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Jesus von Nazaret

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Jesus von Nazareth war ein Jude aus Galiläa, der in der Zeit zwischen 29–33 n. Chr. im Gebiet des heutigen Israel und im Westjordanland öffentlich predigte, heilte und lehrte, bis er von der damaligen römischen Besatzungsmacht als Aufrührer gekreuzigt wurde.

Christus aus S.Apollinare Nuovo, Ravenna – 6. Jahrhundert

Das Christentum verehrt ihn aufgrund der Auferstehungszeugnisse seiner ersten Anhänger als universalen Erlöser. Es bekennt diese Bedeutung mit der Namensgleichung "Jesus Christus". Die kirchliche Lehre dazu heißt Christologie. Auch in anderen Religionen spielt Jesus von Nazareth eine wichtige Rolle.

Historische Informationen über Jesus enthält jedoch fast nur das Neue Testament (NT) der Bibel. Zeitgenössische Quellen außerhalb des NT erwähnen diesen Wanderprediger einer abgelegenen Provinz des Römischen Reiches kaum. Dieser Artikel stellt daher nur Grundzüge seines Lebens dar, die die historische Forschung heute überwiegend für wahrscheinlich hält. Bibel-Belegstellen werden wie allgemein üblich abgekürzt.

Jesu Herkunft

Der Name: Jesus Christus

  • "Jesus" ist die latinisierte Form des griechischen Ιησους. Dieses übersetzt den männlichen hebräischen Vornamen Jeschua, auch Jehoschua oder Josua. - Hebräisch wurde in Palästina zur Zeit Jesu kaum noch gesprochen. Griechische, nicht hebräische oder aramäische Namen wurden damals in andere Sprachen übersetzt.
  • "Jehoschua" verbindet "Je" (Präfix von JHWH, dem Gottesnamen der hebräischen Bibel und "Hoshea" (Rettung, Heil, vgl. Hosea). "Jesus" bedeutet auf Hebräisch also "Gott-Retter" oder "Gott rettet". Dieser Name war zur Zeit Jesu unter Juden verbreitet. Als Judentum und Christentum sich getrennt hatten, wurden Juden nur noch selten so genannt.
  • "Jehoschua ben Josef" hieß Jesus, falls man ihn wie üblich bei seiner Beschneidung nach seinem Vater nannte (Lk. 2, 21). Das NT belegt das nicht: Lk. 4, 22 nennt "Josefs Sohn" ohne Vornamen und betont so den Kontrast zur Jungfrauengeburt (Lk. 3, 23). Jh. 1, 45 betont mit "Jesus, Josefs Sohn aus Nazareth" seine Abstammung von David. Frühere Versionen nennen ihn dagegen "Sohn der Maria" (Mk. 6, 3/Mt. 13, 55).
  • "Christus" ist die lateinische Form des griechischen Χριστος. Dieses übersetzt das hebräische "maschiach", deutsch "der Gesalbte". Das ist ein jüdischer Ehrentitel für Könige und Hohepriester, später für den erwarteten König der zukünftigen Heilszeit, den Messias.
  • "Jesus Christus" verbindet den jüdischen Vornamen und griechischen Titel zu einem Nominalsatz. Er ist das christliche Glaubensbekenntnis in Kurzform: "Dieser Jesus ist der Messias."


"Jesus von Nazareth" nennen Historiker ihn meist, weil "Nazarenus" im NT die Herkunft aus Nazareth in Galiläa (Mk. 1, 9) bezeichnet. Aber dieser Zusatz wird mit "Nazoraios" variiert und kann auch davon oder von "Nasiraeus" abgeleitet sein.

Nazoräer bezeichnet eine Lehrtätigkeit. So nannten sich die Mandäer wohl wegen ihrer Taufriten. Auch Jesus (Jh. 19, 19) und die Christen wurden anfangs so genannt (Apg. 24, 5). Das könnte daran erinnern, dass einige seiner Jünger früher zu den Jüngern Johannes des Täufers gehörten.

Geburt und Lebensdauer

Historiker beurteilen die Geburtsgeschichten des NT (Mt. 1-2/Lk. 1-2) weitgehend als Legenden, die theologische Aussagen über Jesus machen und ihn dazu in den Rahmen biblischer Erwartungen stellen. So ist z.B. ein Kindermord des Herodes (Mt. 2, 13) historisch nicht belegt. Er erinnert an den Kindermord des ägyptischen Pharao vor Israels Exodus (Ex. 1, 22): Damit wird Jesus wie Moses als Befreier des Gottesvolks dargestellt. Auch der "Stern", der orientalische Magier zu seinem Geburtsort geführt haben soll (Mt. 2, 2), verkündet Jesus als kosmischen Erlöser. Ob zum Zeitpunkt seiner Geburt ein besonderes stellares Phänomen zu beobachten war, ist umstritten.

Nach Mt. 2, 1 und Lk. 2, 4 wurde Jesus in Betlehem, einer Kleinstadt nahe Jerusalem, geboren. Das sollte seine Abstammung von David und Messiaswürde belegen (Mt. 2, 6/ Mi. 5, 1). Die meisten Historiker nehmen eher an, dass er in Nazareth in Galiläa, der Heimatstadt seiner Familie (Mk. 1, 9), oder in Kafarnaum, dem Ort seines ersten und wiederholten Auftretens (Mk. 1, 21) geboren wurde.

Jesu Geburtsdatum war schon den Urchristen unbekannt. Auch sein Todesjahr überliefert das NT nicht. Historische Bezüge legen aber nahe, dass er zwischen 7 und 4 v. Chr. geboren, und 30 oder 33 n. Chr. gekreuzigt wurde. Die Evangelien berichten also, abgesehen von Geburts- und Jugendtexten, nur über die letzten Lebensjahre Jesu.

Sprache

Als galiläischer Jude sprach Jesus im Alltag sicherlich Aramäisch: die Reichssprache der Assyrer und Babylonier, die die Perser in Israel eingeführt hatten. Er sprach wohl auch das verwandte Hebräisch, in dem die Bibel abgefasst war.

Fraglich ist, ob er lesen und schreiben konnte und auch Griechisch beherrschte, die damalige Verkehrssprache des römischen Reichs. Die Bibel war schon in sie übersetzt (Septuaginta), wurde so aber wohl nur von hellenistisch gebildeten Juden gelesen, nicht in Galiläas Synagogen.

Das NT enthält einige aramäische Jesuszitate: Daher ist sicher, dass Jesu Worte anfangs auf Aramäisch tradiert wurden. Ob man griechische Ausdrücke und Redewendungen dorthin zurück übersetzen kann, ist ein wichtiges Kriterium für die Suche nach "echten" Jesusworten (Joachim Jeremias). So versucht man, seine eigene Verkündigung von urchristlicher Deutung zu unterscheiden.

Jugend, Ausbildung, Beruf

Jesus soll schon früh mit Pharisäern diskutiert und sich gut in der Tora ausgekannt haben (Lk. 2, 46 f.). Das setzt der rabbinische Argumentationsstil seiner Tora-Predigten und Gleichnisse auch voraus. Dazu wurde Jesus wahrscheinlich von damaligen Rabbinern ausgebildet. Sein Heilen am Sabbat (Mk. 2-3) und Betonen der Nächstenliebe als Zentralgebot (Mk. 12, 28ff) ähnelte den Lehren des Rabbi Hillel. Die ersten Jünger nannten ihn "Rabbuni" (aramäisch: mein Meister, Lehrer).

Ein Rabbi lebte von einem gewöhnlichen Handwerk, nicht vom Lehren. Jesus lernte von seinem Vater Josef das Bauhandwerk (Mk. 6, 3). Ein "Tekton" (oft irreführend als "Zimmermann" übersetzt) konnte generell mit Steinen, Stroh und Holz umgehen und war meist im Hausbau tätig. Ob Jesus als solcher beim Ernähren der Familie half, ist den damaligen Texten nicht zu entnehmen.

Familie

Jesus war nach den älteren Evangelien der älteste Sohn von Josef aus Nazareth und seiner Frau Maria (Lk. 2, 22 f./Mt. 13, 55).

Zugleich wird er dort als vom Heiligen Geist gezeugt verkündet (Mt. 1, 18/Lk. 1, 35). Dies sahen Urchristen jüdischer Abstammung nicht als Gegensatz zur menschlichen Zeugung. Doch schon der Evangelist Matthäus legt nahe, dass Jesus ein uneheliches Kind gewesen sein könnte (ebd.): eine These, die auch der jüdische Talmud in abwertender Absicht vertrat und die Historiker wie Gerd Lüdemann heute wieder aufgreifen (siehe unten).

