The Bell Curve
The Bell Curve: Intelligence and Class Structure in American Life ist ein kontrovers diskutiertes Werk der beiden Harvard-Professoren Charles Murray und Richard Herrnstein. Sie analysierten die Daten einer umfassenden Längsschnittstudie zu den Lebensverläufen amerikanischer Jugendlicher im Zeitraum von 1979 bis 1990 (der National Longitudinal Survey of Youth, kurz NLSY). Das Ergebnis ihrer Analysen beschrieben sie in diesem Buch.
Es behandelt die Beziehungen zwischen sozioökonomischer Klasse, Intelligenz und dem Faktor Erbgut. Intelligenz ist nach Meinung der Autoren größtenteils erblich. Die Autoren stellen in ihrem Werk heraus, dass Zugehörigkeiten zu sozioökonomischen Klassen auffallend stark mit der Intelligenz zusammenhängen. So beschreiben sie, dass beispielsweise weiße Amerikaner, welche in Intelligenztests einen Wert erzielen, der zu den untersten fünf Prozent gehört, mit einer 15-mal höheren Wahrscheinlichkeit in der Kategorie „arm“ anzusiedeln sind, als solche, welche bei den Tests in die oberen 5% gelangten.
Im Laufe des Buches werden mehrere solcher Beispiele, nur mit anderen Bezügen (z. B. Intelligenz und Arbeitslosigkeit oder auch Intelligenz und Erziehung) angeführt, mit dem Ziel, zu zeigen, wie sich Intelligenz (oder ihr Nichtvorhandensein) in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft auf die Lebensverhältnisse auswirkt.
Folgende Tabelle zeigt laut Herrnstein und Murray Zusammenhänge zwischen IQ und sozioökonomischen Faktoren. Zu beachten ist, dass es sich hier nicht um eine tatsächliche Stichprobe, sondern um eine so genanntes utopisches, mit statistischen Mittel erzeugtes Sample handelt.
| IQ | <75 | 75–90 | 90–110 | 110–125 | >125 |
|---|---|---|---|---|---|
| Durchschnitt: Anzahl Ausbildungsjahre | 11.4 (10.9) | 12.3 (11.9) | 13.4 (13.2) | 15.2 (15.0) | 16.5 (16.5) |
| Prozentsatz mit mindestens dem Abschluss "Bachelor" | 1 (1) | 4 (3) | 19 (16) | 57 (50) | 80 (77) |
| Durchschnitt: Anzahl Wochen im Jahr, die die Person arbeitet | 35.8 (30.7) | 39.0 (36.5) | 43.0 (41.8) | 45.1 (45.2) | 45.6 (45.4) |
| Durchschnitt: Einkommem | 11,000 (7,500) | 16,000 (13,000) | 23,000 (21,000) | 27,000 (27,000) | 38,000 (36,000) |
| Prozensatz mit Partner, welcher Erwerbstätig ist | 30 (27) | 38 (39) | 53 (54) | 61 (59) | 58 (58) |
| Durchschnitt: Familieneinkommen | 17,000 (12,000) | 25,000 (23,400) | 37,750 (37,000) | 47,200 (45,000) | 53,700 (53,000) |
| Prozentsatz unehelich geborener Kinder | 49 (50) | 33 (32) | 14 (14) | 6 (6) | 3 (5) |
| Durchschnittliche Kinderzahl | 2.1 (2.3) | 1.7 (1.9) | 1.4 (1.6) | 1.3 (1.4) | 1.0 (1.0) |
| Alter der Mutter bei der Geburt des ersten Kindes | 24.4 (22.8) | 24.5 (23.7) | 26.0 (25.2) | 27.4 (27.1) | 29.0 (28.5) |
| Werte in einem utopischen und einem vollen Sample (volles Sample in Klammern). Einkommen ist in US-Dollar angegeben[1] | |||||
Aufbau des Buches
Das Buch ist in vier Teile untergliedert:
- 1. Im ersten Teil stellen die Autoren die These auf, dass die Intelligenz eine wichtige Rolle dafür spiele, welcher Schicht ein Person angehöre. Intelligente Personen würden in höhere Schichten aufsteigen. Wenig intelligente Person dagegen würden in niedrigere Schichten absteigen. Dafür, welcher Schicht eine Person im Erwachsenenalter angehöre sei der IQ wichtiger als die Schicht, der die Eltern der Person angehörten
- 2. Im zweiten Teil stellen die Autoren die These auf, dass sich viele soziale Probleme durch niedrigen IQ erklären lassen würden. So erklären sie Arbeitslosigkeit, Schulversagen, Armut, Mutterschaft Minderjähriger, uneheliche Geburten, Vernachlässigung von Kindern und andere Probleme unter anderem durch einen niedrigen IQ
- 3. Im dritten Teil stellen die Autoren die These auf, Schwarze wären weniger intelligent als Weisse
- 4. Im vierten Teil stellen die Autoren politische Forderungen. Davon ist besonders eine kontrovers diskutiert worden. Dies ist die Forderung, dass die amerikanische Sozialpolitik geändert werden müsse, da sie dazu führe, dass Person mit niedrigem IQ mehr Kinder hätten als Personen mit hohem IQ.
