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Auswertung der PISA-Studien: Einfluss des sozialen Hintergrunds

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Die PISA-Schulstudien der OECD umfassen einen zweistündigen Leistungstest sowie eine knapp einstündige Fragebogensitzung. In den Fragebögen werden insbesondere Daten zum sozialen Hintergrund erhoben. Im Rahmen der Auswertung der PISA-Studien wurde der Einfluss des sozialen Hintergrunds auf die Testergebnisse ausführlich untersucht.

Überblick

In der internationalen Auswertung der einzelnen PISA-Zyklen [OECD 2001, 2004, 2007] ist jeweils ein Kapitel dem Zusammenhang zwischen der Testleistung[1] und verschiedenen Hintergrundvariablen gewidmet. Dabei wird im wesentlichen nur die Leistung im jeweils schwerpunktmäßig getesteten Aufgabengebiet analysiert (Lesen in PISA 2000, Mathematik in 2003, Naturwissenschaften in 2006). Präsentation und Interpretation der Daten erfolgen aber jedesmal in ähnlicher Weise. Dabei wird eine Vielzahl von Kennziffern produziert und in verschiedenerlei Tabellen und Grafiken mitgeteilt. Zum Teil können diese Ergebnisse als Länder-Ranglisten gelesen werden.

Um sozialen Hintergrund eindimensional zu quantifizieren, wird unter anderem ein "International Socio-Economic Index of Occupational Status" (ISEI) verwendet, genauer gesagt der Wert des höher bewerteten Elternteil (highest ISEI = HISEI). [2] Der Zusammenhang zwischen der Testleistung und diesem Index ist in Deutschland überdurchschnittlich stark. Im Jahr 2000 wurde im Schwerpunktgebiet Lesen für Deutschland unter allen 32 Teilnehmerstaaten der stärkste HISEI-Gradient ermittelt (gefolgt von der Tschechischen Republik, der Schweiz und Luxemburg) [OECD 2001, Anhang B1, S. 283, Tabelle 6.1a]. Dieses ungünstige Ergebnis wurde in der nationalen Auswertung durch die deutsche Projektleitung deutlich herausgestellt [Artelt et al. 2001, S. 40f.] und erreichte eine breite Öffentlichkeit. Wegen dieser nachhaltigen Wirkung, die sich auch in umfangreicher Literatur niedergeschlagen hat, konzentriert sich die folgende Darstellung auf die Ergebnisse für Deutschland.

Beachtung haben in Deutschland insbesondere die folgenden Ergebnisse gefunden:

  • Starker Zusammenhang zwischen Testleistung und sozialer Schichtzugehörigkeit;
  • Einfluss des Migrationshintergrunds, der aber mehrheitlich mit ungünstigen sozialen Bedingungen parallel läuft;
  • erhebliche soziale Bedingtheit der Schulwahl auch bei gleicher Testleistung;
  • Ost-West- und Nord-Süd-Unterschiede im Bundesländervergleich, die angesichts der schieren Menge an Teilergebnissen aber kein klares Bild ergeben.

Methodik

Es wurden sowohl Leistungsdaten als auch Sozialdaten erhoben. Dann wurde nachgesehen, inwieweit sich die Leistung durch die soziale Lage erklären lässt (die wurde durch die Berechnung des sozialen Gradienten erreicht) und inwieweit Kinder aus schlechteren Soziallagen bei gleicher Leistung schlechtere Schulen besuchen (dies wurde durch die Berechnung der Odds Ratios erreicht.


Leistungsdaten

Die Bewertung des „Bildungsstands“ der Schüler beruht im Kern auf der Anzahl richtig beantworteter Testaufgaben (vgl. Methodik der PISA-Studien). Grundsätzlich legt das PISA-Konsortium großen Wert darauf, den Testteilnehmern keine globalen Leistungskennzahlen zuzuordnen, sondern ausschließlich „Kompetenzen“ in den einzelnen Testgebieten (Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften, 2003 zusätzlich Problemlösen) zu bestimmen. Der Grundsatz, nur von spezifischen Kompetenzen zu reden, wird bei der Untersuchung sozialer Einflüsse jedoch durchbrochen: in diesem Zusammenhang ist ohne weiteres von „der Testleistung“ die Rede – gemeint ist damit entweder ein Mittelwert über die spezifischen Kompetenzen oder der Kompetenzwert im jeweils schwerpunktmäßig untersuchten Gebiet (2000 Lesen, 2003 Mathematik, 2006 Naturwissenschaften).

Sozialdaten

Mit dem Questionnaire werden Hintergrunddaten im Umfang von mehreren Hundert Bits pro Testteilnehmer erhoben. Manche Auswertungen (zum Beispiel zum Migrationshintergrund) beziehen sich auf ganz bestimmte Bits. Andere Auswertungen folgen dem Ansatz des Konsortiums, Informationen zum sozialen Hintergrund in eine globale Kennzahl zusammenzufassen.

In PISA 2000 wurde der soziale Hintergrund allein aufgrund des Berufs der Mutter oder des Vaters bewertet.

In PISA 2003 wurde ein neudefinierter „index of economic, social and cultural status“ (ESCS) verwendet, der als Eigenvektor zum größten Eigenwert der Matrix der Korrelationskoeffizienten der folgenden drei Subindizes bestimmt wird:

  • Der „standard international socio-economic index of occupational status“ (ISEI) nach Ganzeboom (1992), wobei nur der Wert des diesbezüglich höher bewerteten Elternteils berücksichtigt wird („highest ISEI“ = HISEI);
  • die Ausbildungsdauer des länger ausgebildeten Elternteils, erschlossen aus den Schülerangaben zu den Ausbildungsabschlüssen der Eltern;
  • eine Rasch-skalierte Kennzahl, die die Ausstattung des Haushalts mit einzelnen Kulturgütern (Geschirrspülmaschine, Taschenrechner, Internetzugang, Gedichtbände, Kunstwerke, …) zusammenfasst.

Berechnung des Chancenverhältnisses

Um zu überprüfen, wie es um die Bildungschancen der Kinder aus verschiedenen Schichten steht, wurden im Rahmen der PISA-Studie die Odds Ratios für den Besuch des Gymnasiums statt der Realschule berechnet.

Dies geschah folgendermaßen:

  Anzahl Personen der interessierenden Gruppe
(z.B. „obere Dienstklasse“)
Anzahl Personen der Referenzgruppe
(z.B. „Facharbeiter“)
Im Gymnasium
a
b
In der Realschule
c
d


Eine Odds Ratio von

  • genau 1 bedeutet, dass es keinen Unterschied in den Odds gibt,
  • ist die Odds Ratio >1, sind die Odds der ersten Gruppe größer,
  • ist sie <1, sind sie kleiner als die der zweiten Gruppe.

