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Geschichte von Bündnis 90/Die Grünen

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Die Partei Bündnis 90/Die Grünen entstand 1993 aus dem Zusammenschluss der Parteien Die Grünen und Bündnis 90. In diesem Artikel wird die Geschichte der westdeutschen Grünen seit den späten 1970er Jahren und die gemeinsame Geschichte von Bündnis 90/Die Grünen seit 1993 dargestellt.

Vorgeschichte und Gründung

In der alten Bundesrepublik Deutschland entstanden “Die Grünen” aus einem breiten Spektrum unterschiedlicher politischer Strömungen, die sich in den “etablierten Parteien” nicht repräsentiert sahen. Wichtige Quellen der Neugründung waren außerparlamentarische Bewegungen mit den Schwerpunkten Umwelt-, Friedens-, Menschenrechts- und Frauenpolitik (siehe auch unter Neue soziale Bewegungen und Alternativbewegung), insbesondere die Bewegung gegen die zivile Nutzung der Atomenergie. Die Integrationskraft des etablierten Parteiensystems hatte deutlich nachgelassen, denn in keiner dieser Parteien, auch nicht innerhalb der SPD konnten die Atomkraftgegner nennenswerten Einfluss gewinnen, obwohl der Bau von Atomkraftwerken von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt wurde.

Im Prozess der Herausbildung einer politischen Wahlalternative trafen vor allem zwei ganz unterschiedliche Politikstränge aufeinander: zum einen Teile der “Neuen Linken”, die sich im Gefolge der Studentenbewegung 1968 in den unterschiedlichsten Facetten entwickelte, zum anderen ein bürgerliches und konservatives Spektrum, dass sich in den seit Ende der 60er Jahre in Bürgerinitiativen und traditionellen Umweltschutzorganisationen artikulierte. Beide Politikrichtungen fanden in der Bewegung gegen die zivile Nutzung der Atomenergie “Anti-AKW-Bewegung” erstmals zu gemeinsamer praktischer - zunächst nur außerparlamentarischer - Politik. Die Wahlerfolge linker Wahlbündnisse unter Einschluss von Umweltschützern bei den französischen Kommunalwahlen im März 1977 verstärkten auch innerhalb der westdeutschen Linken Überlegungen, sich an Wahlen zu beteiligen und dabei die außerparlamentarische Zusammenarbeit mit “bürgerlichen” Umweltschützern etwa in der Anti-AKW Bewegung auch parlamentarisch fortzusetzen. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit einem sich strikt antiparlamentarisch verstehenden Teil der Neuen Linken, aber auch mit politischen Gruppen, die eher den Aufbau einer “Sozialistischen Partei” diskutierten. Aber auch die Zusammenarbeit zwischen Neuer Linker und bürgerlichen Umweltschützern war alles andere als konfliktfrei. Einer der Streitpunkte war dabei die Frage, inwieweit die Mitarbeit von Mitglieder kommunistischer Organisationen der Neuen Linken, insbesondere des Kommunistischen Bundes (KB) oder der (maoistischen) Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), zugelassen werden solle. Der KB hatte maßgeblichen Anteil an der Gründung von Wahlinitiativen in Norddeutschland und NRW.

Zunächst entstanden örtliche Wählergemeinschaften und Wahlbündnisse. Die ersten Kandidaturen gab es am 23. Oktober 1977 bei Wahlen zu den Kreistagen in Niedersachsen, die in einigen Landkreisen im Zuge der kommunalen Neugliederung erforderlich wurden. Im Landkreis Hameln-Bad Pyrmont erreichte die »Wählergemeinschaft - Atomkraft Nein Danke« mit 2,3 % ein Mandat im Kreistag. Ihre Gründung ging auf die “Bürgerinitiativen gegen Atomkraft Weserbergland” zurück, die sich gegen den Bau eines Atomkraftwerks in der im Landkreis gelegenen Gemeinde Grohnde richteten. Dort fand am 19. März 1977 eine Demonstration von 20.000 Atomkraftgegnern statt.

Im Landkreis Hildesheim kandidierte eine “Grüne Liste Umweltschutz” (GLU), die sich im November 1977 mit der kurz zuvor in Niedersachsen gegründeten “Umweltschutzpartei” verband. Sie hatte ein eher konservatives Selbstverständnis hatte und distanzierte sich insbesondere von linken Atomkraftgegnern deutlich. Auch sie erreichte einen Sitz im Kreistag.

