Ex-Gay-Bewegung
Mit dem Ausdruck Ex-Gay-Bewegung (engl. ex-gay movement oder Exodus movement) wird eine Anzahl von Gruppierungen zusammengefasst, die der Meinung sind, eine Veränderung der homosexuellen Ausrichtung von Menschen sei erstens möglich und zweitens erstrebenswert und die dies mit Beratung und Öffentlichkeitsarbeit erreichen wollen. Ihre Motivation beruht auf der Ablehnung des in der Sexualwissenschaft, der Psychologie und der Psychiatrie allgemein akzeptierten Konzepts der sexuellen Orientierung und meist auf religiöser Überzeugung. Da die Bewegung vornehmlich von Evangelikalen getragen wird, ist sie vor allem in den Vereinigten Staaten verankert und findet in Europa nur vereinzelt Anhänger.
Unterschiedliche Sichtweise der sexuellen Orientierung
Generell sieht die Ex-Gay-Bewegung die Kategorien der sexuellen Orientierung konstruktivistisch, nicht als von Zeit und Kultur unabhängige "Gegebenheiten" sondern als soziologische Konstrukte aufgrund der aus der jeweiligen Kultur abgeleiteten Bedeutung der Sexualität. [1]
Sexuelle Orientierung wird, im Gegensatz zum Essentialismus nicht als eine von der Persönlichkeit nicht zu trennende Identität gesehen. Die Ex-Gay-Bewegung vertritt das Menschenbild des Neuen Testaments in der Auslegung der kirchlichen Tradition, wo Sexualität nie die Basis ist, um jemandes Identität zu definieren oder um im Leben Sinn und Erfüllung zu finden.[2]
Es wird differenziert zwischen gelegentlichen homoerotischen oder homosexuellen Empfindungen, Leuten mit konstanter homosexueller Orientierung, Leuten, die entgegen ihrer ethischen Grundsätze homosexuelle Praktiken realisieren, und Leuten, die offen einen schwulen Lebensstil praktizieren. [3]
Die Ursache für homosexuelle Orientierung wird oft in psychologische Einflüssen in der Kindheit gesehen oder in einer Kombination von Veranlagung und psychologischen Einflüssen. Während die homosexuelle Orientierung im Normalfall nicht als bewusst gewählt gesehen wird, enthalten homosexuellen Praktiken wie alle sexuellen Praktiken aus Sicht der Ex-Gay-Bewegung in der Regel auch eine Willenskomponente. Insbesondere bei Leuten, die einen Konflikt zwischen ihrer sexuellen Orientierung oder Praktik und ihren ethischen oder religiösen Grundsätzen erleben sieht die Ex-Gay-Bewegung eine Veränderung der sexuellen Orientierung als erstrebenswert.Einige Gruppen sehen auch die homosexuelle Orientierung an und für sich als nicht von Gott gewollt an, und manche sehen Homosexualität als eine psychologische Fehlentwicklung, die geheilt werden kann.[4]
Vertreter der Ex-Gay-Bewegung
Gruppen, die der Ex-Gay-Bewegung zuzuordnen sind, sind vornehmlich in den USA anzutreffen. Dazu gehören z. B. Exodus (evangelikal), Desert Stream Ministries, Courage International (römisch-katholisch), Evergreen International (Mormonen), JONAH (jüdisch) die neutrale Dachorganisation PATH und die wissenschaftlich ausgerichtete NARTH. Im deutschsprachigen Raum ist die Bewegung (der geringeren Akzeptanz von evangelikalen Standpunkten entsprechend) weniger weit verbreitet; es gibt nur wenige Gruppen und Organisationen: dazu zählen Wüstenstrom und die Offensive Junger Christen (besonders der ihr zugeordnete Arbeitsbereich, das Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft) und "Der Neue Weg" in der Schweiz.
Kritik
Diese von der Ex-Gay-Bewegung vertretene Sicht der Homosexualität wird jedoch von fast allen Medizinern, von den psychiatrischen und psychologischen Berufsverbänden sowie den Krankenkassen nicht geteilt. Dementsprechend wird im DSM-IV der American Psychiatric Association und in der Internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation Homosexualität nicht mehr als Störung erwähnt. Die Gruppen, die der Ex-Gay-Bewegung zugerechnet werden, halten diese Einordnung für unwissenschaftlich, weil sie der Ansicht sind, dass die Klassifikationen nicht aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen nach ensprechender Forschung, sondern durch einen politischen Prozess geändert wurden[5][6]
Durch die Ex-Gay-Bewegung wird die Entdeckung der tatsächlich vorhandenen sexuellen Orientierung eines Homosexuellen im Zuge des Coming Out, mit dem oft eine Veränderung des präferierten Geschlechts von Sexualpartnern einhergeht, als Beweis für die Variabilität der sexuellen Orientierung interpretiert. Nach den Erkenntnissen von Sexualwissenschaft und Psychologie handelt es sich dabei jedoch um eine schon immer vorhandene, latente Homosexualität, die zuvor durch rollenkonformes heterosexuelles Verhalten (nicht Empfinden) überdeckt wurde.
