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Gewissen

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Das Gewissen bezeichnet eine spezielle Instanz des menschlichen Bewusstseins, die den Einzelmenschen dazu drängt, aus ethischen Gründen bestimmte Handlungen auszuführen und andere zu unterlassen. Je nach Art der Situation und der Person kann die Entscheidung unausweichlich sein und ganz bewusst erfolgen oder aber halbherzig und kaum durchdacht. Handelt der Mensch entsprechend seinem Gewissen, fühlt er sich gut und zufrieden (gutes, reines Gewissen), handelt er dagegen, fühlt er sich von ebendieser Bewusstseinsinstanz angeklagt und verfolgt (schlechtes Gewissen, Gewissensbisse).

Das Gewissen ist ein universales Merkmal des Menschen (Anthropologie, Ethnologie), nicht jede Sprache hat jedoch ein eigenes Wort für diese Erscheinung. In diesem Sinne gibt es keine Gewissenlosigkeit, wohl aber Menschen, deren Gewissen sehr schwach ausgeprägt oder abgestumpft ist.

Im Deutschen hängt Gewissen mit Wissen zusammen. Das ist sinnvoll, wenn man daran denkt, dass schon in einfachen Alltagssituationen viele Menschen zu erkennen geben, dass sie helfen möchten, ihnen aber das Know-how fehlt, in der Tat zu helfen. In den komplexeren Problemfällen der hochtechnisierten Gesellschaft wiegt das Wissen als Voraussetzung zu einer adäquaten Gewissensentscheidung noch weit schwerer. Das lateinische Wort Conscientia, welches die weitere Bedeutung Bewusstsein (conscientia psychologica) und die engere Gewissen (conscientia moralis) haben kann, wurde wahrscheinlich erstmals von Notker Labeo (+ 1022) mit "Gewissen" übersetzt. Wulfila hatte es ins Gotische als "Mitwissen" entlehnt. Dies lenkt die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der kleinen oder großen Öffentlichkeit für die Wirksamkeit des Gewissens.

Wir befinden uns oft in Situationen, in denen wir uns entscheiden müssen. Wir können so oder anders handeln. Manchmal wissen wir ganz genau, dass eine Entscheidung gut ist, obwohl sie für uns nicht angenehm oder nützlich ist. Oft spüren wir auch, dass eine Entscheidung nicht in Ordnung (schlecht, böse, sündhaft) ist, obwohl sie manches für sich hat. Vor einer solchen Situation vernehmen wir oft in uns eine Stimme, die uns sagt was wir tun oder lassen sollen. Auch nach der Tat meldet sich oft diese Stimme. Sie akzeptiert unsere Tat oder macht uns Vorwürfe. Diese innere Stimme nennen wir das >>Gewissen<< . Das Wort >>Gewissen<< hängt mit >>Wissen<< und >>Gewissheit<< zusammen. In unserem Gewissen haben wir ein Wissen um Gut und Böse. Dieses Wissen ist uns in vielen Fällen ganz >>gewiss<<. Selbst wenn wir anders handeln, als uns die Stimme des Gewissens rät, wissen wir, dass uns das Gewissen richtig beraten hat.

Psychologie

Die Psychologie nach Sigmund Freud verwendet auf diesem Gebiet die drei Begriffe Es, Ich und Über-Ich. Das unbewusst-triebhafte Es wird in seinen Triebäußerungen durch das Über-Ich hemmend kontrolliert. Dabei wird das Über-Ich verstanden als Introjektion der elterlichen und gesellschaftlichen Autorität in das Unbewusste. Das so verstandene Gewissen veranlasst das Kind besonders in den ersten Lebensjahren die gesellschaftlich approbierten Verhaltensweisen einzuhalten. Das reife Ich, die individuelle Persönlichkeit mit ihren aus Erfahrung gewonnenen bewussten Wertsetzungen, bildet sich in der Auseinandersetzung des Menschen mit seiner gesellschaftlichen Umwelt und durch Überwindung des Bestimmtseins durch das Über-Ich.

Materialismus

Nach dem dialektischen Materialismus spiegelt das Gewissen nur den wandelbaren Gesellschaftszustand, welcher sich aus wechselnden materiellen Produktionsverhältnissen erklärt. Da die Materie, die einzige Wirklichkeit, sich ständig verändert, gilt keine sittliche Wahrheit absolut.

Gewissensgründe

Der bundesdeutsche Gesetzgeber anerkennt die Existenz des Gewissens zum Beispiel dadurch, dass er die Möglichkeit zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen einräumt. (Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, GG Artikel 4, Punkt 3) Die Praxis der Gewissensüberprüfung durch das Militär stellte die aus bitterer Erfahrung gewonnene Errungenschaft aber sogleich wieder in Frage.

Unterordnung und Gehorsam

Stanley Milgram untersuchte in seinen sozialpsychologischen Experimenten der 60er Jahre ( siehe Milgram-Experiment) die Gehorsamsbereitschaft unter verschiedenen Bedingungen. Dabei wies er in Wirklichkeit experimentell nach, wie das Gewissen je nach Versuchsanordnung ganz unterschiedlich reagiert. Ein wichtiges Einzelergebnis ist die Widerstandsfähigkeit des Gewissens unter allen Umständen bei etwa einem Drittel der Versuchspersonen. Dieser signifikant hohe Anteil weist auf eine genetische Anlage des Gewissens hin. Insbesondere der noch höhere Anteil der Verweigerer unter der Bedingung der räumlichen Nähe zum "Opfer" verweist auf die Prägung des Gewissens in der Urgesellschaft, in welcher die Hemmung, dem "Nahestehenden" ernstlich zu schaden, überlebenswichtig war. In den wenigen Jahrtausenden seit jener Ursituation hat das genetisch angelegte Gewissen keine Gelegenheit gehabt, sich auf die neuen Möglichkeiten der Fernwirkung einzustellen. Hier versagt, wie Milgram zeigte und die Geschichte lehrt, das Gewissen fatal. Mit jedem Fortschritt, den die Menschheit vorangeht, wächst die existentielle Bedrohung wie bei einem Wagen ohne Bremsen auf abschüssiger Bahn. Die Weltgesellschaft braucht eine ethische Instanz, das Weltgewissen, analog dem individuellen Korrektiv. Anders und effektiver als die internationalen Gerichte in Den Haag muss diese Instanz in der Lage sein, gefährliche Entwicklungen bereits frühzeitig zu stoppen, ethisch positive Initiativen und Tendenzen aber auch wirksam zu unterstützen, selbst gegen starke Partikular-Interessen.

siehe auch Gewissen (Psychologie)