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Entartete Kunst

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„Entartete Kunst“: Blaues Pferd I Gemälde von Franz Marc, 1911
... und Hafenkneipe von Joachim Ringelnatz, 1933.

Entartete Kunst war während der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland der offiziell propagierte Begriff für aufgrund rassentheoretischer Begründungen diffamierte Moderne Kunst. Der Begriff Entartung wurde Ende des 19. Jahrhunderts von der Medizin auf die Kunst übertragen. Die Nationalsozialisten entwickelten ein gesondertes Kunstideal und verfolgten dem entgegenstehende Kunst, die auch als „Verfallskunst“ und „artfremd“ bezeichnet wurde, weil sie von Pessimismus und Pazifismus geprägt sei. Künstler, deren Werke nicht den nationalsozialistischen Idealen entsprachen, die Kommunisten oder Jude waren, wurden verfolgt. Die Nationalsozialisten belegten sie mit Berufs- und Malverboten, ließen ihre Kunstwerke aus Museen und öffentlichen Sammlungen entfernen, konfiszierten Entartete Kunst, zwangen Künstler zur Emigration oder ermordeten diese.

Vorgeschichte

Entstehung des Begriffs Entartete Kunst

Das Wort „Entartung“ stammt ursprünglich aus dem Mittelhochdeutschen, wo es der Bedeutung „aus der Art schlagen“ hatte. Im 19. Jahrhundert wurde der Begriff erstmals im abwertenden Zusammenhang benutzt, als der Romantiker Friedrich Schlegel im Bezug auf die Dichtung der Spätantike von „entarteter Kunst“ schrieb. Rassisch abwertend wurde der Begriff zuerst von Joseph Arthur Comte de Gobineau, einem französischen Diplomaten, Autoren und Archäologen, in seinem 1853 bis 1855 veröffentlichten Werk Essai sur l’inegalité des races humaines verwendet. Dieses wurde von Ludwig Schemann, einem Mitglied des Alldeutschen Verbandes, ins Deutsche übersetzt und erschien zwischen 1898 und 1901.

Richard Wagner veröffentlichte 1850 den Artikel „Das Judentum in der Musik“, in dem er den Einfluss des Judentums in der Musik anprangerte und die Emanzipation von den Juden forderte. Wagner veröffentlichte weitere theoretische Schriften, in denen er sich auch mit anderen Kunstgattungen befasste und die zum Teil kontrovers aufgenommen wurden. 1892/93 veröffentliche der jüdische Kulturkritiker Max Nordau sein Werk „Entartung“, in dem er versuchte nachzuweisen, dass die Entartung der Kunst auf die Entartung der Künstler zurückgeführt werden kann. Seine Thesen wurden später von den Nationalsozialisten aufgegriffen, von Hitler zum Teil sogar fast wortwörtlich übernommen.

Impressionismusstreit

In der Weimarer Republik

Entartete Kunst unter der Herrschaft der Nationalsozialisten

Der vom nationalsozialistischen Volksbildungsminister Thüringens Wilhelm Frick bewirkte Erlass „Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum“ (5. April 1930) war der Ausgangspunkt der Bereinigung von „undeutschen Einflüssen“. Dies führte im Oktober 1930 zur Überstreichung von Oskar Schlemmers Wandgestaltung der Weimarer Werkstattgebäude des Bauhauses. Weiter betrieb Frick die Auflösung der „Bauhochschule“ und die Entlassung der Lehrerschaft. Er berief Paul Schultze-Naumburg, führender Vertreter einer rechtskonservativen Bau- und Kulturideologie, zum Direktor der neugegründeten „Vereinigten Kunstlehranstalten Weimar“. Unter dessen Leitung wurde das Weimarer Schlossmuseum von Werken von Ernst Barlach, Charles Crodel, Otto Dix, Erich Heckel, Oskar Kokoschka, Franz Marc, Emil Nolde, Karl Schmidt-Rottluff und anderen „bereinigt“. Zwar wurde Minister Frick am 1. April 1931 das Vertrauen des Thüringischen Landtages entzogen, doch die Landtagswahlen vom 31. Juli 1932 brachten der nationalsozialistischen Fraktion die absolute Mehrheit und öffneten den Zugriff von Weimar auf Berlin, was konsequenterweise dazu führte, dass exemplarisch die gerade zum Goethejahr 1932 mit Wandmalereien von Charles Crodel erneuerten Kuranlagen von Bad Lauchstädt im Sommer 1933 teils verbrannt, teils überstrichen wurden, während in Berlin ein erbitterter Richtungskampf geführt wurde, den Alfred Rosenberg im Winter 1934–1935 für sich entschied und nach den Olympischen Spielen in Berlin 1936 umsetzte.