Nach Mk. 6, 3 hatte Jesus vier Brüder - Jakobus, Joses (Josef? Mt. 13, 55), Judas, Simon - und Schwestern, deren Namen nicht überliefert sind. "Brüder", seltener auch "Schwestern" kann im biblischen Umfeld aber auch andere Verwandte einer Sippe bezeichnen (Walter Bauer).

Laut Lk. 2, 29 ging Jesus schon als Junge zur Familie auf Distanz, um im Tempel zu lehren. Nach seiner Taufe erwähnen die Evangelien seinen Vater nicht mehr: dafür nun öfter Kafarnaum, wo Jesus zuerst auftrat (Lk. 4, 16.23). Daher vermuten manche Forscher, Jesus sei dorthin umgezogen, nachdem sein Vater fort oder tot war.

Das 4. der 10 Gebote - "Ehre Vater und Mutter" (Ex. 20, 12) - verlangte damals die Fürsorge des ältesten Erben für seine Eltern und Geschwister. Doch zu Jesu Nachfolge gehörte das Aufgeben der familiären Bindungen. Nach der Gesellschaftsmoral seiner Zeit verhielt er sich damit wie ein Mörder und Ehebrecher. Sein Umherziehen, Predigen und Heilen stieß auf Unverständnis und führte zu Konflikten mit seinen Verwandten. Sie lehnten seine Gastfreundschaft für Arme und Kranke ab, erklärten ihn für verrückt und versuchten, ihn zurück zu halten (Mk. 3, 20 f./3, 31).

In so einer Situation fragte er seine Zuhörer (Mk. 3, 33-35): "Wer sind meine Mutter und meine Brüder? Und er schaute auf die, die rings um ihn saßen und sagte: Siehe, ihr seid meine Mutter und meine Brüder! Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter." Bei anderer Gelegenheit mahnte er (Mt. 10, 37): Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner (Nachfolge) nicht wert .... Oder noch schärfer (Lk. 14, 26): "Wer zu mir kommt und seine Eltern, Kinder, Geschwister nicht hasst, der kann nicht mein Jünger sein."

Er hob damit das 4. Gebot nicht auf (Mk. 7, 10 f.), legte es aber konträr zur jüdischen Tradition aus: Achte nur die als deine Angehörigen, die Gottes Willen tun. Er erfuhr deshalb Ablehnung in Nazareth: "Ist das nicht der Bauhandwerker, Marias Sohn ...? Und sie waren verärgert über ihn. Jesus aber sagte zu ihnen: Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seiner Heimat, bei seiner Sippe und in seinem Ort." Deshalb verließ er Nazareth ganz (Mk. 6, 1-6).

Aber Frauen aus Jesu näherer Umgebung sorgten für ihn und die übrigen Männer (Mk. 1, 31) auf ihrem Weg. Sie blieben bis zum Ende bei ihm (Mk. 15, 41), so nach Jh. 19, 26 f, auch seine Mutter. Er soll noch am Kreuz für ihre Altersversorgung gesorgt haben, indem er sie einem anderen Jünger anvertraute.

Verwandte Jesu gehörten nach Ostern zu den ersten Christen. Sein ältester Bruder Jakobus wurde sogar ein Leiter der Urgemeinde (Gal. 2, 9).

Jesu Wirken

Johannes und die Taufe im Jordan

Nach allen Evangelien begann Jesu öffentliches Auftreten nach seiner Taufe durch den Täufer Johannes. Alle verkünden diese als das Ereignis, bei dem Gott ihn mit den Worten "Dies ist mein lieber Sohn" als seinen Sohn bezeugte und seinen Geist auf ihn sandte.

Johannes war einer der damaligen jüdischen Bußprediger. Er kündete die bevorstehende radikale Wende der Endzeit an und rief das ganze Volk Israel zur Umkehr: Damit griff er auf die Zukunftserwartung (Eschatologie) der jüdischen Prophetie und Apokalyptik zurück. Er berief Anhänger, lebte aber abseits bewohnter Gegenden als Wüstenasket. Das Tauchbad im Jordan als Zeichen der Umkehr von sündigem Lebenswandel sollte die Getauften aus dem drohenden Endgericht retten. Darauf geht die spätere christliche Taufe zurück.

Vielleicht stand Johannes den auf kultische Reinheit bedachten Essenern nahe. Diese Sekte lebte streng von der Umwelt abgeschieden, wohingegen er umherzog und ganz Israel zur Umkehr aufrief.

Ob Jesus sich nach seiner Taufe ihm anschloss, ist ungewiss. Nach den älteren Evangelien hat er nicht, nach Jh. 3, 22ff aber eine Weile parallel zu Johannes getauft. Vielleicht lernte er die Brüder Petrus und Andreas bei ihm kennen und warb sie ihm ab (Jh. 1, 35-42). Einige Historiker nehmen daher an, dass es einen Austausch und Konkurrenz zwischen seinen Anhängern und denen des Johannes gab (Jh. 4, 1).

Jesus predigte das Reich Gottes dann auf andere, offenbar attraktivere Art: als gnädige Zuwendung Gottes zu den Armen und Sündern. Er übernahm den endgültigen Umkehrruf von Johannes, lehnte aber das Fasten, die Askese für seine Jünger ab (Mk. 2, 16-19), pflegte die Tischgemeinschaft mit "Unreinen" und heilte gerade die, die Gottes Gericht verfallen gewesen wären.

Die Mandäer sahen in Jesus später - wohl nachdem er eigene Jünger berief und der Täufer tot war - einen Lügenpropheten. Die Evangelien dagegen sehen in Johannes den letzten Propheten des Alten Bundes, den Vorläufer der Ankunft des geistbegabten Messias (Mk. 1, 7f/8, 28f). Sie betonen den Zeugnischarakter seiner Botschaft (Joh. 1, 7f) gegenüber dem ihm überlegenen endgültigen Heilsbringer (Mt. 3, 11). Damit legen sie eine Konkurrenzsituation zwischen Jesus- und Johannesgruppen nahe, die nach ihrer Darstellung aber von gegenseitigem Respekt geprägt war.

Gebiet des Auftretens

Jesus war ein Wanderprediger unter vielen. Er sah sich zu den „verlorenen Schafen des Hauses Israel“ (Mt. 10, 5/15, 24) gesandt und hatte kein Interesse an Weltruhm. Sein Wirken blieb anfangs auf das Dreieck Kafarnaum - Bethsaida - Chorazim am See Gennesaret (latinisiert: "Genezareth") begrenzt und umfasste höchstens 200 Quadratkilometer. Römerstädte wie Sepphoris oder Tiberias betrat er wohl nicht. Die Gegend hatte keine besondere Bedeutung im römischen Reich. Daher ist die Nichterwähnung Jesu in zeitgenössischen römischen Quellen nicht verwunderlich.

Im Haus des Petrus in Kafarnaum richtete Jesus eine Art Hauptquartier ein (Mk. 1, 29/2, 1). Dieses Haus wurde wohl eine frühchristliche Pilgerstätte, die Archäologen in jenem Fischerdorf von etwa 1000 Einwohnern fanden. Dort können Reisende ihn gehört haben, die auf der Fernstraße Via Maris nach Syrien oder Ägypten unterwegs waren.

Er wirkte auch am Westufer des Sees Gennesaret im heutigen Westjordanland (Gerasa, Mk. 5, 1) und nordwestlich von Galiläa im heutigen Südlibanon (Tyros und Sidon, Mk. 7, 24). Er kann auch einen Streifzug durch Samaria gemacht haben (Jh. 4, 5 gegen Mt. 10, 5). Diese Provinz Palästinas gehörte zum früheren Nordreich, das den Jerusalemer Tempelkult nicht als verbindlich ansah.

Reich-Gottes-Verkündigung

Jesus begann nach der Festnahme des Täufers durch Galiläas Dörfer zu ziehen und verkündete wie Johannes das unmittelbar bevorstehende Eintreffen des "Reiches Gottes" (Mk. 1, 14ff). Damit folgte auch er Israels Propheten. Aber anders als sie verkündete er, dass Gottes Herrschaft schon punktuell angebrochen sei (Lk. 11, 20), und zwar in seinem eigenen heilsamen Predigen (Mt. 5, 3ff) und Handeln (Mt. 11, 2ff/Lk. 7, 18ff). Er bezog sich dabei vor allem auf Heilsansagen von Deuterojesaja (Jes. 40-55) und Tritojesaja (Jes. 56-66, ab etwa 530 v. Chr.). Er wollte diese "erfüllen" und die Befreiung der Armen beginnen. Das sah er als seine ihm von Gott aufgetragene Sendung an (Lk. 4, 17–21/Lk. 6, 20).