1978 setzte sich die Entwicklung fort, die auch von einem Gegeneinander von eher linken “bunten” Listen und konservativ geprägten Listen geprägt war. Bei den Landtagswahlen am 4. Juni 1978 in Niedersachsen kandidierte die GLU. Bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg am selben Tag kandidierte die “Bunte Liste - Wehrt Euch” und eine GLU. Spitzenkandidaten der "Bunten Liste - Wehrt Euch" waren das ehemaligen SPD-Mitglied Holger Strohm und der spätere Bundesvorstandssprecher der Partei “Die Grünen” Rainer Trampert. Die “Bunte Liste” ging auf einen Beschluss der “Delegiertenkonferenz” der hamburgischen Anti-AKW Initiativen am 21. Oktober 1977 zurück und sollte auch andere außerparlamentarische Gruppen, etwa Fraueninitiativen, kritische Gewerkschafter, Mieterinitiativen einbeziehen. Neben der “Bunten Liste - Wehrt Euch” kandidierte auch eine “Grüne Liste Umweltschutz”.

Die GLU in Niedersachsen erzielte 3,9 %, die GLU in Hamburg 1 % und die “Bunte Liste - Wehrt Euch” in Hamburg 3,5 %. Sie war nach der Wahl mit Christina Kukielka und Ilona Kiene nur in der Bezirksvertretung Eimsbüttel vertreten.

In Berlin wurde am 9. Juni 1978 die "Alternative Liste" gegründet. An der Versammlung nahmen ca. 3.500 Personen teil. Der an der Gründung beteiligte Rechtsanwalt Otto Schily versuchte vergebens einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der maoistischen KPD herbeizuführen.

Der CDU Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl verließ am 11. Juli 1978 die CDU und gründete die "Grüne Aktion Zukunft" (GAZ).

In Hessen kandidierten bei der Landtagswahl am 8. Oktober 1978 eine Grüne Liste Hessen, die mit 1,1 % ebenso scheiterte, wie die GAZ mit 0,9 %. Spitzenkandidat der GLH war der Frankfurter Magistratsdirektor und ehemalige SPD-Mitglied Alexander Schubart. Auf Listenplatz 7 wurde als Vertreter der Frankurter Sponti-Szene Daniel Cohn-Bendit gewählt. Seine Bewerbungsrede, in der er für den Fall des Wahlerfolges die Legalisierung von Haschisch und die Übernahme des Innenministeriums ankündigte, sorgte für Schlagzeilen. Auf Listenplatz 8 kandidierte der Schwulenaktivist und spätere Bundestagsabgeordnete der Grünen Herbert Rusche aus Offenbach. Das Ergebnis der GAZ blieb deutlich hinter den Erwartungen ihres Gründers Herbert Gruhl zurück, der erwartet hatte mit einem Ergebnis von 6 % "die FDP zu beerben".

Zu weiteren Wahlerfolgen und dem Gewinn erster Mandate, z.B. im Stadtrat von Erlangen, kam es 1978 in Bayern. Ehemalige CSU-Mitglieder gründeten in Bayern eine „Grüne Liste Bayern“ (GLB). Die "Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" (AUD) trat als Umweltpartei auf. In Bayern traten GLB, GAZ und AUD als „Die Grünen“ zur Landtagswahl am 15. Oktober 1978 an und erreichen 1,8 %.

Die "Alternative Liste" erreicht bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 18. März 1979 in Berlin (West) 3,7 %, sie ist in einigen Bezirksverordnetenversammlungen vertreten.