Die Positionen der Ex-Gay-Bewegung sind sehr umstritten, da sie gängige Annahmen und gefestigte Erkenntnisse über sexuelle Orientierung nicht teilen. Insbesondere Vertreter der Gay Affirmative Psychotherapy, aber auch die weltweit führenden psychiatrischen und psychologischen Fachverbände sehen in den „reparativen Therapien“ ein problematisches Vorgehen, da es in den Klienten Identitätskrisen und damit verbundene psychische Störungen (Depression, Suizidalität) induziere oder verschärfe. Damit würden diese Ansätze nicht nur nichts nützen, sie würden vielmehr den Klienten schaden.
Eine satirische Rezeption der Bewegung ist der Film „Weil ich ein Mädchen bin“ („But I'm a Cheerleader“) von Jamie Babbit (USA 1999).
Michael Busse und zwei weitere ehemalige führende Mitglieder von Exodus International, die die Organisation 1990 resp. 2000 verlassen haben, haben sich im Juli 2007 entschuldigt für den Schaden, den sie angerichtet haben. [7]
Ex-Ex-Gay
Mittlerweile gibt es auch das Phänomen von Menschen, die sich als „Ex-Ex-Gay“ betrachten, weil sie ehemals der Ex-Gay-Bewegung angehörten und diesen Weg für falsch erkannten; sie kritisieren deshalb die Thesen und das Vorgehen der „Ex-Gay-Bewegung“.
Vor allem evangelikale Schwule und Lesben werden von Ex-Ex-Gays vor Organisationen wie Wüstenstrom und OJC gewarnt („Gehirnwäsche-Methoden und Umpolungsversuche“). Hierzu sagt Günter Baum von Zwischenraum: „Auch Zwischenraum tritt für ein Recht auf Veränderung ein und zwar eine Veränderung hin zu einem Menschsein, das die von Gott gegebene sexuelle Orientierung in all seiner Vielfältigkeit und seinen Formen als lebenserfüllendes Geschenk begreift und integriert. Wir sind sehr dankbar, dass wir den Weg der Veränderung gehen und dabei erleben dürfen, wie wir durch das Annehmen unserer Sexualität und deren Integration in unser Menschsein unserer Berufung als Menschen ein Stück näher gekommen sind.“
Gründe für die Aussteiger der Ex-Gay-Bewegung nennt der Professor für Klinische Psychologie an der Universität Basel und Psychotherapeut Udo Rauchfleisch: „Die eigentliche sexuelle Orientierung mit den daran geknüpften Gefühlen, den erotischen und sexuellen Phantasien sowie den sozialen Präferenzen lässt sich nicht verändern. Die vielen Beispiele von gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen, die unter massivem Druck von außen eine Veränderung vorgenommen haben (d.h. angeblich ‚geheilt‘ waren) und über kurz oder lang wieder entsprechend ihrer ursprünglichen sexuellen Orientierung leben, legen ein beredtes Zeugnis für diese prinzipielle Unveränderbarkeit der sexuellen Orientierung ab. Häufig wird die Änderung im Sexualverhalten mit schweren Depressionen, zentralen Selbstwertproblemen und tiefer Verzweiflung erkauft und kann bis zum Suizid der betreffenden Menschen führen.“
Quellen
- Grundansichten von Wüstenstrom zur Homosexualität, http://www.wuestenstrom.de/index.dhtml
- Einen Überblick über die Methoden der Ex-Gay-Bewegung findet sich bei Jeffrey Satinover im Kapitel Christian Treatments, S. 196-209 in Homosexuality and the Politics of Truth
- Einen Überblick über den wissenschaftlichen Kenntnisstand zur Homosexualität und die Standpunkte der weltweit führenden wissenschaftlichen Organisationen (wie z. B. der American Psychiatric Association, der American Psychological Association (APA), der American Medical Association, der American Counseling Association und der American Federation of Teachers gibt zum Beispiel diese Website (Englisch).
- Kataolog von Fragen und Antworten der APA zum Thema Homosexualität auf ihrer Website (Englisch).
Einzelnachweise
- ↑ Jones und Yarhouse: The Controversy
- ↑ Richard B. Hays, The Moral Vision of the New Testament, p 390f
- ↑ Hempelmann, Liebt Gott Schwule und Lesben? S 110f
- ↑ Tanja Erzen, Straight to Jesus, p17]
- ↑ Charles W. Socarides, M.D., Sexual Politics and Scientific Logic: The Issue of Homosexuality, in: The Journal of Psychohistory 10, No. 3, New York - London 1992.