Ist die Odds Ratio 6,06 dann ist die Chance für Kinder aus der oberen Dienstklasse das Gymnasium statt die Realschule zu besuchen um das 6,06fache erhöht. Populärwissenschaftlich ausgedrückt: Für Kinder aus der oberen Dienstklasse ist die Chance ein Gymnasium zu besuchen 6,06 mal so groß wie für Facharbeiterkinder. Der Begriff "relative Chance" ist dabei jedoch im populärwissenschaftlichen Sinne benutzt. Im wissenschaftlichen Sinne ist die relative Chance etwas anderes als die Odds Ratio (nähres zu den Unterschieden: siehe Odds Ratio). Da jedoch in der Presse häufig der Begriff Chance statt Odds Ratio verwandt wird, obwohl dies mathematisch eigentlich falsch ist, wird er auch hier verwandt werden. Zum Unterschied zwischen Odds Ratios und relativen Chancen/relativen Risiken siehe auch: Relatives Risiko

Der soziale Gradient

Vereinfacht ausgedrückt wird hier versucht eine Gerade zu berechnen, die bei gegebenem Sozialstatus ermöglicht die Kompetenz vorherzusagen.

Um das zu verdeutlichen: Man stelle sich ein Koordinatensystem vor. Die Abszisse (die waagerechte Achse) repräsentiert dabei die unabhängige Variable (X). Das wäre in diesem Fall die soziale Herkunft. Die Ordinate (die senkrechte Achse) repräsentiert die abhängige Variable. Das wäre in diesem Fall der Bildungserfolg.

Nun wird jeder Schüler entsprechend seines Bildungserfolges und seiner sozialen Herkunft ins Koordinatensystem eingetragen. So erhält man eine sogenannte Punktewolke. Jeder Punkt symbolisiert einen Schüler.

Durch diese Punktewolke zieht man eine Gerade und zwar so, dass alle Punkte der Wolke möglichst nah an der Gerade liegen. Steigt diese Gerade stark an, so ist der Zusammenhang zwischen sozialem Status und Kompetenz stark, steigt sie nur langsam an, so gibt es nur einen schwachen Zusammenhang. Mathematisch ausgedrückt: Regression von den jeweiligen Kompetenzwerten auf den internationalen Index für den sozioökonomischen Standard der Familie (ISEI) geschätzt. Diese Regressionsfunktion erlaubt bei gegebenem Sozialstatus eine Vorhersage des erreichten Kompetenzniveaus. Zur Schätzung genügte eine lineare Regressionsgleichung. Die Regressionsgerade wird als sozialer Gradient des jeweiligen Kompetenzbereichs bezeichnet. Näheres siehe: Regressionsanalyse.

In Deutschland hat die soziale Lage einen starken Einfluss auf das Leistungsniveau[3].

Allgemeines

Es zeigte sich, dass Kinder aus niedrigen sozialen Schichten beim Übergang auf höhere Schulen benachteiligt sind. Entgegen den Vorurteilen sind jedoch nicht mehr die "katholischen Mädchen vom Lande" benachteiligt, wie das noch in den 1970er Jahren war. Diese Gruppe erreicht heute gute Kompetenzen und besucht hohe Schulformen. Heute sind es vorallem, die Kinder aus den sozial schwachen Stadtteilen der westdeutschen Großstädte, die in Bezug auf die Bildung benachteiligt sind. Arbeitslosigkeit, Kinderarmut, Bildungsarmut der Eltern und der Zusammenbruch der Familie sorgen dort dafür, dass diese Kinder nicht ihr volles Potential erreichen können [Ehmke et al. 2004].

Dafür sind folgende Gründe zu nennen:

1. Schichtspezifische Ausprägung der Problemlösekompetenzen [Wiss. Beirat f. Familienfragen 2002, S. 29]. Die Problemlösekompetenz ist eine fächerübergreifende Kompetenz. Sie bezeichnet die Fähigkeit, schlussfolgernd zu denken, zu analysieren, Zusammenhänge zu erkennen und Ideen gegeneinander abzuwägen. Die Problemlösekompentenz wird für alle Fächer benötigt. Es zeigte sich, dass Kinder aus niedrigen Schichten hinsichtlich der Problemlösekompentenz hinter ihrem Potential zurückblieben und nicht die gleichen Problemlösekapazitäten erreichen wie Kinder aus den oberen Schichten. Hierbei zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. In Ostdeutschland sind die schichtspezifischen Unterschiede hinsichtlich der Problemlösekompentenz weit weniger stark ausgeprägt als im Westen (mit Ausnahme von Bayern, wo die Unterschiede auch sehr gering sind)
2. Selbst bei gleicher Problemlösekompetenz erreichen Kinder aus den niedrigen sozialen Schichten nicht die gleichen fachlichen Leistungen wie Oberschichtskinder. Die Folge ist, dass die fachlichen Leistungen der Kinder sich noch mehr unterscheiden, als ihre Problemlösekompetenz [Wiss. Beirat f. Familienfragen 2002, S. 29].
3. Konnte gezeigt werden, dass auch bei gleichen fachlichen Leistungen und gleicher Problemlöskompentz Kinder aus niedrigen sozioökonomischen Schichten seltener das Gymnasium besuchen als ihre privilegierteren Altersgenossen [Ehmke et al. 2004, S. 246]. Hier sind die Unterschiede in Bayern am größten. Hier sind bei gleichen Problemlösekompetenzen und gleichen Lesekompetenzen für ein Kind aus der oberen Dienstklasse die Chancen, ein Gymnasium zu besuchen, 6 mal so hoch wie für ein Arbeiterkind [Baumert et al. 2002, S. 168 [4].

Benachteiligung (bei gleichen Kompetenzen) allgemein

Es muss daran erinnert werden, dass die Benachteiligung der Arbeiterkinder größtenteils darin liegt, dass sie weniger Kompetenzen erreichen, als Kinder aus den höheren Schicht. Dazu Baumert und Schümer vom PISA-Konsortium: Der Löwenanteil der ungleichen Bildungsbeteiligung geht auf den gemeinsamen Einfluss von kognitiven Grundfähigkeiten, Lesekompetenz und Sozialschichtzugehörigkeit zurück. Die sekundären Disparitäten, die allein auf die Sozialschichtzugehörigkeit zurückzuführen sind, fallen demgegenüber vergleichsweise bescheiden aus, auch wenn die Diffenrenzen der Bildungschancen noch immer substanziell sind [Baumert et al. 2002, S. 168[?]].

