Am kürzeren Ende der Sonnenallee
Am kürzeren Ende der Sonnenallee ist ein 1999 erschienener Roman von Thomas Brussig.
Das Buch unterscheidet sich teilweise vom Film „Sonnenallee“, da Brussig neue Aspekte in das Drehbuch eingearbeitet hat.
Inhalt
Brussig erzählt in seinem Buch die Geschichte eines Jungen, der östlich der Mauer in der DDR seine Jugend durchlebt. Michael Kuppisch lebt mit seiner Familie direkt an der Mauer in bescheidener Behausung. Er hat zwei ältere Geschwister, einen Bruder und eine Schwester. Seinen Vornamen Michael ersetzt bald der Spitznamen Micha, der schließlich zu „Mischa“ mutiert, da seine Mutter ihm durch das „Russifizieren“ ein besseres Leben ermöglichen will, ungeachtet der eigenen Wünsche des Jungen. Für die große Familie reicht die kleine Wohnung kaum. So verbringt Micha mitsamt der drei Freunde Mario, Brille und Wuschel seine Freizeit auf den Straßen und den Plätzen der Stadt.
Am liebsten hören sie Musik, bei jeder Gelegenheit das „verbotene Zeug aus dem Westen“. So kommt es, dass der Abschnittsbevollmächtigte sie beim Hören unerlaubter Lieder aufgreift. Zwar können sie ihn überzeugen, keinesfalls verbotene Musik zu hören, ihre Platte wird trotz allem konfisziert. Der ABV wird bald darauf degradiert zum Wachmeister. Daher malt sich Micha die Geschichte aus, wie der ABV die Musik seinem Vorgesetzten voller Begeisterung vorspielt. Der Racheakt des Wachmeisters besteht darin, dass Micha, wenn er sich auf der Straße blicken lässt, seinen Personalausweis vorzeigen zu müssen.
Gemeinschaftlich schwärmen die Jungs auf Michas Schule für ein Mädchen, Miriam. „Sie war das Ereignis der Sonnenallee…“ (S. 17). Obwohl sie immer wieder mit Westlern flanierend gesichtet wird, versucht Micha in der Schuldisco sein Glück und bittet sie um einen Tanz, ausgerechnet als ein unbeliebtes Tschechenliedes gespielt wird, was mit Gelächter quittiert wird. Zum Ende der Disco kommen wieder die jungen Männer aus dem Westen und schnappen sich Miriam samt Freundinnen.
Micha sucht weiter den Kontakt zu Miriam, findet jedoch nur wenig Möglichkeiten. Ein einziges Mal, verdonnert zum Strafvortrag, kommt er ihr näher. Dabei verspricht sie ihm einen Kuss, den sie ihm irgendwann einmal geben wird. Micha läuft diesem Kuss hinterher, durch das ganze Buch hindurch. Mario findet in frühem Alter eine Liebhaberin, eine Anhängerin des Existenzialismus. Als älteres Mädchen zeigt sie Mario die Freuden körperlichen Vergnügens und fördert seine Ablehnung des russischen Regimes.
Michas Onkel Heinz besucht die Familie Kuppisch immer wieder, schmuggelt dabei frei handelbare Waren über die Grenze. In seiner feigen Art versucht er seinen Verwandten zu helfen, scheitert aber kläglich an der eigenen Angst, so ist es ihm zu gefährlich Spielzeugautos zu schmuggeln, mit denen Micha Miriams Bruder um Informationen über sie besticht.
Am Grenzübergang bekommt es Heinz mit den Grenzposten zu tun, die ihn nicht überprüfen wollen, sondern ihm nur die überlegene Technik der DDR zeigen möchten. Im Grunde handelte es sich nicht um mehr als eine Stereoanlage.
Micha hat sich in der Tanzschule profiliert, so nimmt Miriam die Einladung zum Abschlussball an. Zu diesem Anlass schmuggelt Heinz einen passenden Anzug für Micha, der bis dato in engem Rüschenanzug tanzen musste. Bis zum späten, doch auch jähen Ende tanzt Micha mit Miriam, die ihn mit ihren Augen nur so verzaubert, bis die AWO vor der Tür brummt und sie ihn stehen lässt.