Die große Bevölkerungsmehrheit war damals sehr arm, täglich von Hunger, römischer Gewalt und sozialem Absturz bedroht. Steuern für Rom, Opferzwang und Tempelsteuer, Arbeitsmangel, Schuldversklavung und Epidemien lasteten auf dem Volk.

Jesus versprach diesen Armen den Landbesitz (Mt. 5, 5) und das "Gnadenjahr" der gerechten Bodenreform (Lk. 4, 19f/3. Mose 25/5. Mose 15). Dem entsprach seine Forderung an einen Großgrundbesitzer, all seinen Besitz den Armen zu schenken und Jesus nachzufolgen: also ihm zu helfen, andere Reiche auch vom Besitzverzicht für die Armen zu überzeugen (Mk. 10, 17-27). So erneuerte er die jüdische Zukunftserwartung einer umfassenden revolutionären Veränderung zu Gunsten der Besitz- und Rechtlosen. Damit stellte er die römische und jüdische Oberschicht in Frage. Andererseits lud er so auch Reiche in Gottes Reich ein und gab auch ihnen vorweg Anteil daran (Lk. 19, 9f).

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Jesus heilt die Kranken, Maler Gabriel Max

Heiltätigkeit

Jesus betonte in seiner Verkündigung das Gebot der Nächstenliebe (Lev. 19, 17f) und realisierte es mit seiner Heiltätigkeit für Kranke und soziale Randgruppen. Das verband ihn mit reformorientierten Pharisäern. Aber anders als sie trieb er auch "Dämonen" aus. Textmotive legen nahe, dass er damals unheilbare Krankheiten wie Lepra, grauen Star, Epilepsie und Schizophrenie heilte. Solche Kranke waren nach geltender Toraauslegung von "unreinen Geistern besessen". Man vermied Umgang und Berührung mit ihnen und verstieß sie aus der Gesellschaft. Sie waren daher meist zum Tod verurteilt (Adolf Holl).

Wunder berichtet die antike Umwelt oft von Herrschern oder berühmten Ärzten. In Israel galten solche besonderen Kräfte schnell als Teufelei. Seine "Vollmacht" zum Heilen brachte Jesus daher nicht nur Sympathie, sondern auch Misstrauen, Neid, Abwehr ein (Mk. 3, 22).

Er verstand seine Heiltaten laut NT nicht als isolierte Mirakel, sondern als Angriff auf die Herrschaft des Bösen über das Gottesvolk und zeichenhaften Beginn des Reiches Gottes (Mk. 3, 27). Er heilte auch Ausländer (Mk. 7, 24ff), darunter auch den Diener eines römischen Offiziers (Mt. 8, 5-13/Lk. 7, 1-10).

Dass die "Dämonen" reale übernatürliche Wesen waren, wird oft von evangelikalen und charismatischen Theologen, selten aber von Historikern vertreten. Die psychosomatische Medizin erkennt an, dass jede Krankheit auch geistig-seelische Dimensionen hat und Heilung immer den ganzen Menschen umfasst. Nach den Texten war genau dies Jesu Anliegen: Er heilte den Einzelnen, indem er auch seine krankmachende Umgebung veränderte und den Geheilten neue Lebenschancen eröffnete.

Jesu Sendung galt zuerst den Armen. Die Bergpredigt beginnt mit Heilszusagen an das ganze Unrecht und Not leidende Volk (Mt. 5, 3–11). Sie legen das 1. Gebot (Ex. 20, 2) prophetisch aus. Gott ist der Sklaven-Befreier. Darum gehört sein Reich den Armen schon, und die Erde wird ihnen gehören: Das enthielt einen indirekten Messiasanspruch, da der Messias im AT Gottes Recht auf Erden durchsetzt.

Dann wird an Israels Auftrag erinnert, als "Licht der Völker" die Tora vorbildlich zu befolgen (Mt. 5, 14–16/ Jes. 42, 6). Der Evangelist Matthäus betont demgemäß, dass Jesus alle Gebote bis ins Kleinste erfüllen, nicht aufheben wollte und Christen die Juden darin übertreffen sollen (Mt. 5, 17–20).

Ob Jesus das so sah, ist umstritten. Er stellte viele Gebote zum Teil radikal in Frage und soll z.B. gesagt haben (Mk. 2, 27): Der Sabbat ist für den Menschen, nicht der Mensch für den Sabbat da! Das zeigen auch seine "Antithesen" (Mt. 5, 21-48). Sie legen einige der Zehn Gebote (Ex. 20, 2–17) und die Talionsformel (Ex. 21, 23f) aus.

Jesus radikalisierte sie über den Wortlaut hinaus: Schon wer andere hasst, ist eigentlich ein Mörder und verdient den Tod (5. Gebot). Schon wer als verheirateter Mann eine andere Frau begehrt, bricht die Ehe (6. Gebot). Jeder Eid missbraucht den Gottesnamen (2. Gebot) und ist Lüge (8. Gebot). Gottes Schöpfungstreue (Gen. 8, 22) entkräftet das Vergeltungsrecht. Auch Israels Feinde sind als Nächste zu segnen. Das Anhäufen von Besitz bricht das 1. Gebot (Mt. 6, 19f.24). Besitzaufgabe für die Armen erfüllt den Dekalog (Mk. 10, 17–27).

Dahinter standen die Verhältnisse: Gerichte waren in römischer und sadduzäischer Hand, Rechtsbeistand konnten Arme dort kaum erwarten. Männer durften fremdgehen, erwarteten aber zugleich unberührte Ehefrauen. Oft entrechteten sie sie, indem sie sie verstießen. Die Besatzer benutzten Juden als Lastesel und schlugen die, die sich weigerten. Verschuldung, Enteignung, römische Gewalt bedrohten die Existenz vieler Juden.

Jesus nannte diese Lage "das Böse" (Mt. 5, 39), riet aber, auf Gegengewalt zu verzichten und Feinde mit freiwilligem Entgegenkommen zu demütigen. Er erhöhte keine Strafen, sondern deckte das gnadenlose Verurteilen anderer zum Tod auf, um es zu überwinden und Gottes Volk vor Krieg und Untergang zu retten (Mt. 7, 1–6): "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!" So rettete er eine Hure vor der Steinigung, indem er ihren Richtern ihre eigene Schuld bewusst machte (Jh. 8, 1-11). Das hob die Todesstrafe nicht direkt auf, entkräftet sie aber.

Jesus lud die in Gottes Reich ein, die durch religiöse Gesetze von Gottes Reich ausgeschlossen waren (Mk. 2, 17): "Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten." Das waren z.B. "Zöllner", die ihre Landsleute betrogen, daher gehasst und gemieden wurden. Jesu Tischgemeinschaft gab ihnen Anteil am Heil, befreite sie vom Unrechttun und veranlasste sie zur Rückgabe des geraubten Gutes (Lk. 19, 1–10).

Gerade weil Jesus das 1. Gebot über alles stellte, hob er die Reinheitsgesetze auf (Mk. 7, 1–22) und relativierte die Kultgesetze (Mt. 5, 24). Die Versöhnung mit dem Bruder und das Segnen der Feinde (Mt. 5, 23f.44) geht dem Opfern im Tempel voraus, weil Nächstenliebe gleichrangig mit Gottesfurcht ist (Mk. 12, 28–34): Das war Jesu Maßstab, und in diesem Sinne erfüllte er Israels Tora.

Anhänger

Von Beginn seines Auftretens an gewann Jesus Nachfolger, darunter auch Frauen (Mk. 1, 31). Frühe Stoffe der Logienquelle zeigen: Der Ruf in die Nachfolge war mit dem "Verlassen" von Beruf, Familie, Besitz unlösbar verbunden (Mk. 10, 28–31). Doch damit forderte Jesus nur die Zugehörigkeit seiner Nachfolger zum einfachen Volk, das total verarmt und vom Hunger bedroht war (Gerd Theißen).

Demgemäß zogen seine Anhänger mittel- und waffenlos umher (Mt. 10, 5–15). Ihre Aufgabe war, wie er das Reich Gottes zu verkünden, Kranke zu heilen, Dämonen auszutreiben, sogar Tote zu erwecken, und vor allem: Gottes Segen weiterzugeben. Beim Betreten eines Hauses grüßten sie mit dem Friedensgruß "Shalom": Damit stand dieses Haus unter Gottes Schutz. Waren sie nicht willkommen, dann verließen sie den Ort, reinigten sich von dessen Staub und überließen ihn Gottes Gericht, ohne zurück zu kehren.

Die Gefahr für diese Wanderbettler war nicht das Festhalten von Besitz, sondern das Aufgeben ihrer Mission für ein gesichertes Existenzminimum (Mt. 6, 25–33). Mk. 2, 23ff zufolge lasen sie sogar am Sabbat Ähren von abgeernteten Feldern auf. Jesus heilte bewusst auch am Sabbat und erlaubte den Bruch der Sabbatruhe bei Lebensgefahr (Mk. 3, 4).