Umstrittene Thesen
Herrnstein und Murray sind wegen ihren umstrittenen politischen Forderungen in die Kritik geraten.
In ihrem Buch schlugen sie vor, dass die Hilfen für arme Kinder abgeschafft werden sollten, denn diese würden dazu führen, dass es sich für dumme Frauen finanziell lohnen würde, Kinder zu bekommen:
- The technically precise description of America's fertility policy is that it subsidizes births among poor women, who are also disproportionately at the low end of the intelligence distribution. We urge generally that these policies, represented by the extensive network of cash and services for low-income women who have babies, be ended.[2]
Herrnstein und Murray stellen im Zuge der Beschreibung des Faktors Erbgut verschiedene Thesen auf. Unter anderem, dass die Intelligenz maßgeblich genetisch bedingt sei, aber auch, dass unterschiedliche Ethnien auch unterschiedliche Intelligenzlevel haben, oder wie sie es auch bezeichnen, qualitative Unterschiede der kognitiven Fähigkeiten auszumachen seien.
Das Werk dreht sich um diese verschiedenen Dimensionen der Intelligenz: ihr genetischer Faktor, ihr unterschiedliches Level in den Ethnien, ihre gesellschaftlichen Auswirkungen und besonders deren Verbindungen zueinander. Aus dem Zusammenspiel dieser Verbindungen konstruieren die Autoren eine der zentralen Thesen des Werkes: Im Zuge von Intelligenztests ergab sich, dass schwarze Amerikaner durchschnittlich einen um etwa 15 Punkte niedrigeren IQ als weiße haben. Diese Unterlegenheit führen Herrnstein und Murray auf deren Gene zurück. Zudem seien diese Personen aufgrund aller Auswirkungen, die Intelligenz auf einen Menschen hat, in einem Kreislauf befangen, den sie nicht durchbrechen könnten, weil das Intelligenzniveau zum Beispiel durch Schulbildung nur unwesentlich erhöht werden könne. Die Autoren stellen sie als verloren dar.
Rezeption des Buches
The Bell Curve löste insbesondere in den USA eine erbittert geführte Kontroverse aus. Auf der Höhe des Konflikts wurde eine hochkarätig besetzte (etwa mit Ulric Neisser und Robert Sternberg) Arbeitsgruppe der American Psychological Association eingerichtet, die insbesondere die Behauptungen über den Zusammenhang von Rasse und Intelligenz zurückwies.[3] Auch sonst wurde The Bell Curve in den Fachwissenschaften überwiegend als methodisch unsauber kritisiert. Unterstützung bekamen Herrenstein und Murray hingegen aus der Jensen-Tradition der psychometrischen Intelligenzforschung. Viele dieser Wissenschaftler waren unter den 52 Unterzeichnern des von Linda S. Gottfredson geschriebenen Aufsatzes Mainstream Science on Intelligence, der die zentralen Thesen von The Bell Curve stützte. [4].
Kritik
Das Buch wurde von zahlreichen Wissenschaftlern kritisiert. Es wurden unter anderem folgende Punkte kristisiert.
Volksverhetzung
Michael Nunley, Professor für Anthropologie an der University of Oklahoma, warf Herrnstein und Murray eine gezielte Desinformation der Öfftenlichkeit und Bauernfängerei vor. Er sagte Herrnstein und Murray würde statistische unbedarfte Leser mit umstrittender Statistik in die Irre führen. Er bezeichnete sie als "Pied Piper" (eine Figur aus einem amerikanischer Märchen, ähnlich dem Rattenfängern vom Hameln). Er bezeichnete das Buch als Betrügerei:
"I believe this book is a fraud, that its authors must have known it was a fraud when they were writing it, and that Charles Murray must still know it's a fraud as he goes around defending it. By "fraud," I mean a deliberate, self-conscious misrepresentation of the evidence. After careful reading, I cannot believe its authors were not acutely aware of what they were including and what they were leaving out, and of how they were distorting the material they did include."[5].
Leon J. Kamin warf Herrnstein und Murray einen Missbrauch der Wissenschaft für rassistische Zwecke vor.[6]
Verstärkt wurden diese Vorwürfe, da die sehr konservative Bradley Foundation und der als rechts geltende Pioneer Fund ein bedeutender Finanzier dieses Buches waren. Murray erhielt als Folge der Diskussion und Kritik an The Bell Curve sogar Bombendrohungen.