Doch stellt das deutsche PISA-Konsortium fest: Bei gleicher Kompetenz sind Entschiedungen für den Besuch einer bestimmten Schulform durch die Herkunft beeinflusst [Ehmke et al. 2004, S. 246].

Auch bei vollkommen gleichen kognitiven Grundfertigkeiten und gleichen fachlichen Kompetenzen besuchen Arbeiterkinder seltener das Gymnasium als Kinder aus den Oberschichten. Auch zeigte sich, dass Akademikerkinder bei gleich schlechten Leistungen eher die Realschule als die Hauptschule besuchen.

Besuch der Hauptschule vs. der Realschule

Kinder aus niedrigeren Schichten besuchen im Vergleich zu Kindern aus höheren Schichten bei gleicher Kompetenz häufiger die Hauptschule als die Realschule. Dies zeigt folgende Tabelle:

Es werden drei Modelle gerechnet:

  • Modell I: Keine Kontrolle von Kovariaten (d.h. keine Kontrolle von anderen Dingen, die auch eine Rolle spielen könnten)
  • Modell II: Hier werden auch die kognitiven Grundfertigkeiten (Problemlösekompetenzen) miteingerechnet
  • Modell III: Hier werden kognitiven Grundfertigkeiten und mathematische Kompetenz eingerechnet

Es wurden Kinder von Eltern mit verschiedene "ökonomischem sozialem und kulturellem Status" betrachtet. In diesen Status fliesst dabei unter anderem ein, welchen Beruf die Eltern haben, welche Schulausbildung sie haben. Es fliesst aber auch ein, ob sie dem Kind Bücher schenken oder ihm Museumsbesuche ermöglichen.


Chancenverhältnis der Bildungsbeteiligung nach ökonomischem, sozialem und kulturellem Status
Status der Eltern Modell I Modell II Modell III
"sehr hoher" Status der Eltern 0,44 0,50 0,65
"hoher" Status der Eltern 0,63 0,71 0,79
"niedriger" Status der Eltern 1 1 1
"sehr niedriger" Status der Eltern 1,73 n.s. n.s.

Quelle: Ehmke et al. 2004, S. 246.

Wie liest man nun diese Tabelle?

Hier wurden die Odds Ratios berechnet. Die Berechnung der Odds Ratios ist weiter hinten erklärt (siehe Kapitel „Methodik“).

In diesem Falle würde eine Odds Ratio von genau 1 bedeuten, dass das Chancenverhältnis ausgeglichen ist, d.h. es gibt keine Benachteiligung. Eine Odds-Ratio von unter 1 bedeutet in diesem Fall eine Bevorzugung (je kleiner die Odd-Ratio, desto größer die Bevorzugung), eine Odds Ratio von über 1 eine Benachteiligung (je größer die Odd-Ratio desto größer die Benachteiligung). n.s. bedeutet "nicht signifikant", das bedeutet es konnte kein Unterschied gemessen werden.

Nun lässt sich feststellen:

  • Kinder von Eltern mit einem sehr hohen und mit einem hohen Status werden in allen drei Modellen bevorzugt. Das heisst auch bei schlechten Leistungen besuchen sie eher eine Realschule als eine Hauptschule. Wenn man jedoch mathematische Fähigkeiten und kognitive Grundkompetenzen miteinbezieht ist diese Benachteiligung deutlich kleiner
  • Kinder von Eltern mit einem sehr niedrigen Status besuchen häufiger eine Hauptschule, als Kinder von Eltern mit niedrigem Status.Wenn man jedoch kognitive Grundfertigkeiten und Mathematikkompentenz einbezieht sind sie nicht mehr benachteiligt.

Besuch des Gymnasium vs. Besuch einer anderen Schulform

Alle folgenden Ausführungen stammen aus dem Buch "PISA 2000 - die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich" (Baumert et al. 2002, insbes. S. 169[??]).

Vergleich von Arbeiterkinder mit Kindern von Handwerkern und Landwirten

Vergleicht man die Arbeiterkinder mit den Kindern von Landwirten und Selbständigen aus manuellen Berufen (dies sind meistens Handwerksmeister), so fällt für die meistens Bundesländer auf, dass es hier keine Bildungsbenachteiligung gibt, wenn man die Kompetenzen kontrolliert. Das heisst, die Tatsache, dass Handwerker und Landwirtskinder etwas häufiger das Gymnasium besuchen als Arbeiterkinder liegt an deren größeren Kompetenzen. Anders sieht die Situation jedoch in Bayern, Nordrheinwestfalen und Thüringen aus. Hier können Handwerker und Landwirte durchsetzen, dass ihre Kinder auch bei gleichen Kompetenzen häufiger das Gymnasium besuchen.

Vergleich von Arbeiterkindern mit Kindern von Eltern aus dem Bereich Rountinediensleistungen

Hält man die Kompetenz konstant, so fällt auf, dass Kinder von Eltern aus dem Bereich Routinedienstleistungen nur in drei Bundesländern bessere Chancen haben als Arbeiterkinder. Dies sind Baden-Württemberg, Bayern und Schleswig-Holstein. In den restlichen Bundesländer spielt es bei gleicher Leistung keine Rolle, ob die Eltern Arbeiter oder im Bereich Rountinediensleistungen beschäftigt sind.

Vergleich von Arbeiterkindern mit Kindern von Eltern aus der unteren Dienstklasse

Hier jedoch finden sich nun signifikanten Unterschiede. In allen Bundesländern besuchen Kinder aus der unteren Dienstklasse auch bei gleicher Leistung häufiger das Gymnasium als die Arbeiterkinder. Insgesamt besuchen diese privilegierten Kinder etwa 2,46 mal so oft (alte Länder), beziehungsweise 2,11 mal so oft (neue Länder) das Gymnasium. Der Chancenunterschied ist in den Großstädten am ausgeprägtesten.

Vergleich von Arbeiterkindern mit Kindern von Eltern aus der oberen Dienstklasse

Hier finden sich nun deutlichen Unterschiede in den Chancen auf einen Gymnasialbesuch. Bei gleicher Kompetenz besuchen Kinder aus der oberen Dienstklasse 3,73 mal (alte Bundesländer) beziehungsweise 2,41 mal (neue Bundesländer) so oft das Gymnasium wie Arbeiterkinder. Am größten sind die Chancenunterschiede in Bayern und in den Großstädten.