Gedenktafel in der Köpenicker Straße in Berlin vor einem ehemaligen Depot für „Entartete Kunst“

Auftakt der neuerlichen Verfolgungswelle war die Schließung der Neuen Abteilung der Berliner Nationalgalerie im Kronprinzenpalais am 30. Oktober 1936 und der Erlass vom 30. Juni 1937, der den neuen Reichskunstkammerpräsidenten Adolf Ziegler ermächtigte, „die im deutschen Reichs-, Länder- und Kommunalbesitz befindlichen Werke deutscher Verfallskunst seit 1910 auf dem Gebiete der Malerei und der Bildhauerei zum Zwecke einer Ausstellung auszuwählen und sicherzustellen“.

Es gab drei konsequente Diffamierungs-Maßnahmen der NS-Kulturpolitik: "Bücherverbrennung" im Mai 1933 in Berlin und 21 weiteren Städten, Verfolgung der Maler und ihrer "entarteten Kunst" und Verfolgung der "entarteten Musik" an den Reichsmusiktagen 1938 in Düsseldorf.

Mit der Einführung des Berufsbeamtengesetzes vom 7. April 1933, mit dessen Hilfe jüdische, kommunistische und weitere unerwünschte Künstler aus öffentlichen Ämtern gewaltsam entfernt wurden, sowie der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 mit dem Höhepunkt auf dem Berliner Opernplatz, wurde bereits in den ersten Monaten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten deutlich, dass die Vielfalt des Kunstschaffens der Weimarer Republik unwiderruflich zu Ende war.

Der Vernichtungsangriff auf die Moderne und ihre Protagonisten betraf alle Sparten der Kultur wie Literatur, Filmkunst, Theater, Architektur oder Musik. Moderne Musik wie der Swing oder der Jazz wurde auf der am 24. Mai 1938 eröffneten Ausstellung „Entartete Musik“ ebenso rücksichtslos diffamiert wie der „Musikbolschewismus“ von international bekannten Komponisten wie Hanns Eisler, Paul Hindemith oder Arnold Schönberg.[1]

Die neue nationalsozialistische deutsche Kunst sollte eine Kunst des „nordisch-arischen Volkes“ sein. „Kunst ist immer die Schöpfung eines bestimmten Blutes, und das formgebundene Wesen einer Kunst wird nur von Geschöpfen des gleichen Blutes verstanden“, schreibt Alfred Rosenberg in seinem 1930 erschienenen Buch „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ (S. 120). Eine in der ganzen Welt beheimatete „Kunst an sich“ lehnte er strikt ab. Zu den von der NS-Kunstpolitik bevorzugten und von Künstlern wie Arno Breker, Willy Meller, Josef Thorak und Ivo Saliger (1894-1987) umgesetzten Motiven gehörten u.a. das harte Leben von Bauern und Arbeitern, stillende Mütter, muskelbepackte Sportler, heldenhafte Soldaten, mythologische Szenen und ästhetisierte Frauengestalten.

1936 erging ein totales Verbot jeglicher Kunst der Moderne. Hunderte Kunstwerke, vor allem aus dem Bereich der Malerei, wurden aus den Museen entfernt und entweder für die Ausstellung „Entartete Kunst“ konfisziert, ins Ausland verkauft oder zerstört. Maler, Schriftsteller und Komponisten erhielten – soweit sie nicht ins Ausland emigriert waren – Arbeits- und Ausstellungsverbot. Das bereits seit 1933 bestehende Ankaufsverbot für nicht-arische und moderne Kunstwerke wurde verschärft. Die schrittweise Entrechtung der jüdischen Bevölkerung hatte zur Folge, dass auch zahlreiche Kunstwerke aus jüdischem Privatbesitz in die Hand des Staates fielen und, sofern sie als "entartet" galten, vernichtet oder ins Ausland verkauft wurden. Die hieraus sich ergebenden Rückforderungen der Erben beschäftigen bis heute Museen und Gerichte.

Ausstellungen

Nationalsozialistische Ausstellungspolitik

Die Ausstellung Entartete Kunst in München 1937

Die Ausstellung „Entartete Kunst“ wurde am 19. Juli 1937 in München in den Hofgarten-Arkaden eröffnet und zeigte 650 konfiszierte Kunstwerke aus 32 deutschen Museen. Bis April 1941 wanderte sie in zwölf weitere Städte. Sie zog über 3 Millionen Besucher an und damit mehr als die zeitgleich geplante "Große Deutsche Kunstausstellung" im Haus der Deutschen Kunst. Die Ausstellung wurde von Joseph Goebbels initiiert und von Adolf Ziegler, dem Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, geleitet. Gleichzeitig setzte mit der Beschlagnahme von insgesamt rund 16.000 modernen Kunstwerken, die zum Teil ins Ausland verkauft oder zerstört wurden, die „Säuberung“ der deutschen Kunstsammlungen ein. Berufsverbote für Künstler und Museumsleute, die moderne Kunst angekauft hatten, oder Hochschullehrer gab es bereits unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten seit 1933.