Das soll den Plan seiner Gegner, ihn zu töten, ausgelöst haben (Mk. 3, 6). Doch gerade Pharisäer lehrten Lebensrettung und Wohltätigkeit für die Armen schon vor Jesus als legitime Erfüllung des Sabbatgebots (Hillel). Sie wollten die Tora im Alltag flexibler anwendbar machen. Dazu ergänzten sie die Bibel mit der mündlichen Auslegung (Mischnah) verschiedener Pharisäerschulen.

Die Evangelien stellten sie überwiegend negativ und zum Teil historisch falsch dar. Historiker erklären das aus ihrer Entstehungszeit: Nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels 70 n. Chr. gewannen die Pharisäer die Führung des Judentums. Obwohl Jesus ihnen nahe stand, grenzten die Christen sich nun polemisch gegen sie ab.

Gegner

Zum damaligen Judentum gehörten neben den Pharisäern weitere, oft verfeindete Gruppen, z.B. Mandäer, Essener, Samaritaner, Zeloten, Herodianer, Sadduzäer.

Die Essener, eine Endzeitsekte mit strengen Reinheitsriten, kommen in den Evangelien nicht vor. Jesus lehnte sie indirekt ab, da er kein "reines" Restisrael, sondern ganz Israel aus Gottes Endgericht retten wollte.

Herodes Antipas, ein von Rom eingesetzter König aus Idumäa (Südjudäa), regierte damals Galiläa und Judäa. Sein Vater, Herodes der Große, ließ Paläste bauen und missbrauchte dazu Teile der Tempelsteuer. Er selbst heiratete eine Nichte als Zweitfrau und ließ den Täufer Johannes wegen Kritik daran hinrichten (Mk. 6, 17–29). Daher waren die Herodianer den meisten Juden verhasst. Sie galten den Evangelien zu Recht auch als Gegner und Verfolger Jesu (Lk. 13, 31).

Seine Hauptgegner waren aber die hellenistisch geprägten, vornehmen Sadduzäer. Als Erben der Leviten verwalteten sie den Tempelkult in Jerusalem. Aus ihnen kam der Hohepriester, der sein erbliches Amt auf Zadok, den Priesterkönig der Makkabäerzeit zurückführte. - Im Hinterland war ihr Einfluss geringer. Doch auch dort wachten sie über die strenge Einhaltung der biblischen Reinheits- und Opfergesetze. Da Jesus diese für seine Jünger außer Kraft setzte (Mk. 7, 1–23), wurde ein Konflikt mit ihnen unvermeidbar.

Die römischen Besatzer unter dem Statthalter Pontius Pilatus kooperierten eng mit der jüdischen Oberschicht. Sie erlaubten den Tempelkult und hielten sich aus jüdischen Konflikten heraus, solange ihre Machtkontrolle nicht bedroht war. Sie setzten Juden als Steuereintreiber und örtliche Autoritäten ein, um Judäa als "Kornkammer" für Rom auszubeuten. - Da Jesus den Armen schon in Galiläa den Landbesitz zusagte (Mt. 5, 5) und immer mehr Zulauf gewann (Mk. 10, 1.46), bahnte sich auch mit den Römern ein Konflikt an. Das galt besonders, als er sich zum Passahfest nach Jerusalem aufmachte. Die Ereignisse dort führten ihn zur direkten Konfrontation mit Kaiphas und Pilatus.

Seit Judas Makkabäus (ca. 170 v. Chr.) gab es in Israel offenen Widerstand gegen Fremdmächte, die Israel ihre Religion aufzwangen. Jüdische Befreiungskämpfer kamen oft aus dem früheren bergigen Nordreich, wo die Exodustradition lebendig blieb. Auslöser für gesamtjüdische Aufstände waren oft Königs- oder Götterstatuen, die ein Fremdherrscher im Jerusalemer Tempel aufstellen ließ. Das widersprach dem biblischen Bilderverbot als Kehrseite des 1. Gebots (Ex. 20, 2ff).

Die Religionspolitik der Römer war anfangs toleranter als die ihrer Vorgänger. Doch um 6 n. Chr. verordnete Augustus allen Juden eine Volkszählung, um ihre Tributpflicht zu erzwingen (nach Lk. 2, 1 der Kontext der Geburt Jesu). Der Galiläer Judas organisierte einen Boykott dagegen, der scheiterte. Danach verübten seine Anhänger ("Sikarier") vermehrt Anschläge gegen römische Beamte und Soldaten. Andere verweigerten römische Steuern, deren Zahlung als Götzendienst galt: Der römische Kaiser war auf den Münzen abgebildet und ließ sich als Gott verehren.

Nach Mk. 12, 13–17 prüften Jesu Gegner sein Verhalten zur Kaisersteuer, um ihn als Zeloten an die Römer ausliefern zu können. Darauf soll er gesagt haben: "Gebt dem Kaiser, was ihm gehört, und Gott, was Gott gehört!" Das hieß offenbar: Der Kaiser ist nicht Gott. Gebt ihm nicht, was Gott gehört: euch und euer Volk. Er lehnte den Steuerboykott also nicht ab: Denn auch er war ein "Eiferer" für Gottes Reich (Jh. 2, 17) aus Galiläa.

Darum folgten ihm auch einige Zeloten nach: Dazu gehörte wohl Judas Iskariot, der ihn später – aus Enttäuschung? – an den Hohenpriester verriet. Denn Jesu Anliegen war nicht, die Römer mit Gewalt aus Israel zu vertreiben. Er lehrte, dass Israels Aufgabe sei, die Völker zu segnen, nicht zu hassen. Seine Nachfolger sollten der übermächtigen Gewalt nicht mit Gegengewalt begegnen, sondern ihre Feinde durch unerwartetes Entgegenkommen überraschen (Mt. 5, 38-48) und so "entfeinden" (P. Lapide). Sein Ziel war, ganz Israel und die Völker zu befreien.

Zug nach Jerusalem

Wann und warum Jesus sich dem Zentrum des jüdischen Glaubens zuwandte, ist ungewiss. Viele Historiker glauben, dass dieser Entschluss nicht geplant war und erst allmählich wuchs. Vielleicht pilgerte er wie die meisten Juden vom Land nur einmal in seinem Leben in die Tempelstadt: Dann wirkte er nur etwa ein Jahr öffentlich.

Er verließ Galiläa wohl, weil sich dort nach seiner Predigt nichts entscheidend besserte. Seine Weherufe über Galiläas Städte lassen das vermuten (Mt. 11, 20-24/Lk. 10, 13-16). Diese geprägten Klagen nehmen das Endgericht vorweg, als sei es schon passiert: Das war in Israels Gerichtsprophetie als letzter ultimativer Umkehrruf zu verstehen. Jesus vertraute die besuchten Städte also Gottes Gericht an und zog weiter, wie er es seinen Jüngern auch geboten hatte (Mt. 10, 14f).

Er zog nach der Enthauptung des Täufers nach Jerusalem (Mt. 14, 12): Sie kann ihn dazu veranlasst haben, sein Werk zuende zu führen, ganz Israel zur Umkehr zu rufen und den jüdischen Gottesdienst zu reformieren. Spätestens jetzt musste Jesus mit seinem gewaltsamen Tod rechnen (Mt. 14, 13). Er nahm diesen wohl bewusst in Kauf (Mk. 8, 31 par.), um ganz Israel von Not, Krankheit, Unrecht und Sünde zu befreien (Mk. 10, 45). Unterwegs folgten ihm einfache Juden, die ihn für den wiedergeborenen Johannes, den Endzeitpropheten Elija oder sogar für den Messias hielten (Mk. 8, 27–30). Sie erwarteten offenbar eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieses Anspruchs.

Jesu Passion

Einzug in Jerusalem

Mit Jesu Einzug zum Passahfest beginnt für die Evangelien seine Leidensgeschichte. Die Festpilger sollen ihn nach einer historischen Passahliturgie als den erwarteten Messias begrüßt haben (Mk. 11, 9f): "Gelobt sei das Reich unseres Vaters David!" Demnach sahen sie ihn als den ersehnten Retter und neuen König Israels.

Daraufhin soll Jesus auf einem zuvor unberittenen Esel in die Stadt geritten sein. Diese prophetische Zeichenhandlung erinnerte die Menge an den biblischen Propheten Sacharja: Dieser hatte einen gewaltlosen Messias der Armen angekündet, der Gottes weltweites Abrüstungsgebot aufrichten und in Israel zuerst durchsetzen würde (Sa. 9, 9-11).