Für die Europawahl am 10. Juni 1979 kam es am 17./18. März in Frankfurt zur Bildung der gemeinsamen Wahlliste "Sonstige Politische Vereinigung (SPV)-Die Grünen" aus GLU-Niedersachsen, GL-Schleswig-Holstein, AUD, GAZ und dem Achberger Kreis. Zu Vorsitzenden wurden Herbert Gruhl (GAZ), August Haußleiter (AUD) und Helmut Neddermeyer (GLU) gewählt. Die “Bunte Liste” Hamburg und andere eher linke Gruppen beteiligten sich aus den unterschiedlichsten Gründen nicht. Die “SPV Die Grünen” wurde im Wahlkampf u.a. von Heinrich Böll und Hellmuth Gollwitzer unterstützt. Sie erzielte mit 900.000 Stimmen 3,2 %. Dieser Wahlerfolg bewirkte eine entscheidende Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen dem “bürgerlichen” und dem “alternativen” Lager und hatte andererseits eine Initialfunktion für die Gründung von Wahlinitiativen für die Kommunalwahlen am 30.9.1979 in NRW, wo in Bielefeld (Bunte Liste 5,6 %), Münster (Grüne Alternative Liste 6,0 %), Leverkusen 5,0 %, Datteln 9,9 %, Marl 8,9 % der Einzug in die Kommunalparlamente gelang. In Köln (4,0 %) erreichte die Kölner Alternative Sitze in zwei Bezirksvertretungen. In Ahaus, geplanter Standort eines Atommüllzwischenlagers, erzielte eine von Atomkraftgegnern gegründete Wählergemeinschaft 25,5 %.

Die Bremer Grüne Liste (BGL) gewann am 7. Oktober 1979 mit 5,1 % als erste Grüne Partei in der BRD Mandate in einem Landesparlament, der Bremischen Bürgerschaft. Die BGL bestand aus einer Gruppe ehemaliger SPD-Mitglieder um Olaf Dinne. Die gleichfalls kandidierende "Alternative Liste" erhielt 1,4 %.

Aus der Europawahlliste “SPV-Die Grünen” entwickelte sich 1979/1980 die Bundespartei DIE GRÜNEN. Am 3./4.11. 1979 fand ein erster Bundeskongress der SPV-Die Grünen in Offenbach statt. Umstritten war innerhalb der SPV-Die Grünen insbesondere, ob die zu gründende Bundespartei nur von Mitgliedern der SPV Die Grünen gegründet werden solle, oder auch von den Mitgliedern der örtlichen Wählerinitiativen, etwa der Alternativen Liste Berlin und der Bunten Liste Hamburg. Erstere Linie setzte sich durch. Mitglieder der “Bunten” werteten dies als Signal, dass an eine gleichberechtigte Parteigründung nicht gedacht sei und blieben zum Teil der Parteigründung fern. Allerdings wurde den Mitgliedern der “Bunten und Alternativen” die Möglichkeit eröffnet bis zum 20.12.1979 in die SPV-Die Grünen einzutreten, um am Karlsruher Gründungskongress teilzunehmen. Ein Antrag von Baldur Springmann, eine Mitgliedschaft in der SPV-Die Grünen nicht zuzulassen, wenn gleichzeitig eine Mitgliedschaft in einer anderen, insbesondere einer kommunistischen Organisation bestand, wurde abgelehnt.

Auf der Bundesversammlung am 12./13. Januar 1980 wurde die Partei “Die Grünen” in Karlsruhe gegründet. Verabschiedet wurde die Satzung. Umstritten war erneut die Teilnahme von Delegierten der Bunten Listen, als deren Sprecher u.a. der Hamburger Henning Venske auftrat. Die Vereinbarkeit der Mitgliedschaft bei den “Grünen” mit der Mitgliedschaft in anderen Parteien wurde ausgeschlossen - u.a. gegen den Protest von Rudolf Bahro, der auf der Versammlung seinen Parteieintritt erklärte. Die Diskussion des Programms und die Wahl eines Vorstandes wurden auf die nächste Bundesversammlung vertagt, die im März 1980 in Saarbrücken stattfand. Bis dahin wurde der bisherige Vorstand der "SPV-Die Grünen" in seinem Amt bestätigt und das Europawahlprogramm zur Arbeitsgrundlage gemacht. "An der Wiege standen die unglücklichen Eltern: zum einen Helmut Schmidt, ohne dessen Politik es die Grünen wohl nicht gegeben hätte, und zum anderen die Fünf-Prozent-Hürde, ohne die so viele verschiedene Gruppen sich wohl nicht unter ein Dach zusammengezwängt hätten," so der grüne NRW Bauminister Michael Vesper.

Die Bundesversammlung in Saarbrücken am 22./23. März 1980 wählte August Haußleiter, Petra Kelly und Norbert Mann zu Parteisprechern, Rolf Stolz zum Schriftführer und Grete Thomas zur Schatzmeisterin. Die Versammlung verabschiedete das Grundsatzprogramm, das u.a. die Forderung nach Stilllegung aller Atomanlagen, einseitiger Abrüstung, der Abschaffung der Militärblöcke NATO und Warschauer Pakt, des § 218 StGB enthielt und für die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich eintrat. Diese Programmatik wurde von dem konservativen Flügel um den ehemaligen CDU Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl als Niederlage empfunden.

