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Neue Linke

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Die Neue Linke ist ein Sammelbegriff für verschiedene Einzelpersonen, Gruppen, Parteien und politische Bewegungen vor allem in Westeuropa und Nordamerika, die seit Mitte / Ende der 1960er Jahre teilweise unterschiedliche Sozialismus- und Kommunismuskonzepte mit auch revolutionärem Anspruch vertraten und vertreten. Die Neue Linke grenzt sich bei allen Unterschieden zwischen ihren Anhängern von den etablierten linken Gruppen, sowohl der (etablierten) Sozialdemokratie als auch dem "orthodoxen Marxismus" osteuropäischer Prägung ab.

Dabei berufen sich große Teile der Neuen Linken durchaus auch auf ältere, teilweise auch vorstalinistische kommunistische Theorien und Konzepte, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Rolle spielten, aber in Folge der stalinistischen Politik der KPdSU, vor allem zwischen 1924 und 1954, unterdrückt oder historisch nur kurze Zeit zum Zuge gekommen waren. Dazu gehören das etwa von Rosa Luxemburg vertretene Konzept einer sozialistischen Rätedemokratie oder die auf Leo Trotzki fußende kommunistische Ideologie des Trotzkismus. Inhaltliche Vorstellungen der Neuen Linken reichen bis hin zu anarchistischen Gesellschaftsentwürfen (vgl. Anarchismus). Andere Gruppen, darunter auch die deutschen K-Gruppen stehen der Entwicklung der Sowjetunion nach 1956 kritisch gegenüber, deren Politik sie als "revisionistisch" ablehnen. Sie beziehen sich auf den Maoismus, den Stalinismus oder verwandete Konzepte.

In den späten 1960er Jahren übten auf intellektueller Ebene insbesondere in der Studentenbewegung die Philosophien von Theodor Wiesengrund Adorno, Herbert Marcuse, Jürgen Habermas, Ernst Bloch oder des Vertreters des französischen Existentialismus Jean-Paul Sartre und anderen einen wichtigen Einfluss auf die Neue Linke aus (vgl. auch Kritische Theorie und Frankfurter Schule).

Wurzeln und Entstehung der Neuen Linken

Die Neue Linke entwickelte sich aus der Außerparlamentarischen Opposition der Studentenbewegung (auch 68er-Bewegung genannt) Mitte bis Ende der 1960er Jahre insbesondere in den Industriestaaten des politischen Westens, vor allem in Westeuropa und Nordamerika. Ihre Protagonisten waren eher selten in der traditionellen Arbeiterbewegung verwurzelt, sondern kamen zunächst vor allem aus dem bürgerlich-intellektuellen Milieu der Mittelschichten. Versuche einiger Gruppen der Neuen Linken, in den Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung durch Agitation in verschiedenen Industriebetrieben Fuß zu fassen, waren, von einigen Ausnahmen abgesehen, insgesamt wenig erfolgreich.

Eine relativ bedeutende Ausnahme bildeten die Pariser Maiunruhen in Frankreich 1968, bei denen es den aufständischen Studenten zeitweilig gelang, sich mit den linken Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung zu verbünden, was zu einer beinahe revolutionären Situation in Paris und in deren Gefolge mit Massenstreiks im ganzen Land zu einer Staatskrise eskaliert war, die unter anderem auch die Verweigerung der Wiedereinreise des deutsch-französischen Studentenführers Daniel Cohn-Bendit aus Westdeutschland durch den zur Intervention veranlassten französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle zur Folge hatte.

Einen anhaltenderen Einfluss hatte die Neue Linke in den studentischen Vertretungen der Universitäten und seit den 1970er Jahren bis in die Gegenwart in den Neuen sozialen Bewegungen.

Spektren und Erscheinungsformen der deutschen Neuen Linken: APO, Spontis, K-Gruppen, Autonome, Grüne

Gelegentlich wird die Neue Linke auch "undogmatische Linke" und "antiautoritäre" oder "demokratische Linke" genannt. Dieser Bezeichnung scheint allerdings die Tendenz einiger in den frühen 1970er Jahren gegründeter kleiner kommunistischer Parteien und parteiähnlicher Gruppierungen zu ideologischen Grabenkämpfen untereinander zu widersprechen. Entsprechende auch K-Gruppen genannte Splitterparteien vor allem aus dem trotzkistischen und maoistischen Spektrum zeichneten sich für viele Außenstehende durchaus durch manchmal dogmatisch verhärtete Positionen aus, die oft zu Spaltungen, Neugründungen, Umbenennungen, Fusionen einzelner Flügel unterschiedlicher Parteien und anderen organisatorischen Veränderungen dieser Parteien zumindest bis in die späten 1980er Jahre führten.

