Polynesische Sprachen
Die polynesischen Sprachen sind ein Zweig der austronesischen Sprachfamilie. Zur Geschichte siehe Die Geschichte Polynesiens.
Die Inselwelt des Stillen Ozeans, die geographisch unter dem Begriff Polynesien zusammengefasst wird, bildet eine sprachliche Einheit. Diese Einheit des Polynesischen drückt sich nicht durch eine einheitliche Sprache, sondern vielmehr durch einen einheitlichen Sprachtypus aus. Dieser ist gekennzeichnet durch eine weitgehende Vereinfachung des Lautbildes und der Syntax, gegenüber den anderen Zweigen des austronesischen Sprachstamms. Der Sprachtypus gliedert sich zudem in zwei größere Gruppen:
- die westliche Gruppe, zu der folgende Sprachen, Inseln und Stämme gehören: Fakaafo (Tokelau ? Inseln) Vaitupu (Lagunen? und Ellice ? Inseln), Samoa (Samoa und Schifferinseln), Futuna (nördlich der Fidjiinseln), Tonga, Uvea (Walsis ? Inseln).
- die östliche Gruppe zu der folgende Sprachen, Inseln und Stämme gehören: Maori, Neuseeländisch, Rarotonga, Mangea (Cook ? Inseln), Mangareva (Tubuai ? Inseln) Tahiti, Paumotu (Paumotu ? Inseln), Matesanisch, Hawaii, Rapanui (Osterinseln).
Innerhalb dieses Sprachtypus finden sich mannigfache Unterschiede zwischen den Idiomen der einzelnen Inselgruppen, die schon wiederholt zu dem Versuch einer Gruppierung der polynesischen Sprachen geführt haben. Die Beziehungen des Polynesischen zu den übrigen austronesischen Sprachgruppen haben gezeigt, dass sich einige Idiome der indonesischen Sprachen auch in den polynesischen wiederfindet.
Die im Tonganischen sehr lebendige Abschwächung des a > e vor i z.B. in fefine Frau, Fut. fafine, hat eine Parallele im Tionombo bebine ?Frau?. Auch im Muna wird a häufig zu e unter dem Einfluss eines folgenden i, z.B. tehi ?Meer?, Bare?e tahi; wewi ?Schwein? Tontemboan wawi. Der polynesische Lautwandel s > h ist in fast allen Sprachen Mittel ? Celebes als Tendenz vorhanden.
Einzelne polynesische Wörter, die ein t haben anstelle eines zu erwartenden s stellen Lehnwörter dar. Dieses sind aus Sprachen, die s regelmäßig zu t wandeln.
- ?Nabel?: Buol putodu / Tagalog pusod
- ?Ellenbogen?: Boul tiku / Malenesisch siku
- ?kahl?: Tonganisch tula / Malenesisch sulah
- ?Mund? Tonganisch gutu / Tagalol und Fidji ngusu
Das Tongaische
Die Tonganer zählen zu den ältesten Völkern Polynesiens, das sich schon in den Jahrhunderten vor der Zeitwende auf dem Tonga Archipel niedergelassen hatte. In der Vergangenheit unterhielten die Tonganer eine schlagfertige Kriegsflotte, die aus großen Doppelrumpfbooten mit bis zu Hundert Mann Besatzung bestand und zu Verteidigungs- und Eroberungszwecken diente. Damit wurde um etwa 600 n. Chr. das Tausend Kilometer entfernte Samoa erobert und rund vierhundert Jahre lang tributpflichtig gehalten. Auch andere Inseln wurden unterworfen, so dass die Tonganer zeitweise ein regelrechtes Imperium errichtet hatten.
Unter den polynesischen Sprachen verdient das Tongaische eine besondere Beachtung. Tonga liegt im melanesisch ? polynesischen Grenzgebiet. Dieses führt dazu, dass das Tongaische sich in einigen Punkten lautlicher und syntaktischer Art von den anderen polynesischen Sprachen unterscheidet und sich der Sprache der Fidji nähert. Diese Annährung an Fidji geht über die weitgehende Übereinstimmung zwischen dieser Sprache und dem Polynesischen hinaus und erklärt sich aus späteren Einwirkungen des Tongaischen auf Fidji. Eine derartige Beeinflussung liegt sicher vor, genügt aber noch nicht zur Erklärung älterer Sprachformen, die sich übereinstimmend in beiden Sprachen befinden.