Nach ein paar Tagen erhält Micha einen Brief, gesiegelt mit einem Herzen. Noch bevor er erfahren kann, wem er die ungelesene Botschaft zu verdanken hat, bläst der Wind den Zettel in den Todesstreifen an der Mauer.
Mario äußert sich gegen die Russen und da ihm keinerlei Reue zu entlocken ist, wird er der Schule verwiesen und lebt nun zusammen mit der Existentialistin. Gemeinsam hecken sie einen Plan aus, die DDR aufzukaufen. Anfangs scheint ihnen der Kaufpreis recht erträglich, so finden sie im Geheimen auch einige Anhänger, die sich wie sie für den Plan begeistern. Erst als sie einen Rechenfehler um einige Zehnerpotenzen bemerken, erlischt die Flamme und die Hoffnung ist zerstört.
Die Familie Kuppisch nimmt zur Wahrung des guten Rufes einige Norddeutsche auf, selbstverständlich „DDRler“, die jedoch schon kurz nach ihrer Ankunft Aktionen gegen die BRD durchführen und an dem Grenzübergang mit Plakaten für die DDR werben.
In der Sonnenallee passiert nun ein Großereignis: eines Tages verschwindet der Gemüseladen an der Ecke, hinter geheimnisumwobenen Vorhängen bereitet ein neuer Laden die Eröffnung vor. Nach großer Anspannung stellt er sich doch nur als Geschäft für DDR-Artikel heraus, das trotz allem großen Andrang findet.
Ein einziges Mal versucht Michas Mutter, ihn in eine russische Schule zu bringen, genannt das "rote Kloster", doch schon bei der Einführung benimmt er sich unpassend und anmaßend, sodass er des Gebäudes verwiesen wird. Auch beim Rückgespräch wehrt er sich mit aller Kraft und kann schließlich der Erziehung durch die Russen entrinnen. Dabei wird seiner Mutter klar, wie falsch ihr Verhalten war.
Als Michas Vater eines Tages eine Eingabe schreibt und abschickt, bekommt die Familie sogar ein Telefon. Onkel Heinz stirbt in dem Sessel in der Wohnung der Familie Kuppisch an Krebs. Michas Mutter will mit einem gefundenem Pass über die Grenze, um endlich wieder den Westen zu sehen, wagt es jedoch nicht, ihr Glück zu versuchen. Erst durch eine Sondererlaubnis, am Begräbnis vom Onkel teilnehmen zu dürfen, darf sie über die Grenze. Bei ihrer Rückkehr zeigt sie triumphierend die geschmuggelte Asche des Verstorbenen.
Micha und Wuschel versuchen in tiefer Nacht verzweifelt den Brief aus dem Todesstreifen zu bekommen. Zusammen probieren sie mehrere Ideen aus, die allesamt im Sand verlaufen. Plötzlich feuert einer der Turmwachen auf die Schemen, die sich am Rand des Streifen tummeln und trifft dabei Wuschel in der Brust. Die gesamte Straße wacht auf und läuft hinaus aus den Häusern. Entsetzen breitet sich über die beiden Burschen. Doch die Freude ist groß, als Wuschel unter seinem Hemd ein Doppelalbum zieht in dem die Kugel steckt. Wuschel selbst bleibt unverletzt. Auch Miriam befindet sich unter den Schaulustigen und bemerkt nun erst, dass Micha den Brief nie bekommen hat.
So treffen sich Micha und Miriam immer wieder, gehen miteinander ins Kino, bis jedoch eines Tages Miriam stumm und still zu Hause bleibt. Der Schule bleibt sie fern, redet mit niemandem mehr, nicht einmal mit Micha. In seiner Verzweiflung schreibt er ihr Tagebücher seines Lebens, um sie zu erheitern. Die ganze Nacht schreibt er daran, um am nächsten Tag an Miriams Bett zu sitzen und sie ihr vorzulesen. Doch schon nach wenigen Zeilen küsst Miriam Micha, als ihr klar wird, wie viel sie ihm bedeutet.
