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Telefonseelsorge Deutschland

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Die Telefonseelsorge ist in Deutschland ein Beratungs- und Seelsorgeangebot der evangelischen und der katholischen Kirche. Sie ist telefonisch aus dem deutschen Festnetz und Mobilfunknetz rund um die Uhr unter den bundeseinheitlichen gebührenfreien Rufnummern 0800- 111 0 111 oder 0800- 111 0 222 erreichbar, außerdem im Internet per Mail und Chat über www.telefonseelsorge.de. Als einzige Einrichtung in Deutschland bietet sie Tag und Nacht flächendeckend ein telefonisches Gesprächsangebot für Menschen in Krisen an.

Entwicklung in Deutschland

Drei Jahre nach der ersten Telefonseelsorge in London gründeten sich in Deutschland Mitte der 50er Jahre die ersten Telefonseelsorge-Stellen in Berlin, Kassel und Frankfurt. Im Jahr 2006 feiert die Telefonseelsorge Deutschland ihr 50jähriges Bestehen mit der Gründung der Berliner Stelle. In Deutschland haben sich zwei Dachverbände der beiden Konfessionen entwickelt. Die evangelische und die katholische Konferenz für Telefonseelsorge und Offene Tür, die in der gemeinsamen Evangelisch-Katholischen Kommission die Zusammenarbeit der 105 deutschen (meist ökumenischen) Telefonseelsorge-Stellen organisieren. Zur internationalen Geschichte siehe: Telefonseelsorge

Grundsätze konkret

  • Anonymität: Niemand, der anruft, wird nach seinem Namen gefragt. Jede und jeder kann anonym bleiben. Die Rufnummer der Anrufenden erscheint in keinem Display. Das Telefonat ist gebührenfrei und hinterlässt deshalb keine Datenspur, beispielsweise auf im Einzelverbindungsnachweis der Telefonrechnung. Auch die Telefonseelsorger/innen bleiben anonym.
  • Verschwiegenheit: Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterliegen der Schweigepflicht. Sie verpflichten sich Inhalte der Gespräche nicht nach außen dringen zu lassen.
  • Erreichbarkeit: Die Telefonseelsorge-Stellen sind Tag und Nacht erreichbar, auch an Wochenenden und Feiertagen, bundesweit.
  • Kompetenz: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telefonseelsorge werden ausgewählt, ausgebildet, werden kontinuierlich weitergebildet und durch regelmäßige Supervision von Fachleuten begleitet.
  • Offenheit: Die Telefonseelsorge ist offen für alle Problembereiche, für alle Anrufenden in ihrer jeweiligen Situation. Sie ist da für alle Anrufenden – unabhängig von Konfession und Weltanschauung, von Nationalität, von Rasse oder Geschlecht.
  • Gebührenfreiheit: Für die Ratsuchenden entstehen keine Kosten. Die anfallenden Telefongebühren übernimmt die Deutsche Telekom AG als Partner der Telefonseelsorge. Im Internet fallen lediglich die eigenen Verbindungskosten der Ratsuchenden an.

Seelsorge und Beratung auch im Internet

Auch im Internet hat die Telefonseelsorge Deutschland Pionierarbeit geleistet. Sie bietet neben Gesprächen am Telefon auch Beratung und Seelsorge per Mail und Chat an. Schon 1995 waren die ersten Stellen der TelefonSeelsorge mit einem Beratungsangebot im Internet vertreten. Damit gehört die TelefonSeelsorge zum ältesten Beratungsdienst im deutschsprachigen Internet. Mit über 250 Internetberater/innen in rund 30 Stellen stellt die Telefonseelsorge auch im Internet eine zentrale Anlaufstelle für Menschen mit Problemen, in Krisen und mit Selbstmordabsichten dar. Durch das Internetangebot werden nun auch Ratsuchende erreicht, die nach ihren eigenen Angaben nicht anrufen würden, weil es eine zu große Hürde darstellt, die eigene Stimme beim Besprechen der Probleme zu nutzen. Das Internet stellt somit einen noch niederschwelligeren Zugang zu dieser Hilfseinrichtung dar, als es das Telefon bislang ermöglichen konnte. Ziel und Funktion der Telefonseelsorge bleibt es dabei nach wie vor, Menschen in Krisensituationen und mit Problemen zu erreichen. Das Medium Telefon war dabei immer nur Mittel zu diesem Zweck. Nun gibt es zusätzliche und niederschwelligere Möglichkeiten in Form von Chat- und Mailberatung.

