Methodenstreit (Sozialwissenschaften)
Zum Methodenstreit im Zusammenhang mit der Gehörlosigkeit siehe Methodenstreit (Gehörlosigkeit).
Als Methodenstreit wird die Auseinandersetzung um die Art der anzuwendenden Methoden in den Sozialwissenschaften bezeichnet. Er spiegelt die Etablierung der Soziologie als wissenschaftlicher Disziplin und ihre Entwicklung zu einer eigenständig verfahrenden Wissenschaft.
Der Methodenstreit entbrannte mit der Etablierung der Soziologie besonders in Deutschland zwischen Vertretern eines naturwissenschaftlichen Methodenideals und den Gegner der Übernahme dieser Methoden in die Sozialwissenschaften, die für diese eine eigene wissenschaftliche "Logik" beanspruchten. Eine besondere Rolle spielte bei diesen Auseinandersetzungen auch das Postulat der Wertfreiheit der Wissenschaften, das Gegenstand des sogenannten Werturteilsstreites wurde.
Max Weber formulierte die Grundposition einer eigenen sozialwissenschaftlichen Methodik mit der Einführung des Begriffes des Verstehens in die Soziologie. Er definiert die Soziologie als "eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will." (Weber 1921, S. 542) Soziales Handeln, das verstehend erfasst werden soll, zeichnet sich nach Weber dadurch aus, dass die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. Das erklärende Verstehen der Sozialwissenschaften geht insofern über das aktuelle Verstehen des gemeinten Sinns einer Handlung hinaus, als dass es den Sinnzusammenhang erfasst, in dem die Handlung hineingehört. Verstehen ist also die Rekonstruktuion des gemeinten Sinns bzw. des Sinnzusammenhanges und zwar methodisch angeleitet durch die Konstruktion eines Idealtypus. Ein solches Verstehen kann nach Weber auch als Erklären angesehen werden, beruht aber auf Sinnverstehen und trägt der Besonderheit des sozialwissenschaftlichen Gegenstandes, nämlich sinnhaft zu sein, Rechnung. Es unterscheidet sich insofern von einer Kausalerklärung der Naturwissenschaften.
Die Vertreter eines naturwissenschaftlichen Methodenideals dagegen versuchten die Wissenschaftlichkeit der neu entstandenen Disziplin dadurch sicherzustellen, dass sie dieselben methodischen Verfahren anwenden sollte, die in den Naturwissenschaften entwickelt worden waren. Sie postulierten die Gültigkeit wissenschaftlicher Methoden wie die naturwissenschaftliche Kausalerklärung, Quantifizierung und mathematische Behandlung der Daten, Verifizierung, Falsifizierung usw. für alle Disziplinen, sowie sie denn als wissenschaftlich gelten wollten.
In der Darstellung des Methodenstreites wurden die beiden Positionen oft verkürzt über die Begriffe "Erklären" kontra "Verstehen" charakterisiert, während tatsächlich die Dichotomie zwischen Naturwissenschaft (Erklären) und Geisteswissenschaft (Verstehen) in der Sozialwissenschaft als Doppelsinn wieder auftaucht, als objektiv rekonstruierter und subjektiv gemeinter Sinn, der nach Weber mit der Methode des erklärenden Verstehens zu erfassen ist. Die Dichotomie zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft spielt auch eine große Rolle bei der Debatte über die These von Charles Percy Snow von den "Zwei Kulturen".
Der Methodenstreit spitzte sich in den 60er Jahren im sogenannten Positivismusstreit zu, als K.R.Popper und Th.W.Adorno auf einer Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) ihre Referate zur "Logik der Sozialwissenschaften" vortrugen. Vertreter des Kritischen Rationalismus befürworteten eine Begrenzung der Soziologie auf eine empirisch-analytisch verfahrende Einzelwissenschaft nach dem Vorbild naturwissenschaftlicher Methoden (Beobachtung, Messung, Formalisierung usw.). Die Vertreter der Dialektischen Theorie dagegen warfen dem wissenschaftslogischen Rationalisus vor, die Problematik der Sozialwissenschaft in positivistischer und reduktionistischer Weise zu verkürzen. Die dialektische Theorie "bezweifelt, dass die Wissenschaft in Ansehung der von Menschen hervorgebrachten Welt ebenso indifferent verfahren darf, wie es in den exakten Naturwissenschaften mit Erfolg geschieht." (Habermas 1965, S. 292) Vielmehr müsse die Sozialwissenschaft der Besonderheit ihres Gegenstandes angemessene Methoden und Begriffe entwickeln, sowie die soziale Totalität entgegen ihrer Auflösung in begrenzte, empirischer Analyse zugängliche Phänomene als Forschungsgegenstand erhalten. (vgl. Adorno 1965, S. 511 f.).
Obwohl die Argumentationen weitaus komplexer und vielschichtiger waren, reduzierte sich die Auseinandersetzung in der Folgezeit auf die Gegenüberstellung von quantitativen und qualitativen Verfahren in der Sozialforschung, während in der Entwicklung der soziologischen Theorie makrosoziologische Ansätze wie die Kritische Theorie und die Systemtheorie ausformuliert wurden und aus unterschiedlichsten Perspektiven an der Entwicklung einer allgemeinen soziologischen Theorie gearbeitet wurde, die der Qualität des Gegenstandes der Sozialwissenschaften gerecht werden sollte.
Im Bereich der Sozialforschung setzten sich quantitativen Verfahren auf der Basis naturwissenschaftlicher Methodik weitgehend durch. Qualitative Ansätze, die sich in der Tradition historisch-hermeneutischer Verfahren etablierten, waren lediglich eine Randerscheinung, füllten Nischen und beanspruchten exotische Oasen. Das Programm Max Webers, erklärendes Verstehen ohne Werturteil als sozialwissenschaftliche Methodik grundzulegen, wurde vielfach aufgegeben zugunsten eines rein deskriptiven Nachvollziehens des subjektiven Sinns. Gleichzeitig entwickelte sich aber auch Verfahrensansätze wie die objektive Hermeneutik oder die qualitative Inhaltsanalyse, die die Spannung zwischen subjektiv gemeintem Sinn und objektiver Rekonstruktion von Sinnzusammenhängen methodisch zu fassen suchten.
Seit den 80er Jahren ist eine Besinnung auf qualitative Verfahrensweisen in der Sozialforschung zu beobachten, die teilweise aus einer Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der Surveyforschung entstand. Auf der anderen Seite hatten Vertreter der quantitativen Sozialforschung den Wert qualitativer Methoden für die Vorbereitung von quantitativen Erhebungen, bei der Bildung von Hypothesen und der Interpretation der Erhebungsergebnisse erkannt und schrittweise in die eigenen Verfahren integiert. Die zunehmende Anerkennung und Relevanz qualitativer Verfahren führte schließlich 2003 zur offiziellen Einrichtung einer Sektion für Qualitative Methoden in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. In der Sektion wird nun daran gearbeitet, qualitative Methoden in die Lehrangebote, Studiengänge und Studienordnungen zu integrieren.
smouking
Weblinks
Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS)
Siehe auch: Methodenstreit (Rechtsgeschichte).