Vergleich von Facharbeiterkindern mit Kinder von un- und angelernten Arbeitern

Dass die Kinder von un- und angelernten Arbeitern seltener das Gymnasium besuchen als die Facharbeiterkinder scheint in den meisten Bundesländern vor allem an geringeren Kompetenzen zu liegen. Hält man die Kompetenz konstant, so haben Kinder von an- und ungelernten Arbeitern lediglich in Bayern und Sachsenanhalt schlechtere Chancen.

Anmerkung

Der "Hauptgrund" dafür, dass Kinder verschiedene Schulen besuchen liegt zwar in der verschiedenen Kompetenz, doch dass die Kompetenz der Kinder aus verschiedenen Schichten so weit voneinander abweicht heißt freilich nicht, dass dies schon immer so war. Es könnte vielmehr auch sein, dass die Kompetenzunterschiede durch den Schulbesuch im gegliederten Schulsystem erworben wurden. Dann wäre dieser "Grund" gar nicht der Grund, sondern er wäre erst nachträglich entstanden. Der wissenschaftliche Beirat für Familienfragen kommt zu dem Schluss, dass Kompetenzentwicklung und Bildungserfolg stark von der besuchten Schulform und damit verbundenen differentiellen Lernangeboten [abhängen] [Wiss. Beirat für Familienfragen 2002, S. 29]. Die IGLU-Studie zeigt, dass die Kompetenzunterschiede von Grundschülern noch längst nicht so groß sind wie die bei PISA gemessenen Kompentenzunterschiede. Dies würde also für diese These sprechen.

Welchen Einfluss hat die besuchte Schulform?

Es zeigte sich, dass die besuchte Schulform einen großen Einfluss auf die Kompetenzen hat. Die größten Kompetenzen erwarben die Schüler auf dem Gymnasium, die geringsten auf der Hauptschule. Gesamtschule und Realschule liegen in der Mitte. Auf dem Gymnasium ist der Kompetenzerwerb am wenigsten an die soziale Herkunft gekoppelt. In der Gesamtschule ist er am meisten an die soziale Herkunft gekoppelt.

Kompetenzerwerb an verschiedenen Schulformen (gemessen in „Kompetenzpunkten“)
Schulform Sehr „niedrige“ soziale Herkunft „Niedrige“ soziale Herkunft „Hohe“ soziale Herkunft Sehr „hohe“ soziale Herkunft
Hauptschule 400 429 436 450
Intergr. Gesamtschule 438 469 489 515
Realschule 482 504 528 526
Gymnasium 578 581 587 602
Ehmke et al. (2004), S. 244.


Einfluss einzelner soziodemographischer Merkmale

Wo haben Schüler mit Migrationshintergrund die größten Erfolgschancen?

Mit der Sonderstudie Where Immigrant Students Succeed – a comparative Review of Performance and Engagement from PISA 2003 (deutscher Titel: Wo haben Schüler mit Migrationshintergrund die größten Erfolgschancen? – Eine vergleichende Analyse von Leistung und Engagement in PISA 2003) wurde ermittelt, ob Migrantenkinder im Schulsystem ebenso erfolgreich sind wie autochthone Schüler und Schülerinnen.

Ein erstes Ergebnis war, dass kein ausschlaggebender Zusammenhang zwischen dem Umfang der zugewanderten Schüler und Schülerinnen in den Beispielländern einerseits und dem Umfang der zwischen Migrantenkindern und einheimischen Schülerinnen und Schülern beobachteten Leistungsunterschiede andererseits besteht. Dies widerlege die Annahme, wonach sich ein hohes Zuwanderungsniveau negativ auf die Integration auswirke.

Im Ländervergleich dieser Studie ist Deutschland das Schlusslicht bei der Integration von Migrantenkindern der zweiten Generation. Obschon den Migrantenkindern von der Studie Lernbereitschaft und eine positive Einstellung attestiert wurde, sind ihre Erfolgschancen im deutschen Bildungssystem geringer als in jedem anderen der 17 untersuchten Staaten:

  • Im Durchschnitt liegen Migrantenkinder gegenüber einheimischen Kindern um 48 Punkte zurück; in Deutschland jedoch um 70 Punkte. Am größten sind die Unterschiede in den Naturwissenschaften, am geringsten in der Lesekompetenz [Ramm et al. 2004].
  • Während in fast allen anderen teilnehmenden Staaten in der zweiten Generation die Migrantenkinder höhere Leistungspunktzahlen erreichen, sinken diese in Deutschland noch einmal extrem: Migrantenkinder der zweiten Generation liegen hinter ihren Mitschülern und Mitschülerinnen rund zwei Jahre zurück. Über 40 % erreichen von ihnen nicht die Grundkenntnisse der Leistungsstufe 2 in Mathematik und schneiden auch in der Lesekompetenz ähnlich schlecht ab.

Detailliertere, auf die PISA 2000 Untersuchung aufbauende Studien zeigen, dass im Ergebnis nicht die Herkunft als solche, sondern (neben der im Elternhaus gesprochenen Sprache [Esser 2001; Kristen 2002] das Ausbildungsniveau der Eltern, insbes. der Mutter, über den Bildungserfolg entscheidet [5] – ein Zusammenhang, der gleichermaßen auch für die einheimische Bevölkerung festgestellt wurde.


Leistungspunkte in Mathematik der 15jährigen Schüler und Schülerinnen
Schüler ohne Migrationshintergrund Schüler der ersten Generation* Schüler der zweiten Generation**
OECD-Durchschnitt 523 475 483
Deutschland 525 454 432
*im Ausland geboren, ausländische Eltern – **im Erhebungsland geboren, ausländische Eltern


Dass Jugendliche ausländischer Herkunft, die selbst zugewandert sind, nach dieser Tabelle bessere Ergebnisse erzielen als Jugendliche ausländischer Herkunft, wäre allerdings ein statistischer Fehlschluß. Denn die Familien der in Deutschland geborenen Schüler ausländischer Herkunft stammen größtenteils aus der Türkei, und türkischstämmige Migranten schneiden bei PISA besonders schlecht ab. Jugendliche, die selbst zugewandert sind, sind eine heterogenere Gruppe aus einer Vielzahl von Herkunftsländern. Auch hier zeigt sich, dass die Migranteneigenschaft als solche wenig Aussagekraft besitzt und die Zusammensetzung der Migranten für den Bildungserfolg von entscheidender Bedeutung ist.