Die “vier Säulen” “sozial, ökologisch, basisdemokratisch und gewaltfrei” aus dem Europawahlprogramm der SPV-Die Grünen bildeten auch die Grundlage der jetzt gegründeten Partei. Die Grünen verstanden sich nicht als Partei, sondern als Bewegung, wobei die Parteigründung tatsächlich als parlamentarisches, zweites Spielbein gesehen wurde.

Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 16. März 1980 erreichen Die Grünen mit 5,3 % den Einzug in den Landtag. Fraktionsvorsitzender wird Wolf-Dieter Hasenclever.

Bei den Landtagswahlen in NRW am 11. Mai 1980 erreichen Die Grünen 3 %. Spitzenkandidaten waren der Landwirt Anton Maas, der gegen den Bau des Schnellen Brüters in Kalkar klagte und die Feministin Anne Neugebauer.

Auf der Bundesversammlung in Dortmund am 21./22. Juni 1980 trat August Haußleiter als Parteisprecher zurück. Die Schatzmeisterin Grete Thomas wurde abgewählt. Als Nachfolger von Haußleiter setzte sich Dieter Burgmann gegen Herbert Gruhl und Otto Schily, der im letzten Wahlgang Burgmann unterstützte, durch. Weitere Vorstandsmitglieder wurden: Christiane Schnappertz (Essen), Bettina Hoeltje (Hamburg), Helmut Lippelt (Niedersachsen), Hannelore Saibold (Passau), Ursula Alverdes und Erich Knapp. Schatzmeisterin wurde Eva Reichelt (Berlin). Damit war der Gründungsprozeß mit der Wahl eines vollständigen Bundesvorstandes abgeschlossen. Nach seiner Niederlage auf dem Dortmunder Parteitag zog sich der konservative Flügel um Herbert Gruhl und Baldur Springmann sowie die vor wenigen Monaten in die Bremische Bürgerschaft gewählte BGL aus der Partei zurück. Der spätere Bundestagsabgeordnete Jürgen Reents resümierte, die Partei entwickele sich als “Alternative links der SPD”. Gruhl gründete daraufhin in München die ökologische konservative Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), die bis heute besteht, politisch aber relativ bedeutungslos blieb.

Am 9. Oktober 1980 traten Die Grünen das erste Mal bei einer Bundestagswahl an, scheiterten aber mit 1,5 % Zweitstimmen deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde. Viele Anhänger der Grünen aus dem eher linken Spektrum hatten noch die SPD mit Bundeskanzler Helmut Schmidt als aus ihrer Sicht so genanntes "Kleineres Übel" gewählt, um einen konservativen Kanzler Franz Josef Strauß von der CSU zu verhindern.

Die 1980er Jahre: Einzug in den Bundestag, Etablierung, Flügelkämpfe

1981 stand die Beteiligung an verschiedenen friedenspolitischen Großdemonstrationen im Vordergrund.

Im Jahr 1982 wurden bei der Landtagswahl in Hessen bereits 8% erreicht.

1983 zogen Die Grünen schließlich zum ersten Mal in den Bundestag ein, nachdem es vorher schon Erfolge bei Landtagswahlen und der Europawahl gegeben hatte. Diese vorgezogenen Bundestagswahlen fanden nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition und der Wahl von Helmut Kohl zum Bundeskanzler statt.

Die gegen den Nato-Doppelbeschluss beziehungsweise die so genannte "Nachrüstung" stattfindenden Friedensdemonstrationen fanden 1983 ihren Höhepunkt – doch alle etablierten Parteien unterstützten den Wettrüstungskurs. Dies begründete den Erfolg der Grünen bei der Bundestagswahl am 6. März 1983: Mit 5,6% der Zweitstimmen gewannen sie insgesamt 28 Abgeordnetensitze. Mit Herbert Rusche aus Offenbach zog auch der erste öffentlich bekennende schwule Bundestagsabgeordnete in den Bundestag ein.

