Virales Marketing
Virales Marketing (auch Viral-Marketing oder manchmal Virus-Marketing, kurz VM) ist eine Marketingform, die existierende soziale Netzwerke ausnutzt, um Aufmerksamkeit auf Marken, Produkte oder Kampagnen zu lenken, indem Nachrichten sich epidemisch, wie ein Virus ausbreiten. Die Verbreitung der Nachrichten basiert damit letztlich auf Mundpropaganda, also der Kommunikation zwischen den Kunden oder Konsumenten.
Vor allem im Internet kann virale Verbreitung von Marketingbotschaften funktionieren. Ein besonders bekanntes Beispiel ist das kostenlose Werbespiel Moorhuhn, das ein Marketing-Instrument der Firma Johnnie Walker war. Das Spiel konnte auf der Internetseite der Firma kostenlos heruntergeladen werden und wurde zu einem absoluten Hit im Internet. (Es muss allerdings kritisch angemerkt werden, dass das Spiel sich zwar bemerkenswert weit verbreitet hat, ob bzw. in wie weit dies jedoch zu einer positiven Marketingwirkung für die Marke "Johnnie Walker" geführt hat, kann nicht beziffert werden.)
Weitere Beispiele sind der Film Blair Witch Project, der als Low-Budget-Produktion 1999 in die Kinos kam und ein großer Erfolg wurde. Der Erfolg beruhte darauf, dass es den Filmemachern gelang, für sehr viel Mundpropaganda im Internet, per E-Mail und auf Foren, zu sorgen. Ähnliche Methoden wurden auch von J. J. Abrams für sein Film-Projekt Cloverfield angewendet: es wurden viele Hinweise zur Vorgeschichte des Plots im Internet, u.a. im Sozialen Netzwerk MySpace verstreut. So wurde der Film noch vor seinem Start berühmt. Ebenso das Projekt Napster, eine Musik-Tauschbörse, die innerhalb kürzester Zeit 70 Millionen Nutzer vorweisen konnte. In letzter Zeit schafften auch manche Videos auf YouTube.com einen plötzlichen Aufstieg ins Rampenlicht.
All diese Projekte kamen häufig wie aus dem Nichts, bedienten sich keiner Unterstützung klassischer Werbemedien und funktionierten mit minimalem finanziellen Aufwand. Dennoch erreichten sie einen z. T. ganz erstaunlichen Werbe- und Verbreitungseffekt.
(Nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren auch witzig aufgemachte Werbe-Postkarten, die in Kneipen und anderen öffentlichen Orten (z. B. Universitäten) über Kartenständer verteilt werden und dann mit der Werbebotschaft an andere Menschen weiter verbreitet werden.)
Die Bezeichnung "virales Marketing" (oder Viral Marketing) ist insofern allerdings etwas irreführend, da in aller Regel ausschließlich die Verbreitung von Werbung gemeint ist, Werbung ist jedoch nur ein kleiner Teil von Marketing allgemein. Streng genommen dürfte man nur dann von viralem Marketing sprechen, wenn wirklich alle Aspekte der Marktbearbeitung, also die Distribution, die Preisgestaltung, die Werbung und die Produktausgestaltung, zur viralen Verbreitung beitragen. Dies ist in wenigen Fällen gegeben - Hotmail, Skype, XING, Bionade oder Spreadshirt sind Beispiele für wirklich virales Marketing. Hier hat die Gesamtausgestaltung von Angebot, Vertriebsweg und Kommunikation für eine extrem schnelle und effiziente Verbreitung gesorgt, und damit wirklichen Marketingerfolg sichergestellt.
Übertragungsarten
Die Übertragung von digitalen viralen Botschaften geschieht auf folgende drei Arten:
- Tell-A-Friend-Funktionen: Ausfüllen von Formularen auf dem Web, die die Information der Seite als E-Mails an die Empfänger (Freunde) schickt ("Artikel als E-Mail senden"). In den zugestellten Infos finden sich Weblinks.
- E-Mail: Die häufigste Verbreitungsart: Weiterleiten von E-Mails mit Witzen, Preisausschreiben, interessanten Bildern, Ton- und Filmclips oder Folienpräsentationen.
