Mandelbrot-Menge

Die Mandelbrot-Menge, im allgemeinen Sprachgebrauch oft auch "Apfelmännchen" genannt, ist ein von Benoit Mandelbrot 1980 entdecktes Fraktal, das in der Chaostheorie eine bedeutende Rolle spielt.
Die Mandelbrot-Menge ist das wohl formenreichste geometrische Gebilde, das überhaupt bekannt ist, was zu seinem hohen Bekanntheitsgrad in der Allgemeinheit beigetragen hat. Dieser Formenreichtum offenbart sich, wenn man den Rand dieser Menge bei stärkerer Vergrößerung betrachtet.
Definition
Definition über Iterationsregel
Die Mandelbrot-Menge M im engeren Sinne ist die Menge aller komplexen Zahlen c, für die die Zahlenfolge z0, z1, z2, ... mit dem Bildungsgesetz
- zn+1 = zn2 + c
und der Anfangsbedingung
- z0 = 0
beschränkt bleibt, das heißt nicht divergiert. Die graphische Darstellung dieser Menge erfolgt in der komplexen Ebene. Die Punkte der Menge selbst werden dabei üblicherweise schwarz dargestellt und der Rest farbig, wobei die Farbe eines Punktes c den Divergenzgrad der zugehörigen Folge widerspiegelt (siehe unten).
Definition über Julia-Mengen
Die Mandelbrot-Menge M wurde von Benoit Mandelbrot ursprünglich zur Klassifizierung von Julia-Mengen eingeführt. Eine Julia-Menge Jc im engeren Sinne ist definiert als die Menge der Anfangswerte z0, für die die obige Zahlenfolge beschränkt bleibt. Danach ist M genau die Menge der Werte c, für die die zugehörige Julia-Menge Jc einfach zusammenhängend ist.
Verallgemeinerungen
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird die oben definierte Menge als die Mandelbrot-Menge bezeichnet. Genau genommen existiert für jede Iterationsvorschrift bzw. Abbildung innerhalb der komplexen Zahlen mit einem komplexen Parameter c eine Mandelbrot-Menge. Sie ist definiert als die Menge aller Werte c, für die die Julia-Menge zur Funktion einfach zusammenhängend ist.
Dieses Verfahren kann auch auf Julia-Mengen für Funktionen mit mehr als einem komplexen Parameter c erweitert werden. Allerdings ist dann eine graphische Darstellung in zwei Dimensionen nicht mehr möglich.
Die folgenden Ausführungen beziehen sich nur auf die Mandelbrot-Menge im engeren Sinne.
Verhalten der Zahlenfolge
Je nach Wert von c ergibt sich eine der folgenden vier Verhaltensweisen für die Zahlenfolge:
- Sie strebt gegen einen festen Wert (Konvergenz).
- Sie konvergiert gegen einen periodischen Grenzzyklus, der aus 2 oder mehr Zahlen besteht.
- Sie zeigt chaotisches Verhalten, das heißt sie wiederholt sich nie, bleibt aber beschränkt.
- Sie strebt gegen Unendlich (Divergenz).
Geometrische Zuordnung
Konvergenz liegt genau für die Werte von c vor, die die Zykloide bilden, den "Körper" des Apfelmännchens. Periodische Grenzzyklen findet man beispielsweise in den kreisförmigen "Extremitäten"" bzw. im "Kopf". Chaotisches Verhalten findet sich in den Punkten, die zu den filigranen Strukturen gehören wie beispielsweise Bereiche der "Antenne" auf dem "Kopf", die auf der reellen Achse bis zum Punkt c=-2 reicht.
Bezug zur Chaostheorie

Das Bildungsgesetz, das der Folge zugrunde liegt, ist die einfachste nichtlineare Gleichung, anhand der sich der Übergang von Ordnung zu Chaos durch Variation eines Parameters provozieren lässt. Dazu genügt es, sich auf reelle Zahlen zu beschränken. Für Werte c>=-0,75 konvergiert die Folge. Der Übergang zu chaotischem Verhalten erfolgt nun über ein Zwischenstadium mit periodischen Grenzzyklen. Dieses Verhalten, das man als Periodenverdopplung und Bifurkation bezeichnet, ist typisch für den Übergang realer Systeme zu chaotischer Dynamik. Die Mandelbrot-Menge ist daher von zentraler Bedeutung für die Chaostheorie, und wird in dieser Hinsicht oft mit der Bedeutung von Geraden für die euklidische Geometrie vergleichen.
