Nacktheit

Als Nacktheit bezeichnet man die Kleidungslosigkeit bzw. Haarlosigkeit von Menschen und Tieren, sowie die damit verbundene subjektive Empfindung. Nacktheit als Empfindung kann auf dem Fehlen von Kleidung oder Haaren beruhen, kann sich aber auch einstellen, wenn gewohnheitsmäßig am Körper getragene Gegenstände fehlen (Schmuckstücke, Armbanduhr, Make-Up).
Im übertragenen Sinn und in psychologischer Bedeutung kann Nacktheit auch ein Bild für Schutzlosigkeit sein.
In verschiedenen Kulturen hat die Nacktheit einen unterschiedlichen Stellenwert. So gehört die Bedeckung des Körpers häufig zur kulturellen Norm in einer Gesellschaft. Das Verständnis dieser Norm unterliegt Schwankungen und ist auch veränderbar.
Eng verbunden mit der Nacktheit ist das Gefühl der Scham, die dabei allerdings unterschiedliche Schwellenwerte haben kann. So gibt es Naturvölker, denen eine Schnur in der Lendengegend ausreicht, um sich 'bedeckt' zu fühlen. Ohne diese Schnur fühlen sie sich jedoch nackt. Dem gegenüber ist ein anderes Extrem die Verwendung des Tschadors, ein Ganzkörper-Schleier, beispielsweise in sehr strengen muslimischen Gegenden. Durch die kulturelle Überlieferung ist in solchen Kulturen eine Art Wettbewerb zur Vermeidung der Nacktheit entstanden. Ziel ist dabei die Überwindung der Triebgefühle, wodurch das Ansehen gestärkt wird. Schon der Anblick des Gesichtes oder des Haars einer Frau kann im Extrem als deren Nacktheit empfunden werden.
Menschen, die Nacktheit betrachten, erleben oft ein Gefühl der sexuellen Anregung und/oder ebenso auch der Scham. Auch hier gibt es Schwellenwerte, die sehr unterschiedlich sein können. So tritt die Anregung/Scham nicht mehr so stark in einer Umgebung auf, in der Menschen sich allgemein wenig bekleiden. Umgekehrt reicht in sehr strengen Kulturen schon eine geringere Blöße, wie beispielsweise nackte Arme, um ein solches Gefühl zu provozieren.
Ein Abriss der Kulturgeschichte der Nacktheit
Griechische Antike
Hier waren es zum Beispiel die Kyniker, die Bedürfnislosigkeit bei gleichzeitiger Ablehnung materieller Güter lehrten. Vorurteile sowie Scham vor als natürlich empfundenen Gegebenheiten wie Nacktheit wurden verworfen.
Altes Testament und heutige Auslegung
In der biblischen Schöpfungsgeschichte ist die Nacktheit ein Symbol für Naivität, Ungezwungenheit und Unbewusstheit. Erst nachdem Adam und Eva eine Frucht vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten (Sündenfall), wurde ihnen ihre Nacktheit bewusst. Die Scham wird in einigen Konfessionen theologisch als Folge dieser Erkenntnis betrachtet.
Im weiteren Verlauf bleibt Nacktheit im Alten Testament ein Zeichen der Schande, wird aber auch immer wieder zum prophetischen Zeichen.
Christentum
In der christlichen Geschichte gab es immer wieder unterschiedliche Auslegungen, wie mit Nacktheit umzugehen sei. Dabei herrscht eine Tendenz zur Bekleidung vor (die dann jedoch wieder unterschiedlich ausgelegt werden kann). Auch im Christentum spielt die Überwindung des Triebes eine Rolle. Die heute verbreitete katholische Sexualmoral, und mit ihr die Nacktheit, hatte jedoch nicht immer den Stellenwert, der ihr heute beigemessen wird. Teilweise galt auch im Christentum ein Schleier als achtenswert.
Im Gegensatz dazu findet sich Nacktheit in der christlichen Kunst sehr häufig, sowohl bei der Darstellung von Engeln als auch von biblischen Figuren und Heiligen.
Im hinduistischen Jainismus gibt es seit ältesten Zeiten Digambaras genannte Mönche, die vollständig nackt unter Menschen leben.
Idealistische Bewegungen seit dem 19. Jahrhundert
- In der Frauenbewegung, die sich gegen die männliche Dominanz in einer patriarchalen Gesellschaft wendet, wurde Nacktheit (von Frauen) teils als vorbildlich, teils als verwerflich bewertet.
- Die Freikörperkultur versuchte ab Beginn des 20. Jahrhunderts, aus engen, unhygienischen und teilweise unwürdigen Lebensbedingungen, die durch die Industrialisierung entstanden waren, auszubrechen: man traf sich in der Natur und war gemeinsam nackt. Es wurden Vereine und Bäder gegründet, in denen man klassenlos zusammen war, sich duzte und versuchte, sich gesund zu ernähren.
- In den 1960ern, in denen die sexuelle Revolution und die Erfindung Antibabypille aufkamen, war die Nacktheit ein Symbol für die Befreiung von Fesseln der Konvention und etablierte sich so als Form des Protestes.
- In den 1980er Jahren entstand in Deutschland die PorNO-Kampagne, die sich gegen Ausnutzung des weiblichen Körpers durch Männer richtete. Hier ging es hauptsächlich um sexualisierte und gewaltvolle Nacktheit (Pornografie) - weniger um die Nacktheit an sich.
Nacktheit in der Kunst
Schon steinzeitliche Idole lassen Geschlechtsmerkmale und Nacktheit erkennen. An die ideale Nacktheit der Griechischen Antike knüpfte die Kunst der Renaissance an, z.B. Michelangelo, der sich nicht scheute, auch die Heiligen oder den gekreuzigten oder auferstandenen Christus als Akt darzustellen. Eine neuere Form künstlerischer Nacktheit ist die Aktfotografie. Auch in anderen Künsten ist Nacktheit immer wieder Thema, etwa im Theater, Film oder z.B. auch in der Literatur.
Siehe auch: Nacktheit (Topos)
Aktuelle Entwicklungen
Veränderungen in der Medienlandschaft (das Aufkommen des Privatfernsehens in Deutschland und später des Internets) erhöhten in den letzten Jahrzehnten die Verfügbarkeit von Darstellungen nackter Menschen und damit die gesellschaftliche Akzeptanz von Nacktheit. Dabei bedient sich die Konsum-Industrie eifrig des 'Kicks', der beim Überschreiten des Schamgefühls ausgelöst wird. "Sex sells" (frei: "Sex bringt Geld") heißt es - gemeint ist oft sexualisierte Nacktheit. Dadurch, dass eine Überschreitung nach einer gewissen Zeit zu einer Normalisierung führt, ist nicht abzusehen, wohin die Entwicklung führen wird. Der Trend der Liberalisierung setzt die Entwicklung in eine Richtung fort, die mit der sexuellen Revolution begonnen hat, aber jetzt mit einem stärker wirtschaftlichem Hintergrund.
Der gewandelte Schwellenwert trägt dazu bei, dass Nacktheit in der Öffentlichkeit häufiger zur Schau gestellt wird, beispielsweise in Parks von Großstädten oder an Badeseen. Eine Folge davon ist, dass die Bedeutung von Vereinen zur Pflege der Freikörperkultur zurück geht.
Teile der Gesellschaft widersetzen sich dem Liberalisierungsdruck, beispielsweise wertekonservative Gruppen sowie Migranten mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund. Dies führt zu Verwerfungen in der Gesellschaft hinsichtlich der Akzeptanz von Nacktheit.