- Virale Effekte über Weblogs. Wenn viele Weblogbetreiber eine virale Botschaft aufnehmen und verbreiten, kann es ebenso zu einer schnellen Verbreitung im Netz kommen.
Eine häufig angewandte Methode zum Auslösen viraler Effekte sind außerdem Petitionen und sonstige Unterschriftensammlungen oder Wetten im Netz, die bestimmte Klickzahlen auf den beworbenen Internetseiten sicherstellen sollen. Insbesondere hinter Wetten stecken häufig klassische Werbeziele in Form von Bannerwerbung auf den entsprechenden Zielseiten. Bei manchen sich verbreitenden Inhalten handelt sich auch schlicht um die Maßnahmen Einzelner, die keine eigentlichen Marketingziele verfolgen.
Gezieltes Auslösen viraler Effekte
Um mit der eigenen Werbung ins Gespräch zu kommen, sollten drei wesentliche Elemente gegeben sein:
- Das richtige Kampagnengut
Das ist der Kern dieser Kampagnen. Das Kampagnengut dient als "Köder", sollte unterhaltsam, nützlich, neu, falls möglich kostenlos und/oder einzigartig sein. Nur wenn man den Menschen etwas bietet, dessen Weiterverbreitung sich lohnt, wird die Kampagne erfolgreich sein. - Die richtigen Rahmenbedingungen
Um eine schnelle Verbreitung zu gewährleisten, muss für ausreichend Verfügbarkeit, Serverkapazitäten, außerdem ggf. Presseunterstützung gesorgt werden. - Weiterempfehlungsanreize
Man kann die Konsumenten ggf. für die "Empfehlungsarbeit" belohnen; beispielsweise durch Gutscheine, Prämien oder Preisausschreiben.
Wissenschaftliche Grundlage
Ein wissenschaftlicher Erklärungsansatz für Funktionsweise und Erfolg des Verfahrens bietet sich im Rahmen der Memetik: Eine virale Werbekampagne bildet eine Gruppe von Ideen oder Gedanken (Memen), die sich wechselseitig bei ihrer Replikation und Weiterverbreitung innerhalb der Gesellschaft unterstützen, einen so genannten Memplex. Es wird ein Mechanismus geschaffen, der allein auf Grund seiner Form für die Verbreitung einer Botschaft sorgt, indem jeder Empfänger zur Weitergabe angeregt wird. Der Verbreitungserfolg ist dabei unabhängig von dem tatsächlichen Wert oder Wahrheitsgehalt der verbreiteten Information.
Probleme der Viralen Werbung
Häufig als "die" neue Waffe für die Markenkommunikation gepriesen sind im Zusammenhang mit viralem Marketing eine Reihe von Faktoren, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden können:
- Bei der viralen Werbung liegt der Fokus eindeutig auf dem unterhaltsamen Inhalt. Die Marke kann dadurch leicht in den Hintergrund rücken, weil die Geschichte nur um ihrer selbst willen verbreitet wird und nicht die Werte der Marke transportiert (siehe Beispiel Moorhuhn).
- Häufig wird die virale Werbung in ihrer Effektivität mit Mundpropaganda gleichgesetzt. Dies ist jedoch eine zu starke Vereinfachung: Mundpropaganda ist deswegen sehr wirksam, weil sie Kaufempfehlungen von neutraler Seite bietet, d.h. sie hilft potenziellen Käufern dabei, gut informierte Kaufentscheidungen zu treffen. Virale Werbung ist und bleibt Werbung im eigentlichen Sinne, die sich zwar durch die Empfehlungen des Publikums ausbreitet, die jedoch nicht dieselbe Wirkung auf den Absatz wie Mundpropaganda haben kann. Denn wer eine unterhaltsame Werbung weiterleitet, empfiehlt noch lange nicht das entsprechende Produkt. Welche Absatzwirkung sie hat, hängt allein davon ab, wie gut sie ganz klassisch als Werbung funktioniert. (Siehe auch oben - Unterschied zwischen viraler Werbung und viralem Marketing)
- Oft wird erklärt, virale Werbung verbreite sich ganz von selbst und exponentiell. Das mag in den Anfangstagen des World Wide Web häufig noch so gewesen sein. Heute muss man aber konstatieren, dass man neben einer sehr aufmerksamkeitsstarken Botschaft üblicherweise auch Geld und Zeit in die Verbreitung der Werbung investieren muss. Die Spots und Games, die sich von selbst wie das sprichwörtliche Lauffeuer verbreiten, sind heute äußerst rar und in vielen Fällen Zufallstreffer.