Der Erfolg der Grünen führte zu heftigen gesellschaftspolitischen Diskussionen, denn von den etablierten gesellschaftlichen Kräften wurde er als Angriff und Gefahr für das bestehende System gesehen. Die Grünen mussten sich nicht nur des Vorwurfes erwehren, deutschlandfeindlich und systemkritisch zu sein. Vielmehr wurde ihnen ein gespaltenes Verhältnis zum Gewaltmonopol des Staates sowie eine Nähe zum RAF-Terrorismus der 1970er Jahre unterstellt. Angeführt wurde beispielsweise der Umstand, dass Otto Schily und Christian Ströbele als profilierte Strafverteidiger in den 1970er Jahren Terroristen verteidigt hatten. Ein Nachhall dieser Fragen erfolgte 2001, als Joschka Fischer seine Vergangenheit als Frankfurter Straßenkämpfer vorgeworfen wurde und es versucht wurde, daraus politisches Kapital zu schlagen.

Die Frage der eigenen Stellung zum bundesrepublikanischen System beherrschte die Diskussionen der 1980er Jahre in der Partei zunehmend. Dies drückte sich am deutlichsten in den immer stärker werdenden Flügelkämpfen zwischen so genannten "Fundis", und "Realos" aus. Die "Fundis" (abgeleitet von Fundamentalisten) vertraten im Wesentlichen eine radikal systemkritische Position und lehnten Kompromisse mit den etablierten Parteien und damit auch mögliche Regierungsbeteiligungen ab, wohingegen die "Realos" (abgeleitet von Realpolitikern) zunehmend Arrangements mit den Etablierten und mögliche Koalitionen anstrebten, um Reformen im Sinne grüner Politik auch in Ansätzen durchzusetzen, wofür sie auch verstärkt zu Kompromissen bereit waren. Weitere Streitpunkte waren unter anderem das Rotationsprinzip und die Trennung von Amt und Mandat. Die bekanntesten Vertreter der Flügel waren Joschka Fischer auf der Seite der Realos und Jutta Ditfurth auf Seite der Fundis.

Von 1983 bis 1985 galt eine Zweijahres-Rotation für die grüne Fraktion im Bundestag, ab 1986 wurde eine Rotation der Abgeordneten alle vier Jahre (jede Legislaturperiode) beschlossen. Ebenfalls beschlossen wurde 1983, dass ein Teil der Diäten an die Partei abgeführt werden muss.

Erich Honecker unterzeichnete 1983 mit grünen Bundestagsabgeordneten einen persönlichen Friedensvertrag.

1984 kam es zu Erfolgen bei der Europawahl und zu ersten Formen von Zusammenarbeit mit der SPD auf lokaler Ebene.

1985 wurde in Hessen die erste rot-grüne Koalition besiegelt, die 452 Tage hielt. Joschka Fischer wurde Umweltminister. Bekannt wurde er als sogenannter Turnschuhminister, da er bei seiner Vereidigung am 12. Dezember 1985 in Turnschuhen erschien. 1989 kam es zu einer rot-grünen Koalition in Berlin. Weitere Koalitionen – erneut in Hessen, als "Ampel" mit SPD und FDP in Bremen, in Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg – folgten, insbesondere ab Mitte der 1990er Jahre.

1985 beherrschte der Streit über die Ausrichtung der Partei die innerparteiliche Debatte. Diese bereits in den 1970er Jahren begonnenen Diskussionen zwischen den beiden Flügeln der Partei, die in manchen Bundesländern sogar zum Auftreten zweier grüner Parteien gegeneinander führten, verhinderten nicht den weiteren bundespolitischen Erfolg. Unter einem von Fundis beherrschten BundesvorstandJutta Ditfurth war eine von zwei gleichberechtigten Sprechern der Partei, denn die Position eines Parteivorsitzenden lehnten die Grünen ab – erreichten die Grünen bei der Bundestagswahl am 25. Januar 1987 mit 8,3% der Zweitstimmen insgesamt 44 Mandate. Auch in Hessen legten die Grünen weiter zu.