Das Tongaische ist auch noch aus einem anderen Grunde heraus für die Entwicklungsgeschichte Polynesiens von belang. Die Tonganer betrieben eine rege Kolonialpolitik, in dessen Zuge die umliegenden Inseln besiedelt wurden. Daraus erklärt sich auch die große Übereinstimmung der Sprachen von Tonga und Uvea (wallis). Von Uvea wiederum wurde die Insel gleichen Namens in Melanesien bevölkert. Ob noch andere polynesische Sprachen in Melanesien Tonganischen Ursprungs sind, ist noch nicht entschieden. Sollte sich dieses herausstellen, so würden sich wichtige Anhaltspunkte für die Entwicklungsgeschichte des Tonganischen ergeben.
Das Tonganische gehört zu der ältesten feststellbaren Entwicklungsschicht des Polynesischen. Eine besondere Eigentümlichkeit den Tonanischen ist die Voranstellung eines h in mehreren Wörtern, denen in den übrigen polynesischen Sprachen die Entsprechung s bzw. h fehlt, was auf eine frühere Nasalverbindung zurückzuführen ist.
- ?hinauf?: Tg. hake / Uvea ake / Futuna ake, sake
- ?hinunter?: Tg. hifo / Uvea ifo / Niue hifo
- ?neun?: Tg. hiva / Uvea hiva / Futuna iva
- ?wieviel??: Tg. fiha / Niue fiha / Futuna fia
- ?Meer?: Tg. tahi / Uvea tai / Niue tahi
- ?schlafen?: Tg. mohe / Uvea moe / Niue mohe / Futuna moe / Tpmbulu mose
Niue hat wie das Tonganische den bestimmten Artikel he. Dagegen fehlt dem Uvea, das im Wortschatz fast ganz mit dem Tonganischen übereinstimmt, sowohl das erwähnte h als auch die Entsprechung für ein ursprüngliches indonesisches h. Als Artikel besitzt Uvea te. In all diesen Punkten stimmt die Sprache von Niue mit Uvea überein.
Sprachentwicklung
Nach der Entdeckung im Jahre 1616 durch den Holländer Jakob le Maire konnte Tonga durch geschicktes Taktieren seine Unabhängigkeit bis zum heutigen Tage bewahren, lediglich 1900 bis 1970 befand es sich unter britischem Protektorat. Heue wird Tonga von einer konstitutionellen Monarchie nach britischem Vorbild regiert.
In all dieser Zeit konnte die tonganische Kultur ihre Identität behalten, in die moderne Sprache jedoch fanden sich fremde Einflüsse, wie die des Englischen wieder.
Dieses zeigt sich am Beispiel eines mythologischen Textes, der in der jüngeren Zeit geschrieben wurde: koe taimi nae ogomai ae fefine ?zu jener Zeit hörte man von einer Frau? (taimi = engl. time)
Im Vergleich zu früheren Texten änderten sich nicht nur einzelne Worte, vielmehr glich sich das Tonganische in vielen Bereichen, wie etwa der Orthographie der englischen Sprache an. Im Zuge dieses Einflusses veränderte sich die Sprache, wie nachfolgende Beispiele zeigen:
?das Kind von wem ist dieses Mädchen??
- alt: coe tama ahái he fafine cóia?
- neu: koe tama ´ahai fafine kóia?
?es ist das Kind des matapule Fotu?
- alt: coe tana he mataboole co Fotoo
- neu: koe tana ´ae matapule ko Fotu
?laßt uns gehen ? wandern nach Liku?
- alt /neu: two alu fononga gi Licoo
?um zu sehenden Untergang der Sonne?
- alt: ger mamata he hifo he láa
- neu: ae hilfo pe laa
?laßt uns lauschen dem Zwitschern der Vögel?
- alt: two fonogo gi he maboo he manoo
- neu: kihe mapu ´ae manu
?und dem Klagen der Tauben?
- alt: me he tangi he loobe
- neu: moe tagi `ae lupe
Die Vernachlässigung der Attributpartikel findet man auch in jüngeren Texten, allerdings nicht so häufig. Im Niue, das mit dem Tongaischen den gleichen Artikel he ha, fällt der Attributpartikel regelmäßig aus. Dieses lässt vermuten, dass diese Partikel in der heutigen Umgangssprache vernachlässigt werden.