Jesu Eselsritt bejahte diese Messiaserwartung, grenzte sich aber gegen das Bild eines machtvollen Herrschers und die Aufrichtung seines Großreichs im Volk ab. Er wollte demnach kein kriegerischer Anführer sein, sondern die biblische Prophetie des Völkerfriedens durch Abrüstung (Jes. 2, 2–4/Mi. 4, 1–3) gewaltlos zu erfüllen anfangen und so allen Völkern Gottes Reich nahebringen.

Tempelkritik

Giotto, Jesus vertreibt die Händler aus dem Tempel

Der Tempel spielt in den Evangelien eine wichtige Rolle. Jesu Verhalten dazu ist nicht eindeutig. In Galiläa schickte er geheilte Patienten zu den Priestern, damit diese ihre Gesundung amtlich feststellten und sie wieder in die Gesellschaft aufnahmen (Mk. 1, 44). In seiner Toraauslegung lehnte er die Opfer nicht direkt ab, ordnete sie aber der Nächstenliebe unter (Mt. 5, 23f). Indem er im Tempel lehrte, erkannte er diesen als Gotteshaus an. Auch die Tempelsteuer hat er anders als die Kaisersteuer wohl gebilligt (Mk. 12, 41ff).

Doch in Jerusalem soll Jesus gegenüber seinen Jüngern (Mk. 13, 2 par.) wie auch öffentlich (Mt. 23, 38 par.) die Zerstörung der Tempelstadt angekündigt haben. Damit berief er sich auf Jeremia, der die Zerstörung des ersten Tempels (589 v. Chr.) vorhersagte und dafür von den Priestern beinahe getötet worden wäre (Jer. 26).

Nach allen Evangelien vertrieb Jesus kurz darauf die Händler und Geldwechsler aus dem Tempelvorhof. Ohne sie konnten die religiösen Riten nicht vollzogen werden, da nur sie die Opfer nur für jüdisches Geld verkauften, die dann nur im Tempel dargebracht werden durften. Ihre Vertreibung sollte den Tempel vom Opferkult "reinigen" und die Tempelbesucher zu dessen Abschaffung anstiften. Diese prophetische Zeichenhandlung sollte auch Nichtjuden Zugang zum Gotteshaus eröffnen: "Steht nicht in der Schrift: Mein Haus soll ein Bethaus für alle Völker heißen?" (Mk. 11, 17/Jes. 56, 7)

Dieser Tabubruch Jesu stellte den Tempelkult und die Führungsrolle der Priester, also die gesamte bestehende Ordnung in Frage. Er forderte die Elite des Judentums zu einer eindeutigen Reaktion heraus.

Der Passionsbericht der Urgemeinde

Jesu Festnahme, der Prozess gegen ihn, sein Tod und seine Auferstehung nehmen die zentrale Stellung in den Evangelien ein. Diese wurden erst auf diese Ereignisse hin verfasst. Sie sind "Passions- und Ostergeschichten mit ausführlicher Einleitung" (Martin Kähler).

Dabei folgen Matthäus und Lukas jetzt dem Ereignisablauf ihrer Vorlage. Markus lag seinerseits ein älterer Passionsbericht vor, den er in sein Evangelium einbaute. Dieser Bericht begann wohl mit dem Verrat des Judas (Mk. 14, 10) und wurde allmählich nach vorn erweitert. Er führt die von Paulus überlieferten ältesten Credoformeln erzählend aus und geht daher wohl bis auf die Jerusalemer Urgemeinde zurück (Ulrich Wilckens).

Markus hat diesen Passionsbericht mit deutlich antijüdischer Tendenz überarbeitet, den römischen Statthalter entlastet und den jüdischen Führern die Alleinschuld an Jesu Tod gegeben. Darin spiegelt sich die bedrohte Lage der christlichen Gemeinden im römischen Reich und die verschärfte Konkurrenz mit jüdischen Synagogen nach dem verlorenen jüdischen Befreiungskrieg (70 n. Chr.). Die endgültige Trennung vom Judentum stand bevor oder war bereits vollzogen.

Gefangennahme

In Getsemani versteckten sich oft Zeloten. Römische Soldaten bewachten diesen Wald. Nur sie durften Schwerter und Lanzen tragen. Judas Iskariot soll eine so bewaffnete Truppe zu Jesu Lager geführt haben (Mk. 14, 43). Aber hätte ein enttäuschter Zelot die Römer geholt?

Der Hohepriester war nur für kultische, nicht politische Kapitalvergehen, seine Tempelwache nur für den Tempelbezirk zuständig. Darum bestreiten vor allem jüdische Historiker (z.B. Paul Winter), dass es überhaupt einen religiösen Prozess gegen Jesus gab.

Doch sein Auftreten im Tempel konnte einen Volksaufstand beim bevorstehenden Passahfest auslösen. Das hätte unvermeidlich das Eingreifen der Römer, blutigen Kampf und das Ende der religiösen Autonomie Israels provoziert. So ist die Erwägung des Kaiphas plausibel (Jh. 18, 14): "Es ist besser, dass ein Mensch statt des Volkes stirbt." Darum wurde Jesus "mit List" (Mk. 14, 1), nämlich nachts (Mk. 14, 17. 49) festgenommen.

Ihm soll klar gewesen sein, was ihm bevorstand (Mk. 14, 48f): "Ihr seid vorgegangen wie gegen einen Mörder...dabei war ich jeden Tag im Tempel, wo ihr mich festnehmen konntet. Aber so soll die Schrift erfüllt werden!" Man wollte ihn offenbar als "Mörder" durch die Römer hinrichten lassen. So nannten diese die Zeloten, um deren Widerstand zu kriminalisieren und ihre Gewalt dagegen zu legalisieren. Den Tempelhütern lag aber gerade wegen fehlender eigener Strafjustiz an einem legalem Verfahren, das ihre Autorität bewies (Apg. 7, 57).

Laut Evangelien leisteten Jesu Jünger Gegenwehr. Diese habe er sofort gestoppt (Mt. 26, 51f/ Lk. 22, 50f), da er seinen Tod als Gottes vorherbestimmten Willen annahm. Daraufhin seien seine Anhänger geflohen (Mk. 14, 50). Auch ihnen drohte Festnahme und Hinrichtung.

Das Verhör vor dem Sanhedrin

Das oberste Religionsgericht für ganz Israel mit Sitz in Jerusalem bestand aus den führenden Repräsentanten des Judentums: den Jerusalemer Pharisäern, Schriftlehrern und Tempelpriestern. An ihrer Aufzählung erkennt man die Redaktion des Markus.

Die Priester stellten nach jüdischem Gesetz die Mehrheit und waren nicht abwählbar. Der Hohepriester als Chefankläger und Richter in einer Person führte sie. Zur Zeit Jesu bekleidete Kaiphas dieses Amt. Er erhielt es durch römischen Einfluss.

Er vernahm zuerst Zeugen, die behaupteten, Jesus habe Unmögliches, nämlich den Abriss und Neubau des Tempels innerhalb von 3 Tagen geweissagt (Mk. 14, 58). Die Anklage gegen ihn lautete also auf Falschprophetie: eins der schwersten Kapitalvergehen nach der Tora, besonders nach dem 5. Buch Mose (Dtn. 13, 2-6/18, 20).

Für Markus waren die Zeugen Lügner, die sich widersprachen und damit kein legales Todesurteil hergaben (Mk. 14, 56/Dtn. 19, 15ff). Doch ihre Aussage traf im Kern zu. Denn Jesus hatte bei seiner Vertreibung der Opferhändler den Abriss des alten Tempels gefordert und seinen Neubau angekündigt (Jh. 2, 19). Eine solche Kultreform aber stand nach jüdischer Tradition (2. Sam. 7, 13) nur dem Nachkommen Davids, also dem Messias zu (O. Betz). Das erklärt die Frage des Kaiphas im Verhör Jesu (Mk. 14, 61):

"Bist Du der Messias, der Sohn des Hochgelobten?"

Das Menschensohn-Bekenntnis

Jesu Antwort lautete: "Ich bin es..." Dieser Messiasanspruch war auch für die Sadduzäer keine gotteslästerliche Todsünde: Man konnte ihn festsetzen und abwarten (5. Mose 18, 22). Da Israels Gott Herr der Geschichte ist, wurde sein Messias durch seinen historischen Erfolg ausgewiesen. Andere jüdische Messiasanwärter wurden im Judentum trotz späterer Niederlagen hoch verehrt (z.B. Simon Bar-Kochba).