Rassismus
In ihrer Studie stellten Herrnstein und Murray fest, dass der IQ von amerikansichen Schwarzen um 15 Punkte unter dem von amerikanischen Weissen liegt. Dies stimmt mit den Ergebnissen anderer Studien überein[7]
Der in Afrika geborene IQ Forscher John Ogbu warf Herrstein und Murray Rassismus vor.
Kritiker wie Jeanne Brooks-Gunn, Pamela Klebanov warfen Herrnstein und Murray vor, wichtige Faktoren übersehen zu haben.
Da wäre zum Beispiel der Faktor, dass Schwarze Kinder in den USA häufiger in Armut aufwachsen. 40% aller schwarzen Kinder, aber nur 5% aller weißen Kinder in den USA leben in Armut. Zusätzlich wachsen schwarze Kinder - auch dann wenn sie nicht arm sind - häufig in schlechteren Vierteln auf. Auch sind die Eltern schwarzer Kinder häufiger alleinerziehend, sie sind häufiger minderjährig und häufiger arbeitlos. All dies kann negative Konsequenzen für den IQ haben[8].
Die Behauptung, dass es nur "einen IQ" gäbe
Die Behauptung, dass es nur einen IQ gäbe, wurde von zahlreichen Wissenschaftlern, darunter Stephen Jay Gould kritisiert. In Anlehnung an die Forschungen von Howard Gardner stellte dieser die These auf, dass es nicht eine sondern verschiedene Intelligenzen gäbe (siehe Theorie der multiplen Intelligenzen). Herrnstein und Murray wären nur auf die logisch-anylytische Intelligenz eingegangen und dies sei falsch.
Kritik an der Meinung, dass der IQ erblich sei
Die von Murray und Herrnstein vertretene Meinung, dass der IQ erblich sei, wurde kritisiert. Unter anderem von Leon J. Kamin.
Kritiker der Autoren beziehen sich oft auf Richard Lewontin. Laut Lewontin könnten die IQ-Unterschiede innerhalb einer Schicht zu einem gewissen Prozentsatz genetisch sein, doch dies würde nicht zur Folge haben, dass die Unterschiede zwischen zwei Schichten auch genetisch sein müssten.
Als Beweis für seine These nennt Lewontin Adoptionsstudien, zum Beispiel die von Skodak und Skeels und die Minnesota Transracial Adoption Study und verweist auf die Erfolge von Interventionsprogrammen (kompensatorische Erziehung).[9] Lewontin versucht, dies mit einer Parabel zu verdeutlichen:
Man stelle sich vor, man habe einen Sack voll Weizenkörner. Man teile diesen Sack rein zufällig in zwei Hälften. Die eine Hälfte säe man auf einem fruchtbaren Boden, den man gut wässert und düngt. Die andere Hälfte werfe man auf einen kargen Acker. Wenn man nun das erste Feld betrachtet, wird einem auffallen, dass die Weizenähren verschieden groß sind. Man wird dies auf die Gene zurückführen können, denn die Umwelt war für alle Ähren gleich. Wenn man das zweite Feld betrachtet, wird man die Variation innerhalb des Feldes auch auf die Gene zurückführen können. Doch es wird auch auffällig sein, dass es große Unterschiede zwischen dem ersten Feld und dem zweiten Feld gibt. Auf dem ersten Feld sind die Unterschiede zu 100% genetisch, auf dem zweiten Feld sind die Unterschiede zu 100% genetisch, doch das heißt nicht, dass die Unterschiede von Feld 1 und Feld 2 auch genetisch sind.
Turkheimer hat darauf hingewiesen, dass bei der Erblichkeit der Intelligenz die soziale Klasse eine große Rolle spiele. Während Intelligenz in der Mittelschicht zu einem großen Teil erblich sei, sei sie dies in der Unterschicht nicht. Der Grund: die schlechten Umweltbedingungen in der Unterschicht führten dazu, dass die Kinder ihr genetisch vorgegebenes Potential nicht entwickeln konnten. Auf einer Skala von 0.00 bis 1.00 sei der IQ in der Mittelschicht zu 0.72 von den Genen bestimmt, in der Unterschicht jedoch nur zu 0.10, so Turkheimer[10].
