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Querfront

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Als Querfront bezeichnet man die nicht erfolgreichen Zusammenarbeitsbestrebungen von Seiten deutschnationalistischer Gruppierungen mit Kommunisten in der Weimarer Republik. Der Begriff wird auch heute noch gebraucht, wenn rechtsradikale mit linken Gruppen zusammenarbeiten, sie unterwandern oder rechts- mit linksradikalem Gedankengut verbinden wollen.


Historisch wurde die Querfrontideologie in der Weimarer Republik von Seiten der Konservativen Revolution entwickelt. Hier entwickelten vor allem die Publikationen des Tat-Kreises Vorstellungen von einem "nationalem Sozialismus", der die Demokratie endgültig beseitigen sollte. Auf politisch pragamtischer Ebene hingegen prägte Reichskanzler Kurt von Schleicher das Querfront-Konzept, mit dem er den Versuch unternahm, für ein Präsidialregime - also einer mehr oder weniger offenen Militärdiktatur - eine breite Zustimmung innerhalb der Gesellschaft und der politischen Landschaft zu erlangen. Hierzu strebte er ein Bündnis zwischen den Sozialdemokraten des ADGB, Führern des Reichsbanners und den nationalrevolutionären Kreisen der NSDAP um Gregor Strasser an. [1]

Die Querfrontidee in der Weimarer Republik

Besonders Ernst Niekisch versuchte im Rahmen dessen, was er Nationalbolschewismus nannte, kommunistische und faschistische Kräfte einander anzunähern, um so die bestehende Ordnung der Weimarer Republik zu stürzen.

Kurt von Schleicher versuchte kurz vor der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten mittels einer Querfrontstrategie den vor allem den durch die Brüder Gregor und Otto Strasser bestimmten „linken“ Flügel der NSDAP abzuspalten. Damit sollte die nationalsozialistische Bewegung gespalten und Adolf Hitler als Reichskanzler verhindert werden, was jedoch scheiterte.

Die Querfrontidee heute

Deutschland

Im aktuellen politischen Geschehen wird der Begriff Querfront sowohl bezüglich der Unterwanderung der linken Szene durch Rechtsradikale wie auch für Gruppierungen verwendet, die links- und rechtsradikales Gedankengut oder Erscheinungsbild verbinden.

So kommt es zu einer verstärkten Anwendung der unterwandernden Querfrontstrategie seitens militanter Neonazis. Der Antiamerikanismus und teilweise Antizionismus von Teilen der Friedensbewegung gegen den 3. Golfkrieg boten Anknüpfungspunkte für Rechtsextremisten. Viele Neonazis treten auf Demonstrationen mit "linken" Accesoires wie Palästinensertüchern und sogar Che Guevara-T-Shirts auf. Auch das Auftreten von Neonazis auf den Montagsdemonstrationen gegen die Hartz-Reformen ist in diesem Kontext zu sehen.

Neonazis als Autonome Nationalisten im Schwarzen Block mit antikapitalistischen und nationalsozialistischen Parolen

So formierte sich auf einer Demonstration der NPD 2004 in Berlin innerhalb der Nazis ein „schwarzer Block“. Dieser zeigte das von autonomen bekannte Erscheinungsbild und rief Parolen wie „Kein Fußbreit den Faschisten - für nationalen Sozialismus“. Er lieferte sich körperliche Auseinandersetzungen sowohl mit NPD-Ordnern wie auch mit der Polizei. Die „Autonomen Nationalisten“ stellten sich hier unter Beteiligung an deren Aufmarsch gegen die übrige Rechte. Geplant wurde auch eine eigenen Kampagne für einen „revolutionären, rechtsradikalen schwarzen Block“. Dies hatte hektische Gegenaktivitäten im traditionellen rechten Lager zur Folge; NPD-Seiten boten sogenannte „Schulungen“ zur Bekämpfung dieser Vorbereitungen an. Nach Informationen des Bundeskriminalamtes wollten sich auch im Vorfeld des geplanten G 8-Gipfels in Heiligendamm Neonazis in die linken Massenproteste einreihen[2]. Als angeblich gemeinsamer ideologischer Nenner werde dabei die Bekämpfung der Marktwirtschaft und der Globalisierung angesehen. Die Kapitalismuskritik auf Seiten der „Autonomen Nationalen Sozialisten“ verurteilt hierbei das internationale Kapital, wobei sie das nationale Kapital fördern und unterstützen will und „den Juden“ als Personifizierung des Kapitals stilisiert, um erneut Bezug zum Antizionismus/Antisemitismus ziehen zu können. Darüber hinaus beschränkt sich die Globalisierungspolitik der Autonomen Rechten auf den Kampf für Nationales Bewusstsein und Nationalen Fortschritt, allerdings gegen die „Internationale Solidarität“.

Diese aus deren Sicht verkürzte Kapitalismus- und Globalisierungskritik wird in linken Kreisen durchgehend abgelehnt, da sie der Versuch sei, die Linke mit kaschierter und verzerrter Kritik am kapitalistischen und globalen Gesellschaftskonstrukt zu infiltrieren, um eine mögliche Querfront zu schaffen. In Wirklichkeit stünden allerdings weiterhin Kapitalismus und Faschismus hinter den verkürzten Kritikformen.