Beispiele für entsprechende Gruppen in Westdeutschland bis 1990 bildeten etwa die der Neuen Linken zugerechneten Parteien Kommunistischer Bund, die Gruppe Internationale Marxisten (GIM) oder die Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML) und andere, die sich ihrerseits wiederum gemeinsam von "altlinken" ebenfalls kleinen Parteien wie der DKP oder stalinistischen Parteien abgrenzten. Bis Ende der 1990er Jahre war die Vereinigte Sozialistische Partei (VSP), hervorgegangen aus der Fusion von GIM und KPD/ML eine der Hauptvertreterinnen der Neuen Linken unter den entsprechenden Parteien. In der Gegenwart sind es beispielsweise die aus der VSP hevorgegangenen trotzkistischen parteiähnlichen Gruppierungen Revolutionär Sozialistischer Bund und die internationale sozialistische linke, die jedoch beide nur eine marginale Bedeutung sowohl in der Neuen Linken als auch in der gesamten deutschen Parteienlandschaft haben.

Die Bezeichnung "undogmatisch" gilt vielen als eher zutreffend für Gruppierungen der Neuen Linken, die sich nicht in Parteien oder Organisationen sammelten und sich auch nicht einer eindeutig eingrenzbaren bestimmten kommunistischen oder sozialistischen Ideologie zuordnen lassen. Zu diesen Gruppen gehörten beispielsweise die Spontibewegung bzw. Spontiszene der späten 1960er und frühen 1970er Jahre. Vorreiter der Spontibewegung waren etwa Protagonisten wie Fritz Teufel, Dieter Kunzelmann, Rainer Langhans und andere aus dem Umfeld der Westberliner Kommune 1, die durch provokante und phantasievolle politische Happenings auf ihre gesellschaftskritischen Standpunkte aufmerksam machten. Aus der Spontiszene, der in den frühen 1970er Jahren zeitweilig auch der seit 1998 amtierende deutsche Bundesaußenminister Joseph Fischer angehörte, gingen die bis heute bestehenden Autonomen Gruppen hervor. Auch die dem linksterroristischen Spektrum zugeordneten in den späten 1970er und den 1980er Jahren aktiven Gruppierungen Revolutionäre Zellen (RZ) und deren feministischer Ableger, die Rote Zora zählen zur Reihe der undogmatischen Neuen Linken.

Vereinzelt werden auch einige prominente Anführer der linksterroristischen Bewegung 2. Juni und der Rote Armee Fraktion (RAF) zu den Neuen Linken gerechnet, hier beispielsweise Ulrike Meinhof, die sich Ende der 1960er Jahre als scharf analysierende, intelligente gesellschaftskritische Publizistin und linke Journalistin bei der Zeitschrift "Konkret" und anderen Veröffentlichungen einen Namen gemacht hatte, bevor sie sich Anfang der 1970er Jahre der RAF um Andreas Baader und anderen anschloss, wo sie zumindest in den Augen der öffentlichen Meinung das intellektuelle Haupt der Gruppe verkörperte.

Des Weiteren und vor allem gelten viele prominente und nicht prominente Aktivisten der 1968er Studentenbewegung als Vertreter der Neuen Linken, von denen nicht wenige der von Rudi Dutschke geprägten Parole vom "Marsch durch die Institutionen" folgten, um politische Veränderungen in ihrem Sinn über parlamentarische Beteiligung zu erreichen. Einige Protagonisten der Neuen Linken in der Bundesrepublik Deutschland gelangten, nachdem die Gründung verschiedener Kommunistischer Gruppen nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte, über andere, auch etablierte Parteien wie beispielsweise die SPD, dort oft über die Jungsozialisten, in die Parlamente.

Viele Anhänger der Neuen Linken, unter ihnen auch Dutschke selbst (kurz vor seinem Tod), schlossen sich seit Ende der 1970er Jahre der neu gegründeten Partei die Grünen an, die 1983 als damals neue parlamentarische Kraft mit dem basisdemokratischem Anspruch, parlamentarisches Spielbein der außerparlamentarischen sozialen Bewegungen (beispielsweise der Frauenbewegung, der Friedensbewegung oder der Ökologiebewegung) zu sein, auch in den Bundestag einziehen konnte. Die Neue Linke hatte bei den Grünen in den ersten Jahren ihres Bestehens eine starke Position inne. Nach verschiedenen Flügelkämpfen wurde diese Position innerhalb der Grünen, ab Anfang der 1990er Jahre Bündnis 90/Die Grünen, jedoch mit dem Austritt vieler auch prominenter Ökosozialisten wie Thomas Ebermann, Rainer Trampert oder Jutta Ditfurth bis 1991 wieder deutlich geschwächt zugunsten der realpolitischen, Kompromisse anstrebenden Fraktion in der Partei.