Personalpronomina im Tonganischen
Pronomen conjunctum Singular Dual Plural 1. Person u, ou, ku te (familiär) ma (excl.) ta (inkl.) mau (excl.) tau (inkl.) 2. Person ke mo mou 3. Person ne na nau
Pronomen absolutum Singular Dual Plural 1. Person au kita (familiär) kimaua (excl.) kitaua (inkl.) kimautolu (excl.) kitautolu (inkl.) 2. Person koe kimoua kimoutolu 3. Person ia kinaua kimautolu
Syntax
Während in der dt. Sprache neben dem deklinierbaren Nomen auch das konjugierbare Verb existiert sind solche engen Grenzen im Polynesischen nicht zu ziehen. Beispielsweise bedeutet das Wort poto aus dem Samoischen ?weise?, ?Weisheit? und ?weise sein? zu gleicher Zeit, so dass es je nach Verwendungszweck und Satzstellung sowohl als Substantiv, Adjektiv oder auch Verb einzuordnen ist. Das Polynesische ist keine flektierende Sprache, die durch Formen der Deklination und Konjugation die dargestellte Verhältnisse zum Ausdruck bringt, sondern sie selbstständig nebeneinander stehen lässt. Hier bei werden die Wortstämme nicht mit festen Formen verknüpft.
Artikel und Attribute
Als die wichtigsten adnominalen Bestimmungen gelten die Artikel und das Attribut. 1. Der Artikel der Tonganischen lautet he. Er findet sich jedoch stets mit einer anderen Partikel verbunden und erscheint so in den Formen ae,´ae, oe, ´ehe, ihe, kihe, koe, moe. Das h fällt somit fort nach a und o; nach e und i bleibt es hingegen erhalten. Als ?unabhängige? Form des Artikels erscheint in neueren Texten und Grammatiken ae (a + he), während in älteren Texten noch he steht. Wann und wozu das a zum Artikel hinzutrat, lässt sich noch nicht sagen. Wahrscheinlich ist es mit dem Personenartikel a identisch, der sich vor Eigennamen und Pronomina befindet. He (se) kommt in den übrigen polynesischen Sprachen als unbestimmter Artikel vor. Hierbei wurde s zu h. Als einzige Ausnahme ist nier Nimue anzuführen, welches wie das Tongaische he als bestimmten Artikel verwendet. Auch im Tonganischen dürfte der Artikel früher te gelautet haben. Dieses findet sich noch heute in den Präpositionen ia-te und kia-te wieder die vor Pronomina stehen.
Des weiteren findet sich der Artikel tt ist nacee auch vor Zahlwörtern wieder, z.B. te-au ?ein Hunderter?, te-kau ?ein Zwanziger?, te-fuhi ?ein Zehner?.
Die Formen he und te gehen zweifellos auf se zurück, was bei der auch sonst anzutreffenden Lautverschiebung s > t sehr wahrscheinlich ist. Abseits des polynesischen Sprachraums kommt te auf indonesischem Gebiet auf den Sunda ? Inseln vor, z.B. te lino ?die Erde?, te galung ?das Reisfeld?, tee tee ?der Regen?.
2. Der unbestimmte Artikel lautet in Tonganischen ha und wird zur Bezeichnung der Nicht-Wirklichkeit einer Sache benutzt.
3. he als Konjunktion ?denn, weil? ist möglicherweise ursprünglich mit dem Artikel identisch, indem es einen ganzen Satz (anstelle eines Wortes) substantivierte. Ein solcher Gebrauch des Artikels ist in indonesischen Sprachen häufig. Eine eindeutige Identität beider Partikel ist somit nicht mehr vorhanden, was auch die Übersetzung von he zu ?denn? rechtfertigt. Als typisch nominale Konstruktion hat das Attribut zu gelten, durch das ein Nomen definiert wird. Dieses geschieht im Tonganischen auf mehrfache Art.
Als die eigentlichen Attributzeichen werden die beiden Partikel ´a und o angesehen. Trotz einiger Ausnahmen findet ´a nur im Aktiv, o hingegen nur im Passiv seine Verwendung. Hierbei fällt zudem auf, dass ´a zur Bezeichnung des Agens und o zur Bezeichnung des Objektes Verwendung findet. Die Verwendung von Aktiv und Passiv zeigt sich beispielhaft an den Wort ?Eltern?. Hierin schließt sich das Tonganische den allgemein-austronesischen Sprachgebrauch an, nach dem jemand durch seinen Sohn Vater wird, wird doch der Vater nach dem Sohn ?Vater des N.N.? benannt.
