Schule Reimann
Die Reimann-Schule war eine private Kunstgewerbeschule in Deutschland in Berlin-Schöneberg, gegründet 1902 von Albert Reimann, völlig zerstört am 23. November 1943
Geschichte
1902 wurde die Reimann-Schule zunächst unter der Bezeichnung „Schülerwerkstätten für Kleinplastik“ gegründet. Später wurde sie umbenannt in Schule Reimann und durfte ab 1913 die Zusatzbezeichnung „Kunst- und Kunstgewerbeschule“ führen.
Anfänglich bezog sich das Unterrichtsangebot auf Zeichnen, Modellieren, Holzschnitzen, Metalltreiben und Entwerfen kunstgewerblicher Gegenstände.
Angeregt von den neuen weiblichen, am antiken Gewand orientierten Silhouetten des Modeschöpfers Paul Poiret, die Albert Reimann bei der Weltausstellung in Paris miterleben konnte, nahm er 1910 die Ausbildung zum/r Modezeichner/in in das Schulprogramm auf. Diese Studienrichtung war bald sehr beliebt und weit bekannt. In den Werkstätten für Schneiderei wurde der Unterricht erweitert mit Abformen, Schnittzeichnen und Zuschneiden. Zusätzlich gab es Klassen für Modeentwurf und -illustration sowie Kostümkunde und Textilkunst.
1912 wurde die seit 1910 bestehende Höhere Fachschule für Dekorationskunst der Reimann-Schule angliedert, nachdem ein Jahr zuvor eine Fachklasse für Plakatkunst eingerichtet worden war.
1913 wurde zur Ausbildung von Bühnenbildnern die Höhere Fachschule für Theaterkunst eröffnet.
1927 (25 -jähriges Jubiläum) unterrichteten 31 Lehrkräfte in 33 Klassen und Werkstätten annähernd 1000 Schüler.
1928 erweiterte Albert Reimann das Lehrangebot seiner Schule um eine Filmabteilung, ein Erweiterungsbau wurde unumgänglich. In den neuen Räumen wurde zusätzlich ein Fotostudio für den Unterricht und die Produktion eingerichtet. In einer Werkstatt widmete man sich dem Trickfilm.
1932 eröffnete Albert Reimann die Höhere Fachschule für Reklame.
Die bisher bestehenden Werkstätten bildete er zu Meisterwerkstätten um, was die Berufschancen der Absolventen in der Industrie verbesserte.
Kurz zuvor wurde ein Tonfilm-Seminar gegründet. Die Ausbildung umfaßte sämtliche Berufsfächer des Tonfilms auf technischer und künstlerischer Basis.
Im Deutschland nach 1933 nahmen die Nationalsozialisten in unterschiedlicher Form mit Einfluß auf die Weiterentwicklung der Schule. Zunächst wurde im Vorgriff auf das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (Arbeitsordnungsgesetz) auch in dieser Schule ein N.S. Betriebsrat („Vertrauensräte“) gewählt, nachdem sich die schuleigene Lehrervereinigung aufgelöst hatte. Da Albert Reimann jüdische Eltern hatte (3E), wurde seine Schule in der Folgezeit mehrmals von der SA umstellt. Lehrer und Schüler wurden zeitweilig daran gehindert, das Gebäude zu betreten. Es gab Hausdurchsuchungen und Unterrichtsinspektionen sowie Diffamierungen in der Zeitung Das schwarze Korps. Durch all diese Maßnahmen litt der Unterricht erheblich, was eine zurückgehende Schülerzahl zur Folge hatte.
1935 übergab Albert Reimann die Leitung seiner Schule dem Architekten Hugo Häring. Dieser sah hier eine Möglichkeit, seinen Gestaltungsideen Ausdruck und Sprache zu verleihen, in einer Zeit wo seine Artchitektur von den Nationalsozialisten als „undeutsch“ diffamiert wurde. Erst ein Jahr später erhielt Häring vom Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung die offizielle Erlaubnis, die Schule weiterzuführen (9E). Sie wurde in Kunst und Werk – Privatschule für Gestaltung umbenannt.
Nach der Emigration von Albert Reimann nach London betrieben die Rechtsnachfolger die Räumung und den Verkauf der Schule, was Häring erfolgreich hinauszögern konnte (8E ).
Im Verlauf des Jahres 1943 wurde das Schulgebäude mehrmals von Bomben getroffen, so daß Ende August kein Unterricht mehr stattfinden konnte.
Am 23.11.1943 wurde es dann bei einem Luftangriff völlig zerstört.
