Susanne Osthoff
Susanne Kristina Osthoff (* 7. März 1962 in München) ist eine deutsche Vorderasiatische Archäologin und Beraterin im Gesundheitswesen. Einer größeren Öffentlichkeit wurde sie bekannt durch ihre Entführung durch Geiselnehmer im Irak, die vom 25. November bis zum 18. Dezember 2005 dauerte.
Leben
Osthoff wuchs in Ebersberg (Oberbayern) mit zwei Brüdern und einer jüngeren Schwester auf. Sie verließ nach der 8. Klasse das Gymnasium Grafing, war dann für 2 Jahre im Klosterinternat Frauenchiemsee. Nach der 10. Klasse wechselte sie in die Fachoberschule Wasserburg. 1980, mitten im 11. Schuljahr, verschwand sie aus der Klasse, um am Gymnasium in Haar ihr Abitur zu machen. Danach studierte Osthoff an der Ludwig-Maximilians-Universität München, unter anderem beim Doyen der vorderasiatischen Archäologie, Barthel Hrouda, der sie auch für zahlreiche Grabungskampagnen im Nahen Osten auswählte. Das Studium schloss sie in den Fächern vorderasiatischer Archäologie, Semitistik und Osteo-Archäologie ab. Der Titel ihrer Magisterarbeit lautete Der Spiegel im Vorderen Orient.
In den 1990er Jahren konvertierte sie zum Islam und war mit dem jordanischen Araber Salem Bachan aus dem Stamm der Schammar verheiratet, den sie bei einer archäologischen Ausgrabung kennen lernte. Aus der kurzen Ehe ging eine Tochter hervor.
Osthoff hat nahezu alle arabischen Länder bereist und in vielen davon gearbeitet. Sie spricht fließend Arabisch, davon mehrere Dialekte.
Engagement im Irak
Osthoff hielt sich auch während des Golfkrieges 1991 im Irak auf und hat unter anderem Medikamente und medizinische Geräte für die Bevölkerung geliefert sowie archäologische Forschungen betrieben. Schon seit 1984 hatte sie mehrere Studien- und Ausgrabungsreisen unter anderem in die Türkei, nach Syrien, Jordanien, in den Irak und den Jemen unternommen.
Seit 1998 arbeitete sie als Beraterin, Organisatorin und Trainerin für die Münchner Unternehmensberatung faktorM. im Bereich „interkulturelles Management“. Sie betreute auch im Rahmen der Kinderhilfe Irak (früher: Direkt-Hilfe Irak) ausländische Patienten in Einrichtungen des bayerischen Gesundheitswesens und initiiert, koordiniert und berät Projekte zum Aufbau des Gesundheitswesens im Irak.
Für ihr Engagement im Irak im Jahr 2003 erhielt Osthoff am 25. März 2004 den Tassilo-Preis für Zivilcourage der Süddeutschen Zeitung.
Am 23. Mai 2003 erschien ein Artikel auf der Titelseite der New York Times, in dem Susanne Osthoff die Zerstörung der Ausgrabungsstätten von Isin im Irak dokumentierte. Dort hatte sie bei mehreren wissenschaftlichen Grabungskampagnen bis 1989 mitgearbeitet. Neben dem Gesundheitswesen engagierte sie sich auch für den Erhalt einer osmanischen Karawanserei aus dem Jahr 1796 in Mossul (Beit al Tütüncü). Es gelang ihr, dafür am 18. Mai 2005 eine Aufbauhilfe über 40.000 € vom Auswärtigen Amt bewilligt zu bekommen, dessen erste Rate bereits an die irakische Antikendirektion überwiesen wurde. Die Zahlungen wurde mittlerweile vom Außenministerium eingestellt, um Osthoff keinen Anlass mehr zur Rückkehr in den Irak zu geben.
Den Irak hat Susanne Osthoff nach der Entführung erstmalig am 15. Februar 2006 wieder bereist.
Entführung
Verschleppung
Die konkrete Entwicklung über die Entführung von Susanne Osthoff kann nicht wiedergegeben werden, da es während und nach der Entführung zu viele Spekulationen von Medien und Politikern gab. Fest steht, dass Susanne Osthoff am 25. November 2005 auf dem Weg in das rund 350 Kilometer von Bagdad entfernte Arbil im Nordirak zusammen mit ihrem Fahrer Chalid Nadschi al Schimani am frühen Morgen von einer Gruppe namens „Saraja al-Salasil“ („Sturmtruppen der Erdbeben“) gefangen genommen und verschleppt wurde.