Doch Jesus ergänzte sein Ja so (Mk. 14, 62): "...und ihr werdet sehen den Menschensohn sitzend zur Rechten der Kraft und mit den Himmelswolken kommen". Das zitierte aus der dem Seher Daniel zugeschriebenen Vision vom Endgericht Gottes: "Siehe, es kam einer mit den Himmelswolken, der sah aus wie eines Menschen Sohn..." (Dan. 7, 13f). Ihm werde Gott seine ganze Macht übergeben, so dass ihm alle Menschen dienen würden.

Offenbar identifizierte sich Jesus hier mit diesem "Menschensohn". Er bezog dessen künftiges Handeln auf sein eigenes Vorhaben, den Abriss und Neubau des Tempels. Er wollte den Opferkult abschaffen, Ausländern Zugang zum Gott Israels gewähren und auch ihnen so die Hoffnung auf ein Ende aller Gewaltherrschaft nahebringen. Einen solchen Anspruch gab es im Judentum weder vor noch nach Jesus.

Kaiphas hörte aus Jesu Aussage eine "Gotteslästerung" heraus (Mk. 14, 64). Eine direkte Verfluchung des Gottesnamens kann nicht gemeint sein, weil gerade der historische Jesus das 1. Gebot achtete und den Gottesnamen auszusprechen vermied - ebenso wie sein Ankläger.

Doch indem Jesus die Messiasfrage bejahte und mit der Menschensohn-Ankündigung ergänzte, schien er zu sagen: "Ich bin der Menschensohn." Damit hätte er sich Gott gleich gestellt: Das war für Juden die Ursünde schlechthin. "Ihr werdet sein wie Gott..." sprach die Schlange im Paradies (Gen. 3, 5).

Die umständliche Satzkonstruktion lässt erkennen, dass der Satzteil "sitzend zur Rechten der Kraft und..." später eingefügt wurde. Denn die Evangelien-Redaktion setzte Jesu Auferstehung voraus und verkündete auch hier den schon inthronisierten Christus (Apg. 2, 34). - Jesus selbst sprach sonst immer vom kommenden Menschensohn in der 3. Person. Damit erinnerte er Israels Führer an Daniels Vision, um ihnen zu sagen: Ihr habt eine Zukunft jenseits des Tempelkults, auch wenn dieser zu Ende geht. Seine Aussage klingt drohend – "ihr werdet sehen!" – und ist doch eine Zusage.

Dass die Urchristen glaubten, Jesus sei als Gotteslästerer verurteilt worden, lag an seiner Todesart. Kreuzigung galt wie Aufhängen im jüdischen Gesetz als gerechte Strafe für einen Lästerer des Gottesnamens (Dtn. 21, 23). So wurde vom Tod auf das Todesurteil gefolgert.

Dass Jesu Messiasanspruch damals Gott gelästert habe, ist also historisch falsch. Dies wird jedoch bis heute von vielen Christen behauptet und behindert den notwendigen Dialog mit Juden. Hier hilft das genaue Hinhören auf den Text weiter.

Das Todesurteil

Jesu indirekter Anspruch auf die Menschensohnwürde konnte den Hohenpriester Kaiphas nur bestärken, ihn zu verurteilen. Damit kündete dieser Angeklagte ja seine Entmachtung an, obwohl er völlig machtlos vor ihm stand. So stellte er sich über seinen Ankläger und Richter: eine unerhörte Provokation für Israels Führer, der sein Amt durch die gesamte biblische Tradition legitimiert sah.

Um die Beteiligung und Schuld ganz Israels am Tod Jesu auszudrücken, behauptete der Evangelist ein einstimmiges Todesurteil des Gerichts (Mk. 14, 63f). Das wäre nach den Prozessregeln des Talmud ungültig gewesen.

Auch der vornehme Pharisäer Joseph von Arimathia war ein Ratsmitglied: Er bat Pilatus, Jesus ehrenhaft bestatten zu dürfen (Mk. 15, 43-46). Dann stimmte er dem Todesurteil sicher nicht zu: "Lästerer" und Falschpropheten sollten ohne Grab verscharrt werden, nichts sollte an sie erinnern. Die Pharisäer glaubten wie Jesus an das Kommen des Gottesreichs. Man war also im Sanhedrin uneinig, ob Jesus als todeswürdig anzusehen sei oder nicht.

Doch Kaiphas präjudizierte das Urteil durch das Zerreißen seines Gewandes: eine Trauergeste, wenn ein Jude Zeuge eines Kapitalvergehens wurde. Die Ratsmehrheit folgte ihm: Jesu Menschensohn-Bekenntnis hatte vor ihren Ohren die Anklage auf Falschprophetie voll bestätigt. Rechtsbasis des Urteils waren die strengen Toragebote zur Tötung von Falschpropheten, Volksverführern und Götzendienern (Dtn. 13, 6/18, 20), so auch später bei der Hinrichtung des Stefanus (Apg. 7, 56f).

Die Evangelien folgen Markus und stellen das Vorgehen der Führer Israels als böswillig geplanten und herbeigeführten Justizmord dar (Mk. 14, 11/ 14, 55/ 15, 10f). Doch wenn Jesus sich in seinem Prozess als "Menschensohn" vorstellte, dann war das Todesurteil nach damaligem jüdischen Recht juristisch zwangsläufig und gültig (August Strobel).

Wie erfuhren die Urchristen solche historischen Details? Die Jünger waren ja alle geflohen. Die Verhandlung geschah nachts hinter verschlossener Tür im schwer bewachten Haus des Kaiphas. Nur im Innenhof harrten noch einige Frauen und Petrus (14, 66–72) aus. Joseph von Arimathia könnte ihnen den Prozessverlauf zugetragen haben: Dafür spricht, dass ihnen sein Name noch Jahrzehnte später bekannt war.

Doch der Prozessbericht will kein historisches Dokument sein, sondern den erhöhten Christus verkündigen. Markus bezeugt: Erst als es für ihn um Leben und Tod ging, offenbarte der Menschensohn seine Identität. So gab Jesus sein Leben für uns, als Petrus ihn unten im Hof verleugnete. Darin zeigt sich: Das Bekenntnis zum "Sohn Gottes" war für die Christen, an die sich dieses Evangelium wandte, schon zur Lebensgefahr geworden.

Die Auslieferung

Die Sadduzäer durften damals nicht hinrichten. Darum trafen sie sich am folgenden Morgen erneut, um das Todesurteil in den Vorwurf eines politischen Messiasanspruchs umzuformen. So konnte man Jesus rechtmäßig und rechtzeitig zur Hinrichtung an Pilatus übergeben.

Falschpropheten oder Gotteslästerer sollten nach jüdischem Gesetz "am Fest" hingerichtet werden. Die nach dem Talmud vorgeschriebene Ein-Tages-Frist zwischen Urteil und Vollstreckung wurde in diesem Ausnahmefall missachtet. Bei einer akuten Gefahr für Tempel und Stadt durfte eine Hinrichtung auch sofort geschehen (August Strobel). Das Passahfest machte Jesus zu so einer Gefahr.

Hinzu kam, dass der Falschprophet vor Beginn des Sabbats tot sein musste, um Israel nicht zu verunreinigen. Darum nehmen vor allem christliche Historiker an, dass Jesu Kreuzigung am 14. Nisan (= 7. April) des Jahres 30 stattfand, dem Hauptfesttag des damaligen Passah.

Nach zuverlässigen römischen Quellen war der römische Statthalter ein skrupelloser Machtpolitiker, der jüdische Tradition und innerjüdische Konflikte ignorierte. Er ließ Juden häufig ohne Rechtsverfahren hinrichten, bis man ihn deshalb absetzte. Daher ist unwahrscheinlich, dass er Jesus gegen Kaiphas in Schutz nahm. So stellte es Markus dar, um die Christen gegenüber den römischen Machthabern von den Juden zu unterscheiden. Die übrigen Evangelisten folgten ihm darin.

Unglaubhaft ist auch, dass eine Volksmenge Pilatus zur Hinrichtung Jesu gedrängt haben soll ("Kreuzige ihn!", Mk. 15, 13). Die Menge der Festpilger hatte ihn nur Tage zuvor begeistert als Messiasanwärter begrüßt (Mk. 11, 9). Die Sadduzäer dagegen waren im Volk unbeliebt. Der Innenhof des Pilatuspalastes bot nur wenigen Menschen Raum.

Der Passionsbericht lässt erkennen, dass es eine Absprache zwischen Kaiphas und Pilatus gegeben haben muss. Er bot ihnen den "Mörder" (Zeloten) Barabbas zum Tausch für Jesus an, offenbar um das Volk zu beruhigen (Mk. 15, 6–15). Demnach waren nicht alle Zeloten Feinde der Sadduzäer, und Jesus war für sie die größere Gefahr.