Geometrische Eigenschaften
Der ungeheure Formenreichtum der Mandelbrot-Menge erschließt sich aus dem Bezug zu Julia-Mengen. Julia-Mengen zu c-Werten aus dem Randbereich der Mandelbrot-Menge sind formenreiche Fraktale. Diese Formen sind innerhalb einer Julia-Menge stets die gleichen, umspannen aber für Julia-Mengen zu verschiedenen c-Werten einen enormen Formenreichtum. Es zeigt sich, dass die Strukturen der Mandelbrot-Menge in der Umgebung eines bestimmten Wertes c genau jene Strukturen der zugehörigen Julia-Menge wiedergeben. Damit enthält die Mandelbrot-Menge den kompletten Formenreichtum der unendlich vielen Julia-Mengen.

In den fraktalen Strukturen am Rand findet man verkleinerte Kopien der gesamten Mandelbrot-Menge, so genannte Satelliten. Jeder Bildausschnitt der Mandelbrot-Menge, der Punkte aus M als auch solche außerhalb M umfasst, enthält unendlich viele dieser Satelliten. Es zeigt sich dass unmittelbar am Rand eines Satelliten fast die gleichen Strukturen auftreten wie an den entsprechenden Stellen des Originals. Diese Strukturen sind jedoch nach weiter außen hin mit den Strukturen kombiniert, die für die größere Umgebung des Satelliten typisch sind. Diese Situation wird gerne mit der eines biologischen Organismus und seiner Gene verglichen. Danach entspricht jedem Satelliten die Erbsubstanz einer Zelle, die den Bauplan für den kompletten Organismus enthält, während nach außen hin nur die Strukturen des lokalen Organs exprimiert sind. Es handelt sich dabei jedoch um ein rein formales Gleichnis ohne kausalen Hintergrund.
Da jeder Satellit wiederum Satelliten höherer Ordnung enthält, läßt sich immer eine Stelle finden, an der eine beliebige Anzahl beliebiger verschiedener Strukturen in beliebiger Reihenfolge kombiniert auftritt. Diese Strukturen sind dann allerdings nur bei extremer Vergrößerung erkennbar.
Die Mandelbrot-Menge ist spiegelsymmetrisch zur reellen Achse. Sie ist einfach zusammenhängend, das heißt sie bildet weder Inseln noch hat sie Löcher. Ihre fraktalen Strukturen sind zwar selbstähnlich, es gibt aber keine zwei Teilstrukturen, die exakt gleich sind.
Graphische Darstellung
Die graphische Darstellung der Mandelbrot-Menge und ihrer Strukturen im Randbereich ist nur mittels Computer möglich. Dabei entspricht jedem Bildpunkt ein Wert c der komplexen Ebene. Der Computer ermittelt für jeden Bildpunkt, ob die zugehörige Folge divergiert oder nicht. Sobald ein Zahlenwert der Folge den Betrag von R=2 überschreitet divergiert die Folge. Die Zahl der Iterationsschritte N, nach denen das erfolgt, kann als Maß für den Divergenzgrad herangezogen werden. Über eine zuvor festgelegte Farbtabelle, die jedem Wert N eine Farbe zuordnet, wird dem Bildpunkt eine Farbe zugewiesen. Um harmonische Grenzen zwischen aufeinanderfolgenden Farben zu erreichen, wird in der Praxis für die Grenze R ein Wert R>>1 gewählt. In diesem Fall bilden die Farbgrenzen übrigens Äquipotenzialflächen, die man erhalten würde, wenn man die Mandelbrot-Menge als elektrisch geladenen Leiter interpretieren würde.
Da die Zahl der Iterationsschritte N, nach der die Grenze R überschritten wird, beliebig groß sein kann, muss für die praktische Durchführung der Rechnung ein Abbruchkriterium in Form einer maximalen Zahl von Iterationsschritten festgelegt werden. Werte von c deren Folgen danach die Grenze R noch nicht überschritten haben, werden zu M gerechnet. Je geringer der Abstand von c zu M ist, umso größer ist die Zahl N nach der R überschritten wird. Je stärker die Vergrößerung ist, mit der man den Rand von M darstellen möchte, umso größer muss in diesem Fall die maximalen Zahl von Iterationsschritten gewählt werden, und umso größer fällt auch die Rechenzeit aus.
Grafisch besonders reizvoll ist die Darstellung des Randes von M mit seinem Formenreichtum. Je stärker die gewählte Vergrößerung ist, umso komplexere Strukturen lassen sich dort finden. Mit entsprechenden Computerprogrammen lässt sich dieser Rand wie mit einem Mikroskop mit beliebiger Vergrößerung darstellen. Die beiden einzigen künstlerischen Freiheiten, die dabei bestehen, sind die Wahl des Bildausschnittes sowie die Zuordnung von Farben zum Divergenzgrad.