Die Entführer ließen drei Tage später dem ARD-Büro in Bagdad eine Video-CD zukommen. Von der ARD wurden Angaben über den Inhalt und ein Standbild veröffentlicht. Darin saßen die beiden Entführten auf dem Boden und drei westlich gekleidete Vermummte standen um sie herum. Ein Entführer hielt eine Panzerfaust, was laut Aussage des Geheimdienstexperten Udo Ulfkotte untypisch für Terroristen sei. Ein anderer Entführer hielt ein Maschinengewehr, während der dritte eine Botschaft verlas. Die Kidnapper sollen darin mit der Ermordung der Geiseln gedroht haben, falls die deutsche Regierung nicht sofort die Zusammenarbeit mit der derzeitigen irakischen Regierung abbricht. Diese Gruppe wurde anfänglich den im Untergrund kämpfenden sunnitischen „Ischrin-Brigaden“ zugeordnet und als arabische Nationalisten eingeschätzt. Diese Gruppen benennen sich nach dem Aufstand von 1920 gegen die britische Kolonialmacht und kämpfen für ein Ende der Besatzung sowie die Unabhängigkeit vom Ausland auf der Grundlage eines islamischen Iraks.
Motive der Entführer
Währenddessen begannen in Deutschland die Spekulationen über die Motive der Täter. Anfänglich ging man noch von einer politisch motivierten Entführung aus, jedoch wollte der Krisenstab später davon nichts mehr wissen und hob die Unprofessionalität des Entführer-Videos hervor. Bundesinnenminister Schäuble und der stellvertretende Leiter des Instituts für Terrorismusforschung in Essen, Kai Hirschmann, heizten die Spekulationen jedoch noch an, indem sie in einer Zeitung betonten, dass es sich offenbar um einen politisch zielbewussten Zeitpunkt der Entführung handle, nämlich zur Amtseinführung der neuen deutschen Regierung.
Reaktionen während der Entführung
Während sich in Frankreich und Italien große Demonstrationen mit den jeweiligen Entführungsopfern solidarisierten, fand nur in ihrem letzten deutschen Wohnort am 2. Dezember in Glonn eine Mahnwache und am 4. Dezember in Offenbach am Main eine Demonstration von rund 100 Ausländern meist muslimischen Glaubens statt. Medienkommentare interpretierten diese Zurückhaltung mit einer Mischung aus Vertrauen in die Arbeit des Berliner Krisenstabs und einer grundsätzlichen Reserve gegenüber dem Islam und dem irakischen Bürgerkrieg. Am 10. Dezember solidarisierten sich weitere Mahnwachen am Brandenburger Tor in Berlin, in München auf dem Marienplatz und am 11. Dezember in ihrem früheren Wohnort Ebersberg, die jedoch nur eine schwache Unterstützung fanden. In der dritten Woche der Entführung mehrten sich die Mahnwachen, darunter erneut am Brandenburger Tor und in München.
In zwei Videobotschaften appellierten Osthoffs Schwester Anja und ihre Mutter Ingrid Hala an das Mitgefühl der Entführer, ebenso richtete am 7. Dezember 2005 der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder auf Wunsch der Mutter einen Appell an die Geiselnehmer. Die Botschaften wurden vom arabischen Sender Al Dschasira gesendet und stießen nach Angaben von Außenminister Steinmeier im Irak auf große Resonanz. Die drei Altbundespräsidenten Johannes Rau, Roman Herzog und Richard von Weizsäcker wandten sich gemeinsam in einem schriftlichen Appell an die Entführer.
Verschiedene politische und geistliche Vertreter des Islam und des irakischen Staates setzten sich für die Freilassung von Osthoff und al-Schimani ein. Unter den prominentesten Fürsprechern befanden sich der irakische Staatspräsident Dschalal Talabani, der Schiiten-Prediger Muqtada as-Sadr während eines Freitagsgebets in Nadschaf und in Deutschland der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Nadeem Elyas, der sich sogar für einen Austausch gegen die Geiseln anbot. Der Krisenstab beanspruchte neben seinen Informanten auch die Mithilfe von kurdischen Vermittlern, darunter des Kurdenführers Massud Barsani, des sunnitischen Geistlichen Abd al-Muneim al Badari und des geschiedenen Ehemanns von Osthoff, Salem Bachan, dessen Familie in Nordirak ebenfalls als einflussreich gilt. Die arabischen Botschafter in Berlin verurteilten am 11. Dezember in einer gemeinsamen Erklärung die Osthoff-Entführung.
Freilassung
Osthoff wurde am 18. Dezember 2005 freigelassen und befand sich danach in Obhut der deutschen Botschaft in Bagdad. Bundesaußenminister Steinmeier zufolge war die Archäologin in körperlich guter Verfassung. Über die Bedingungen der Entführungen zur Freilassung wurde von offizieller Seite nichts bekannt gegeben. Auch darüber, dass Susanne Osthoff während der Entführung angeblich an eine andere Gruppe verkauft wurde, ist nichts bekannt. Das Datum der Freilassung des Fahrers ist unbekannt. Manche Medien berichteten, dass er am 19. Dezember freigelassen wurde, anderen noch Tage später, dass er immer noch verschwunden sei.