Kritik an der Methodik
Diese Forschungsergebnisse sind nicht unwidersprochen geblieben. So analysierte Jay Zagorsky vom Center for Human Resource Research der Ohio State University die gleichen Daten und kam zu dem Ergebnis, dass es keinen Zusammenhang zwischen IQ und finanziellen Erfolgen gebe. Er fasste seine Ergebnisse mit "Your IQ has really no relationship to your wealth. And being very smart does not protect you from getting into financial difficulty" zusammen [11]. Auch wurden die Erhebungsmethoden der NLSY kritisiert (zum Beispiel von Stephen Jay Gould in der Erweiterung seines Buches The Mismeasure of Man). So wurde bei der Erhebung der Kinderzahl einer Person nicht nach den Kindern, welche diese Person jemals geboren hatte gefragt, sondern lediglich nach den Kindern im Haushalt. Kinder, welche nicht im Haushalt wohnten, wurden nicht erfasst. Auch wurde nicht nach dem Alter der Mutter bei der Geburt des ersten Kindes gefragt, sondern nach dem Alter der Mutter bei der Geburt des ältesten Kindes, welches noch im Haushalt lebte. Auch gab es Probleme mit Personen, welche einen Bildungsabschluss im Ausland erwarben. Diese wurden nicht in richtiger Art und Weise an gerechnet. So wird bei anderen Untersuchungen (wie zum Beispiel PISA) der deutsche Meisterbrief als Bachelor gerechnet. Bei dieser Untersuchung aber nicht. Auch das deutsche Vordiplom gilt nicht als Bachelor, sondern als abgebrochenes Studium. Auch dies wird in anderen Studien anders gehandhabt. Es kann dadurch zu Verzerrungen kommen und zwar sowohl bei der Emittlung des Schulabschlusses der Eltern und somit der Herkunftsschicht als auch bei der Ermittliung der Bildungsleistungen der Studienteilnehmer selbst. Zwar ging es in der Studie um Leute, welche in den USA geboren wurden und aufwuchsen, doch Leute, welche nach dem Erreichen des Erwachsenenalters eine Zeit lang im Ausland lebten (und dort möglicherweise Bildungstitel erwarben) wurden nicht aus der Studie ausgeschlossen. Nach Meinung von Stephen Jay Gould ein schwerer methodischer Fahler.
Positive Rezeption
Das Buch wurde von der US-Psychologin Linda S. Gottfredson begrüßt [12]. Das Institute for the Study of Academic Racism warf Gottfredson wissenschaftlichen Rassismus vor [13].
Siehe auch
Weblinks
- US-Studie: Intelligenz kein Schlüssel zu Reichtum beschreibt Jay Zagorsky Re-Analyse der Daten
- Jeanne Brooks-Gunn, Greg J. Duncan: The effects of Poverty on Children (Beweis, dass Armut den IQ eines Kindes um 6 bis 13 Punkte senkt)
- Linda S. Gottfredson The General Intelligence Factor Thesen von Gottfredson zur Intelligenz (dauert etwas zu laden)
- Homepage des amerikanischen Bureau of Labor Statistics zur National Longitudinal Survey of Youth
Quellen
- ↑ Murray, C. (1998). Income Inequality and IQ. Washington: AEI Press.
- ↑ Herrnstein, Richard, Murray Charles (1994): The Bell Curve - Intelligence and Class Structure in America, Freepress, ISBN: ,0029146739, S. 548
- ↑ Report of a Task Force established by the Board of Scientific Affairs of the American Psychological Association: Intelligence: Knowns and Unknowns, American Psychologist, Feb 1996, [ http://www4.ncsu.edu/~jwosbor2/otherfiles/PSY304/APA-intelligence.pdf Report als pdf-Datei]
- ↑ Gottfredson, Linda (13. Dezember 1994). Mainstream Science on Intelligence. Wall Street Journal, S. A18 und http://www.udel.edu/educ/gottfredson/reprints/1997mainstream.pdf
- ↑ You've got to be taught to hate and fear ... Download am 31.12.2007
- ↑ Leon J. Kamin, "Lies, Damned Lies and Statistics," R. Jacoby & N. Glauberman (Eds.), The Bell Curve Debate: History, Documents, Opinions. (New York: Times Books, 1995) S. 81-105
- ↑ Northwestern study finds that poverty and early learning opportunities -- not race -- account for the gap in IQ scores between blacks and whites Download am 31.12.2007
- ↑ Northwestern study finds that poverty and early learning opportunities -- not race -- account for the gap in IQ scores between blacks and whites Download am 31.12.2007
- ↑ Not in Our Genes: Biology, Ideology and Human Nature (mit Steven Rose und Leon J. Kamin) (1984)
- ↑ Weiss, Rick: Genes’ Sway Over IQ May Vary With Class. In: Washington Post, 2 September 2003; Seite A01, online abzurufen unter Genes’ Sway Over IQ May Vary With Class abgerufen am 3.1.2008
- ↑ You don't have to be smart to be rich Download am 3.1.2008
- ↑ Gottfredson, Linda (13. Dezember 1994). Mainstream Science on Intelligence. Wall Street Journal, S. A18 und Linda S. Gottfredson: Mainstream Science on Intelligence - An Editorial with 52 Signatures, History and Bibliography abgerufen am 3.1.2008
- ↑ Institute for thev study of scientific racism: Linda Susanne Gottfredson abgerufen am 3.1.2008