Geheimakte Heß
Geheimakte Heß ist ein deutscher Dokumentarfilm aus dem Jahr 2004, der sich auf die Thesen des Publizisten Martin Allen vom Friedensflieger Heß stützt.
Inhalt
Der 70 Minuten lange Dokumentarfilm (und Langfassung der mehrfach 2003 und 2004 auf n-tv ausgestrahlten Kurzfassung) befasst sich mit dem Schottlandflug des Hitlerstellvertreters Rudolf Heß im Jahr 1941. Dem Film zu Folge ist Heß unter Umständen im Auftrag, aber zumindest mit Wissen von Adolf Hitler nach Großbritannien geflogen, um Friedensverhandlungen mit der in England vorhandenen kriegsmüden Opposition zu führen. Diese Pläne seien jedoch von Winston Churchill mit Hilfe des britischen Geheimdienstes verhindert worden, die Hess in eine Falle gelockt haben sollen. Churchill hätte auf Zeit gespielt, um die USA und die Sowjetunion in den Krieg zu ziehen und damit den europäischen Krieg zwischen England und Deutschland in einen Weltkrieg münden zu lassen, den Deutschland nicht hätte gewinnen können. Das britische Empire sah sich demnach durch die "Groß-Deutsche Reichsidee" und einem damit verbundenem übermächtigen Deutschland auf dem europäischen Kontinent bedroht. In der Dokumentation wird von diversen deutschen Friedensvorschlägen an England berichtet, in denen Deutschland angeblichen bereit gewesen wäre, u.a. alle besetzten Länder zu räumen, Reparationszahlungen für entstandene Beschädigungen an diese Länder zu zahlen, sowie einen polnischen Staat wiederherzustellen. Dadurch wären mit einem Schlag all die Gründe weggefallen, die am 3. September 1939 den britischen Kriegseintritt rechtfertigten. Dies hätte aber die zum Durchkämpfen des Krieges entschlossene britische Regierung ihrem Volk und der Öffentlichkeit nicht verständlich machen können, dass alle Kriegsziele durch Verhandlungen zu erreichen gewesen wären, man aber trotzdem weiter kämpfen sollte. Heß wurde – das zeigen die im Film erstmals gezeigten Dokumente – vom britischen Geheimdienst SO1in eine Falle gelockt: Die komplette Korrespondenz, die Heß/Haushofer mit dem Duke of Hamliton zu führen glaubten, führten sie mit dem SO1. In der Tat ging es um eine ganze Reihe von Friedensinitiativen in Richtung England von ganz unterschiedlichen Adressaten. So gibt es z. B. ein eigenes Dossier des Foreign Office, in dem auf ca. 20 Seiten ein ganzes Bündel von Friedensvorschlägen referiert wird. Eines der Dossiers, die einem ganz kleinen Kreis zur Verfügung gestellt wurden, liegt im Public Record Office und wird im Film gezeigt. Der Film erwähnt einen konkreten Mehrpunktefriedensplan eines Dr. Weissauer, den dieser dem britischen Botschafter in Schweden, Mallet, unterbreitet. Dieser Plan sieht neben dem kompletten Rückzug aller deutscher Truppen aus den westlichen Kriegsschauplätzen, dem Angebot, für die entstanden Kriegsschäden Entschädigungen zu leisten auch den Punkt „Wiederherstellung des polnischen Staates“ vor. Dieser Friedensvorschlag stammte direkt von Hitler: Dr. Weissauer war persönlicher Rechtsanwalt Hitlers. Insofern liegt es durchaus nahe, daß Hitler auch von den Plänen von Heß wußte bzw. diesen ihn persönlich nach England geschickt hat. Sämtliche dieser Friedensinitiativen wurden von Churchill und seinem Außenamtsstaatssekretär Vansittart kategorisch abgelehnt. Churchill erklärte, England könne den europäischen Krieg nicht gewinnen, sondern nur einen Weltkrieg. Daher ging es ihm um eine Politik der unbedingten Kriegsausweitung. Im übrigen sei es ihm egal, ob Deutschland von den Nazis oder einem Jesuitenpater regiert werde. Und Vansittart, sein Chefdenker und Chefstratege, machte in einer Notiz an den Außenminister Eden deutlich, daß es um die „Vernichtung Deutschlands, nicht um Nazi-Deutschlands“ ginge und von daher sämtliche Friedensangebote abzulehnen seien. Man habe – so Vansittart weiter – „genug von Angeboten von Weissauer, Dahlerus, Goerdeler und Konsorten“. Damit scheiterte an der antideutschen Haltung der britischen Regierung auch die Chancen, gemeinsam mit Vertretern des Deutschen Widerstandes eine politische Veränderung im Deutschen Reich und ein Ende der NS-Herrschaft zu erreichen. Im Film wird außerdem bezweifelt, dass sich Rudolf Heß am 17. August 1987 im Gefängnis selbst das Leben nahm. Einerseits kommen der langjährige amerikanische Gefängnisdirektor, sowie der Krankenpfleger von Hess zu Wort, die beide von einem Mord sprechen. Andererseits werden durch die Ergebnisse einer unabhängigen Obduktion der Leiche, die für einen Suizid untypischen Verletzungsmarken am Hals des Toten zeigten, weitere Zweifel an der gängigen Selbstmordthese dargestellt. Stattdessen werfen die Autoren den britischen Geheimdienst vor, Hess ermordet zu haben, nachdem durch politische Veränderungen in der UdSSR die Freilassung von Hess theoretisch und auch praktisch ermöglicht wurde.