Auch Pilatus und Herodes sollen darüber Freunde geworden sein, dass sie den Todeskandidaten verhöhnten (Lk. 23, 11f). Beide konnten nichts an Jesus finden und beseitigten ihn gerade deshalb. Der gewaltlose Messias der Armen, der keine Macht besaß, war ihnen dennoch im Weg. So wird das Zusammenspiel zwischen römischen Besatzern und jüdischen Kollaborateuren sichtbar.

Pilatus senkte den Daumen und überließ Jesus seinen Folterknechten. Römer ließen Verurteilte öffentlich geißeln, nicht aber Juden: Markus übertrug die Folter aus dem römischen in den jüdischen Prozess Jesu (Mk. 14, 65). Danach zwang man Jesus, sein Kreuz zum Richtplatz vor die Stadtmauer zu tragen. Ein jüdischer Landarbeiter aus der nordafrikanischen Exilsgemeinde Kyrenaika wurde genötigt, ihm die Last abzunehmen, als er nicht mehr konnte. Diese brutale Willkür führte allen Juden am Fest der Befreiung ihre Sklaverei vor Augen.

Dass der Passionsbericht "Simon von Kyrene", der Jesu Kreuz trug, beim Namen nennt, ist aufschlussreich: Juden litten mit und für Jesus und teilten sein Geschick, als seine Anhänger schon geflohen waren und ihn verrieten. Es gab anfangs keine Feindschaft zwischen Christen und Juden, sondern ein gemeinsames Leiden, Erinnern, Hoffen.

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Der gekreuzigte Jesus

Jesu Hinrichtung durch Pilatus gilt als historisch gesichertes Faktum, das auch außerbiblische Quellen bestätigen (Tacitusnotiz). Den Grund dafür nennen diese allerdings nicht.

Nach allen Evangelien wurde Jesus von Pilatus als „König der Juden“ verurteilt. Diesen Grund bestätigt die römische Inschrift über dem Kreuz: "Iesus Nazarenus Rex Iudaios" (Jh. 19, 19). Demnach hielt Pilatus ihn für einen zelotischen Anführer. Die Evangelien bestreiten aber, dass er einen bewaffneten Aufstand plante (Lk. 22, 38), und deuten an, dass die Sadduzäer ihn als Aufrührer denunzierten, um seine Hinrichtung zu erreichen. Für sie stellt der Kreuzestitel kein angebliches Verbrechen fest, sondern bestätigte Jesu Messiasanspruch.

Inwieweit Jesus den Messiastitel aber tatsächlich für sich in Anspruch nahm, ist in der historischen Forschung umstritten. Außer dem Selbstbekenntnis vor Kaiphas, bei dem keiner seiner Anhänger dabei war, bieten die Evangelien keinen eindeutigen Beleg.

Laut Jh. 19, 21 protestierten die Sadduzäer erfolglos gegen den Kreuzestitel: Sie wollten offenbar nicht mehr wahrhaben, dass sie Jesus ja mit dem Vorwurf, er wolle der Messias sein, an Pilatus übergeben hatten. So bleibt fraglich, warum sie ihn als Gefahr sahen, die gegen die Tradition (Dtn. 18, 22) ein rasches Todesurteil und sofortige Auslieferung erzwang.

Erst nachdem Pilatus abgesetzt war, konnten sie kultische Vergehen wieder selbst ahnden. Das jüdische Todesurteil für Gotteslästerung oder Falschprophetie war die Steinigung. Sie wurde erstmals wieder am tempelkritischen Urchristen Stefanus vollzogen (Apg. 7, 56).

Die Kreuzigung war die übliche Hinrichtungsmethode des römischen Kaiserreichs für Aufständische, entlaufene Sklaven und Ausländer. Diese grausame Strafe sollte alle Augenzeugen demütigen und von der Teilnahme an Aufruhr abschrecken. Sie galt Juden als Gottesfluch für Gotteslästerer (5. Mose 21, 23/ Gal. 3, 13) und damit als endgültiger Ausschluss aus dem erwählten Volk. Sie konnte je nach Ausführung tagelang dauern, bis der Gehängte verdurstete oder an seinem eigenen Körpergewicht erstickte. Der Passionsbericht nennt aber keine Details des Vorgangs, sondern beschränkt sich auf die geradezu monotone Darstellung "in der 3. ... der 6. ... der 9. Stunde...".

Das Neue Testament verkündet insgesamt sieben verschiedene Aussagen Jesu während seines Martyriums am Kreuz. Diese stellte die kirchliche Theologie später zu einer Serie der Sieben Letzten Worte zusammen, die eine wichtige Rolle für die Auslegung der Passion Christi spielt.

Pilatus soll überrascht gewesen sein, dass Jesus relativ schnell, vor Ablauf eines Tages, verstarb. Er ließ Jesu Tod nochmals amtlich feststellen, bevor er seinen Leichnam zur Bestattung freigab (Mk. 15, 44f). So betonen alle Evangelien die Aussage des urchristlichen Credos "gestorben und begraben." - Damit reagierten sie wohl schon auf eine Legendenbildung, die behauptete, Jesus sei gar nicht gestorben, sein österliches Erscheinen also keine Überraschung.

Das Bekenntnis zur Auferweckung dieses Juden betont, dass Gott dem Gotteslästerer gegen seine Richter, aber für sein Volk endgültig Recht gab. Dieses Ereignis nach Jesu Tod ist der Kern und Ausgangspunkt der urchristlichen Verkündigung. Der Artikel Jesus Christus im Neuen Testament stellt seinen möglichen historischen Gehalt genauer dar.

Mit dem Abschluss der nachösterlichen Erscheinungen Jesu begann die Geschichte des Christentums. Wie Jesus Christus dort und in der späteren Kirchengeschichte gesehen wird, thematisiert der Artikel Christologie.

Sie überprüft die Informationen des Neuen Testaments über Jesus, indem sie auch aus anderen Quellen gewonnene historische Kenntnisse mit einbezieht und historisch-kritisch untersucht.

Die Artikel darüber stellen

Sie bieten so das nötige Hintergrundwissen für den historischen Jesus.

Offene Fragen

Wie zuverlässig sind die Evangelien?

Fast alles historische Wissen über Jesus stammt aus den Evangelien. Diese besondere antike Literaturform wurde von Christen verfasst. Sie gingen von Jesu Auferstehung aus (Mk. 16, 6) und wollten ihn als den Christus verkünden, indem sie sein Leben deutend nacherzählen. Gesicherte biografische Daten waren ihnen dazu kaum wichtig und wurden, soweit bekannt, ihren Verkündigungs-, Missions- und Lehrabsichten eingeordnet. Der Artikel Jesus Christus im Neuen Testament stellt ihre Deutung näher dar.

Erst die Neuzeit verlangt historische Objektivität auch von Glaubensdokumenten. Die Leben-Jesu-Forschung versucht daher intensiv, "historische" von "geglaubten" Tatsachen methodisch zuverlässig zu unterscheiden. Seit 200 Jahren erwog man jede denkbare Hypothese, bezweifelte alles, auch Jesu Existenz, oder ergänzte fantasievoll fehlendes Wissen (siehe "Spekulative Theorien zu Jesus von Nazareth").

Christen halten historische Angaben des NT oft für glaubwürdiger als Skeptiker, die es als voreingenommene Quelle beurteilen. Grundkonsens ist heute: Die Evangelien entstanden frühestens 60 bis spätestens 120 n. Chr.. Keiner ihrer Autoren kannte Jesus persönlich. Sie enthalten aber ältere mündliche und schriftliche Tradition wie eine vermutete Logienquelle und einen frühen Passionsbericht aus Jerusalem (s.u.). Deren älteste Anteile stammen von Jüngern, die Jesus zu Lebzeiten folgten. Diese waren zugleich alle Juden, die Israels biblische Überlieferungen bewahrten.

Daher gehen heute die meisten Historiker davon aus: Jesus hat gelebt, und einige Daten über ihn sind relativ gewiss. Um zu wissen, was er verkündete, wer er sein und was er tun wollte, muss man ihn nicht für den Christus halten. Und um an ihn zu glauben, muss man historische Kritik nicht ausblenden.

Da die Evangelien keine Biografien Jesu sein wollen, lassen sie so oder so viel Raum für Vermutungen. Einige Fragen werden hier erörtert.

War Jesus ein uneheliches Kind?

Josef, Jesu Vater, soll die unvermutete Schwangerschaft seiner Frau so gedeutet haben. Damit verkündet das NT Jesu Zeugung durch den Heiligen Geist (Mt. 1, 19).

Der Talmud knüpft an diese Deutung Josefs an, um Jesus herabzusetzen: Er sei durch einen römischen Soldaten gezeugt worden, demnach also kein vollgültiger Jude und nicht erbberechtigt gewesen.