Öffentlichkeitsarbeit
Seit 1912 wurde regelmäßig zur Karnevalszeit das „Gauklerfest“ veranstaltet, bekannt unter dem Namen Reimann - Ball. Lehrer und Schüler gestalteten ihn jährlich zu einem herausragenden Erlebnis, das die Berliner begeisterte. Mit den Überschüssen aus dem Erlös wurden begabte mittellose Schüler unterstützt.
1916 erschien zum ersten Mal monatlich die Schulzeitschrift „Mitteilungen an die Schüler der Reimann-Schule“, ab 1920 unter dem Titel „Farbe und Form. Mitteilungen der Schule Reimann“, ab 1923 „Farbe und Form. Zeitschrift für Kunst und Kunstgewerbe“, ab 1933 „Farbe und Form. Zeitbild des Kunstschaffens“. 1934 erschien die Schulzeitschrift mit Heft 4 zum letzten Mal.
1921 wurde im Erdgeschoß der Schule für die Schülerarbeiten ein Ausstellungs- und Verkaufsraum eröffnet.
1923 wurde der „Freundeskreis der Schule Reimann“ gegründet.
Präsentation von Schülerarbeiten / Teilnahme an Ausstellungen
(unvollständige Darstellung)
- 1902 – 1909 „Große Berliner Kunstausstellung“
- 1904 „Erster Frauenkongreß“ in Berlin
- 1906 „Dritte Deutsche Kunstgewerbeausstellung“ in Dresden und in den Austellungshallen am Zoologischen Garten in Berlin
- 1907 „Deutsche Armee-, Marine- und Kolonialausstellung“ in Berlin
- 1908 „Internationale Batikausstellung“ in Berlin in eigenen Räumen
- 1909 Ausstellung im Kunstgewerbemuseum in Stuttgart
- 1914 „Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik“ in Leipzig (Bugra)
- 1927-1929 Wanderaustellung der Schule Reimann zum 25 –jährigen Bestehen, 1930/31 auch in den USA, ausgehend vom „Art Center of New York“
- 1928 „Schau, - Schau!“ eine Schaufensterschau im Leipziger Grassi-Museum
- 1929 Internationale „Reklameschau“ in den Ausstellungshallen am Kaiserdamm (Fachschau des Werbewesens)
- 1931 „Studienausstellung deutscher Kunstgewerbeschulen“ in Chemnitz
- 1932 „ABC des Films“ im Capitol am Zoo, Berlin. Öffentlicher Rechenschaftsbericht der Schule
- 1933 „Leistungsschau der Schule Reimann“ in eigenen Räumen
Lehrer/innen
Eine umfangreiche Liste der Lehrkräfte der Schule Reimann bzw. der Schule Kunst und Werk - Privatschule für Gestaltung - ist in der Dissertation von Wickenheiser (2E ) veröffentlicht worden.
Einige von ihnen gehörten zur künstlerischen Avantgarde. Sie waren Mitglieder verschiedener Künstlervereinigungen, wie der Neuen Secession (NSe), der Novembergruppe (NG) und/oder des Arbeitsrat für Kunst (AfK). Zu ihnen gehörten: Rudolf Ausleger (NG), Heinz Fuchs (NG), Oswald Herzog (NG), Bernhard Klein (NG), Moriz Melzer (Nse, NG, AfK), Georg Muche (NG), Kurt Hermann Rosenberg (NG), Georg Tappert (Nse, NG, AfK)
Würdigung
Die Schule Reimann entstand als Werkstättenschule im Verlauf der Reformbewegung der Kunstgewerbeschulen am Anfang des 20. Jahrhunderts.
Die Gründung staatlicher Kunstgewerbeschulen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sollte dem Niedergang des künstlerischen Schaffens, hervorgerufen durch die industrielle Massenproduktion, entgegenwirken. Die Ausbildung in der „angewandten“ Kunst beschränkte sich vielfach auf das Zeichnen und Formen von Ornamenten, Rosetten, Löwenköpfen und Säulenkapitellen wie es Albert Reimann während seines Studiums an der königlichen Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums Berlin miterlebt hatte. Der Künstler entfremdete sich mit dieser historisierenden Stilimitation seiner eigenen Zeit (4E). Die Reformbewegung postulierte, daß jedes Kunstwerk ein aus dem Gefühl des Künstlers heraus erstelltes Gebilde sein müsse, das die ihm zugehörige Formung im jeweilig herrschenden Zeitgeist erfährt (5E). Diese „freie“ Kunst, die bis dahin von den Kunstakademien vertreten wurde, sollte deshalb mit der „angewandten“ Kunst in einem ganzheitlichen praxisorientierten Lehrkonzept vereinigt werden.