBN 3-7965-1098-1 (wichtiger Kommentar zu Nietzsches Antichrist-Konzeption und zum Motiv des „Antichrist“ in der Philosophie)
- Wolfgang Wippermann: Rassenwahn und Teufelsglaube. Frank & Timme, 2005 (1. Auflage), ISBN 3865960073