Heute vertritt wieder der Historiker Gerd Lüdemann diese These, um zu erklären, warum Jesus sein Wanderleben aufnahm: Er sei als uneheliches Kind ein Außenseiter in seinem Heimatdorf gewesen und habe sich auch deshalb später anderen gesellschaftlichen Außenseitern zugewandt.

Aber die Bezeichnung „Sohn der Maria“ muss nicht auf eine voreheliche Affaire Marias hinweisen. Ebenso kann Josef sich früh von seiner Frau getrennt haben oder gestorben sein, so dass man Jesus nur noch nach seiner Mutter nannte. Viele Familien waren damals entwurzelt, und die sozialen Bindungen lösten sich auf. Dies zeigt sich z.B. daran, dass andere Frauen und Mütter wie die Schwiergermutter des Petrus Jesus nachfolgten (Mk. 1, 30).

Was tat Jesus in seiner Jugend?

Die wenigen Notizen dazu in den Geburtslegenden sind unsicher. Vielleicht half Jesus als Tekton seinem Vater beim Broterwerb für die Familie. Nazareth bot ihnen wohl zuwenig Arbeit. Rechnungen belegen, dass ein Tekton auch beim Schleusenbau, der Instandhaltung von Schöpfrädern und Ausbesserung von Sätteln mitwirkte. Nahebei wurde damals die Römerstadt Sepphoris wieder aufgebaut, die Varus und seine Legionen zerstört hatten.

Aber Jesu Wirkungskreis umfasste später keine Römerstädte. Hätte er sie gemieden, wenn er früher dort gearbeitet hatte? Eventuell nahmen Galiläer, die Johannes und andere Bußprediger zur Umkehr riefen, keine ausländischen Aufträge an und wirkten nicht bei römischen Bauvorhaben mit.

Die Evangelien zeigen, dass Jesus und seine Jünger vom Fischen im See Gennesaret, vom Betteln und von der Gastfreundschaft, der sie unterwegs begegneten, lebten. Das kann auch schon in seiner Jugend so gewesen sein.

Was wollte Jesus in Jerusalem?

Er vertrieb die Opferhändler aus dem Tempel, um alle Völker in ihn einzuladen. Damit stellte er sich aber nur in die prophetische Tradition Israels, z.B. Deuterojesajas und Jeremias. Dieser hatte schon vor 587 kritisiert: "Ihr habt aus dem Hause Gottes eine Räuberhöhle gemacht!" (Jer. 7, 11), weil sich die Kulthüter auf Gottes Gegenwart im Tempel verließen, aber zugleich Gewalt gegen Fremdlinge, Witwen und Waisen zuließen (Jer. 7, 1-15). Auch er demonstrierte Gottes wahren Willen durch spektakuläre Zeichenhandlungen - Zerbrechen eines Tonkruges (Jer. 19, 1-13), Tragen eines Jochs (Jer. 27-28) und Reden im Tempelvorhof (Jer. 19, 14f) öffentlich. Auch er wurde dafür von den Tempelpriestern verfolgt (Jer. 20, 1-3), vor Gericht gestellt und fast zum Tod verurteilt (Jer. 26, 7-24).

Diesmal aber stand das Volk auf der Seite des Propheten Jesus. Es war von ihm so beeindruckt, dass die Sadduzäer nun planten, ihn heimlich festzunehmen. Laut Mk. 14, 1-2 hatten sie Angst, seine öffentliche Festnahme könne einen Aufruhr auslösen.

Erhob Jesus einen Messiasanspruch?

In den Evangelien bezeichnet sich Jesus nirgends direkt als Messias. Außer dem "Ich bin es" in seinem Prozess vor Kaiphas, bei dem keiner seiner Anhänger anwesend war, gibt es keinen Beleg dafür.

Auf die Messiasfrage des Täufers Mt. 11, 2-6/Lk, 7, 18-23 verwies Jesus auf sein Handeln, in dem sich die Verheißungen der Propheten erfüllen.

Petrus bezeichnete ihn als „Christus“ und wurde sofort gewarnt, Jesus nicht misszuverstehen: Der Menschensohn müsse vieles erleiden... (Mk. 8, 29-31).

Ob Jesus diesen Menschensohn-Titel historisch für sich beansprucht hat oder das schon urchristliche Deutung ist, ist umstritten. Sein Verhalten enthielt jedenfalls einen impliziten Vollmachtsanspruch: Er vergab Sünden - was nur Gott zustand - , sagte Sündern das Reich Gottes zu und hob Toragebote auf.

Sein Einzug in Jerusalem zeigte, in welchem Sinne Jesus als Messias verstanden werden wollte: nicht als neuer David und Gewaltherrscher, sondern als macht- und gewaltloser Befreier der Armen. Er erhob keinen direkten Anspruch auf einen Thron oder ein Führungsamt. Er wollte Gottes Willen erfüllen und wurde gerade so allerdings zu einer echten Gefahr für die Amtsträger seines Volkes.

Literatur

Ältere Standardwerke

Moderne Standardwerke

  • Carl Schneider: "Geistesgeschichte der christlichen Antike". dtv, München 1978.
  • Hans Conzelmann/Andreas Lindemann: "Einleitung in das Neue Testament."
  • Jörg Sieger: "Einleitung in das Neue Testament. Die römischen Statthalter in Judäa." in: [[1]]
  • Gerd Theißen: "Soziologie der Jesusbewegung". 7. Auflage 1977.
  • derselbe: "Der Schatten des Galiläers". 13. Auflage 1993.
  • Luise Schottrof/Wolfgang Stegemann: "Jesus von Nazareth - Hoffnung der Armen". 1978
  • Otto Betz: "Jesus, der Messias Israels." 1987
  • Jürgen Becker: "Jesus von Nazaret." Berlin 1996
  • J.D. Crossan: "Jesus." Beck´sche Reihe, München 1996
  • N. T. Wright: "Jesus and the Victory of God". 1996, ISBN 080062681-8
  • Jürgen Roloff: "Jesus". Beck Verlag, 2000.
  • Gerd Theißen und Annette Merz: "Der historische Jesus". Vandenhoeck & Ruprecht, 3. Auflage 2001, ISBN 352552143X.
  • Jens Schröter/Ralph Brucker (Herausgeber): "Der historische Jesus." Aufsatzsammlung, 2002
  • Klaus Berger: Jesus, München 2004, ISBN 3629008127 Hochinformativ, aber nicht ohne Reibungspunkte. Berger, ein bekannter und respektierter Theologe, verteidigt die Mystik, die Jesus umgibt.

Jüdische Historiker und Theologen zu Jesus

  • David Flusser: "Jesus". rororo Bildmonographien, Reinbek bei Hamburg 1968.
  • Schalom Ben-Chorin: "Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht". München 1984.
  • Pinchas Lapide: "Der Jude Jesus." ISBN 3491694051
  • derselbe: "Er predigte in ihren Synagogen. Jüdische Evangelien-Auslegung." 1980
  • Susannah Heschel: "Der jüdische Jesus und das Christentum".
  • Abraham Geiger: "Jesus - Herausforderung an die christliche Theologie"; Jvb, Jüdische Verlagsanstalt, Berlin, März 2001, ISBN 3934658040
  • W. G. Plaut (Hrsg.); "Die Tora in jüdischer Auslegung." Band 1, Genesis; Gütersloh, 1999, ISBN 3579026461
  • W. G. Plaut: "Das Alte Testament mit Kommentar in jüdischer Auslegung". Deutsch - Hebräisch.

Literatur zu Einzelthemen des historischen Jesus

  • Albert Schweitzer: "Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis Jesu". 1901
  • Joseph Blinzler: "Der Prozess Jesu." Regensburg, 1. Auflage 1960/ 4., erweiterte Auflage 1969
  • Werner Koch: "Der Prozess Jesu. Versuch eines Tatsachenberichts." dtv München 1968
  • Rudolf Pesch: "Der Prozess Jesu geht weiter." Herder 1980
  • Der Prozess Jesu nach jüdischem Recht
  • Ulrich Luz: "Warum zog Jesus nach Jerusalem?" in: Aufsatzsammlung "Der historische Jesus", herausgegeben von Schröter/Brucker (s.o.)
  • August Strobel: "Die Stunde der Wahrheit." J. C. B. Mohr, Tübingen 1980
  • Peter Egger: "Crucifixus sub Pontio Pilato." Münster 1997
  • Eckard Rau: "Jesus - Freund von Zöllnern und Sündern." Stuttgart 2000
  • Adolf Holl: "Jesus in schlechter Gesellschaft."

Systematisch-theologische Werke

Populäre Jesus-Literatur

Siehe auch

Jesus

Reliquien