Als „Entartete Kunst“ galten im NS-Regime alle Kunstwerke und kulturellen Strömungen, die mit dem Kunstverständnis und dem Schönheitsideal der Nationalsozialisten nicht in Einklang zu bringen waren: Expressionismus, Dadaismus, Neue Sachlichkeit, Surrealismus, Kubismus oder Fauvismus. Als „entartet“ galten unter anderem die Werke von George Grosz, Elfriede Lohse-Wächtler, Karl Hofer, Ernst Ludwig Kirchner, Paula Modersohn-Becker, Max Ernst, Karl Schmidt-Rottluff, Otto Pankok, Max Pechstein, Paul Klee, Willi Baumeister, Otto Griebel, Max Beckmann , Otto Dix oder Ernst Barlach. In der Ausstellung „Entartete Kunst“ wurden ihre Exponate mit Zeichnungen von geistig Behinderten gleichgesetzt und mit Fotos verkrüppelter Menschen kombiniert, die bei den Besuchern Abscheu und Beklemmungen erregen sollten. So sollte der Kunstbegriff der avantgardistischen Moderne ad absurdum geführt und moderne Kunst als „entartet“ und als Verfallserscheinung verstanden werden. Diese Präsentation „kranker“, „jüdisch-bolschewistischer“ Kunst diente auch zur Legitimierung der Verfolgung „rassisch Minderwertiger“ und „politischer Gegner."[2]

Verfolgung von verfemten Künstler

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten gab es mehrere Fluchtwellen. Direkt nach der Machtergreifung flohen viele Künstler in die Nachbarstaaten Deutschlands. Die nächste Fluchtwelle wurde durch die Nürnberger Gesetze ausgelöst. Die weiteren durch die Diffamierung als "Entartete" Kunst und die Novemberpogrome 1938. Beispielsweise flohen 64 Hamburger Künstler in 23 unterschiedliche Länder.

Verwertung Entarteter Kunst

Nachwirkungen

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Der Text folgt hier dem Beitrag Die Ausstellung "Entartete Kunst" auf der Homepage des Deutschen Historischen Museums.
  2. Der Text folgt hier dem Beitrag Die Ausstellung "Entartete Kunst" auf der Homepage des Deutschen Historischen Museums.

Literatur

  • Jürgen Claus (Katalog/Text/Dokumentation): "Entartete Kunst. Bildersturm vor 25 Jahren". Ausstellungskatalog Haus der Kunst München, 25.10.-16.12.1962
  • Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus (Rowohlts deutsche Enzyklopädie; 167/168). Rowohlt, Reinbek 1963.
  • Uwe Fleckner (Hrsg.): Angriff auf die Avantgarde. Kunst und Kunstpolitik im Nationalsozialismus. Akademie-Verlag, Berlin 2007, ISBN 3-05-004062-9.
  • Boris T. Grell: Entartete Kunst. Rechtsprobleme der Erfassung und des späteren Schicksals der sogenannten entarteten Kunst. Dissertation, Universität Zürich 1999
  • Berthold Hinz: Die Malerei im deutschen Faschismus. Kunst und Konterrevolution. Heyne Verlag, München 1984, ISBN 3453-01906-7 (Heyne Buch 01/7241)
  • Dina Kashapova: Kunst, Diskurs und Nationalsozialismus. Semantische und pragmatische Studien. (Reihe Germanistische Linguistik; 266). Niemeyer, Tübingen 2006, ISBN 3-484-31266-1.
  • Hans-Peter Lühr: Die Ausstellung "Entartete Kunst" und der Beginn der NS-Barbarei in Dresden. Geschichtsverein, Dresden 2004, ISBN 3-910055-70-2.
  • Franz Roh: Entartete Kunst. Kunstbarbarei im Dritten Reich. Fackelträger-Verlag, Hannover 1962.
  • Christian Saehrendt: Die Kunst der „Brücke“ zwischen Staatskunst und Verfemung. Expressionistische Kunst als Politikum in der Weimarer Republik, im „Dritten Reich“ und im Kalten Krieg, Stuttgart 2005. (Erschienen in der Reihe Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, herausgegeben von Rüdiger vom Bruch und Eckart Henning Bd. 13.)
  • Rainer Zimmermann: Expressiver Realismus. Malerei der verschollenen Generation. Verlag Hirmer 1994, ISBN 3777464201 (Kurzbiographien von ca. 400 Künstlern, erweitert gegenüber 1. Auflage 1980)
  • Christoph Zuschlag: Entartete Kunst. Austellungsstrategien im Nazi-Deutschland. Werner Verlag, Worms 1995, ISBN 3-88462-096-7.