Zum Inhalt springen

Radikaler Konstruktivismus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 25. Januar 2005 um 23:03 Uhr durch Suspekt (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Der radikale Konstruktivismus ist eine interdisziplinäre Forschungsrichtung aus der Biologie, Psychologie, Philosophie, Mathematik, Kybernetik und Soziologie, findet aber auch empirische Anwendung in der Managementwissenschaft, Psychiatrie oder Literaturwissenschaft. In Deutschland wurde er vor allem durch Veröffentlichungen von Paul Watzlawick populär. Die wichtigsten Vertreter des Radikalen Konstruktivismus sind Ernst von Glasersfeld, Heinz von Foerster, Humberto Maturana und Francisco Varels.

Als erkenntnistheoretische Position steht die philosophische Position des Konstruktivismus für die Auffassung, dass wir die Wirklichkeit subjektiv "erfinden" (konstruieren) und nicht - wie nach realistischer Auffassung - objektiv "entdecken".

Grundlegend geht der radikale Konstruktivismus davon aus, dass all unser Wissen über die Welt durch unser Gehirn aus Sinneswahrnehmungen konstruiert und dass eine objektive Erkenntnis nicht möglich sei, sondern höchstens Intersubjektivität erreicht werden könne. Danach ist der Mensch auf die Daten, die ihm seine Sinnesorgane liefern, beschränkt, und jede Erkenntnis ist eine Konstruktion aus diesen Daten.

Im Konstruktivismus wird nicht etwa geleugnet, dass es eine Welt "dort draußen" gibt. Vielmehr wird betont, dass uns diese Welt nur via Beobachtung zugänglich ist, d.h. immer schon eine interpretierte Welt ist, über die wir uns nur kommunikativ verständigen/einigen können; es gibt also keine objektive Wirklichkeit, die dem menschlichen Erkenntnisvermögen zugänglich wäre.

Eine ethische Dimension des konstruktivistischen Weltbilds resultiert aus der Bedeutung der Verantwortung, die sich für jeden Einzelnen ergibt, wenn er zu der Einsicht gelangt, dass die Welt, wie er sie beobachtet, Resultat seiner Beobachtungsweise ist.


Abgrenzung

Der Konstruktivismus befindet sich somit im Gegensatz zum Induktivismus und zum Falsifikationismus, geht jedoch nicht so weit wie der Solipsismus.

Zwar entspricht der Prozess der Entwicklung neuer und besserer Theorien jenem, der im Rahmen des Falsifikationismus angenommen wird. Allerdings wird verneint, dass diese Theorien die Realität auch besser (oder überhaupt) beschreiben können. Als Kriterium für den Bestand von Theorien legt der Konstruktivismus vielmehr an, dass diese lediglich viabler (von via: der Weg, also eigentlich: gangbarer) oder passender sind als andere bzw. die gesehenen Probleme besser lösen. Aus dieser Viabiliät kann keine Schlussfolgerung über eine reale Welt abgeleitet werden, denn zahllose andere Schemata könnten genauso gut funktioniert haben.

Dem Instrumentalismus, der in großen Teilen davon ausgeht, Theorien entwickelten sich evolutionär und unpassende Modelle der Realität würden somit zwangsläufig von passenderen, näher an der Realität stehenden Vorstellungen von der Welt ersetzt, stellt der Konstruktivismus entgegen, dass die einzige Motivation, eine bestehende Theorie oder Weltvorstellung zu ändern, nur die Kollision mit der "wahren" Realität sein kann. Anpassung verlange jedoch lediglich, dass Reibungen und Kollisionen vermieden werden. Von einer Annäherung an eine objektive Realität kann also nicht gesprochen werden.

Der Relativismus sieht wissenschaftliche Paradigmen sogar als Sache des Glaubens an, die jeweils nur innerhalb einer bestimmten Wissenschafts-Kultur als wahr oder falsch gelten können.

Eine gegenüber diesem grundsätzlich erkenntnistheoretischen Standpunkt eingeschränkte Position vertritt der Sozialkonstruktivismus. Als konstruiert wird hier nur die Welt des Sozialen angenommen. Die objektive Welt der Natur bleibt weiterhin objektiv zu erkennen.

Der radikale Konstruktivismus ist nicht mit dem Erlanger Konstruktivismus zu verwechseln. Letzterer ist eine aus der mathematischen Logik heraus entstandene Wissenschaftstheorie. Weitere Spielarten des Radikalen Konstruktivismus sind:


Geschichte

1970 veröffentlicht der chilenische Physiologie-Professor Humberto R. Maturana den Forschungsbericht Biology of Cognition, in dem er eine durch biologische Studien fundierte Theorie der Wahrnehmung vorstellt, welche sich an die damals noch recht junge Kybernetik anlehnt.

In den Jahren nach der Veröffentlichung wurde diese Theorie von anderen Denkern wie Francisco Varela, Heinz von Foerster, Ernst von Glasersfeld und anderen aufgegriffen und zum radikalen Konstruktivismus weitergeführt. Der bekannteste Vertreter in Deutschland ist der Neurobiologe Gerhard Roth.


Kritik

Von Kritikern wird häufig angeführt, dass der radikale Kontruktivismus sich selbst widersprechen würde. Zum einen lehne er eine objektive Erkenntnis im Sinne des Positivismus ab, zum anderen würden aber genau solche Erkenntnisse zum Beweis der Theorie angeführt. Weiterhin wird kritisiert, dass nach dem radikalen Kontruktivismus keine wissenschaftliche Erkenntnis mehr möglich sei, da der Mensch die Wirklichkeit nicht direkt wahrnehmen könne.

Viel häufiger ist der Begriff radikaler Kontruktivismus Gegenstand der Kritik. Unter anderem führte dies bereits zu einer Umbenennung "benachbarter" Theorien, wie dies etwa Peter Janich beim methodischen Kulturalismus Ende der 1990er vollführte. Kritiker werfen den Vertretern des radikalen Kontruktivismus vor, sie würden nur alte Erkenntnisse nehmen und diese in einem modernen Gewand neu verpacken. Insbesondere in der Philosophie seien die gedanklichen Figuren des radikalen Konstruktivismus schon seit langem in der Diskussion.



Siehe auch