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Sozialer Raum

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Der Begriff des Sozialen Raums (siehe auch Soziales Feld) wurde von dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu geprägt und bildet das Fundament seiner Sozialstrukturanalyse.Die Verteilungsstrukturen des gesammtgesellschaftlichen und des individuellen Kapitals zeichnet Bourdieu in einem dreidimensionalem sozialen Raum nach.Die elementarsten Lebensbedingungen werden in einer Konstruktion eines sozialen Raums dargestellt. Bourdieu untersucht die Kapitalausstattung anhand von Merkmalen wie Beruf, Einkommen und Ausbildungsniveau als wichtigste Lebensbedingungen, erweitert durch sekundäre Merkmale wie Alter, Ethnie, Geschlecht, Nationalität.

Erweiterung der Klassen- und Schichtungstheorien

Bourdieu erweitert die üblichen vertikalen Klassen- und Schichtungstheorien um zwei weitere Dimensionen. Die soziale Position wird innerhalb des - durch die Dimensionen Kapitalvolumen, Kapitalstruktur und soziale Laufbahn - entfalteten sozialen Raums bestimmt.

Das Gesamtvolumen an aufwendbarem ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital bildet die vertikale Deminsion.

Die Kapitalstruktur wird auf der horizontalen Ebene dargestellt und spannt sich zwichen den Polen ökonomisches Kapital auf der rechten Seite und kulturelles Kapital auf der linken Seite auf. Das soziale Kapital bleibt bei der horizontalen Darstellung unberücksichtigt.

Die dritte Dimension bildet die zeitliche Entwicklung vergangener wie potentieller sozialer Laufbahnen ab. Diese Dimension zeigt an, wie bzw. ob sich die soziale Position eines Individums oder einer gesellschaftlichen Gruppe innerhalb eines bestimmten Zeitraumes in Bezug zum Kapitalvolumen und zur Kapitalstruktur verändert hat.

Bourdieu berücksichtigt dabei den Ausgangspunkt eines Lebenslaufs, die soziale Herkunft, den Umfang des in der Familie "erebten" Kapitals, auch in Form inkorporierten kulturellen Kapitals und die in den Habitus des Individums eingegangenen Dispositionen.


Konstruierte Klassen

In den sozialen Raum konstruiert Bourdieu objektive Klassen. Eine Klasse ist durch ähnliche Lebensbedingungen, ähnliche Merkmale, wie beispielsweise Geschmack, ihrer Angehörigen gekennzeichnet. Ein Klasseangehöriger ist durch die Beziehung aller relevanten Merkmale zueinander definiert.

Bourdieu spricht von wahrscheinlichen Klassen, die nicht mobilisierbar sind und kein Klassenbewußtsein haben müssen. Ererbtes Startkapital ermöglicht, je nach Klassenzugehörigkeit der Eltern, unterschiedlich wahrscheinliche Lebensläufe und Lebenschancen.

Im soziale Raum, als Topologie gedacht, lassen sich als konstruierte Klassen drei Gruppen sozialer Akteure abgrenzen: die obere, mittlere und untere Klasse. Es gibt dabei keine starren, glatten Grenzen, sondern fließende Übergänge.

Die untere Klasse wird nicht weiter unterteilt. Innerhalb der Mittelklasse unterscheidet Bourdieu das absteigende, das neue und das exekutive Kleinbürgertum. Die Oberklasse wird in eine dominante ökonomische und eine dominierte kulturelle Fraktion untergliedert. Diese beiden Klassenfraktionen liegen horizontal nebeneinander, sind durch eine gegensätzliche Verteilungsstruktur der Kapitalarten gekennzeichnet und tragen permanente Kämpfe um die Vormachtstellung in der Gesellschaft aus.

Dynamik des sozialen Raums

Die sozialen Positionen, die ein Individum innerhalb des sozialen Raumes inne hat, sind wandelbar und können in der schematischen Darstellung zu einer Ortsveränderung in horizontaler oder vertikaler Richtung führen. Vertikalverlagerungen beziehen sich auf eine Veränderung des Kapitalvolumens. Vertikalverlagerungen oder Transversalverlagerungen auf eine Transformation der Kapitalstruktur. Permanente Entwicklung von Investitionsstrategien in eine oder merhrere Kapitalarten sind zum Aufstieg oder der Vermeidung eines Abstiegs innerhalb der Sozialsruktur unabdingbar.

Die Wertigkeit der verschiedenen Kapitalarten wird an ihrem gesammtgesellschaftlichen Umfang und ihrem gegenwärtigen Tauschwert als Produkt gesellschaftlicher Auseinandersetzungen bemessen.Die permanenten Investitionsstrategien der Individuen und der ständige Wechsel von Wertigkeiten der Kapitalarten sowie der kreative Spielraum der Akteure konstituieren das dynamische Element des sozialen Raums und ermöglichen einen Auf- oder Abstieg des Einzelnen innerhalb des sozialen Gefüges.