Die beiden Flügel der Partei erwiesen sich in dieser Zeit als annähernd gleich stark. Und sie drohten zunehmend, sich gegenseitig zu blockieren, da aus den Sachfragen der Vergangenheit immer mehr die Machtfragen der Gegenwart wurden. Im Zuge dieser Konflikte wurde außerdem der ursprüngliche Anspruch der Grünen, parlamentarisches Spielbein der außerparlamentarischen Neuen sozialen Bewegungen zu sein, zusehends aufgeweicht. Hatte man zu Beginn den Anspruch, keine Stellvertreterpolitik zu machen, so erwarteten die vielen neu gewonnenen Wähler von ihren Mandatsträgern in einer parlamentarischen Demokratie genau dies. Und die Wahlerfolge sorgten dafür, dass viele Menschen, die zuvor in der Bewegung außerpalamentarisch tätig waren, diese Arbeit nicht mehr tun konnten, da nun ihre parlamentarische Arbeit ihre ganze Energie und Aufmerksamkeit erforderte.

Im November 1989 zog der "Realo" Otto Schily, der einer der Mitbegründer der Partei war, die Konsequenz aus den sich hinziehenden Auseinandersetzungen mit der Parteilinken. Er trat aus der Partei aus und wechselte zur SPD.

Die 1990er Jahre: Wiedervereinigung, Scheitern an der 5%-Hürde und Professionalisierung

Dann erfolgte der historische Einschnitt mit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung 1989/90.

Am 24. November 1989 gründete sich die Grüne Partei der DDR, die sich bereits Ende 1990 mit den westdeutschen Grünen vereinigte, nämlich genau am Bundestagswahl-Tag, dem 2. November.

Die Anerkennung beider deutschen Staaten war Konsens innerhalb der Westgrünen. Auch nach dem Mauerfall wurde die Zweistaatlichkeit, wie zunächst von den meisten Politikern und Analysten, nicht angezweifelt. Für die Mehrheit der Grünen, gerade jene, die sich als Linke verstanden, gab es die Deutsche Frage nicht vor dem Mauerfall – und sollte es sie auch nicht danach geben. Und so verweigerten sie sich diesem Thema bei der Bundestagswahl 1990 mit dem Slogan "Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Klima." Grüne PolitikerInnen forderten insbesondere eine breite Verfassungsdiskussion über die gesamtdeutsche Verfassung, die Belange des Datenschutzes, der Frauengleichstellung und dem Diskriminierungsverbot von Homosexuellen und Behinderten einschließen sollte.

Da die Grünen sich im Unterschied zu den anderen Parteien noch nicht mit ihren politischen Verbündeten in Ostdeutschland, den neu entstandenen Bürgerbewegungen, vereinigt hatten, klagten sie mit Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht und erreichten wegen der verlangten Chancengleichheit, dass einmalig für Ost und West getrennte 5%-Hürden gelten sollten und in Ostdeutschland auch Listenvereinigungen zur Wahl antreten konnten. Im Westen traten Die Grünen an, im Osten eine Listenvereinigung aus den Grünen und den Bürgerbewegungen, weil nur so ein Erfolg erreichbar erschien.

Bei der Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 verpassten die West-Grünen knapp die 5%-Hürde und damit den Wiedereinzug in den Bundestag. Das Ost-Bündnis erreichte über 5% und konnte somit insgesamt acht Vertreter in den ersten gemeinsamen Bundestag schicken. Diese Wahlniederlage der West-Grünen bedeutete nicht nur das Ende mancher Karriereträume, sondern die gesamte Partei schien bedroht, denn das komplette Wegbrechen der Bundestagsfraktionsebene bedeutete weniger Geld, weniger Mitarbeiter, weniger öffentliche Aufmerksamkeit, drohende Bedeutungslosigkeit.

Die Linken hatten sich mit ihrem antideutschen Kurs bei der Wahlkampfstrategie durchgesetzt – nun wurden sie verantwortlich gemacht für das Debakel. Und noch immer schwelte ja auch der Konflikt über das Selbstverständnis der Partei inklusive der offenen Machtfragen. Auf dem Bundesparteitag im April 1991 in Neumünster/Schleswig-Holstein wurden die Konsequenzen diskutiert. Ein Höhepunkt war der dort vollzogene öffentliche Austritt linker Grüner um Jutta Ditfurth aus der Partei. Andere linke Protagonisten wie Rainer Trampert und Thomas Ebermann waren schon ein Jahr zuvor aus den Grünen ausgetreten. Diese Austrittswelle prominenter Linker bedeutete zuallererst eine weitere Schwächung der Partei. Jutta Ditfurth gründete in Frankfurt am Main die Partei Ökologische Linke, die jedoch bundesweit parlamentarisch nicht Fuß fassen konnte. Sie gab die neue Zeitschrift "Ökolinx" heraus und machte sich in den kommenden Jahren als kritische Autorin einen Namen. In verschiedenen Publikationen setzte sie sich mit der weiteren Entwicklung der Grünen und Teilen der neuen sozialen Bewegungen auseinander, wo sie Tendenzen der Anpassung an das herrschende System und teilweise auch reaktionäre Entwicklungen ausmachte.