Kritik
Der Film war und ist Gegenstand einer heftigen Kontroverse, bei der es letztlich darum geht, ob historische Fakten auch dann veröffentlicht werden dürfen, wenn sie von interessierten Kreisen politisch ausgeschlachtet werden dürfen. Die Autoren des Films betonen die grundgesetzlich geschützte Rede- und Wissenschaftsfreiheit. Polemiken werfen dem Film zahlreiche Recherchefehler und teilweise auch absichtliche Geschichtsfälschung vor. Die dem Film zugrundeliegenden Thesen des Heß-Buches von Martin Allen beruhen auf gefälschten Papieren im britischen Nationalarchiv (Ernst Haiger, Fiction, Facts and Forgeries: The "Revelations" of Peter and Martin Allen about the History of the Second World War. - In: The Journal of Intelligence History Vol. 6 No. 1 (Sommer 2006 [erschienen 2007]), S. 105-117). Haiger selbst kann für diese Behauptung keinen Nachweis führen – im Gegenteil: Einige der Schlüsseldokumente wurden – ohne Kenntnis des britischen Autors – schon Jahre vor der Publikation Martin Allens in Deutschland veröffentlicht (Gellermann, Geheime Wege zum Frieden mit England. Ausgewählte Initiativen zur Beendigung des Krieges 1940/42). Die Forschung ist überwiegend der Ansicht, dass Heß nicht im Auftrag oder mit Wissen Hitlers seinen Flug unternommen habe, ohne allerdings dafür je einen Belg vorweisen zu können. So vertritt etwa Ian Kershaw in seiner Hitlerbiographie die These, dass Hitler vom Schottlandflug seines Stellvertreters Rudolf Heß völlig überrascht wurde. Für die Behauptung, Heß sei im Auftrag Hitlers nach Schottland geflogen, werden im Film keine stichhaltigen Beweise, sondern lediglich Indizien, geliefert. Hingegen sind an der alliierten Version des "Selbstmordes" durchaus Zweifel berechtigt, die unter Anderem durch das Gutachten des im Film interviewten Zweitobduzenten Prof. Dr. Spann (LMU München) gestützt werden, da der englische Erstobduzent wichtige Details wie die konkrete Auffindsituation nicht angegeben hat und auch mehrere Auffälligkeiten an der Leiche nicht erwähnte. Zwar werden in "Geheimakte Heß" einige fragwürdige Hypothesen aufgestellt, doch wurde hier verglichen mit bisherigen Dokumentationen erstmals ausführlich über diesen medizinisch-forensischen Sachverhalt berichtet, während z. B. in dem am 22.09.2007 um 20.15 Uhr vom Sender PHOENIX gezeigte Film "Hitlers Stellvertreter (2/2)" die genaue Kritik von Prof. Dr. Spann nicht wiedergegeben wurde. Stattdessen durfte Prof. Dr. Rothschild (Rechtsmedizin, Universität Köln) im Interview feststellen, dass Spanns Gutachten nur von eingeschränktem Wert sei, da die konkrete Auffindsituation nicht angegeben wurde. Dies ist zwar richtig, doch wird in der PHOENIX-Doku verschwiegen, dass dies aufgrund der ungenauen Vorgehensweise des englischen Erstobduzenten Cameron der Fall war und gerade in Spanns Gutachten scharf kritisiert wird. Spanns Feststellungen über den bei typischem Erhängen unmöglichen und selbst bei Formen des atypischen Erhängens äußerst seltenen Verlauf der Strangmarken am Hals der Leiche von Rudolf Hess bleiben jedoch unwiderlegt, widersprechen aber in jedem Fall den offiziellen Versionen. Im Film "Geheimakte Heß" wird dieser Sachverhalt ausführlich erläutert.
Literatur
- Rainer F. Schmidt: Rudolf Hess - "Botengang eines Toren?". Der Flug nach Großbritannien vom 10. Mai 1941. Düsseldorf: ECON, 1997. ISBN 3-430-18016-3
Weblinks
- Albrecht Kolthoff: Braunes Merchandising auf telepolis
- Homepage von Prof. Dr. Rainer F. Schmidt am Institut für Geschichte der Universität Würzburg