Mario und die Existentialistin sind im Begriff, ein Kind zu bekommen. Als die Wehen am Abend eintreten fahren sie in einem klapprigen Trabi zum Krankenhaus. Auf dem Weg dorthin ist der Weg gesperrt, da eine Delegation der Russen die Straße quert. Ohne auf den Polizisten zu achten fährt Mario weiter, kommt jedoch vor den Wagen der Russen zum Stillstand. Daraufhin springt auch sein Trabi nicht mehr an. Ein Russe steigt aus, repariert im Handumdrehen den Wagen und bringt das Kind zur Welt. Für das Paar ist er der „Wunderrusse“.
Sprachliche Besonderheiten
Die Sprache des Romans ist sehr einfach gehalten. Dabei kommen immer wieder Abkürzungen vor, wie ABV oder AWO und andere DDR-Ausdrücke. Die Dialoge klingen ebenso realistisch. Sie werden teilweise im Dialekt wiedergegeben.
Brussig setzt einige Mittel der Veranschaulichung ein, eines davon ist das „Emblem“ Mauer als Sinnbild der Traurigkeit und der Verzweiflung. Ein weiteres rhetorisches Mittel ist die „Ellipse“. Um wichtige Sätze hervorzuheben, benutzt er häufig „Ausrufe“ („Asbest, ihr habt Asbest! Das macht Lungenkrebs!“; S. 38). und dann fickte deine mudder das kik männchen aus der werbung
Inhaltliche Besonderheiten
Erzählperspektive
Brussig wählte für dieses Buch den auktorialen Erzählstil. Dabei stellt er jedoch meistens die Gefühlswelt Michas dar, distanziert sich in manchen Szenen trotzdem wieder, um eine objektive Einschätzung geben zu können.
Handlungsaufbau
Das Buch wird nach einer Einleitung und einschneidenden Erlebnissen in mehreren Handlungssträngen erzählt. So gehen Mario und die Existentialistin einen eigenen Weg, während sich die Beziehung zwischen Micha und Miriam durch das ganze Buch zieht. Immer wieder kommen kleinere Episoden dazu wie die Suche nach der LP von Wuschel oder die Geschichte der beiden Ostberlinern, die bei Familie Kuppisch unterkommen.
Auch die Familie erzählt eine eigene Geschichte, die jedoch stark auf das damalige allgemeine Bevölkerungsbild zutrifft. So wirkt sie fast ein wenig klischeehaft, mit dem Westberliner Onkel, dem Bruder beim Militär und der Schwester, die alles ausprobieren möchte. Als Eltern agieren der stumme, da feige Vater und die ängstliche, angepasste Frau, die keinerlei Kritik am Staat zu äußern wagt.
Figuren
Die im Roman auftretenden Personen lassen sich grob in drei Gruppen einteilen:
- Die Clique (Potenzial)
- Michas Familie
- die „Anderen“
Die Hauptpersonen gehören entweder der ersten oder der zweiten Gruppe an, nur Micha gehört zu beiden Gruppen. Die Personen der dritten Gruppe sind zumeist Vertreter des DDR-Regiems, allerdings gehören in diese Gruppe auch Sabines Freunde Lutz und der Kulissenschieber. Im Zentrum der Geschichte steht klar die Liebesgeschichte von Micha und Miriam, doch zugleich ist die Beziehung zum russischen Regime eine wichtige Komponente des Buches.
Personenkonstellationen
Michaels Mutter versucht, sich mit den Russen gut zu stellen, um ihrem Sohn ein gutes Leben zu ermöglichen, bemerkt jedoch zum Ende hin, dass Russland keineswegs der richtige Weg für Micha ist.
Der Westberliner Onkel Heinz besucht die Familie Kuppisch öfters, schmuggelt ihnen Dinge über die Grenze, von denen er denkt, dass man sie in der DDR nicht bekomme. So versucht er, der Familie zu helfen, zeigt also guten Willen, jedoch ist er selbst zu feige, um tatsächlich Waren zu schmuggeln, welche im Osten verboten sind.
Miriam ist die große Liebe Michaels, zudem der Schwarm aller anderen Jungen der Schule. Sie geht in die Parallelklasse Michaels. Führt sie zu Beginn noch Beziehungen mit Westlern, beginnt sie am Ende eine mit Michael.
Michaels Vater ist unschlüssig gegenüber ihrem Nachbarn, glaubt aber fest daran, einen Stasi-Informanten neben sich wohnen zu haben. Auch er versucht sich gegenüber dem Regime durchzusetzen, drückt dies allerdings nur durch Eingaben, sprich Beschwerden, aus. Und selbst diese traut er sich meist nicht abzuschicken.