Das Bündnis 90 hatte seine Wurzeln in der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung der DDR. Es wurde 1990 zunächst als Listenvereinigung der Bürgerbewegungen Neues Forum, Demokratie jetzt und Initiative für Frieden und Menschenrechte zur ersten freien Volkskammerwahl gegründet und in der Folge zur eigenständigen Partei, die große Teile der drei Bürgerbewegungen vereinigte. Zwischen Mitgliedern der Grünen wie beispielsweise Petra Kelly und oppositionellen Gruppen in der DDR hatte es bereits vor der Wende Kontakte gegeben. Diese führten nach der Wende zur Zusammenarbeit von Bürgerbewegungen und Grünen. Im Januar 1993 vereinigten sich dann Bündnis 90 und Die Grünen zu Bündnis 90/Die Grünen. Einige Mitglieder von Bündnis 90 verließen daraufhin aus Kritik an der Vereinigung die Partei. Dem Mitspracherecht von Bündnis 90 wurde versucht Rechnung zu tragen, indem Ost-Quoten für Bundesgremien geschaffen wurden – was wiederum Ost-Grüne der ersten Stunde als Affront verstanden.

Die Verankerung der West-Grünen in den Landes- und Kommunalparlamenten sicherte das Überleben der Partei. Bei der Bundestagwahl 1994 errang die inzwischen gesamtdeutsche Partei Bündnis 90/Die Grünen mit 7,3% insgesamt 49 Mandate im wegen der Wiedervereinigung vergrößerten Bundestag. Mit Antje Vollmer stellten die Grünen zum ersten Mal eine Bundestagsvizepräsidentin. Vor der Wahl wurden Bedingungen für eine mögliche Koalition mit der SPD festgelegt. Der "5-Mark-Beschluss" (den Benzinpreis auf 5 DM anzuheben) im Wahlprogramm wurde als ein Grund für das relativ schlechte Abschneiden im Vergleich zu den 1980er Jahren angesehen.

Und noch etwas hatte sich seit 1990 mit dem Auszug der linken Gallionsfiguren geändert: das Machtzentrum war zuvor immer die Partei, deren Anliegen es war, die Mandatsträger zu kontrollieren, worin ein großer Teil des Konfliktes zwischen Fundis und Realos bestand. Nun verschob sich das Machtzentrum zur Bundestagsfraktion. Durch die Schwäche des Bundesvorstandes schlüpfte Joschka Fischer zunehmend in die Rolle des heimlichen Parteivorsitzenden, ohne jemals von einem Parteigremium für ein Amt gewählt worden zu sein.

1994 wurde die bundesweite Jugendorganisation Grüne Jugend -- damals noch unter dem Namen Grün-Alternatives Jugendbündnis -- gegründet.

Die Partei professionalisierte sich zunehmend. Politisch zeichnete sich eine zunehmend realpolitische Orientierung ab; unter anderem wurden militärische Mittel in Ex-Jugoslawien gebilligt. In Baden-Württemberg erzielen die Bündnisgrünen 12,1%, das bis dato beste Ergebnis in einem Flächenland.

1996 wurden die bis dahin getrennten Parteienstiftungen – Buntstift, Frauenanstiftung und Heinrich-Böll-Stiftung – zur heutigen Heinrich-Böll-Stiftung vereinigt. Hatten in den 1980er Jahren die Grünen die Parteistiftungen noch heftig bekämpft, so änderte sich ihr Kurs, nachdem sie vor dem Bundesverfassungsgericht mit einer Klage scheiterten. Gründe für die Kritik an den politischen Stiftungen waren und sind die mangelnde Transparenz ihres Wirkens als nicht unabhängige, sondern parteigebundene Stiftungen und vor allem das Problem ihrer Finanzierung, denn sie erhalten – bei weniger Kontrolle und Transparenz – viel mehr staatliche Mittel als die Parteien selbst. Nach der Niederlage vor Gericht gingen die Grünen den Weg, ebenfalls an den Vorteilen von Stiftungen teilzuhaben, anstatt diesen Vorteil nur den etablierten Parteien zu belassen.