- Des Weiteren muss immer beachtet werden, dass der jeweilige Sender die virale Marketingbotschaft mit einer eigenen Tendenz oder Sichtweise versehen kann. Diese muss nicht immer der ursprünglich intendierten entsprechen, sondern kann gegenläufig sein oder, wie im 1. Punkt geschildert, das eigentliche Produkt vom Marketingprodukt abkoppeln.
- Schließlich ist der Erfolg von viraler Werbung deutlich weniger berechenbar als der herrkömmlicher Werbung, was ein nicht unerhebliches Risiko birgt.
Kritik an viraler Werbung
Ein wichtiger Faktor viraler Werbung ist es, dass sie vom Rezipienten nicht als klassische Werbung wahrgenommen wird bzw. wahrgenommen werden soll. Das Produkt oder eine Werbebotschaft wird in verschlüsselter Form in ein bestehendes Medium integriert oder es wird speziell hierfür entwickelt.
In klassischen Medien wie Zeitungen sowie im Radio und Fernsehen werden hierzu professionell erstellte Beiträge geschaltet, die vom Verbraucher aber meist als redaktionell betreut wahrgenommen werden. Beispielsweise kann das im Kontext eines Beitrags die Empfehlung oder Nennung eines Produkts sein (z. B. das Medikament eines spezifischen Herstellers im Rahmen eines Beitrags zu einem Gesundheitsthema), auch Product Placement genannt, aber es erfolgt kein Hinweis auf den Werbecharakter des jeweiligen Beitrags.
Oft werden Beiträge auch kostenfrei von Agenturen angeboten und anschließend im Umfeld redaktionell betreuter Beiträge eines Mediums platziert. Hierbei besteht die Gefahr, dass das Medium nicht mehr als objektiv betrachtet wird oder der Eindruck von Schleichwerbung entstehen kann, wenn die Werbung nicht als solche gekennzeichnet wird. Ein Beispiel hierfür kann die Nennung der Neuveröffentlichung eines Musikalbums (eines speziellen Musiklabels) im Rahmen einer Nachrichtensendung sein, wenn hierdurch direkt oder indirekt ein geldwerter Vorteil für das Nachrichtenmedium entsteht.
Beide zuvor genannten Beispiele sind insofern problematisch, da sich in Deutschland die Presse bzw. die Medien im Pressekodex (Ziffer 7) zur Trennung von Werbung und Redaktion verpflichtet haben; auch wenn Product Placement – anders als Schleichwerbung – generell nicht verboten ist.
Eine andere Gefahr viraler Werbung besteht darin, Produkte im Rahmen von Kampagnen zu bewerben, die den Anschein erwecken, selbst nichts mit einer Marke oder einem Produkt zu tun zu haben; beispielsweise werden Informationen über fiktive Gegebenheiten oder Personen gestreut und im Rahmen dieser Informationen wird die Werbebotschaft oder das Produkt platziert. Beispiele hierfür sind privat anmutende Videobeiträge auf Internet-Plattformen, Reportagen in Medien, die nicht als Werbung gekennzeichnet sind, die aber einen unabhängigen objektiven Charakter vermitteln.
Eine besondere Form viraler Werbung ist der gezielte Missbrauch von Medien, beispielsweise von Online-Enzyklopädien. Hierzu werden bestehende Artikel anonym durch Agenturen oder von Dritten so manipuliert, dass deren Neutralität nicht mehr gewahrt ist. Auf der anderen Seite können aber auch Informationen verbreitet werden, beispielsweise neue Artikel zu fiktiven Personen und Gegebenheiten erstellt werden, die so nicht existieren oder existiert haben; sie werden somit ungewollt zu Transportmedien für Werbung. Beispiele hierfür sind u. a. ein deutscher Telekommunikationsanbieter und eine deutsche Baumarktkette, die Informationen zu fiktiven Personen ("Chad Kroski" [1], "Ron Hammer" [2]) verbreiteten, die Teil einer Werbekampagne waren, die anfangs nicht als solche zu erkennen war.