Spekulationen
Nach der Freilassung begannen die Spekulationen erst richtig. Da sich die deutsche Regierung in Schweigen hüllte, wurden auch Kleinigkeiten, die durchsickerten, von Medien inszeniert.
So wurde zum Beispiel spekuliert,
- dass der Fahrer von Susanne Osthoff etwas mit der Entführung zu tun hatte, was in vielen Medien zu Vorverurteilungen führte. Nachdem sich bei den Ermittlungen die Indizien gegen den Fahrer nicht bestätigt hatten, fand in den meisten Medien jedoch keine Korrektur statt;
- dass Osthoff mit dem BND zusammengearbeitet hat. Ursache der Spekulationen war, dass sie sich ab und zu in der Wohnung eines BND-Beamten aufgehalten hatte,
- dass Osthoff selbst etwas mit der Entführung zu tun hatte. Da man angeblich nach der Freilassung Geld bei ihr gefunden hatte, das bei der Überprüfung identisch gewesen sei mit dem angeblich gezahlten Lösegeld. Diese Meldung stellte sich aber auch als falsch heraus.
Auch ein Übersetzungsfehler führte zu einer Debatte über Susanne Osthoff. Ein Interview, das sie im Fernsehsender Al-Jazeera gegeben hatte, wurde zum Teil falsch übersetzt. So geriet die Meldung im Umlauf, sie würde sofort wieder in den Irak wollen. Dies führte in Deutschland dazu, dass das Ansehen Osthoffs sank. Von Politikern wurden daraufhin Konsequenzen in Form eines Einreiseverbots oder der Einstellung der Hilfeleistungen für die Projekte von Susanne Osthoff verlangt.
Seit März 2006 ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen einen irakischen Stammesführer namens Jamal al Duleimi. Der Scheich zählte in den bangen Tagen zunächst zum Kreis der Mittelsmänner, mit deren Hilfe die Deutschen Kontakt zu den Geiselnehmern aufzunehmen versuchten, er tauchte unter, als Susanne Osthoff am 18. Dezember 2005 gegen Zahlung eines hohen Lösegelds freikam.[1][2]
Quellen
- ↑ stern.de: Wie eng war die Beziehung zum BND?, 2. Januar 2007
- ↑ stern.de: BND missbrauchte Osthoff als Lockvogel, 4. Januar 2007
Weblinks
- Artikel über Osthoffs Entführung
- "Gebt uns Susanne Osthoff zurück!", 5. Januar 2006, parodistische Analyse der Reaktionen auf Osthoffs Entführung und ihr Verhalten nach der Freilassung
- „Im Reich des Silbernen Löwen. Hadschi Halef Chrobog, Susanne von Arabien und wir“, Telepolis, 5. Januar 2006
- „Susanne Osthoff. Die flambierende Frau“, Süddeutsche Zeitung, 27. Januar 2006 von Hans Leyendecker, der Osthoff als deutsche „Projektionsfläche der Geschlechter“ analysiert
- Interviews
- „My Kidnappers were not Criminals“, Al Jazeera, 26. Dezember 2005, Interview mit Susanne Osthoff
- „"... war ich nicht freier Mensch." Das ZDF-Interview mit Susanne Osthoff im Wortlaut“, ZDF, 28. Dezember 2005
- „Vermummt und wirr“, taz, 30. Dezember 2005, Reaktionen auf das ZDF-Interview
- „Bearbeitet. Die verwirrte Susanne Osthoff ist ein Produkt des ZDF“, FAZ, 30. Dezember 2005
- „"Verstehen Sie?" Der Fall Susanne Osthoff und die Medien“, Telepolis, 3. Januar 2006
- „"Die Deutschen hassen mich"“, stern, 4. Januar 2006, das erste Zeitschriften-Interview
- „Susanne Osthoff bei Beckmann“, ARD, 7. Januar 2006, mit RealPlayer-Video (75 Min.)
- „Susanne Osthoff und Ulrich Tilgner bei Kerner“, ZDF, 4. Mai 2006, mit RealPlayer-Video (35 Min.)
- „Susanne Osthoff und Patrick Leclercq bei Beckmann“, ARD, 8. Januar 2007, mit RealPlayer-Video (45 Min.)
- Artikel über Osthoffs Engagement im Irak
- 7 Berichte von und über Osthoff aus Bagdad, Süddeutsche Zeitung, April 2003 bis März 2004
- Kinderhilfe Irak des IPPNW
- „The Iraq War & Archaeology“, Nachrichten- und Fotoportal des Archäologen Dr. Deblauwe über den Irak-Krieg und seine Folgen für die Archäologie
- „Day of the Vulture“, Mother Jones, 1. September 2003, Bericht über die Plünderungen in Isin
- Finanzierung
Personendaten | |
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NAME | Osthoff, Susanne |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Archäologin und Gesundheitsberaterin |
GEBURTSDATUM | 7. März 1962 |
GEBURTSORT | München |