Programmbeispiel
Iteration über alle Bildpunkte
Das folgende Programmbeispiel nimmt an, dass die Punkte des Ausgabemediums von 1 bis jeweils max_x und max_y laufen; die Koordinaten der Punkte sind durch punkt_x und punkt_y gegeben. Die Berechnung des dem Punkt zugeordneten komplexen Zahlenwerts erfolgt mittels geometrischer Überlegungen.
Die maximale Anzahl von Iterationsschritten ist max_iterationen. Wird dieser Wert überschritten, so wird das entsprechende Pixel der Menge M zugeordnet. Der Wert von max_iterationen sollte mindestens 100 betragen. Bei stärkerer Vergrößerung sind zur korrekten Darstellung der Strukturen unter Umständen erheblich größere Werte erforderlich und damit auch deutlich größere Rechenzeiten.
FOR punkt_x = 1 TO max_x
FOR punkt_y = 1 TO max_y
r = min_r + punkt_x * punkt_abstand_r
i = min_i + punkt_y * punkt_abstand_i
iterations_wert = punkt_iteration ( r, i, max_betrags_quadrat, max_iterationen )
farb_wert = waehle_farbe ( iterations_wert, max_iterationen )
plot ix iy farb_wert
NEXT ix
NEXT iy
Iteration eines Bildpunktes
Die Iteration von n nach n+1 für einen durch seinen Realteil r und Imaginärteil i gegebenen Punkt c der komplexen Zahlenebene erfolgt mittels der komplexen Gleichung
- ,
die sich mittels der Zerlegung der komplexen Zahl z in ihren Realteil x und Imaginärteil y in zwei reelle Gleichungen
und
umwandeln läßt.
Falls das Quadrat des Betrags der n+1-sten Zahl, gegeben durch
den Wert max_betrag_quadrat (mindestens 2*2=4) überschreitet, wird die Iteration abgebrochen, und die Anzahl der bislang erfolgten Iterationssschritte für die Zuordnung eines Farbwertes verwendet. Falls das Quadrat des Betrags nach einer gegebenen maximalen Anzahl von Iterationsschritten den max_betrag_quadrat nicht überschritten hat, wird angenommen, dass die Iteration beschränkt bleibt, und die Iterationsschleife abgebrochen.
Die folgende Funktion führt die beschriebene Iteration durch. Hier stellen r und i den Real- und Imaginärteil des untersuchten Punktes dar. x und xt sowie y und yt sind die iterativ benutzten Variablen für die Iterationswerte.
FUNCTION punkt_iteration (r, i, max_betrag_quadrat, max_iter)
betrag_quadrat = 0
iter = 0
x = 0
y = 0
WHILE ( betrag_quadrat <= max_betrag_quadrat ) AND ( iter < max_iter )
xt = x * x - y * y + r
yt = 2 * x * y + i
iter = iter + 1
betrag = xt * xt + yt * yt
x = xt
y = yt
WEND
punkt_iteration = iter
END FUNCTION
Modifikation
Wenn man die Darstellung nicht von den Koordinaten ix und iy abhängig macht, sondern von den in der Iteration gewonnenen Werte xt und yt, so werden anstelle der Mandelbrot-Menge plötzlich Spiralen und Galaxien sichtbar. Dieses Feature wird von einigen professionellen Software-Implementationen der Mandelbrot-Menge unterstützt.
Literatur
- John Briggs und F. David Peat: Die Entdeckung des Chaos. ISBN 3-446-15966-5
- Heinz-Otto Peitgen und Peter H. Richter: The Beauty of Fractals. ISBN 0-387-15851-0
- Heinz-Otto Peitgen und Dietmar Saupe: The Science of Fractal Images. ISBN 0-387-96608-0
Siehe auch: Fraktale Geometrie
Weblinks
- Fractal Generator Java-Plugin erforderlich
- http://aleph0.clarku.edu/~djoyce/julia/explorer.html - Julia und Mandelbrot-Mengen
- http://www.geocities.com/CapeCanaveral/2854/ - Insbes. Guided Tours und interaktiver Mandelbrot-Explorer
- http://www.iec.csic.es/~miguel/Atlas.html - Schwarz-Weiß-Atlas, etwa 20fach
- http://xaos.theory.org - XaoS Fraktal-Generator unter GPL für viele Betriebssysteme
- http://www.mandelbrot.tk - Seite mit vielen Bildbeispielen und Generator-Programm für Mandelbrot-Mengen