So heißt es im Malaiischen:
- ?Mutter und Vater durch mich? Ibu bapa oleh saja
Die Zweiteilung des attributiven Bestimmung geht durch alle polynesischen Sprachen hindurch und lässt sich auch auf den indonesischen Gebiet nachweisen. Hier zeigt sich die im Polynesischen übliche doppelte Genitivkonstruktion, welches zur Bezeichnung des Besitzes, der Zugehörigkeit dient. Hierbei wird der Genitiv ohne Zusatz nachgestellt oder durch das Suffix ?na (?sein, ihr?) mit dem Wort verbunden.
- ?Trommelgeräusch? eli genda
- ?Kopfschmerzmittel? loi pili tuta
- ?die Größe des Baums? nae-na hadju ede
Dem Präfix ba ist im polynesischen eine besondere Bedeutung beizumessen. Einerseits stellt sich das Attribut des Agens als ein substantiviertes, transitives Verb da, andererseits steht es für dir Angabe von Verwandtschaftsbeziehungen.
- ?das Hören Gottes des Erhabenen? (=Gott hört) ringa ba Allah ta´ âla
- ?das Sehen Gottes des Erhabenen? (= Gott sieht) èda ba Allah ta´ âla
- ?das Antworten der alten Frau? ntjambe kai ba wei
- ?empfangen ist von uns? ra-tarima ba ndai-ta
- ?wir nehmen (es) (an)? ku-tarima weya-du ba bami dòho
- ?(er) ist unser Tötungsgegenstand durch uns? (= wir schlagen (ihn))
ku-lambora ba nami Bei der Angabe von Verwandtschaftsbeziehungen stellt sie das Präfix ba folgendermaßen dar:
- ?die Kinder des Zimmermanns? ana-na ba pande lima dou-n
- ?die Frau des alten Mannes? wei-na ba ompu
Wie im Vorfelde schon erwähnt, stellt das Tonganische eine unflektierte Sprache dar. Dieses zeigt sich daran, dass die adverbialen Bestimmungen mit dem Verbalstamm nicht zu einer Form verschmelzen, sondern neben den unveränderten Stamm gestellt werden. Die Bezeichnung der Zeit geschieht durch die so genannten ?Verbalpartikel?
Als solche gelten:
- Gegenwart: ´oku
- Vergangenheit: kuo, ne, na´a, na´e
- Zukunft: te, e
Hierbei steht das Wort ´oku für ?sein?, stellt also die Präsensform dar, wogegen die anderen Formen für seine Tempora stehen.
Die Verwendung der Verbalpartikel im Einzelsatz:
- ?Ich habe Lust, zum Himmel zu gehen, dass ich sehe nach meinem Vater?
kua u fie alu ki lagi, ke u mamala ki he eku tamai
- ?Wo werde ich finden meinen Vater?? te u ilo kihefe eku tamai
Beispiele, in denen die Verbalpartikel temporalen adverbialen Bestimmungen zu entsprechen scheinen:
- ?es ist Tag geworden? kua aho
- ?er ist bitter? kuo kono ia
- ?fünf waren ihre Knaben? na´e tokonima enau fanau tagata
Bei untergeordneten Sätzen wird `oku verwendet um die Gleichzeitigkeit der Handlungen auszudrücken:
- ?und er stieg hinab dort, während die Frau beim Fischfang war?
pea alu hifo ai, oku fai ae fagota ae fine motua
- ?und sie ruderten voran, während die Frau dort am Strande stand?
pea nau aalo atu akinautolu, oku tuu mai ae fefine ihe mata tahi
Schlussbetrachtung
Mit der Besiedlung des Pazifiks von Indonesien ausgehend eroberten die Polynesier einen ganz eigenen Raum für sich. In dessen Schoß ihre Sprache entwickelte sich die Sprache der Siedler weiter, doch bewahrte sie durch zahlreiche Kontakte der Polynesier untereinander trotz der Widrigkeiten der ungeheuren Entfernungen zueinander ihre Einheit.
Literatur
- Zeitschrift für Eingeborenensprache: Jahrgänge 1933 ? 1945, Barmen, Rheinische Mission
- Kultur und Sprache Bd. 7: Die Sprachstämme der Erde, Dr. E. Kieckers, Carl Winter, Heidelberg, 1931
- Bild der Völker: Polynesien und Mikronesien, Brockhaus, Wiesbaden, 1972
- Web Seite von Britannica.com, Bereich ?Polynesia?