Ehrenamtliche Mitarbeiter/innen

Das telefonische Beratungsangebot ist als 24-Stunden-Dienst nur durch die Mitarbeit von deutschlandweit über 7.000 Ehrenamtlichen möglich. Durch ihr Engagement gelingt es der Telefonseelsorge, bereits seit einigen Jahrzehnten rund um die Uhr an allen Tagen des Jahres für Gespräche zur Verfügung zu stehen. Die Ehrenamtlichen erklären sich zu Beginn der Ausbildung bereit nach ihrer Ausbildung eine Mindestzahl von Jahren (meist 2 Jahre oder mehr) mitzuarbeiten. Die größte Zahl der Freiwilligen bleibt jedoch weit länger im Dienst. In manchen Stellen gibt es vereinzelt sogar Ehrenamtliche, die 20, 30, 40 Jahre und länger dabei sind. In den vergangenen Jahren haben einige Ehrenamtliche einen zusätzlichen Dienst übernommen. Über 250 Mitarbeiter/innen beraten neben dem Telefondienst auch noch im Internet. Die Herausforderung sich mit veränderten Kommunikationsbedingungen und Möglichkeiten auseinanderzusetzen, wird den ehrenamtlichen Telefonseelsorger/innen am Telefon und im Bereich der Neuen Medien von der Realität der Ratsuchenden immer wieder abverlangt.

Organisation in Deutschland

Die TelefonSeelsorge wird in Deutschland von der evangelischen und katholischen Kirche getragen. Dies geschieht derzeit in 105 selbständigen TS-Stellen durch über 7.000 ehrenamtliche und ca. 350 hauptamtliche Mitarbeiter/innen. Diese örtlichen Stellen sind in katholischer, evangelischer, vorwiegend jedoch in ökumenischer Trägerschaft. In diesen Stellen kommen dann beide Rufnummern dort an ohne konfessionelle Unterscheidung. In einigen deutschen Großstädten (wie Berlin, Frankfurt, Köln, München, Stuttgart)gibt es jedoch auch noch zwei konfessionell getrennte Telefonseelsorge-Stellen. In diesen Fällen hat die evangelische Stelle am Ende die Nummer 111 und die katholische die Endung 222. Rechtlich sind die Stellen sehr unterschiedlich konzipiert. Zum Teil sind die Telefonseelsorge-Stellen Dienststellen von Landeskirchen oder Diözesen, die selbst Körperschaften des Öffentlichen Rechts sind. Häufig werden sie aber auch in der Form eines eingetragenen Vereins (e.V.) geführt. Als Träger fungieren insgesamt unterschiedliche Rechtsträger: Landeskirchen, Diözesen, Dekanate, Kirchenkreise vereinzelt auch Verbände der Diakonie und Caritas. Finanziert wird die Telefonseelsorge fast ausschließlich aus Mitteln der Kirchensteuer. Hinzu kommen Spenden und sehr vereinzelt in wenigen Stellen staatliche Zuschüsse. In Deutschland gibt es zwei Dachverbände der Telefonseelsorge entsprechend der beiden Konfessionen: Die Evangelische und die Katholische Konferenz für Telefonseelsorge und Offene Tür. Beide zusammen bilden die Evangelisch-Katholische Kommission für Telefonseelsorge und Offene Tür. Von diesem gemeinsamen Gremium wird unter anderem entschieden, welche Stellen im Verbund der Telefonseelsorge mitarbeiten, die gebührenfreien Telefonnummern in ihrem Einzugsbereich nutzen und den markenrechtlich geschützen Namen Telefonseelsorge tragen dürfen.