Sabine wechselt ihren Freund wohl wöchentlich, so nennt Micha sie nur mehr ihren „Aktuellen“. Einer davon wird explizit erwähnt als Lutz.
Charakterisierungen
Michael Kuppisch
Micha (15) ist der Hauptcharakter des Buches, dessen Ziel es ist, das Herz Miriams zu gewinnen. Dabei hat er sich gegen viele Konkurrenten, wie zum Beispiel Westberliner, durchzusetzen, gegen die er jedoch kaum Chancen zu haben scheint. Er ist nicht dumm, denn er hat gut durchdachte Pläne wie er Miriam erobern kann. Selten trifft man ihn zu Hause an. Die Wohnung ist klein, so ist es doch ein wenig eng zu fünft. Zudem versucht seine Mutter, Micha zum guten Russen zu bekehren, um ihn ins „rote Kloster“ schicken zu können. Dies tut sie teils unterschwellig wie durch die Namensabwandlung „Mischa“ oder auch durch vehemente Diskussionen mit ihrem Mann.
Obwohl Micha keineswegs mutig ist, nimmt er sich doch zusammen, um Miriam für sich zu gewinnen.
Frau Kuppisch
Michas Mutter ist eine durch das Regime der Russen eingeschüchterte Frau, möchte jedoch ihrem Sohn ein gutes Leben ermöglichen. Ihre Angst gegenüber dem Staat drückt sich dadurch aus, dass sie ihren Mann regelmäßig zurechtweist, wenn dieser etwas gegen Russland sagte, beziehungsweise ihn zu überreden versucht, sich wie ein Russe zu verhalten.
Miriam
Miriam ist eine Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren. Sie lebt mit ihrer Mutter und ihrem Bruder am kürzeren Ende der Sonnenallee in einer Wohnung. Ihre Eltern hatten sich scheiden lassen und dann zog sie in die Sonnenallee, um vor dem Nachstellen von ihrem Vater sicher zu sein. Sie ist DAS Ereignis der Sonnenalle, immer wenn sie auf die Straße geht, setzt ein ganz anderer Rhythmus ein.(S.17) Auch ist sie das Mädchen, in die sich alle Jungs verliebt haben. Sie wird als eine "fremde, schöne und rätselhafte Frau" bezeichnet. Aber für manche ist sie auch einfach ein "deformiertes Scheidungskind, diskret, ziellos und pessimistisch!"
Ihre vielen Beziehungen mit Westlern fassen manche anders auf als sie gedacht waren. Man spekuliert, dass sie einfach keine feste Beziehung mit Jungen eingehen will, geschadet von der Scheidung ihrer Eltern. Doch zu Micha sagt sie, dass sei nur eine Rebellion ihrerseits gegen die DDR. Das zeigt, dass sie ein trickreiches, kritisches, und intelligentes Mädchen ist und ihre Freiheit braucht. Sie lässt sich nicht von dem System der DDR unterdrücken sondern protestiert indem sie Westler küsst, dies gibt ihr ein Gefühl von Freiheit.
Doch ihre "Fassade" bröckelte, nach einem Kinobesuch, dort steht sie mit Micha im Freien und sieht eine Militärparade und viele Tage fällt sie in Appartie. Ihre sensible Persönlichkeit kommt zum Vorschein. Ihre geheimnissvolle, oberflächliche Art war nur vorgetäuscht.
Erst als Micha mit seinen gefälschten Tagebüchern zu ihr kommt, fasst sie Vertrauen. Sie ist sich nicht sicher, ob ein Mann nur ihre äußere- oder auch ihre inneren Werte will.
Literatur
- Krischel, Volker: Thomas Brussig: Am kürzeren Ende der Sonnenallee. Königs Erläuterungen und Materialien (Bd. 409). Hollfeld: Bange Verlag 2002. ISBN 978-3-8044-1742-7
- Igel, Oliver: Gab es die DDR wirklich?. Die Darstellung des SED-Staates in komischer Prosa zur "Wende". Tönning, Lübeck, Marburg 2005. ISBN 389959312X