Für jedes einzelne Herkunftsland gilt, dass in Deutschland geborene jugendliche ausländischer Herkunft bessere Ergebnisse erzielen als Jugendliche, die im Ausland geboren wurden. Beispielhaft sei das für den Fall der Jugendlichen aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei für den Bereich Mathematik gezeigt [Ramm et al. 2004, S. 268]. Es gilt in ähnlicher Weise für andere Herkunftsgruppe und die Bereiche Naturwissenschaften und Lesekompetenzen:

Herkunft der Familie Migrationsstatus Leistungspunkte Mathematik
Ehem. Jugoslawien In Deutschland geboren 472
Ehem. Jugoslawien Zugewandert 420
Türkei In Deutschland geboren 411
Türkei Zugewandert 382

Es wurde bereits in anderen Studien darauf hingewiesen, dass Jugendliche türkischer Herkunft eine Risikogruppe sind und im deutschen Schulsystem weniger lernen als andere Jugendliche ausländischer Herkunft und schlechtere Schulen besuchen als diese. Die Gründe dafür sind umstritten.

Effekte sprachlastiger Testaufgaben

Es wäre möglich, dass das schlechte Abschneiden der Jugendlichen mit Migrationshintergrund bei PISA ein Ergebnis sprachlastiger Testaufgaben wäre. Die Aufgaben bei PISA unterschieden sich hinsichtlich ihrer Spachlastigkeit. Insbesondere Aufgaben, die technische Fähigkeiten messen, kommen mit minimalen sprachlichen Instruktionen und Text aus. Andere wieder sind sehr sprachlich.

Es wurde überprüft, ob Schüler mit Migrationshintergrund weniger sprachlastige Aufgaben besser lösten. Das war nicht der Fall. Stattdessen deutet sich das Gegenteil an, Schüler mit Migrationshintergrund schneiden bei sprachlastigen Aufgaben etwas besser ab als bei relativ sprachfreien. Die Gründe dafür sind ungeklärt. Es wird deutlich, dass die niedrige mittlere Kompetenz der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund nicht durch schlechtere Ergebnisse in sprachabhängigen Teilkompetenzen bedingt ist [Ramm et al. 2004, S. 269/270].

Gründe für das schlechtere Abschneiden der Schüler mit Migrationshintergrund

Die Gründe für das schlechte Abschneiden der Schüler mit Migrationshintergrund sind wahrscheinlich in sozialen Faktoren zu suchen. Ein Großteil der Jugendlichen, deren Eltern im Ausland geboren sind, gehört der unteren Schicht an [Ramm et al. 2004, S. 272]. Kinder ausländischer Akademiker schneiden bei PISA so gut ab, wie Kinder deutscher Akademiker. Sozialstatus, genauer: das soziokulturelle und insbesondere das Bildungsniveau der Eltern, und nicht der Migrationsstatus ist wohl der entscheidende Faktor.

Laut den Veröffentlichungen des PISA-Konsortiums besteht ein Einfluss sozio-ökonomischer Bedingen:

Die soziokulturelle Herkunft - Migration - ist [in Deutschland] eng gekoppelt mit der sozioökonomischen Lage der Familien. Ein Großteil der Jugendlichen, deren Eltern im Ausland geboren sind, gehören der unteren Schichten an. Da die Chancen, eine höhere Schulform zu besuchen, eng mit dem sozioökonomischen Status verbunden sind, liegt es nahe, dass der überwiegende Teil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund Hauptschulen besucht. Wie die Befunde zeigen, bestimmt der Migrationsstatus für sich nicht den Besuch einer bestimmten Schulform [Ramm et al. 2004, S. 272].

Was ist zum Besuch des Gymnasiums oder der Realschule von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu sagen?

Jugendliche mit Migrationshintergrund besuchen seltener ein Gymnasium oder eine Realschule als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund findet sich eine Bildungsbeteiligung, wie sie bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund etwa 1970 zu finden war. Daran scheint primär die Sprache Schuld zu sein. Baumert und Schümer kommen in einer Analyse im Auftrag des PISA-Konsortiums zu folgendem Schluss:

"Für die Disparitäten der Bildungsbeteiligung sind primär weder die soziale Lage der zugewanderten Familien noch die Distanz zur Majoritätskultur als solche verantwortlich. Von entscheidender Bedeutung ist vielmehr die Beherrschung der deutschen Sprache auf einem dem Bildungsgang angemessenen Niveau. Für Kinder aus Zuwandererfamilien ist die Sprachkompetenz die entschiedende Hürde in ihrer Bildungskarriere. Bei gleicher Lesekompetenz machen Kinder aus Zuwandererfamilien vom Übergang in einen mittleren oder höheren Bildungsgang tendenziell häufiger Gebrauch als die Altersgleichen, die aus deutschsprachigen Familien stammen (vgl. Baumert/Schümer: Familiäre Lebensverhältnisse, Bildungsbeteiligung und Kompetenzerwerb im nationalen Vergleich, S. 199; In: Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.): PISA 2000 – Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich).

Liegt die geringer Chancengleichheit in Westdeutschland an den vielen bildungsfernen Migranten?

Diese Frage muss verneint werden:

Das wirklich überraschende Resultat der Analysen ist [...] der [...] deutlich zu erkennende Befund, dass die sekundären sozialen Ungleichheiten unter den 15-jährigen ohne Migrationshintergrund nicht geringer, sondern tendenziell größer als für die Gesamtkohorte ausfallen. Es kann also keine Rede davon sein, dass die Probleme der sozialen Verteilungsgerechtigkeit im engeren Sinne eine Nebenfolge der Zuwanderung sozial schwacher Bevölkerungskreise seien. [...] Ein ähnliches Resultat haben zum ersten mal Lehmann, Peek und Gänsefuß (1997) aus der Hamburger Untersuchung zur Lernausgangslage berichtet. Dies heißt, [...], dass das Ost-West-Gefälle [...] bei einer Betrachtung ausschließlich von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund noch steiler ausfällt [Baumert et al. 2002, S. 171f.].

Welchen Einfluss hat die Familienstruktur auf die PISA-Ergebnisse? (Bereich-Mathematik-Kompetenz)

In allen Ländern der OECD erreichen Jugendliche, die in Kernfamilien leben, höhere Kompetenzmittelwerte in Mathematik als Jugendliche, die bei alleinerziehenden Müttern oder Vätern leben. Am größten ist der Unterschied in den USA. Hier haben Jugendliche aus Kernfamilien einen Vorsprung von 51 Kompetenzpunkten. In Österreich fällt ihr Vorsprung mit nur 5 Punkten am geringsten aus. Auch in Deutschland ist der Vorsprung mit nur 11 Punkten gering. Kinder aus Kernfamilien erreichen 515 Kompetenzpunkte, Kinder von Alleinerziehenden 504 Kompetenzpunkte.