Qualitätssicherung

Sowohl die technischen Bedingungen als auch das Anrufverhalten von Menschen und ihre Probleme verändern sich im Laufe der Zeit. Um die Qualität der Arbeit zu gewährleisten, muss somit eine ständige Auseinandersetzung mit den Fragen der Zeit stattfinden. Dies findet auf Verbandsebene unter anderem durch internationale oder nationale Kongresse, Weiterbildungen und Fachtagungen der Mitarbeiter statt. In den Stellen vor Ort bzw. bei regionalen und überregionalen Treffen werden hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiter/innen regelmäßig weitergebildet und supervidiert. Darüber hinaus gibt es nationale und internationale Standards zur Auswahl, Aus- und Weiterbildung sowie Supervision der Mitarbeiter/innen.

Anonymität und Datenschutz

Seit der Digitalisierung des Telefonnetzes setzen sich die Verantwortlichen der Telefonseelsorge Deutschland aktiv mit den Fragen des Datenschutzes auseinander, um für die Anonymität und Sicherheit der Ratsuchenden wirksam eintreten zu können. So stellen der mögliche Einzelverbindungsnachweis und das Internet große Herausforderungen für eine anoyme Beratung dar. Auch auf politischer Ebene hat sich die Telefonseelsorge diesbezüglich mit Erfolg eingestzt. Mittlerweile wird der anonyme und unbeobachtbare Zugang zum telefonischen Beratungsangebot sogar durch ein Bundesgesetz (§ 97 des Telekommunikationsgesetzes in der aktuellen Fassung von Juni 2004 TKG) gewährleistet. Darüber hinaus hat die Telefonseelsorge aber auch bei der Online-Beratung ein umfassendes Sicherheitskonzept realisiert und das Sewecom-Projekt für sichere Internetkommunikation mit initiiert. Die staatlichen Gesetze von Bund und Ländern gelten bei der Telefonseelsorge nicht unmittelbare, da dieser Bereich von den Kirchen eigens geregelt wird (Kirchlicher Datenschutz). Zuständig sind somit die Datenschutzbeauftragten der örtlichen kirchlichen Träger, je nachdem, ob es sich um eine Dienststelle des jeweiligen (Erz-)Bistums bzw. der Landeskirche oder um eine rechtlich eigenständige Einrichtung wie einen eingetragenen Verein handelt.

Persönliche Beratung vor Ort

Beratung und Seelsorge per Telefon oder per Mail und Chat haben ihre medial bedingten Begrenzungen. Nach einem Gespräch mit einer / einem Telefonseelsorger/in kann es sinnvoll sein, sich darüber hinaus persönlich zu einem Beratungsgespräch zu treffen und vielleicht sogar eine zeitlang bei Veränderungsprozessen qualifiziert begleitet zu werden. In einigen Telefonseelsorge-Stellen gibt es eine solche Möglichkeit für eine persönliche Beratung durch Hauptamtliche der Telefonseelsorge. In manchen deutschen Städten ist es außerdem möglich das Beratungsangebot der "Offenen Türen" zu nutzen. Offene Türen sind Beratungseinrichtungen, die eng mit der Telefonseelsorge zusammenarbeiten oder direkt bei einer Stelle angegliedert sind. Sie bieten im unmittelbaren Kontakt Beratung, Krisenbegleitung und Seelsorge für Menschen in seelischen, religiösen und sozialen Nöten. Ebenso wie bei den anderen Angeboten der Telefonseelsorge werden die Gespräche absolut vertraulich behandelt. Hier besteht entsprechend die Möglichkeit, bezüglich des eigenen Namens anonym zu bleiben.