- ↑ Stellungnahme der DIJG S.3: „Das Ergebnis war nicht eine Entscheidung, die auf der Annäherung an wissenschaftliche Wahrheit, wie sie mit der Vernunft erfassbar ist, basierte, sondern auf den Forderungen eines ideologischen Klimas dieser Zeit.“, Zitat nach Homosexuality and American Psychiatry: The Politics of Diagnosis, New York 1981, S.3-4.
- ↑ gay,com
Literatur
- Stanton L. Jones und Mark A. Yarhouse: Ex-Gays: A longitudinal Study of Religiously Mediated Change in Sexual Orientation, 2007, IVP Academic, ISBN 978-0-8308-2846-3Kapitel 1 The Controversy
- Cohen, Richard: Coming Out Straight. (dt.: Ein anderes Coming Out. ISBN 3-7655-1219-2)
- Jack Drescher, Kenneth Zucker: Ex-Gay Research : Analyzing the Spitzer Study and Its Relation to Science, Religion, Politics and Culture, Haworth Press, 2006, ISBN 1-56023-557-8
- Tanya Erzen: Straight to Jesus: Sexual and Christian Conversions in the Ex-Gay Movement, 2006, ISBN 0-520-24582-2
- Mike Haley: Homosexualität, Fragen und Antworten. ISBN 3-89397-978-6
- Erwin J. Haeberle: Sexualität als sozialer Tatbestand (mit Rolf Gindorf), Gruyter, 1986, ISBN 3-11-010147-5
- Sexualitäten in unserer Gesellschaft (mit Rolf Gindorf), Gruyter, 1989, ISBN 3-11-011373-2
- Sexualwissenschaft und Sexualpolitik (mit Rolf Gindorf), Gruyter, 1992, ISBN 3-11-012246-4
- Bisexualitäten - Ideologie und Praxis des Sexualkontaktes mit beiden Geschlechtern (Herausgeber, mit R. Gindorf), Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, 1994 ISBN 3-437-11571-5
- Heinzpeter Hempelmann: Liebt Gott Schwule und Lesben? ISBN 3-417-24709-8
- Valeria Hinck:Streitfall Liebe. Biblische Plädoyers wider die Ausgrenzung homosexueller Menschen, Claudius Verlag 2003, ISBN 3-532-62293-9
- Alfred Munz, Gerard van den Aardweg: Selbsttherapie von Homosexualität. ISBN 3-7751-2469-1
- Jeffrey Satinover: Christian Treatments, S 196-209 in Homosexuality and the Politics of Truth, 1996, ISBN 0-8010-5625-X
- Ariel Shidlo, Michael Schroeder, Jack Drescher (Hrsg.): Sexual Conversion Therapy. Ethical, Clinical and Research Perspectives,, The Haworth Medical Press, New York usw. 2001, S. 204-208 (Anhang 2 zum Aufsatz von Jack Drescher: Ethical Concerns Raised When Patients Seek to Change Sam-Sex Attractions).
- Roland Werner: Homosexualität und Seelsorge. ISBN 3-87067-526-8
Weblinks
Ex-Gay
- Warren Throckmorton: Initial empirical and clinical findings concerning the change process for ex-gays. Professional Psychology: Research and Practice, 33, 242-248 Metastudie über Studien bezüglich Ex-Gay Bewegung (englisch)
- „US-Organisation "Exodus" setzt auf Umerziehung: "Man muss das Schwulsein in den Griff bekommen"“ Bericht des ARD-Weltspiegel am 12. August 2007
- "Grotesk" - Ex-Gay-Literatur und die Wissenschaftler, auf die sie sich beruft. Dr. Valeria Hinck
- Living Waters (englisch)
- Christlicher Fundamentalismus. Umorientierungsversuche bei Homosexuellen. Ralph Gebhardt, 2003, Schwule im Gesundheitswesen e.V.
- Analyse und Kritik der Ex-Gay-Bewegung Jens Lang auf der Seite der Lesbischen und Schwulen Basiskirche Basel
- Kritischer Bericht über Ablösung Günter Baums als Vereinsvorsitzender
- Positionserklärung der APA (American Psychiatric Association) zu Konversions-Therapien
- Southern Poverty Law Center: Straight Like Me. 'Ex-Gay' Movement Making Strides
Ex-Ex-Gay
- http://hannover.gay-web.de/archiv/usa2410.shtml
- http://www.zwischenraum.net – Selbsthilfe evangelikaler Lesben und Schwulen