Es gibt im heutigen Deutschland aber auch eigenständige Organisationen, die im Sinne der Querfront „offiziell“ beanspruchen, nationalistisches und kommunistischen Gedankengut zu verbinden, wie z.B. der 1999 gegründete Kampfbund Deutscher Sozialisten.

Querfront in Thüringen

Thüringen gilt als ein besonderes Aktionsfeld von Querfrontstrategen. Der Stern schreibt über „Braun-Rote Kungelei“ in Thüringen: „Mit Hartz IV und Friedensdemos fing es an, gegen G8 marschieren nun beide. Immer hemmungsloser macht sich die NPD über Themen und Wähler der PDS her. Vor allem Thüringen scheint ein regionales Versuchslabor für die ‚linke Rechte‘“.[3]
„Für unsere Schulungen benutzten wir fast nur noch linke Quellen“, gesteht der thüringische NPD-Aktivist Patrick Wieschke. „Schon seit den ersten Hartz-IV-Demonstrationen 2004 warnen Verfassungsschützer davor, die Deutungshoheit der Neonazis in sozialen Fragen nicht zu unterschätzen. Auch Wahlforscher staunen seit Jahren über das nicht seltene Ost-Phänomen von PDS-Wählern, die ihre Zweitstimme der NPD geben. Für viele scheint das kein Widerspruch zu sein, weil in der DDR vieles als links galt, was im vereinten Deutschland eher als rechts verpönt ist: das viel zitierte Gemeinschaftsgefühl zum Beispiel oder eine trotzige Liebe zur Heimat, die - anders als bei westdeutschen Linken - kein verkrampftes Verhältnis zu allem Nationalen kennt“.[3]

International

Third Position

Die italienischen Neofaschisten Roberto Fiore, Gabriele Adinolfi und Peppe Di Mitri propagierten als Terza „Posizione“ oder „Third Position“ eine Bewegung, die sich ähnlich wie bei früheren deutschen Querfronttheorien grundsätzlich von Kommunismus und Kapitalismus abzusetzen versucht bzw. dies vorgibt. Third Position propagiert einen soldatisch/bäuerlich/ökologisch korrekten Lebensstil weitgehend autonomer neuer bzw. wilder Männer im Sinne des charismatischen rumänischen Rechtsextremen Corneliu Zelea Codreanu, kombiniert mit einem radikalen Ethnopluralismus, Elementen der katholischen Soziallehre und der Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen. Die von Fiore und seinen Gesinnungsgenossen 1979 begründete Bewegung benutzt das Keltische Kreuz und in Italien die Wolfsangel als Symbole.

Nachdem Roberto Fiore im Zusammenhang mit dem Anschlag von Bologna 1980 in Italien zu einer Haftstrafe verurteilt wurde und zeitweise untertauchte bzw. das Land verlassen musste, trieb er Third Position in Großbritannien und Frankreich mit voran und ist mittlerweile Generalsekretär der Europäischen Nationalen Front.

Osteuropa

Aber auch in osteuropäischen Staaten ist die Fusion von links- und rechtsextremem Gedankengut innerhalb einer Bewegung in der heutigen Zeit verbreitet, in Deutschland bekanntlich im Ostteil verbreiteter als im Westen. So arbeiten in Russland sowohl die Nationalbolschewistische Partei Russlands als auch die Partei Rodina mit einem ideologischen Hintergrund, der sich sowohl bei links- als auch bei rechtsextremistischem Gedankengut bedient.

Quellen

  1. Stefan Breuer: Anatomie der Konservativen Revolution. Darmstadt 1995. - Stefan Breuer: Ordnungen der Ungleichheit. Die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945. Darmstadt 2001. - Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des Nationalismus zwischen 1918 und 1933. München 1994. - Vgl. entsprechend: Antifaschistisches Infoblatt 2/2004: Der Begriff Querfront. Eine historische Betrachtung. S. 38,39 [1], WDR: Vor 75 Jahren: Kurt von Schleicher wird Reichskanzler.Nazis mit Nazis verhindern? [2]
  2. Die Welt: In Heiligendamm drohen Anschläge von Islamisten
  3. a b Stern: Braun-Rote Kungelei

Literatur

  • Joachim Bons: Nationalsozialismus und Arbeiterfrage. Zu den Motiven, Inhalten und Wirkungsgründen nationalsozialistischer Arbeiterpolitik vor 1933. Pfaffenweiler 1995
  • Stefan Breuer: Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, Darmstadt 2001.
  • Stefan Breuer: Anatomie der Konservativen Revolution, Darmstadt 1995.
  • Bernd Martin: Die deutschen Gewerkschaften und die nationalsozialistische Machtübernahme. Von der Anpassungspolitik während der Präsidialkabinette zur Selbstausschaltung im totalitären Staat, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 36 (1985), S. 605-631.
  • Axel Schildt: Militärische Ratio und Integration der Gewerkschaften. Zur Querfrontkonzeption der Reichswehrführung am Ende der Weimarer Republik, in: Richard Saage (Hg.): Solidargemeinschaft und Klassenkampf. Politische Konzeptionen der Sozialdemokratie zwischen den Weltkriegen, Frankfurt/Main 1986, S. 346-364.
  • Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München 1994.