Abgrenzend hierzu existieren Werbemaßnahmen, die ebenfalls einen viralen Charakter besitzen können. Ein Beispiel sind Weiterbildungsmaßnahmen, bei denen ein "Sponsoring" durch ein Unternehmen oder eine Branche erfolgt. In Deutschland sind Ärzte beispielsweise dazu verpflichtet, regelmäßig an qualifizierenden Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen. Hierbei wird die Weiterbildungsmaßnahme in einigen Fällen, kostenneutral für den Arzt, von Unternehmen der Pharmaindustrie finanziert[3]. Wird im Rahmen der Weiterbildungsmaßnahme nun eine gezielte Produktwerbung betrieben, die eingebettet in der Qualifizierungsmaßnahme nicht als solche zu erkennen ist, kann auch hier von viralem Marketing gesprochen werden.
Auswertung viraler Kampagnen
Bei der Auswertung viraler Kampagnen wird ein anderer Ansatz als beispielsweise bei der klassischen Bannerwerbung verfolgt. Es gilt nicht nur die reine Anzahl der Clicks oder Views eines viralen Containers zu beobachten, vielmehr muss dessen Verbreitung ausgewertet werden, um den wirklichen viralen Erfolg zu beurteilen.
Diese Auswertung kann qualitativ über die sogenannte SNA (Social Network Analysis) oder quantitativ über OVT (Online Viral Tracking) Systeme erfolgen.
SNA erfordert einen hohen Ressourceneinsatz, da hier insbesondere Foren, Blogs und Websites auf die Weiterleitung der Botschaft und ausgelöste Mundpropaganda untersucht werden. OVT hingegen bedient sich einer Mechanik, die weitestgehend automatisiert erfolgt und Zähleinträge in einer Datenbank produziert, welche z.B. Auswertungen über Herkunft der Viewer, Verbreitung des Containers und Abrufzeiten ermöglicht.
Literatur
- Gladwell, Malcolm: Der Tipping Point. Wie kleine Dinge Großes bewirken können, 2005, 315 Seiten
- Langner, Sascha: Viral Marketing - Wie Sie Mundpropaganda gezielt auslösen und Gewinn bringend nutzen, 2005, 205 Seiten
- Kirby, Justin/Marsden, Paul: Connected Marketing: The Viral, Buzz and Word of Mouth Revolution, 2005, 216 Seiten
- Rosen, Emanuel: The Anatomy of Buzz: How to Create Word of Mouth Marketing, 2005, 303 Seiten
- Godin, Seth: Unleashing the Ideavirus, 2001, 240 Seiten
- Holzapfel, Felix: "Kapitel: 15. Viral Marketing - Sekt oder Selters" aus dem Buch "Guerilla Marketing - Online, Mobile & Crossmedia"; Kostenlos als Weblog, E-Book & Podcast (Hörbuch); Köln 2006
Siehe auch
- Empfehlungsmarketing
- Guerilla-Marketing
- Long Tail (überproportionale Umsatzsteigerungen durch VM in diesem Segment)
Referenzen
- ↑ Wikipedia-Artikel zur Figur "Chad Kroski" (engl.)
- ↑ Bericht des Medienmagazins "Zapp" (NDR) zu viraler Werbung
- ↑ Pressebericht zum Beitrag des Magazins "Panorama" (ARD) über manipulierten Ärztefortbildungen
Weblinks
- Rayport, Jeffrey: The Virus of Marketing, 1996
- Wilson, Dr. Ralph F.: The Six Simple Principles of Viral Marketing, 2000
- Jurvetson, Steve; Draper, Tim : Viral Marketing, 1997
- Virales Marketing im schwäbischen Todesstern, Süddeutsche Zeitung, 22.08.2007
- Redaktioneller Artikel aus dem T3N Magazin (PDF)