Mehrere Gründe für die Korrelation sind denkbar. Damit Kinder gesund heranwachsen können, ist es wichtig, dass sie in ein soziales Netz eingebunden sind und Bezugspersonen haben. Dies können, nach Meinung vieler Wissenschaftler, Familien eher leisten als Alleinerziehende. Alleinerziehende haben oft geringere zeitliche Ressourcen, was möglicherweise Auswirkungen auf die Leistungsentwicklung hat (Baumert&Schümer, 2001, 2002; OECD, 2004; Schneewind und Pekrun, 1994). Möglicherweise ist aber auch in manchen Ländern unter alleinerziehenden Müttern das durchschnittliche Bildungs- und Herkunftsniveau niedriger, was z. B. die großen Untescdhiede zwischen den USA und Deutschland erklären könnte.

In Deutschland leben 16,7 % der Jugendlichen bei einem alleinerziehenden Elternteil [Ehmke et al. 2004, S. 228].

Welchen Einfluss hat die Arbeitslosigkeit eines Elternteiles die PISA-Ergebnisse? (Bereich-Mathematik-Kompetenz)

Arbeitslosigkeit ist eine ökonomische und psychische Belastung, die sich negativ auf die Familie auswirken kann. Das ist insbesondere dann so, wenn der Vater arbeitslos ist (Betram, 2004)

In Deutschland waren 81,8 % der PISA-Väter vollzeiterwerbstätig, 7,6 % waren teilzeiterwerbstätig und 5,5 % arbeitssuchend [Ehmke et al. 2004, S. 230].

In allen OECD-Staaten hatten die Kinder mit einem vollzeiterwerbstätigen Vater die höchsten Kompetenzwerte in Mathematik. Die Jugendlichen mit einem arbeitssuchenden Vater hatten die niedrigsten. Im OECD Durchschnitt haben die ersteren einen Vorsprung von 46 Punkten. Auch in Deutschland beträgt der Kompetenzunterschied 46 Punkte. Schüler mit einem vollzeiterwerbstätigen Vater erreichen 552 Kompetenzpunkte, Schüler mit einem teilzeiterwerbstätigen Vater 478 Kompetenzpunkte und Schüler mit einem arbeitssuchenden Vater 476 Kompetenzpunkte (ebd., S. 230).

Welchen Einfluss hat der elterliche Bildungsabschluss?

Man geht davon aus, dass Eltern die Vorbilder ihrer Kinder sind, und diesen Wertorientierungen, Qualifikationen und arbeitsbezogene Einstellungen vermitteln. "Durch das Orientieren an elterlichen Vorbildern und Modellen werden bei Kindern Kenntnisse und Interessen entwickelt, die sich förderlich auf die schulische und außerschulische Kompetenzentwicklung auswirken (ebd., S. 231).

Bei PISA wird zwischen drei Stufen des elterlichen Bildungsabschlusses unterschieden:

Stufe 1 :

  • Personen ohne Schulabschluss,
  • Personen mit Hauptschulabschluss,
  • Personen mit Realschulabschluss,

für die gilt

  • dass sie keine Lehre abgeschlossen haben

Im OECD-Durchschnitt sind 17,2 % aller Eltern auf dieser Stufe, in Deutschland sind es 15,9 % der PISA-Eltern.

Stufe 2 :

  • Personen mit Lehre,
  • Personen mit Abitur oder Fachhochschulreife,
  • Personen, die eine Handelsschule besucht haben

Im OECD-Durchschnitt sind 39,8 % aller PISA-Eltern auf dieser Stufe, in Deutschland sind es 43,1 % der PISA-Eltern.

Stufe 3

  • Meister
  • Personen mit dem Abschluss einer Fachschule oder Technikerschule,
  • Personen mit dem Abschluss einer Berufs- oder Fachakademie,
  • Personen mit dem Abschluss einer Fachhochschule oder Universität

Im OECD-Durchschnitt sind 39,8 % aller PISA-Eltern auf dieser Stufe, in Deutschland sind es 43,1 % der PISA-Eltern (ebd., S. 233).

Es gibt in allen Ländern der OECD einen Zusammenhang zwischen elterlichem Bildungabschluss und Mathematikkompetenz. Im OECD-Durchschnitt ist der Kompetenzunterschied 88 Punkte. Dies entspricht etwa zwei Schuljahren. Sehr gering fällt der Unterschied in Finnland (42 Punkte) und Portugal (44 Punkte) aus. Sehr groß ist er in der Slowakischen Republik (144 Punkte Unterschied). Auch in Deutschland ist er mit 106 Punkten relativ hoch (ebd., S. 233).

Welchen Einfluss hat der Besitz von Kulturgütern?

Zu den Kulturgütern zählen zum Beispiel Literatur, Kunstwerke, und so weiter. Kulturgüter in der Familie sind wichtig für den Erwerb von mathematischen Kompetenzen (Baumert, Watermann&Schlümer, 2003).

Bei PISA konnte ein Zusammenhang zwischen dem Besitz von Kulturgütern und der Mathematikkompetenz festgestellt werden. Im OECD-Durchschnitt liegt der Unterschied in der Mathematikkompetenz zwischen Schülern aus dem Viertel der Familien mit den meisten Kulturgütern und Schülern aus dem Viertel der Familien mit den wenigsten Kulturgütern bei 66 Punkten (ein Lernzuwachs von einem Schuljahr). Auch in Deutschland liegt der Unterschied bei 66 Punkten. Die geringsten Unterschiede gibt es in Island (34 Punkte), der Schweiz (35 Punkte), Kanada (42 Punkte) und Finnland (44 Punkte). Die größten in Ungarn (86 Punkte), Belgien (81 Punkte), Dänemark (81 Punkte) und Schweden (81 Punkte).

Welchen Einfluss hat der sozioökonomische Status?

In zahlreichen Studien konnte bewiesen werden, dass ein hoher sozioökonomischer Status der Eltern dazu führt, dass Kinder mathematische Kompetenzen entwickeln (vgl. Baumert&Schümer 2001, 2002; Datcher 1982; Schnabel&Schwippert, 2000; Schwippert, Bos&Lankes, 2003).