Seit 1990, nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung, versuchen einige insbesondere westdeutsche Anhänger der Neuen Linken, in der aus der ehemaligen Staatspartei der DDR, der SED hervorgegangenen Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), Fuß zu fassen. Sie rekrutieren sich beispielsweise aus einem Teil enttäuschter ehemaliger Anhänger und Mitglieder von "Bündnis 90/Die Grünen" oder auch aus ehemaligen K-Gruppen. Der baden-Württembergische Abgeordnete Winfried Wolf als ehemaliges Mitglied der "Gruppe Internationale Marxisten" und der VSP ist ein Beispiel für einen Vertreter der Neuen Linken, der von 1994 bis 2002 als Mitglied der PDS-Fraktion im undogmatischen linken Flügel der PDS im deutschen Bundestag vertreten war.

Im Ganzen verfügt die Neue Linke jedoch über keine gemeinsame Organisationsstruktur. Die Neue Linke streut sich gesellschaftsübergreifend auf viele verschiedene Gruppen und Bündnisse. Abgesehen von einigen gemeinsamen inhaltlichen Nennern und der politischen Etikettierung "links" ist sie eine sehr breit gefächerte gesellschaftspolitische Erscheinung, die von pluralistisch-demokratischen über marxistische, anarchistische bis zu militant-revolutionären Positionen reicht.

Inhaltliche und Aktionsschwerpunkte der Neuen Linken

Einer der gemeinsamen Nenner der Neuen Linken ist die inhaltliche Abgrenzung von den Systemen des bis Ende der 1980er / Anfang der 1990er Jahre bestehenden so genannten "Real existierenden Sozialismus", namentlich in den Staaten des europäischen Ostblocks, der von der Politik der Kommunistischen Partei der Sowjetunion dominiert wurde. Den dortigen Kommunistischen Regierungsparteien (vgl. Kommunistische Partei) wurde unter anderem die Degeneration des Kommunismus beispielsweise durch eine Überbürokratisierung und die Abschaffung des Rätesystems vorgeworfen.

In den 1960er und frühen 1970er Jahren war der Protest gegen den Vietnamkrieg, der von den USA auf der Seite Südvietnams in Südostasien gegen die nordvietnamesische Guerilla des Vietcong geführt wurde, eines der Schwerpunktthemen der Neuen Linken. Über den Protest gegen den Vietnamkrieg hinaus solidarisierte sich die Neue Linke mit linkssozialistischen und demokratischen Befreiungsbewegungen der so genannten "Dritten Welt" gegen rechtsdiktatorische, oft von den Industriestaaten gestützte Systeme. Sie warfen und werfen den Industrienationen Neokolonialismus und die wirtschaftliche und soziale Ausbeutung der Länder des Trikont vor.

Die Neue Linke unterstützte beispielsweise die Regierung der Unidad Popular unter dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende in Chile und verurteilte den von den USA unterstützten Putsch gegen Allende durch General Augusto Pinochet 1973. Des weiteren galten die Sympathien der Neuen Linken neben anderem etwa der sandinistischen Revolution in Nicaragua 1979. Viele Mitglieder der internationalen Brigaden, die zur Unterstützung der Revolution nach Nicaragua reisten und vor allem bei der Aufrechterhaltung der medizinischen und zivilen Infrastruktur des Landes tätig waren, waren Angehörige des Spektrums der Neuen Linken.

Gedacht als Unterstützung der revolutionären Bewegungen des Trikont bildeten sich im politischen Westen von einer Minderheit stärker radikalisierter militanter Vertreter der Neuen Linken ausgehend, einige linksterroristische Gruppierungen heraus, die aus dem illegalen Untergrund agierten. Zu ihnen gehörten etwa die "Rote Armee Fraktion" und die "Bewegung 2. Juni" in der Bundesrepublik Deutschland, "Rote Brigaden" in Italien oder die "Action Directe" in Frankreich. Sie wollten als Stadtguerilla den revolutionären Kampf in die Metropolen der Industriestaaten tragen, wobei sie auch Entführungsaktionen und Mordanschläge gegen führende Symbolfiguren aus Politik, Wirtschaft und Justiz planten und durchführten.

Wo die Neue Linke außenpolitisch Theorien eines sozialistischen Internationalismus und Antiimperialismus vertritt, tritt sie innenpolitisch in den jeweiligen Ländern, wo sie aktiv ist, für die Ausweitung demokratischer und bürgerlicher Rechte ein. Der Kampf gegen Rassismus sowie Solidaritätskampagnen für politisch und sozial benachteiligte Minderheiten, beispielsweise für Flüchtlinge und politisch Verfolgte gehörte und gehört ebenso zum politischen Aktionsrepertoire der Neuen Linken wie der Widerstand gegen das Aufkommen rechtsextremistischer und faschistischer Gruppen und Parteien (vgl. Antifa).

Die Neue Linke war und ist nach dem Abflauen der Studentenbewegungen Ende der 1960er Jahre stark beteiligt an den Aktivitäten der Neuen sozialen Bewegungen, insbesondere in der grundsätzlich antimilitaristischen Friedensbewegung, der antiimperialistischen Bewegung, bei den Atomkraftgegnern und anderen.

Siehe auch: