Hans Magnus Enzensberger
Warschau, 20. Mai 2006
Hans Magnus Enzensberger (* 11. November 1929 in Kaufbeuren) ist ein deutscher Dichter, Schriftsteller, Herausgeber, Übersetzer und Redakteur. Er hat auch unter den Pseudonymen Andreas Thalmayr, Linda Quilt, Elisabeth Ambras sowie Serenus M. Brezengang publiziert. Enzensberger lebt in München-Schwabing.
Leben
Hans Magnus Enzensberger wuchs in einer bürgerlichen Familie auf, der Vater war Ingenieur und Fernmeldespezialist. Er hat drei jüngere Brüder, Christian Enzensberger ist Anglist, Ulrich Enzensberger ist ehemaliges Mitglied der Kommune I. Die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs erlebte Hans Magnus Enzensberger als Volkssturm-Angehöriger.
Er studierte Literaturwissenschaft und Philosophie in Erlangen, Freiburg im Breisgau, Hamburg und an der Sorbonne in Paris. Während seines Studiums war er Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes. 1955 promovierte er mit einer Arbeit über Clemens Brentanos Poetik. Bis 1957 arbeitete er als Hörfunkredakteur in Stuttgart. Er nahm an diversen Tagungen der Gruppe 47 teil.
Von 1965 bis 1975 gab Enzensberger die Zeitschrift Kursbuch heraus. Enzensberger hatte insbesondere mit dem Kursbuch, aber auch mit seinen Werken großen Einfluss auf die Studentenbewegung. Von 1985 bis 2007 gab er die Buchreihe Die Andere Bibliothek heraus.
Besonders mit seinem Text «Baukasten zu einer Theorie der Medien» (1970) setzt sich Enzensberger mit Medien, vor allem dem Fernsehen auseinander. Er bezeichnet die elektronischen Medien als Hauptinstrumente der „Bewusstseins-Industrie“, der er weitgehende Steuerungs- und Kontrollmacht über die spätindustrielle Gesellschaft zuschreibt. Enzensberger forderte in dem Text eine sozialistische Medientheorie, d.h. einen emanzipatorischen und emanzipativen Umgang mit den Medien. Probleme sah er im „repressiven Mediengebrauch“ (ein zentral gesteuertes Programm mit einem Sender und vielen Empfängern, der die Konsumenten passiv macht und entpolitisiert). Spezialisten produzieren den Inhalt, werden dabei jedoch durch Eigentümer oder Bürokratie kontrolliert. Ein „emanzipatorischer Mediengebrauch“ dagegen würde jeden Empfänger zum Sender machen. Durch die Aufhebung der technischen Barrieren würden die Massen mobilisiert und politisch eingebunden. In seinen 1988 veröffentlichten Gesammelten Zerstreuungen bezeichnete Enzensberger das Fernsehen als „Nullmedium“.
Im Jahre 1987 verwendete er die Begriffe Ossie und Wessie in dem Prosaband Ach, Europa! Wahrnehmungen aus sieben Ländern. In einem fiktiven Reisebericht durch das Europa im Jahre 2006 beschreibt er in einem Kapitel ein friedlich wiedervereinigtes Deutschland, in dem sich aber Ossies und Wessies weiterhin feindlich gegenüberstehen.
Enzensberger arbeitete gemeinsam mit dem Filmemacher Peter Sehr an einer Verfilmung des Lebens von Georg Christoph Lichtenberg.
In seinem Buch Schreckens Männer beschäftigt er sich mit dem islamistischen Terror. Er beschreibt islamistische Selbstmordattentäter, die sich wie Sieger gebärdeten, aber tatsächlich radikale Verlierer seien. Er beschreibt die arabische Welt als eine Zivilisation, die im 12./13. Jahrhundert den Europäern weit überlegen gewesen sei, heute aber eine relativ unproduktive Zivilisation darstelle. Das produziere Minderwertigkeitskomplexe, die ihrerseits Wut erzeugten. Die Ursache für ihre Probleme würden die Schreckens Männer nicht bei sich, sondern in der westlichen Welt, den USA, bei den Juden oder in Verschwörungstheorien suchen.[1]
Er ist ein Kritiker der Rechtschreibreform und unterzeichnete auf der Basis der Frankfurter Erklärung zur Rechtschreibreform von 1996 u.a. im Jahre 2004 den Frankfurter Appell zur Rechtschreibreform.
Enzensberger und die Mathematik
Unter Mathematikern ist Enzensberger durch seine Werke zur Mathematik sehr bekannt. Mit seiner Sprachfertigkeit hat er es geschafft, zu beschreiben, was Mathematiker fühlen, selbst aber nur schwer ausdrücken können. Er beschreibt die faszinierende Einfachheit und Klarheit der Mathematik (besonders in Der Zahlenteufel). Im August 1998 hielt er an der TU Berlin zum fünfzigsten Internationalen Mathematiker-Kongress eine Rede zur Situation der Mathematik in der Gesellschaft.
Preise
- 1963 Georg-Büchner-Preis
- 1985 Heinrich-Böll-Preis
- 1993 Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis
- 1998 Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf
- 2002 Prinz-von-Asturien-Preis
- 2006 Premio d’Annunzio für sein Gesamtwerk [2]
- 2006 Medienpreis 2006 von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Verleihung des Enzensberger-Sterns
Werke
- verteidigung der wölfe, Gedichte, 1957
- Bildzeitung, Gedicht, 1957
- Clemens Brentano: Gedichte, Erzählungen, Briefe (als Hrsg.), 1958
- Die Denunziation des Tourismus, (als Hrsg.) 1959
- Museum der modernen Poesie (als Hrsg.), 1960
- landessprache, Gedichte, 1960
- An alle Fernsprechteilnehmer, Gedicht, 1960
- Brentanos Poetik, 1961 (Druckfassung der Diss. Erlangen 1955)
- Allerleirauh. Viele schöne Kinderreime (als Hrsg.) 1961
- Einzelheiten, Essays, 1962
- Gedichte. Die Entstehung eines Gedichts, 1962
- doomsday, 1964
- Politik und Verbrechen, Essays, 1964
- blindenschrift, Gedichte, 1964
- Georg Büchner, Ludwig Weidig: Der Hessische Landbote. Texte, Briefe, Prozeßakten (als Hrsg.), 1965
- Bartolomé de las Casas: Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder (als Hrsg.), 1966
- Deutschland, Deutschland unter anderm. Äußerungen zur Politik, 1967
- Staatsgefährdende Umtriebe, Rede zur Verleihung des Nürnberger Literaturpreises, 1968
- Freisprüche. Revolutionäre vor Gericht, 1970
- Das Verhör von Habana, Prosa, 1970
- Der kurze Sommer der Anarchie. Buenaventura Durrutis Leben und Tod, Roman, 1972
- Klassenbuch. Ein Lesebuch zu den Klassenkämpfen in Deutschland (als Mithrsg.), 1972
- Gespräche mit Marx und Engels, 1973
- Palaver. Politische Überlegungen 1967-1973, Essays, 1974
- Mausoleum. 37 Balladen aus der Geschichte des Fortschritts, 1975
- Der Weg ins Freie. Fünf Lebensläufe, 1975
- Der Untergang der Titanic. Eine Komödie, Versepos, 1978
- Unsere Landessprache und ihre Leibwächter, 1979
- Die Furie des Verschwindens. Gedichte, 1980
- Politische Brosamen, Essays, 1982
- Das Wasserzeichen der Poesie oder Die Kunst und das Vergnügen, Gedichte zu lesen (unter dem Pseudonym Andreas Thalmayr), 1985
- Auferstanden über alles. Fünf Untersuchungen, 1986
- Ach, Europa! Wahrnehmungen aus sieben Ländern, Prosa, 1987
- Heiss & Kalt, Erotische Erzählungen, 1987 (unter dem Pseudonym Elisabeth Ambras)
- Mittelmaß und Wahn. Gesammelte Zerstreuungen, 1988
- " Unsere Landessprache und ihre Leibwächter" 1989 " Die Zeit"
- Der Fliegende Robert. Gedichte, Szenen, Essays, 1989
- Diderot und das dunkle Ei. Ein Interview, 1990
- Zukunftsmusik, Gedichte, 1991
- Die Tochter der Luft, Drama, 1992
- Die Große Wanderung, Essays, 1992
- Aussichten auf den Bürgerkrieg, 1993
- Das Brot und die Schrift, 1993
- Diderots Schatten. Unterhaltungen, Szenen, Essays, 1994
- Kiosk. Neue Gedichte, 1995
- Voltaires Neffe. Eine Fälschung in Diderots Manier, 1996
- Zickzack, Aufsätze, 1997
- Der Zahlenteufel. Ein Kopfkissenbuch für alle, die Angst vor der Mathematik haben, 1997
- Wo warst du, Robert?, Roman, 1998
- Drawbridge Up: Mathematics - A Cultural Anathema / Zugbrücke außer Betrieb: Die Mathematik im Jenseits der Kultur (dt., engl.) Natick, Mass. : Peters, 1999
- Leichter als Luft. Moralische Gedichte, Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1999
- Die Elixiere der Wissenschaft. Seitenblicke in Poesie und Prosa, 2002
- Die Geschichte der Wolken. 99 Meditationen, 2003
- Nomaden im Regal. Essays, 2003
- Lyrik nervt! Erste Hilfe für gestresste Leser, 2004 (unter dem Pseudonym Andreas Thalmayr)
- Dialoge zwischen Unsterblichen, Lebendigen und Toten, 2004
- Heraus mit der Sprache. Ein bisschen Deutsch für Deutsche, Österreicher, Schweizer und andere Aus- und Inländer, 2005 (unter dem Pseudonym Andreas Thalmayr)
- Schauderhafte Wunderkinder, 2006 (unter dem Pseudonym Linda Quilt)
- Schreckens Männer - Versuch über den radikalen Verlierer", 2006, Suhrkamp Verlag
- Hammerstein oder der Eigensinn, Biographie, 2008 Suhrkamp Verlag
- Heraus mit der Sprache - Ein bißchen Deutsch für Deutsche, Österreicher, Schweizer und andere Aus- und Inländer, 2008 dtv
Literatur
- Jörg Lau: Hans Magnus Enzensberger. Ein öffentliches Leben. Fest, Berlin 1999, ISBN 3-8286-0049-2
- Tae-Ho Kang: Poesie und Gesellschaftskritik. Hans Magnus Enzensbergers negative Poetik. Universität Wuppertal, 2002, Dissertation, 256 S., online
- Rainer Barbey: Unheimliche Fortschritte. Natur, Technik und Mechanisierung im Werk von Hans Magnus Enzensberger. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, 248 S., gebunden, ISBN 978-3-89971-345-9, Inhaltsverzeichnis, Einleitung
Quellen
- ↑ Hessischer Rundfunk: Hans Magnus Enzensberger "Schreckens Männer" 6. September 2006
- ↑ „Hans Magnus Enzensberger erhält den »Premio d’Annunzio«“, kritische-ausgabe.de, 18. Oktober 2006
Weblinks
- Linksammlung bei der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin
- Hans-Magnus-Enzensberger-Projekt am Institut für Germanistische und Allgemeine Literaturwissenschaft der RWTH Aachen: laufend aktualisierte Sichtung, Dokumentation, Materialienbereitstellung und Rezensionen zu sämtlichen Werken und Herausgeberschaften Enzensbergers
- Die Andere Bibliothek im Internet
- „Porträt zum 70. Geburtstag“, Justus-Liebig-Universität Gießen
- Verweis auf einen Abstract zu Enzensbergers Aufsatz «Baukasten zu einer Theorie der Medien»
- „Hans Magnus Enzensberger: Im Schlafrock der Geschichte“, FAZ, 27. September 2007
- Biographien
- Biographie beim Suhrkamp-Verlag
- Kurz-Bio, Universität Essen
- Who's Who
- Beiträge von Enzensberger
- Zur Situation der Mathematik in der Gesellschaft, in: FAZ, 29. August 1998
- „Im Irrgarten der Intelligenz. Über den getesteten Verstand und den Unverstand des Testens“, Neue Zürcher Zeitung, 11. November 2006
- Rezensionen
- Büchernachlese zu 1987b, 1997b, 1998, 2004b, 2006a
- Besprechung zu "Hammerstein oder der Eigensinn"
- Kommentar
Personendaten | |
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NAME | Enzensberger, Hans Magnus |
ALTERNATIVNAMEN | Andreas Thalmayr [Pseudonym] |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Dichter, Schriftsteller und Redakteur |
GEBURTSDATUM | 11. November 1929 |
GEBURTSORT | Kaufbeuren |