Der sozioökonomische Status der Familie wurde im Rahmen der PISA-Studie anhand des Berufes der erwachsenen Bezugsperson des Kindes erfasst. Dieser Beruf wurden anhand des International Socio-Economic Index eigeordnet (vgl. auch Ganzeboom und Treimann, 1996). Zu beachten ist, dass es hier nicht um Reichtum geht, sondern um Berufsprestige. Allerdings geht Berufsprestige oft mit Reichtum Hand in Hand.

In allen OECD-Ländern ist der Zusammenhang zwischen sozio-ökonomischem Status und Mathematik-Kompetenz stark ausgeprägt. IM OECD-Durchschnitt haben Jugendliche mit Eltern im obersten Viertel der beruflichen Stellungen 92 Kompetenzpunkte mehr, als Jugendlichen mit Eltern im untersten Viertel der beruflichen Stellungen. Dies entspricht ungefähr zwei Schuljahren.

Den größten Unterschied gibt es in Belgien mit 108 Kompetenzpunkten Unterschied. Den zweitgrößten in Deutschland mit 102 Punkten Unterschied. Die oft gehörte Meinung, dass der Unterschied in Finnland am geringsten sei, trifft nicht zu. Am geringsten ist der Unterschied in Island (41 Punkte) und Korea (56 Punkte). Am Beispiel Korea sieht man auch, dass geringe Unterschiede mit einem hohem Leistungsniveau einhergehen können. So erreichen in Korea die Jugendlichen aus dem höchsten Viertel 568 Kompetenzpunkte und sind somit überdurchschnittlich gut. Die koreanischen Jugendlichen mit Eltern mit dem niedrigsten sozioökonomischen Status hingegen sind so kompetent, dass sie Jugendlichen mit Eltern mit dem höchsten sozioökonomischen Status aus anderen Ländern übertreffen.

So haben koreanische Jugendliche aus dem niedrigsten Quartil 87 Kompetenzpunkte mehr, als mexikanische Jugendliche aus dem höchsten Quartil und 32 Kompetenzpunkte mehr als türkische Jugendliche aus dem höchsten Quartil. Doch damit nicht genug. Koreanische Jugendliche aus dem untersten Quartil sind sogar besser in Mathe als Jugendliche aus dem höchsten Quartil in zwei Industrieländern. So erreichen sie 18 Kompetenzpunkte mehr, als Jugendliche aus dem höchsten Quartil in Griechenland und 9 Kompetenzpunkte mehr, als Jugendliche aus dem höchsten Quartil in Italien (vgl. Ehmke et al. 2004, S. 236).


Kommentare zum Einfluss des sozialen Hintergrundes bei PISA

Kommentar des Wissenschaftlichen Beirates für Familienfragen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Der Beirat kommentierte folgendermaßen:

Die PISA-Studie bestätigt eindrucksvoll die zahlreichen sozialwissenschaftlichen Befunde über die sozialen Disparitäten beim Bildungserfolg der Kinder. [...] Dabei hängen Kompetenzentwicklung und Bildungserfolg stark von der besuchten Schulart und den damit verbundenen differentiellen Lernangeboten ab. Der Effekt der Schichtzugehörigkeit der Kinder auf ihre Testleistungen verringert sich deutlich, wenn man berücksichtigt, welchen Bildungsweg sie eingeschlagen haben. Im Verlauf des weiteren Schulbesuches vergrößern sich aber die Unterschiede der Bildungsleistungen zwischen den gleichaltrigen Schülern verschiedener Bildungsgänge. Man muss daher eine kumulative Verstärkung der sozialen Disparitäten im Bildungserfolg der Kinder konstatieren. Schichtspezifische Disparitäten der Bildungsentwicklung der Kinder vor und während der Grundschule, aber auch ein schichtspezifisches Entscheidungsverhalten der Eltern - etwas, was in der PISA-Studie nicht untersucht wurde - führen zu unterschiedlichen Bildungschancen der Kinder an den unterschiedlichen Bildungsgängen, und dies trägt zu einer weiteren Auseinanderentwicklung des Kompetenzerwerb und der bildungsleistungen bei. Dabei wirkt sich verschärfend der Sachverhalt aus, dass die Wahl des Bildungsganges schon zu einem frühen Zeitpunkt, und zwar in fast allen Bundesländern nach dem vierten Schuljahr getroffen werden muss. […] Es wird sehr frühzeitig ein Mechanismus in Gang gesetzt, der unabhängig von den schon vorhandenen sozialen Disparitäten diese aufgrund der einmal getroffenen Entscheidung verstärkt [Wiss. Beirat f. Familienfragen 2002, S. 29-30].

Kommentar von Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration

Maria Böhmer kommentierte (ungeachtet der Tatsache, dass Migrationshintergrund, wenn man den Sozialstatus beachtet kaum noch ein Rolle spielt):

Es ist bedauerlich, dass Schülerinnen und Schüler aus Zuwandererfamilien noch nicht am PISA-Erfolg teilhaben. Der Bildungserfolg darf nicht von der sozialen Herkunft abhängen. Ich rufe insbesondere die Länder und auch die Migrantenverbände auf, die Selbstverpflichtungen, die sie im Nationalen Integrationsplan eingegangen sind, zügig umzusetzen [...] Wir brauchen außerdem mehr Lehrerinnen und Lehrer aus Zuwandererfamilien und wir müssen die Wiederholer- und Abbrecherquote deutlich senken. Die Länder und Kommunen haben sich im Nationalen Integrationsplan dazu verpflichtet, dies innerhalb der kommenden fünf Jahre zu tun. Der Nationale Integrationsplan ist ein Plan für mehr Bildungschancen und gegen Perspektivlosigkeit. [...] Wir müssen die Eltern stärken, damit sie ihrer erzieherischen Verantwortung voll gerecht werden können.[6].

Kommentare verschiedener Handwerksverbände

Der ehemalige Präsident des Zentralverband des Deutschen Handwerks, Dieter Philipp, sprach sich bereits 2002 für mehr Chancengleichheit in der Bildung aus. Er beklagte, dass inzwischen fast 40% der Lehrstellenbewerber nicht mehr die benötigten Grundqualifikationen mitbringen. Das Handwerk sei kein Reparaturbetrieb für Mängel in der schulischen Erziehung. Philipp sprach sich gegen die Gesamtschule aus[7], [8]. Der BWHT[9].[10] und der Westdeutsche Handwerkskammertag[11]. kritisierten die Bildungsbenachteiligung und sprachen sich für gleiche Chancen auf das Abitur aus. Dies soll durch die so genannte Basisschule, eine Schule, wo die Kinder länger gemeinsam lernen, erreicht werden.