Ausbildung der Ehrenamtlichen

Die Ausbildung zum / zur ehrenamtlichen Telefonseelsorgerin / zum Telefonseelsorger findet in den Stellen vor Ort, entsprechend der Rahmenrichtlinien der Dachverbände statt. Vor der Ausbildung wird ein Auswahlverfahren durchgeführt, das Einzelgespräche und Gruppenverfahren enthalten kann. Die Ausbildung dauert in der Regel ein Jahr und beinhaltet Selbsterfahrung als Auseinandersetzung mit den eigenen Problemen und Lebensthemen und befaßt sich mit Gesprächsführung in einem helfenden Gespräch. Die fachlichen Schwerpunkte (tiefenpsychologisch, gestalttherapeutisch, systemisch usw.) können in den einzelnen Stellen differieren. Fachliche Basis der Ausbildung ist dabei insgesamt die klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers und die darin formulierten förderlichen Grundhaltung für ein helfendes Gespräch. Die fachlich fundierte Ausbildung in Gesprächsführung und die supervisorische Begleitung und Weiterbildung der Ehrenamtlichen macht die Tätigkeit bei der Telefonseelsorge für viele Menschen interessant. Interessierte können sich an ihre nächstgelegene örtliche Stelle wenden. In den nachfolgenden Links ist eine Karte und ein Liste der deutschen Telefonseelsorge-Stellen zu finden.

Literatur

  • Clemens Müller-Störr: Subjektive Krisentheorien in der Telefonseelsorge. Schöppe & Schwarzenbart. Tübingen 1992. ISBN 3-928111-01-9
  • Ingo Habenicht: Telefonseelsorge als Form intentionaler Seelsorge. Geschichte, Phänomenologie und Theologie. Eine Untersuchung zum Selbstverständnis der Telefonseelsorge aus poemenischer Perspektive. Hamburg, Kovac 1994. ISBN 3-86064-184-0
  • Klaus-Peter Jörns: Telefonseelsorge - Nachtgesicht der Kirche. Ein Kapitel Seelsorge in der Tele-Kultur. Neukirchner. Neukirchen-Vluyn 1994. ISBN 3-7887-1505-7
  • Jörg Wieners: Handbuch der Telefonseelsorge. Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen 1995. ISBN 3-525-62348-8
  • Monika Maaßen, Thomas Groll, Hermann Timmerbrink: Mensch versteht sich nicht von selbst - Telefonseelsorge zwischen Kommunikationstechnik und Therapie Kommunikationsökologie. Bd. 5. LIT Verlag. Münster 1999. ISBN 3-8258-3539-1
  • Frank van Well: Psychologische Beratung im Internet. E. Ferger-Verlag.B ergisch Gladbach 2000.
  • Cordula Eisenbach-Heck, Traugott Weber: Sechs Jahre "Telefonseelsorge im Internet". Ein Bericht über die Entwicklung der E-Mail-Beratung. In: Elmar Etzersdorfer, Georg Fiedler, Michael Witte (Hrsg.): Neue Medien und Suizidalität - Gefahren und Interventionsmöglichkeiten. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen 2003. S. 73-86. ISBN 3-525-46175-5
  • Joachim Wenzel: Telefonseelsorge. In: Helmut Bäumler, Astrid Breinlinger, Hans-Hermann Schrader (Hrsg.): Datenschutz von A - Z. Neuwied / Kriftel 1999 (Grundwerk). Ergänzung Stand: Juni 2003. (7. Lfg.). Gruppe T 350. S. 1-4.
  • Joachim Wenzel: Vertraulichkeit und Anonymität im Internet. Problematik von Datensicherheit und Datenschutz mit Lösungsansätzen. In: Elmar Etzersdorfer, Georg Fiedler, Michael Witte (Hrsg.): Neue Medien und Suizidalität - Gefahren und Interventionsmöglichkeiten. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen 2003. S. 56-70. ISBN 3-525-46175-5
  • Birgit Knatz, Bernard Dodier. Hilfe aus dem Netz. Theorie und Praxis der Beratung per E-Mail. Stuttgart 2003. Klett-Cotta-Verlag. ISBN 3-608-89720-8

Siehe auch

Telefonseelsorge international, Seelsorge, Internetseelsorge, Anonymität