1998-heute: Grüne in Regierungsverantwortung im Bund

Ein neues Kapitel der bundesdeutschen Parteiengeschichte wurde mit der Bildung der ersten rot-grünen Bundesregierung nach der Bundestagswahl 1998 (6,7 % für Bündnis 90/Die Grünen) aufgeschlagen. Neben Vizekanzler und Außenminister Joschka Fischer (in der Wahlperiode zuvor Fraktionsvorsitzender im Bundestag) wurde Andrea Fischer Gesundheitsministerin und Jürgen Trittin Umweltminister.

Nach dem BSE-Skandal im Januar 2001 kam es zu einer Rochade: Andrea Fischer trat zurück und wurde durch die SPD-Politikerin Ulla Schmidt ersetzt, dafür beerbte die Grüne Renate Künast den Landwirtschaftsminister Funke als Ministerin für das um den Verbraucherschutz erweiterte Ressort Ernährung und Landwirtschaft.

In der Legislaturperiode 1998-2002 wurden unter anderem die Ökosteuer (allerdings in einer gegenüber grünen Vorstellungen reduzierten Form), einige Reformen des Staatsbürgerschaftsrechts bezüglich der Erleichterung von Einwanderung, die Möglichkeit eingetragener Lebenspartnerschaften, der langsame Ausstieg aus der Atomenergie, das 100.000-Dächer-Programm (Solarstromsubvention) und das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG; wirtschaftliche und wissenschaftliche Förderung von Wind- und Solarenergie, Biomasse und Erdwärme) beschlossen.

Während diese als grüne Erfolge gesehen wurden, gab es auch Kritik: Insbesondere an der Re-Militarisierung der Außenpolitik mit der deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg, an der Unterstützung des militärischen Feldzuges der USA nach Afghanistan und an vielen Kompromissen mit der SPD. Die Befürwortung einer Kriegsbeteiligung führte zu einer größeren Austrittswelle von enttäuschten Grünen. Sie stammten teilweise aus dem pazifistischen Umfeld. Einige Mitglieder, wie der frühere grüne Bundestagsabgeordnete Christian Simmert, kritisierten aber auch ihrer Meinung nach undemokratische Methoden bei der Überzeugungsarbeit, mit der Abweichler vom Regierungskurs zurück auf Linie gebracht werden sollten. Kurz vor der Bundestagswahl gaben sich Bündnis 90/Die Grünen ein neues Grundsatzprogramm, in welchem die Partei sich ausdrücklich nicht mehr auf ihre pazifistischen und basisdemokratischen Wurzeln berief.

Bei der Bundestagswahl im September 2002 erreichten die Grünen 8,6% der Stimmen; damit reichte es erneut für eine Regierungsbildung mit der geschwächten SPD. Christian Ströbele, einer der noch verbliebenen linken Grünen in der Bundestagsfraktion, errang dabei in Berlin-Kreuzberg das erste Direktmandat für Bündnis 90/Die Grünen auf Bundesebene.

Bei der Europawahl 2004 konnte die Partei einen der größten Wahlerfolge ihrer bisherigen Geschichte feiern; sie erreichte mit 3.079.728 Stimmen 11,94 %; in Berlin wurden sie stärkste Partei, im ehemaligen Berliner Bezirk Kreuzberg bekamen sie die absolute Mehrheit der Stimmen.

Bei den Landtagswahlen am 19. September 2004 in Sachsen erreichten die Grünen 5,1 % und zogen damit das erste Mal seit 1998 wieder in ein Landesparlament auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ein. Bei den zeitgleichen Wahlen in Brandenburg verfehlte die Partei den Wiedereinzug ins Landesparlament. 1998 waren die Grünen auch in Sachsen-Anhalt an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, nachdem sie schon vorher aus den anderen ostdeutschen Landesparlamenten gefallen waren.

Siehe auch

Die Geschichte der Grünen und der Neuen Sozialen Bewegungen wird unter anderem im Archiv "Grünes Gedächtnis" erforscht. Insbesondere in den 1980er Jahren war der Einzug der Grünen in den Bundestag und die damit verbundenen Veränderungen im deutschen Parteiensystem ein prominentes Thema der Politikwissenschaft.