Kommentare von McKinsey

Die Unternehmensberatung McKinsey sprach sich für mehr "Bildungsqualität und Chancengerechtigkeit" in Deutschland aus. McKinsey forderte angesichts des Bedarfs an hochqualifizierten Arbeitskräften ein Investitionsprogramm in Milliardenhöhe im Bereich frühkindlicher Bildung und ein besonderes Augenmerk für benachteiligte Familien und Kinder ausländischer Eltern. So sollte den so genannten bildungsfernen Schichten in sozialen Brennpunkten der Zugang zu Kinderkrippen und Kindergärten erleichtert, das Betreuungsverhältnis verdoppelt und besonderer Wert auf Spracherziehung gelegt werden; auch sollten Eltern keinen Essensgeldzuschuss mehr zahlen.[12]

Kommentare der UN-Menschenrechts-Kommission für Bildung

Vernor Muñoz, Inspektor der UN-Menschenrechtskommission für Bildung und seit August 2004 amtierender Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, beklagte, dass in Deutschland keine Chancengleichheit herrsche. Siehe auch: Bericht über den Deutschlandbesuch des UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Bildung


Quellenangaben

Zitierte Literatur

  • Artelt et al. (2001). PISA 2000: Zusammenfassung zentraler Befunde. Berlin: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. http://www.mpib-berlin.mpg.de/pisa/ergebnisse.pdf.
  • Baumert et al. (Hrsg.). (2002). PISA 2000 - Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. Opladen: Leske + Budrich. ISBN 3-8100-3663-3.[4]
  • Ehmke et al. (2004): Soziale Herkunft - Familiäre Lebensverhältnisse, Bildungsbeteiligung und Kompentenzerwerb. Kapitel 9.1, S. 225-253, in: Prenzel et al. (2004).
  • Esser, H. (2001): Integration und ethnische Schichtung. Arbeitspapiere – Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung 40. Mannheim: MZES
  • Ganzeboom, De Graaf, Treiman (1992): A Standard International Socio-Economic Index of Occupational Status. Soc. Sci. Res. 21 (1) 1--56.
  • Kristen (2002): Hauptschule, Realschule oder Gymnasium? Ethnische Unterschiede am ersten Bildungsübergang. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 54, S. 534–552.
  • OECD (2001): Knowledge and Skills for Life. First Results from the OECD Programme for International Student Assessment (PISA) 2000. Paris: OECD.
  • OECD (2004): Learning for Tomorrow's World. First Results from PISA 2003. Paris: OECD.
  • OECD (2007): PISA 2006. Science Competencies for Tomorrows World. Paris: OECD.
  • Prenzel et al. [PISA-Konsortium Deutschland, Hrsg.] (2004): PISA 2003: Der Bildungsstand der Jugendlichen in Deutschland - Ergebnisse des zweiten internationalen Vergleichs. Münster: Waxmann. ISBN 3-8309-1455-5.
  • Ramm et al.: Soziokulturelle Herkunft: Migration. Kapitel 9.2, S. 254-272, in: Prenzel et al. (2004).
  • Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen (2002): Die bildungspolitische Bedeutung der Familie - Folgerungen aus der PISA-Studie. Band 224 - Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Berlin. ISBN 3-17-017927-6.
  • Wutttke (2007): Die Insignifikanz signifikanter Unterschiede: Der Genauigkeitsanspruch von PISA ist illusorisch. In Jahnke, Meyerhöfer (Hrsg.): PISA & Co - Kritik eines Programms. Hildesheim: Franzbecker (2. Auflage 2007). ISBN 978–3-88120–428-6.

Fußnoten und Einzelnachweise

  1. Während die internationalen Berichte vorsichtig von "performance" sprechen, werden die Testleistungen in den deutschen Berichten ohne weiteres als "Kompetenz" oder sogar als "Kompetenzerwerb" bezeichnet.
  2. Dieser Index stammt aus einer Meta-Studie von Ganzeboom et al. (1992). Wuttke (2007) weist daraufhin, dass der ISEI ausdrücklich nur für Männer konstruiert wurde, in PISA aber auch auf die Berufe der Mütter angewandt wird, dass Ganzeboom auf veraltete Quellen aus den 1960er Jahren zurückgreift, dass die Korrelation mit dem jüngsten Allensbacher Berufsprestigeindex nur 0.06 beträgt, und dass etliche Bewertungen offenkundig absurd sind: Kraftwerksoperateur weit unter Stromableser, Musikinstrumentenmacher weit unter Zahnarztrezeptionist, Dirigent weit unter Tänzer, Manager weit unter Politologe, Parlamentsabgeordneter weit unter Armeeoffizier.
  3. Bundeszentrale für politische Bildung Hauptschulen = Problemschulen? Download am 27.12.2007
  4. a b bitte überprüfen, bisher nur aus indirekter Internetquelle zitiert: PISA 2000 - Die Länder der Bundesrepublik im Vergleich, Download am 5.1.2008
  5. vgl. Neue Erkenntnisse aus der PISA-Studie, isoplan, 30. Mai 2003, mit Verweis auf eine Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung und siehe die (englischsprachige) Studie Michael Fertig: Who’s To Blame? The Determinants of German Students’ Achievement in the PISA 2000 Study (PDF), „RWI: Discussion Papers“, No. 4, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, 2003
  6. Pressemitteilungen Download am 5.1.2008
  7. Handwerk Magazin 2/2002, Wirtschaft & Politik – Brennpunkt, S. 22
  8. http://www.zdh.de/fileadmin/user_upload/themen/Konsequenzen.pdf
  9. Broschüre Mehr Mut für eine bessere Bildung aus der Schriftenreihe Positionen des Handwerks, zu bestellen bei: ntasci@handwerk-bw.de
  10. siehe zum gleichen Thema auch http://www.handwerk-bw.de/fileadmin/gruppe_bildung/datei_upload/bwht_pisa_position.pdf
  11. http://www.handwerk-nrw.de/www-whkt/content/aus-weiterbildung/aus-weiterbildung-ausbildung_oecd-pisa.htm
  12. McKinsey&Company: Vier-Punkte-Plan für massive Qualitätsverbesserungen und Chancengerechtigkeit, Kongress McKinsey bildet Oktober 2005

Weiterführende Informationen

siehe auch den Hauptartikel: PISA.